Trödler 01/2024

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Europas Sammlermagazin 01/02 2024 01

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64419 • € 5,90

Schweiz CHF 9,50 | Österreich € 6,50

TERMINHEFT als Beilage 2 Monate Termine

José Canops Rod Stewart


INHALT 3

TRÖDLER

ISSN 1863-0340

LESERFORUM

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VERLAG

GEMI Verlags GmbH Robert-Bosch-Str. 2 85296 Rohrbach Tel. 08441 / 4022-0 Fax 08441 / 4022-40 (neue Nr.) Internet: http://www.gemiverlag.de eMail: info@gemiverlag.de

MAGAzIN

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GESCHÄFTSFÜHRER

Gerd Reddersen Rudolf Neumeier

MÖBEL

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CHEFREDAKTION

Nicola Fritzsch eMail: nicola.fritzsch@gemiverlag.de

REDAKTION

Joscha Eberhardt, Karin Probst, Helene Stümpfle-Wolf

BÜCHER

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AUTORINNEN UND AUTOREN

Reinhard Bogena, Dr. Kathrin Bonacker, Alexander Glück, Heidrun Th. Grigoleit

FLOHMARKTFUND

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TECHNIK

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SPIELzEUG

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AUKTIONEN

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SCHALLPLATTEN

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SCHALLPLATTEN

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FUNDSTÜCKE

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REDAKTIONSASSISTENz

Heike Genz

TERMINE

Hans Neumeier, Tel. 08441/4022-34 eMail: termine@gemiverlag.de

LITHOS, SATz, HERSTELLUNG

Westner Medien GmbH (Anschrift siehe Verlag)

ANzEIGEN

Anette Wagner, Tel. 08441/4022-13

KLEINANzEIGEN

Heike Genz, Tel. 08441/4022-18 Marlene Westner, Tel. 08441/4022-12

VERTRIEB

Gerd Reddersen

zEITSCHRIFTENHANDEL

VU Verlagsunion KG

MARKTVERTRIEB

Gemi Verlag

ABOVERwALTUNG

Gemi Verlag Aboservice Brieffach 14568 20086 Hamburg Tel. 040/329016205 (Mo-Fr 8-18 Uhr, Sa 9-14 Uhr) E-Mails: kundenservice@dermedienvertrieb.de bestellung@dermedienvertrieb.de

DRUCK

n Expertenauskünfte

n Ausstellungen, Messen

n José Canops

n Miniaturbücher

n Kußkarte

n Sabamobil

n Tretroller

n Notizen, Termine, Preise

n Rod Stewart

n Dead Music Heroes

Kastner AG Wolnzach

n Flohmarktpreise

ERSCHEINUNGSwEISE

10 mal im Jahr

TITELFOTOS

Reinhard Bogena; Staatliche Museen zu Berlin, Kunstgewerbemuseum/ Stephan Klonk, Berlin

32 SEITEN FLOHMARKT REVUE ALS BEILAGE GEMI

Januar/Februar 2024

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages vervielfältigt oder verbreitet werden. Unter dieses Verbot fallen die gewerbliche Vervielfältigung per Kopie, die Aufnahme in elektronische Datenbanken und die Vervielfältigung auf CD-ROM. Es gilt die Anzeigenpreisliste 1/21 (Preise gültig seit 01.07.2021)

Terminbeilage

Floh- & Antikmärkte Trödelmärkte Sammlerbörsen Auslandstermine

Mehr Inhalt:

2 Monate Termine

plus Extraseiten

Rätselspaß

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LESERFORUM 4

EXPERTISEN n Keramikteller Als langjährge Leser Ihres Magazins möchte ich um Ihre unverbindliche Einschätzung bitten. Die Platte und zwei Teller habe ich vor Jahren auf einem Flohmarkt gekauft. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie die Teller einschätzen und einen Wert diesem Geschirr zuschreiben könnten. Bettina Coskun, o. O.

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Die beiden Teller und die ovale Bildplatte zeigen dekorative Pasticcio-Landschaften (aus Versatzstücken komponierte Szenerien), pittoreske Häuser direkt an einem Gewässer mit jeweils einer Person im Vordergrund. Die Oberfläche ähnelt Leinwand. Vermutlich existierte eine Hohlform, welche eine eingepresste Leinwandstruktur hatte. Es handelt sich also um einen Trompe-l’œil-Effekt, der die Illusion von „Öl auf Leinwand“ transportieren sollte. Vermutlich wurde die zu bemalende „Leinwand“-Fläche zunächst mit einer grauen Lasur bemalt und dann wieder abgewischt. In den Vertiefungen des Leinwandgitters verblieb so graue Farbe, die den dreidimensionalen Eindruck, es mit Leinwand zu tun zu haben, verstärkt. In vielen Ländern gilt die Kombination „Öl“ plus Bildträger „Leinwand“ schon als Qualitätskriterium an sich. Die Teller tragen ein Herstellerzeichen von Villeroy & Boch in Dresden sowie einen papiernen Aufklebern mit diversen Kürzeln. Letzere sind leider nicht zu klären. Vermutlich handelt es sich um Auftrags- oder Malerzeichen. Die Dresdner Niederlassung der Firma Villeroy & Boch wurde 1856 in Betrieb genommen. Mit Erbauung und Leitung der Fabrik wurde Prof. Jules Charnoz beauftragt, der jedoch nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 nach Frankreich zurückkehrte. Sein Nachfolger wurde Dr. Karl Wilkens, der zuvor die Steingutfabrik in Wächtersbach geleitet hatte. Die Fabrik wuchs ständig. Im Jahre 1905 hatte die Firma bereits ca. 1700 Angestellte. 1878 wurde beschlossen, die Stapelware durch dekorative Ware zu ergänzen. Ab

