in die Bundesrepublik. Immer mehr durften das Land verlassen, der Ausverkauf hatte begonnen. Der Neid der Rumänen war nicht zu übersehen und zu überhören. Mein Wunsch, nach Deutschland zu gelangen, war vielen meiner Kollegen bekannt. Dafür wurde ich immer wieder belächelt und verspottet, da mein gescheiterter Heiratsversuch mittlerweile bekannt war. Ein Kollege stellte zum Schluss die zynische Frage: „Na, Deutscher, wann fährst du nach Deutschland?“ „Morgen“, habe ich geantwortet, und wir lachten überlaut. Es klang wie ein guter Scherz, so war es auch von mir beabsichtigt. Keiner hat bemerkt, dass meine Nerven zum Zerreißen gespannt waren. Mein Mitlachen war echt und falsch zugleich. In diesem Moment dachte ich: „Ihr armen Schweine, in ein paar Tagen wird euch das Lachen vergehen, und ihr werdet Hilfe brauchen, euren Unterkiefer hochzuklappen“. Einer meiner Freunde klopfte mir mitleidsvoll auf die Schulter und sagte: „Sei nicht traurig Fredy, auch dein Tag wird einmal kommen“. „Ja“, sagte ich, „vielleicht schon morgen“. Dann ging ich an meinen Arbeitsplatz und war mit meinen Gedanken allein. Und so war mein letzter Arbeitstag: Um 15 Uhr war Schichtwechsel. Meine beiden Kollegen übergaben mir routinemäßig den Prüfstand, und wir besprachen kurz, was an diesem Tag zu tun sei. Ich arbeitete unauffällig, mit erhöhtem Tempo, nach getaner Arbeit fragt keiner, wo der Kontrolleur ist. So konnte ich schon vor Schichtende nach Hause gehen, ohne dass es jemandem aufgefallen wäre. Um 18 Uhr war Brotzeitpause. Ich verließ die Firma unbemerkt, indem ich über eine Mauer auf das Nachbargrundstück sprang. So konnte mich der Pförtner nicht weggehen sehen. Ich fuhr mit der Straßenbahn nach Hause, weil mir mein Führerschein wegen eines Verkehrsdeliktes für einen Monat entzogen worden war. Auf dem Heimweg traf ich einen Freund aus meiner Clique. Es war ein Ungar, dem ich voll vertrauen konnte. Ihm sagte ich kurz und bündig: „Heute Nacht werde ich einen Fluchtversuch unternehmen, grüße bitte alle meine Freunde“. Der Ton und das Vibrieren meiner Stimme ließen keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit meiner Aussage. „Du spielst mit deinem Leben“, sagte er, „aber ich wünsche dir viel Glück dabei.“ Er meinte es ehrlich. In meiner Wohnung war nichts Auffälliges erkennbar. Ich hatte meine bescheidene Ausrüstung schon vorbereitet und im Schrank versteckt, so dass meine Freundin Marika keinen Verdacht schöpfen konnte. Sie bestand aus einem grünen Rucksack, einem Fernglas und einem Kompass. Mein Proviant war recht bescheiden: eine Salami, ein Glas Pfirsichkompott und Beruhigungstabletten von meinem Hausarzt. Die Kleidung war unauffällig, ich achtete auf gute Tarnfarben: Eine graugrüne Hose, einen grünen Parka und ein Paar alte Tennisschuhe. Die neuen, extra dafür gekauften Sportschuhe verursachten mir beim Probegehen Blasen.
176























