Flucht aus Titos Lager Von Herbert Prokle In zahllosen Formularen, Dokumenten oder Firmenakten steht in verschiedenen Sprachen immer wieder die Frage nach dem Geburtsanat; und damit ist der Punkt erledigt. Vielleicht noch einmal die Frage: „Wo liegt denn das?“ Wer aber macht sich schon Gedanken über den Weg, den der Antwortgebende zurücklegen musste, um heute irgendwo in der Welt diesen Geburtsort nennen zu können, ein Weg, der immer eine Leidensstrecke einschließt. Wenn die für dieses harte Schicksal Verantwortlichen vollen Erfolg gehabt hätten, würde heute niemand mehr „Modosch“ in einen Fragebogen Herbert Prokle schreiben können. Für einen Eingeweihten besagt der Name daher sofort, dass es sich um einen Überlebenden handelt; einen Menschen, der zum Martertod verurteilt war, es aber geschafft hat, sich seinen Platz in der heutigen Gesellschaft zu erobern. Als im Herbst 1944 die Russen Modosch buchstäblich überschwemmten, war ich elfeinhalb Jahre alt. Zu jung, um die ganze Tragweite zu erkennen, aber doch alt genug, um die sofort einsetzenden Gräueltaten der Tito-Partisanen bewusst mitzuerleben. Der Umschwung war für alle zu plötzlich gekommen, so dass manches nicht versteckt oder vernichtet werden konnte, was den neuen Machthabern nicht unbedingt in die Hände fallen sollte. Unter anderem war bei uns noch die Hakenkreuzfahne vorhanden, während das Haus voller Russen war - in den ersten Nächten zählten wir mehr als 80 -, die überall nach „Wodka“ suchten. Als meine Mutter endlich unbemerkt zu sein glaubte und die Fahne schnell verbrennen wollte, kam unsere alte Magd, die „Rosa-Neni“ dazu, die der Meinung war, es wäre viel zu schade um den schönen Stoff, sie würde ihn färben und sich etwas davon nähen. Um die Fahne den Augen der uneingeladenen Gäste zu entziehen, wickelte die gute Alte sie sich um den Körper, unter den Rock. Sei es nun ihre bekannte Liebe zu alkoholischen Flüssigkeiten gewesen oder tatsächlich der Wunsch, die Säufer zu beaufsichtigen und von uns abzulenken, sie saß plötzlich in einem der vorderen Zimmer in der Runde der Zecher, lachte und weinte mit ihnen, erzählte ihnen haarsträubende Geschichten über eine ganze Reihe von
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