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1880 leitete der Kunstmaler Josef Zeutzius als Verzierungs-Vorsteher den großen Bildmalersaal. Sehr wahrscheinlich dort sind diese Bildplatten von einem unbekannten Maler oder einer Malerin mit schnellem Pinsel bemalt worden. Ähnliche Motive, z. B. pittoreske Burgen, zählten auch zum Bildprogramm. Der Schätzpreis für die drei Keramiken beträgt 150 bis 250 Euro. Klaus-Dieter Müller, Kunstexperte Lüneburg

Ich habe hier ein Gemälde mit dem Motiv der Fraueninsel auf dem Chiemsee im Kleinformat. Mit Rahmen misst das Bild ca. 14 cm. Eine Signatur gibt es auch. Vielleicht lässt sich „Schüller" entziffern? Könnten Sie bitte das Bild einschätzen?

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G. Rasch, München

Die kleine Landschaftsdarstellung ist in Öl auf Pappe ausgeführt und zeigt den Chiemsee mit der Fraueninsel. Das Bild ist rechts unten signiert mit „Schüller“. Das hier gezeigte Gemälde hatte ursprünglich einen schwarzen Lackrahmen, der später durch einen blattversilberten ausgetauscht wurde. Mangels Vornamen ist es schwierig, das Bild konkret einem Künstler zuzuordnen. Ein plausibler Aspirant wäre ein aus Nürnberg stammender Ernst Schüller, der sich kurz vor Kriegsende am 29.10.1918 an der Akademie der Bildenden Künste in Mün-

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n In dieser Rubrik beantworten unsere Experten Ihre Fragen zu dem ein oder anderen guten Stück. Doch leider sehen wir uns außerstande, ganze Nachlässe oder sämtliche sich in Ihrem Haushalt befindlichen Trouvaillen bewerten und schätzen zu lassen. Auch bitten wir um Verständnis, wenn es mit der Bearbeitung länger dauert. Senden Sie uns also Ihre Anfrage nur zu einem zu bestimmenden Objekt – mit detaillierter Beschreibung und gutem Foto, auf dem das Objekt ganz abgebildet ist. Noch ein Hinweis zu den Preisen, die von Fall zu Fall von unseren Experten genannt werden: Hierbei handelt es sich um Richtwerte, die anhand von Fotos allein getroffen werden und je nach Zustand des Objekts nach oben oder unten korrigiert werden können. Ihre Anfrage schicken Sie bitte an: Gemi Verlags GmbH Redaktion Leserforum Robert-Bosch-Str. 2 85296 Rohrbach oder per E-Mail an info@gemiverlag.de

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n Gemälde


LESERFORUM 5 fusionierte 1926 mit der Münchner Werkstätte Gmbh. Die Bodenmarke ist wirklich kaum zu erahnen. Wie die Auflistung der vielen Keramikwerkstätten veranschaulicht, hatte es die künstlerische Keramik in den 1920ern nicht einfach. Fusionen und Konkurse waren an der Tagesordnung. Der Börsencrash von 1929 beendete so manches künstlerische Experiment. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es eine weitere kurzlebige Werkstatt in jener Zeit gegeben hat. Als gelungene, aber anonyme Keramiken der 1920er-Jahre würde ich die Figuren mit jeweils 50 Euro bewerten.

Klaus-Dieter Müller, Kunstexperte Lüneburg

Das Pferd hat zwar eine Pressmarke am Boden, doch die ist leider kaum erkennbar. Das Zicklein ist nicht signiert. Vielleicht können Sie mir weiterhelfen?

R. Weber, o. O.

Die kleinen Keramikfiguren, eine Darstellung eines steigendes Pferdes und ein springendes Zicklein, wurden wohl von demselben Entwerfer kreiert. Stilistisch finden sich Einflüsse sowohl aus Karlsruhe als auch aus Gmunden und Wien. Die Figuren lassen sich jedoch keinem Künstler aus Karlsruhe zuordnen, gleiches gilt für die Wiener Werkstätte/Gmundner Keramik/Schleiss Keramische Werkstätte (Hilde Dittrich?) oder Tonindustrie Scheibbs. Zwischen diesen beiden Polen der Keramischen Gestaltung liegt quasi als Schnittmenge München. Dort könnten die beiden Figuren in der oder im Umkreis der Keramischen Werkstätte Parcus, Speck & Co hergestellt worden sein. Diese Werkstatt

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chen in der Zeichenklasse eingeschrieben hat. Ernst Schüller war jüdischen Glaubens. Möglicherweise war er kriegsversehrt, da er schon vor Kriegsende demobilisiert wurde. Die Demobilisierung der 900.000 bayerischen Soldaten setzte erst Ende Dezember 1918 ein und dauerte bis Februar 1919. Biographische Daten sind heute nicht mehr zu ermitteln. Eine sichere Zuordnung ist nicht möglich. Zahlreiche Bilder von „Schüller“ sind bekannt, meist kleinere Formate und in der Regel Darstellungen des Chiemsees oder des Karwendelgebirges, vermutlich für den Tourismus als Reiseandenken konzipiert. Die kleinen aparten Alpenmotive von „Schüller“ erzielen meist nur kleine Beträge unter 100 Euro. Klaus-Dieter Müller, Kunstexperte Lüneburg

n Keramikfiguren Ich habe vor kurzer Zeit diese zwei Keramiken (Zicklein und Pferd) auf dem Flohmarkt gekauft. Zuhause habe ich schon meine ganze Literatur durchsucht und die ist nicht gerade wenig, habe aber nichts vergleichbares gefunden, genauso wie im Internet.

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MAGAZIN 6

AUSSTELLUNGEN n „Früher war mehr Lametta!” „Bernhard-Viktor weist bei sehr gutem Betragen gute Leistungen auf. Er ist fleißig, handgeschickt und kann im Unterricht denkend mitarbeiten, nur zuweilen macht sich eine gewisse Versonnenheit bemerkbar, die wohl, wie überhaupt seine etwas weniger elastische Art, in körperlicher Konstitution begründet sein mag. Sein Ausdruck ist entsprechend, doch gewandt.” Noch lässt das erste Zeugnis vom 30. September 1930 nur erahnen, dass aus dem versonnenen, wenngleich auch gewandten Erstklässler von Bülow viele Jahre später Deutschlands beliebtester Humorist erwachsen wird – Loriot, der Maler und Zeichner, Werbegrafiker, Schriftsteller, Moderator, Regisseur, Schauspieler, Dichter, Bühnen- und Kostümbildner. 1923 in Brandenburg an der Havel geboren, studiert Loriot, ermuntert von seinem Vater, von 1947 bis 1949 Malerei und Grafik an der Kunstakademie in Hamburg und arbeitet zunächst als Werbegestalter. 1950 erst kommt er „auf die absurde Idee, es mit Heiterem zu versuchen” und bietet der Illustrierten „Die Straße” seine ersten Cartoons an. Man druckt ab – und stellt fast umgehend das Erscheinen ein. Die anschließenden Arbeitsbeziehungen mit stern, Quick und dem Diogenes Verlag erweisen sich als fruchtbarer und langlebiger. 1967: Das rote Sofa und Loriot vereinen sich. Zunächst in der Fernsehsendung „Cartoon” – einem internationalen Streifzug durch den gezeichneten Humor – des Süddeutschen Rundfunk Stuttgart. Neben

Szenenfoto Weihnachten bei Hoppenstedts; Caricatura Museum Frankfurt © Dora Leibgirries Radio Bremen Regie und Moderation entwirft er Trickfilme und erste Fernsehsketche. Mittels Perücken, falscher Nasen und anmontierter Bärte entdeckt das Publikum ganz neue Seiten an Tagesschausprecher Karl-Heinz Köpcke, Moderator Robert Lembke, Eduard Zimmermann und König Ludwig II. Nach 21 Folgen ist 1972 Sendeschluss. Vorerst. Radio Bremen-Programmdirektor Ertel überredet Loriot 1976 zur Rückkehr auf den Bildschirm. Das Sofa ist nun grün, und Evelyn Hamann tritt auf. Ein Glücksfall. Sechs Folgen werden gedreht. Kein Mensch wird fortan Nudeln unbelastet ver-

Loriot, „Alles, was er macht, ist sinnlos”; Caricatura Museum Frankfurt © Studio Loriot 01-02 / 24

zehren, den Versuch wagen, schiefe Bilder zu begradigen; selbst das Frühstücksei ist seiner Unschuld beraubt. Dafür erfreuen sich Badeenten, Atomkraftwerke und Lottoscheine wachsender Beliebtheit. Klassische Musik, Oper und Loriot – 1979 beginnt eine lebenslange Liebesbeziehung. Er dirigiert auf eigene Art das Festkonzert zum 100. Geburtstag der Berliner Philharmoniker, bringt Kindern den Karneval der Tiere nahe und inszeniert als Regisseur die Opern „Martha” und „Der Freischütz”. Zu beiden Werken entwirft er auch gleich Bühnenbild und Kostüm. 1988 verfolgen über 4,5 Millionen Kinogänger erregt das Liebeswerben von Möbelhändler Paul Winkelmann und Diplompsychologin Margarete Tietze. Loriots erster Spielfilm „Ödipussi” wird, wie auch der 1991 folgende „Pappa ante Portas” („Mein Name ist Lohse, ich kaufe hier ein”), zum Publikumsmagnet. 2006 strebt er schließlich „eine neue, mehr ins Private zielende Tätigkeit” (Heinrich Lohse) an, zieht sich aus der Öffentlichkeit zurück und widmet sich wieder der Malerei. 2011 stirbt Loriot, der „Glücksvogel der Deutschen” (Hellmuth Karasek). Sein Grabstein in Berlin ist mühelos zu erkennen – zahlreiche Badeenten nisten auf ihm. 2023 wurde Loriot 100. Und so feiert das Caricatura Museum Frankfurt seinen Geburtstag mit einer prachtvollen Werkschau. Vom frühesten Werk aus Jugendtagen über grafische Entwürfe, Cartoons, Trickfilme, Zeugnisse seines Fernseh- und Kinoschaffens bis hin zu seinen Arbeiten als Regisseur und Bühnenbildgestalter für die bereits erwähnten Opern und dem Spätwerk der Nachtschattengewächse wird man vergnügte Stunden damit verbringen können, auch bislang eher unbekannte Seiten aus Loriots reichhaltigem


MAGAZIN 7 wird Film in Grafik übersetzt, mitsamt aller Emotionen im „Großen Kino“. Filmplakate bringen zum Staunen, Lächeln oder Stirnrunzeln, sie schüren Spannung, Erinnerung, Erregung oder Bewunderung. Um 1900, kurz nach Erfindung des Kinematografen, kamen erste Filmplakate im Stadtraum zum Einsatz. Die Ausstellung zeichnet eine Geschichte des Filmplakats von 1905 bis heute: von erzählerischen und expressionistischen Lithografien im Stummfilmkino über die weltberühmte moderne Grafik für Neue Filmkunst und Atlas

Robert McCall, 2001 Odyssee im Weltraum, 1969; Kunstbibliothek Berlin © Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek/ Dietmar Katz Schaffen zu entdecken. Und das auf Papier, Ton, Film, Foto und Objekten. Unter dem charmanten Spitzdach des Museums erwartet die Besucher des Caricatura-Lichtspieltheater eine Auswahl kurzweiliger Filmausschnitte. Der Nachwuchs erfreut sich derweil an Hund Wum und seinem Freund Wendelin im Erdgeschoss oder bei heiterer Begutachtung eines Atomkraftwerkes: „Da sind Bäume und Häuser und Kühe, die möchten gerne ein schönes Atomkraftwerk haben.” (Vater Hoppenstedt zu Sohn Dickie). Und Politiker werden neu positioniert: „Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen.” (Bis 12. Mai) Telefon: 069 21230161 Webseite: www.caricatura-museum.de

n Großes Kino – große Gefühle Seit es Kino gibt, sind Plakate zentrale Medien in der Kommunikation von Film: Sie bringen das Kino auf die Straße und wecken im großen Stil Gefühle. Die Ausstellung „Großes Kino. Filmplakate aller Zeiten“ präsentiert 300 originale Filmplakate der 1900er- bis 2020er-Jahre aus der Sammlung Grafikdesign der Berliner Kunstbibliothek. Zeitgenössische Gäste aus der Film- und Kinobranche sind kuratorisch beteiligt. Ein Kinofilm braucht ein Plakat – selbst in digitalen Zeiten ist es das wichtigste Medium der visuellen Kommunikation. Denn ein gutes Filmplakat ist Werbung und Kunst zugleich: Es verdichtet die Handlung des Films zu einem einzigen prägnanten Bild, fängt Atmosphäre ein und stellt Protagonisten vor. Es macht neugierig ohne zu viel preiszugeben. Kurz: Hier

Conny, Charles Chaplin in The Pilgrim, 1929; Kunstbibliothek Berlin © Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek/ Dietmar Katz in den 1960er-Jahren bis zu aktuellem Design zwischen Papier und Pixel. Neben deutschen Plakaten sind Frankreich, die USA, Polen und weitere Länder vertreten. Das Spektrum umfasst zwölf Jahrzehnte – im wahrsten Sinne also: Filmplakate aller Zeiten. Was ein gutes Filmplakat ausmacht, liegt stark im Auge des Betrachters. Es hat mit Geschmack zu tun und mit persönlichen Erfahrungen. Die Ausstellung wird daher kollaborativ kuratiert: 26 Menschen aus der Film- und Kinobranche haben bei der Auswahl der Exponate aus den rund 5.000 Filmplakaten in der Sammlung Grafikdesign geholfen. Gemeinsam mit der Berlinale-Direktion nominierte Gäste aus den Bereichen Schauspiel, Regie, Kinobetrieb, Filmwissenschaft, Kunst und Grafikdesign wurden eingeladen, je ein Lieblingsplakat auszusuchen. In einem Audioguide erläutern sie den Besuchern ihre Auswahl. Beteiligt sind: Anna Berkenbusch, Christian Bräuer, Carlo Chatrian, Adrian Curry, Thea Ehre, Maryna Er Gorbach, Liv Lisa Fries, Maria Fuchs, Douglas Gordon, Graf Hau-

fen, Ella Lee, Natalie MacMahon, Vasilis Marmatakis, Lemohang Mosese, Maximilian Mundt, Elfi Mikesch, Helke Misselwitz, Ulrike Ottinger, Asli Özge, Kida Khodr Ramadan, Mariette Rissenbeek, Pierre Sanoussi-Bliss, Albrecht Schuch, Simon Spiegel, Verena von Stackelberg und Jasmin Tabatabai. In der Auswahl der 26 Gäste sind neben Klassikern wie „Der Golem“ und Kultfilmen wie „The Rocky Horror Picture Show“ oder „Fear and Loathing in Las Vegas“ auch Arbeiten von Isolde Baumgart, Helmut Brade, Dorothea Fischer-Nosbisch, Hans Hillmann und weiteren herausragenden Plakatgestaltern vertreten. Die Chronologie umfasst Blockbuster wie „Der weiße Hai“, „Star Wars“ oder „Herr der Ringe“ ebenso wie Plakate für Arthouse- und Independent-Filme von Neorealismo über New Hollywood bis Pedro Almodovar. Der Superstar unter den Exponaten ist „Metropolis“, ein 1927 von Boris Bilinsky entworfenes Großformat (2,20 x 3 m), von dem wohl nur dieses eine Exemplar in einem Museum erhalten ist. Der Rundgang endet mit Fan Art, handgemalten Großplakaten von Götz Valien und einem Blick auf heutige Sammelstrategien. Auch das Bewegtbild fehlt nicht in der Ausstellung: Ein integriertes „Vorspannkino“ zeigt Filmintros und Titelsequenzen, die einen gestalterischen Dialog mit Plakaten eingehen. Für Kinder heißt es „Folgt Paula Popcorn!“: Das Maskottchen führt durch den Family Trail mit interaktiven Stationen zum Hören, Spielen und Zeichnen. Zur Ausstellung erscheint eine Publikation im Sandstein Verlag. (Bis 3. März) Telefon: 030 266423402 Webseite: www.smb.museum

Andrzej Bertrandt, Solaris, 1972; Kunstbibliothek Berlin © Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek/ Dietmar Katz 01-02 / 24


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n Vielseitige Ausformungen Die Ausstellung „Stilwende 2.0 – Wege in die Moderne" ist die Fortführung der erfolgreichen Ausstellung „Stilwende 1900 – Schönheiten einer Epoche“ im Jugendstilforum Bad Nauheim. In zwölf Themenpunkten zeigt sie nicht nur den Facettenreichtum der Jugendstilzeit, sondern auch den weiteren Weg des internationalen Kunsthandwerks bis in die 1930er-Jahre mit Blick auf Art déco und Bauhaus. Der in der Belle Époque entstandene Jugendstil erfasste an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert schnell die ganze Welt. Seine zahlreichen Ausprägungen zeigte er schon durch die unterschiedlichen Namen, die er trug, von Jugendstil über Art nouveau und Secession bis hin zu Modern- oder Liberty Style. Die Ausstellung „Stilwende 2.0 – Wege in die Moderne" zeigt die verschiedenen Formen des Jugendstils anhand von Objekten aus der Sammlung 1900 modern

times des Sammlers Manfred Geisler. Der Schwerpunkt liegt dabei vor allem auf den verschiedenen Formen, die es in Deutschland gab. Darüber hinaus stellt sie den speziellen österreichischen SecessionsStil ebenso dar wie die L'Art nouveau à la Paris und Nancy sowie den anglo-amerikanischen Modern Style, wie er von Liberty und Tiffany geprägt wurde. Verglichen mit der vorherigen Ausstellung sind zahlreiche neue und hochwertige Objekte vor allem in den Bereichen Glas und Metall hinzugekommen.

Josef Hoffmann, Ballspende 1909, Wiener Werkstätte; Jugendstilforum Bad Nauheim Das Fokusthema „Auf dem Weg zur Neuen Frau“ wird abgerundet durch eine Kabinettausstellung unter der Überschrift „1900 – Frauenleben in Bad Nauheim“. (Bis 28. Juli) Telefon: 0177 8389588 Webseite: www.jugendstilforum.de

MESSEN/MÄRKTE/BÖRSEN n Goldene 20er-Jahre?

Albin Müller, Uhr, Stollberg. Hüttenamt; Jugendstilforum Bad Nauheim

Ferdinand Preiss, Herbsttänzerin, Chrisélephantine-Elfenbein und Bronze; Jugendstilforum Bad Nauheim 01-02 / 24

Der Jugendstil endete mit dem Ersten Weltkrieg. Danach waren die Weichen in den verschiedenen europäischen Ländern auf dem weiteren Weg in die Moderne ganz unterschiedlich gestellt. In Frankreich ging die Entwicklung stilistisch fließend von der dekorativen Art nouveau-Epoche in die nicht minder dekorative Art déco-Ära über. In Deutschland hingegen wurde die Zwischenkriegszeit vor allem durch eine puristische Linie, repräsentiert durch das Bauhaus, geprägt. Einen besonderen Fokus legt die Ausstellung auf das Werk von Künstlerinnen. Viele von ihnen gerieten im Laufe der Jahrzehnte in Vergessenheit, obwohl sie sowohl den Jugendstil als auch die nachfolgenden kunstgeschichtlichen Epochen entscheidend mitgeprägt haben.

Nach einem sommerlichen Intermezzo kehrt die 38. Antiquaria wieder zum bewährten winterlichen Termin am Jahresanfang im Januar, vom 25. bis 27., zurück. Das Angebot im Messekatalog erstreckt sich von einem Bibel-Fragment aus dem 6. Jahrhundert (350.000 Euro), über einen eigenhändig geschriebenen politischen Artikel von Karl Marx (480.000 Euro, beides Inlibris/Kotte), Huelsenbecks „Doctor Billig am Ende“ mit Zeichnungen von George Grosz (250 Euro, Büchergärtner), Goyas „Los désastres de la guerra“ 1906 (20.000 Euro) bis zu 26 Heften „Asterix le Galois“ in französischer Erstausgabe (650 Euro, Drescher). 53 Antiquare aus Deutschland, Frankreich, Niederlande, Österreich und der Schweiz sind mit antiquarischen Büchern, Autographen, Graphiken aus dem 15. bis 20. Jahrhundert vertreten. Mit dem Rahmenthema „Goldene 20erJahre?“ schauen die Veranstalter auf die Zeit von 1920 bis 1929 – die ja nicht nur und schon gar nicht für alle „golden“ waren – und schlagen den Bogen zu den 20er-Jahren, in denen wir heute leben und auch manch Parallelitäten erahnen können: in der Krisenerfahrung und großen


MAGAZIN 9 in Amsterdam, finden sich auch Antiquare, die bislang noch nie in Stuttgart dabei gewesen sind, wie z. B. James Gray (Princeton, USA) oder Martin Koenitz (Leipzig). Die Besucher erwartet wieder ein interessantes Begleitprogramm mit Vorträgen und Gesprächsrunden zum Thema Sammeln, Lesen und Bibliophilie. Nach der pandemiebedingten Pause und einem sommerlichen Intermezzo im Juni 2023 in Ludwigsburg aufgrund anhalten-

Tapeton Plakat, ca. 1920, Antiquariat Petra Bewer Stuttgart; Antiquaria Ludwigsburg Dynamik, dem technischen Fortschritt, der politischen Verhärtung und nicht zuletzt dem damals und heute aufkommenden Populismus. Wegen der kurzen Zeitspanne von nur sechs Monaten zwischen der 37. und 38. Antiquaria wird der 30. AntiquariaPreis für Buchkultur erst im Januar 2025 vergeben werden können. Dann wieder am Eröffnungstag der 39. Antiquaria. Telefon: 0711 2348627 Webseite: www.antiquaria-ludwigsburg.de

n Auf dem Roten Sofa Die Antiquariatsmesse Stuttgart findet vom 26. bis 28. Januar statt. Rund 60 Antiquare präsentieren wieder alte, wertvolle und bibliophile Bücher, Handschriften, Graphiken und Autographen in den bekannten, neu renovierten Räumen des Württembergischen Kunstvereins am Stuttgarter Schlossplatz – ein Branchentreffen der Sammler und Händler bibliophiler Schätze und eine einzigartige Möglichkeit zum Austausch in allen Bereichen des antiquarischen Buches. Der Verband Deutscher Antiquare e.V., Veranstalter der Messe, bietet damit wieder den gewohnten Jahresauftakt im antiquarischen Messekalender, sowohl im deutschsprachigen als auch im internationalen Raum. Die Messe ist zudem ein fester Bestandteil im Kulturkalender der Region und steht auch 2024 wieder unter der Schirmherrschaft des Ersten Bürgermeisters der Stadt Stuttgart, Herrn Dr. Fabian Mayer. Zahlreiche Anmeldungen liegen dem Verband bereits vor: Neben langjährigen Teilnehmern wie z. B. dem Antiquariat Bibermühle (Ramsen, Schweiz) oder auch Allard Schierenberg vom Antiquariat Junk

Hermann Hesse, Bei Muzzano Cortivallo, 1928, 26,3 × 24,1 cm, Aquarell und Bleistift auf Papier, € 36.000, Antiquariat Heckenhauer; Antiquariatsmesse Stuttgart der Renovierungsarbeiten im Württembergischen Kunstverein freut sich der Verband Deutscher Antiquare, im Januar 2024 wieder am gewohnten Ort und zum traditionellen Termin im Januar die Türen zur Messe öffnen zu können. Bücher waren immer Wegbegleiter, Ausdruck einer Leidenschaft und vielfältigster Sammelinteressen, geprägt von politischen und kulturellen Kontexten, still aufbewahrt im Privaten oder zur Schau gestellte Statussymbole. Sammlungen wurden mit Hingabe und Fachkenntnis angelegt, über Generationen vererbt, fielen Kriegen, gesellschaftlichen Umbrüchen und Moden zum Opfer. Bücher haben Menschen in allen Lebenslagen begleitet. Wer waren die Menschen hinter den Büchern? Welche Spuren haben Sammler, Gelehrte, berühmte Bibliophile, oder auch einfache Bürger in ihren Büchern hinterlassen? Welchen Weg hat ein Buch in seinem Leben durch viele Epochen genommen? Widmungen, Notizen, Anmerkungen, Wappen, Exlibris und Einbände erzählen die Geschichte ihrer Besitzer. Oft offenbart erst die Provenienz eines Einzelstücks seinen wahren Sammlerwert. In Zusammenarbeit mit der Württembergischen Landesbibliothek präsentiert die Antiquariatsmesse Stuttgart vom 26. bis 28. Januar 2024 im Württembergischen Kunstverein die Sonderausstellung „Bücherleben – Bücher erzählen ihre Geschichte”. Ausgewählte Exponate zeigen anschaulich die Beziehungen zwischen

Ideen, Büchern, Besitzern oder Lesern über Zeiten und Räume hinweg. Bücher leben! Telefon: 06435 909147 Webseite: www.antiquariatsmesse-stuttgart.de

n Schätze vom Speicher Omas alte Bibel oder die tolle Druckgrafik vom Flohmarkt, Massenprodukt oder Unikat – wer schon immer einmal mehr über seine Schätze aus der Druck- und Schriftgeschichte wissen wollte, ist bei der Neuauflage der beliebten Büchersprechstunde gut aufgehoben. Hier geben die Expertinnen und Experten des Gutenberg-Museums Auskunft über mitgebrachte Objekte, ordnen sie historisch ein und geben Ratschläge zur Aufbewahrung. Zum Auftakt der Reihe können Interessierte am Mittwoch, dem 28. Februar, von 15 bis 17 Uhr ihre Bücher und Druckgrafiken in den Lesesaal der Gutenberg-Bibliothek bringen. „Es ist für mich total spannend, zu sehen, was alles in Bücherschränken oder auf dem Dachboden schlummert“, betont Dr. Nino Nanobashvili, Kuratorin für Buchgeschichte. „Und natürlich hoffen wir insgeheim auf die eine ganz besondere Entdeckung“, ergänzt die Kuratorin der grafischen Sammlung, Ulla Reske. Für konservatorische Fragen steht Dorothea Müller, Restauratorin des Gutenberg-Museums, zur Verfügung. Sie gibt Tipps zur Erhaltung und richtigen Pflege der mitgebrachten Objekte. Telefon: 06131 122640 Webseite: www.gutenberg-museum.de

Lyonel Feininger, Kirche, Postkarte für die Bauhaus-Ausstellung Weimar 1923, Weimar, Staatliches Bauhaus 1923, 15 × 10,7 cm, Farblithographie in Gelb und Schwarz auf Karton. € 8000, Antiquariat Günter Linke; Antiquariatsmesse Stuttgart 01-02 / 24


MÖBEL 10

KunSttISCHLER JoSé CAnopS HEIDRun tH. GRIGoLEIt

Das Kunstgewerbemuseum in Berlin widmet dem deutschstämmigen José Canops noch bis zum 11. Februar eine Einzelausstellung mit dem titel „Canops. Möbel von Welt“. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts schuf José Canops (1733-1814) in Madrid als Hoftischler für den spanischen König Karl III. einzigartige Meisterwerke der Möbelkunst. Die Berliner Ausstellung präsentiert sein weitgehend unbekanntes Werk erstmals außerhalb Spaniens. neben spektakulären Möbeln gibt ein breitgefächerter Schatz von Büchern, Grafiken, Karten, Musikinstrumenten und Werken der angewandten Kunst Einblicke in den weiteren Kontext dieser Zeit. Möbel von Canops sind von großer Seltenheit und abgesehen von Madrid weltweit nur in öffentlichen Sammlungen in San Francisco, new York und nun in Berlin vertreten. neben den Leihgaben aus new York, den Bayerischen Schlössern und Gärten, München, und besonders dem königlichen palast in Madrid patrimonio nacional wird der kulturhistorische Kontext durch die reichen Bestände der Staatsbibliothek, des Musikinstrumenten-Museums und der Staatlichen Museen zu Berlin anschaulich gemacht. So eröffnet sich dem publikum ein bisher verborgener Kosmos. Ausgangspunkt der Sonderausstellung ist der Erwerb eines Canops-Schreibmöbels für das Berliner Kunstgewerbemuseum.

Kunsttischler Der im Herzogtum Limburg gebürtige Joseph Canops wanderte wie zahlreiche

deutsche Kunsttischler in der Mitte des 18. Jahrhunderts nach Paris, um sein Handwerk zu perfektionieren. Von dort kam er 1759 nach Madrid, wo Karl III. als neuer Regent von Spanien im neuen Königspalast die königlichen Appartements

gestalten und einrichten ließ. Am Hof arbeitete Canops in einem durchweg internationalen Milieu mit dem Italiener Mattia Gasparini (gest. 1774) zusammen, der als Hofmaler Karls III. für die Dekoration der repräsentativsten Räume des Königs verantwortlich war. Der Kreis von größtenteils ebenfalls deutschstämmigen Mitarbeitern führte die Werkstatt auch nach Canops’ Pensionierung im Jahr 1781 und noch weit über den Tod Karls III. hinaus weiter.

Einzigartiger Stil In Madrid übernahm Canops die Leitung der neu gegründeten Hoftischlerwerkstatt und schuf mit seinen Mitarbeitern in gut 20 Jahren außerordentlich kunstvolle Möbel und ganze Raumausstattungen in einem einzigartigen Stil: eine wahrhaft europäische Schöpfung, die sich aus italieniSchreibbureau mit exotischem Marketeriedekor, Madrider Hofwerkstatt von Karl III. unter Leitung von José Canops, Madrid um 1772/73, Konstruktion von Korpus und Schubkästen in Mahagoniholz, Marketerie in diversen exotischen Furnierhölzern (Königs-, Amaranth- und Rosenholz u.a.), feuervergoldete Bronzebeschläge, Gesamtansicht © Staatliche Museen zu Berlin, Kunstgewerbemuseum / Stephan Klonk, Berlin 01-02 / 24


MÖBEL 11

Luxuriöse Möbelkunst

schen Traditionen, dem Vorbild des Pariser Luxus sowie der Begeisterung für die exotischen Welten Asiens speiste. Im Schaffen von Canops vereinigte sich dies mit der Präzision deutschen Tischlerhandwerks und dem Reichtum der spanischen kolonialen Welt: darunter die exquisite Verwendung von Mahagoni- und anderen exotischen Hölzern. Die Verbindung der komplexen plastischen Modellierung mit reich furnierten Oberflächen war von höchster Qualität – selbst das schwierige Furnieren gewölbter Flächen war für die meisterlichen Handwerker anscheinend mühelos.

Mahagoni Das dabei häufig verwendete MahagoniHolz stammt von einem gigantischen Baum des tropischen Waldes, mit Höhen bis zu 70 Metern und Durchmessern von 3,5 Metern oberhalb von mächtigen Brettwurzeln. Bäume des ‚echten‘, amerikanischen Mahagoni von solchen Dimensionen sind vermutlich mehr als 400 Jahre alt und kaum noch zu finden. Wechselnde soziale, politische, ökonomische und ökologische Bedingungen in den Entstehungsoben: Ausstellungsansicht „Canops. Möbel von Welt" © Staatliche Museen zu Berlin, Kunstgewerbemuseum / Stephan Klonk, Berlin Rechts: Schreibbureau mit exotischem Marketeriedekor, Madrider Hofwerkstatt von Karl III. unter Leitung von José Canops, Madrid um 1772/73, Konstruktion von Korpus und Schubkästen in Mahagoniholz, Marketerie in diversen exotischen Furnierhölzern (Königs-, Amaranth- und Rosenholz u.a.), feuervergoldete Bronzebeschläge, Detail Beinpartie mit Augenmotiv (Elefantenantlitz) © Staatliche Museen zu Berlin, Kunstgewerbemuseum / Stephan Klonk, Berlin

gebieten der Bäume sowie der Handelsund Kolonialpolitik der beteiligten Länder bestimmten, welches Mahagoni wann und wie auf den vor allem europäischen Markt gelangte. In Europa war Mahagoni zuerst an den Höfen der Seemächte bekannt, seinen Durchbruch erlebte das Holz in den 1720er-Jahren, wobei sich England als führende Handelsnation des Holzes etablierte. Im spanischen Kolonialreich war Mahagoni zunächst nur dem königlichen Schiffbau vorbehalten. Ab Anfang der 1740er-Jahre wurde es bei der Ausstattung im königlichen Palast in Madrid zugelassen. Die spanische Hoftischlerei besaß somit das Privileg, das in ganz Europa begehrte amerikanische Mahagoni massiv in der unsichtbaren Konstruktion der Möbel zu verarbeiten. Mit seinen hervorragenden Materialeigenschaften stellte Mahagoni eine wesentliche Voraussetzung für die technische Meisterschaft der Canops’schen Möbelkunst dar.

Ein repräsentatives Zylinderbureau ist für die freie Aufstellung im Raum konzipiert. Die Oberflächengestaltung und die Modellierung verleihen dem Möbel trotz seiner Größe eine überraschende Leichtigkeit und Weichheit. Die Nähe zur luxuriösen französischen Möbelkunst der Mitte des 18. Jahrhunderts verrät sich bereits im Möbeltyp, dem mit Lamellen verschlossenen Zylinderbureau. Hier trägt ein Schreibtisch auf gesamter Breite einen mäßig hohen Aufsatz mit zurückweichender Front. Hinter dem runden Verdeck befindet sich ein Schreibpult und ein kleines Kabinett mit Fächern – alles für den privaten Gebrauch sicher verschließbar. Mit der optischen Verschmelzung von Oberteil und Tischgestell liefert das Möbel eine höchst ungewöhnliche Interpretation des bureau à cylindre. Das wirkt sich nicht nur auf seine Komposition aus, sondern führt zu einer Reihe von ausgefallenen technischen Lösungen, nicht wenige davon in Metall.

Exotismus Der Dekor stützt sich auf die farbige Qualität und Ausstrahlung der verwendeten exotischen Hölzer und bringt einen ungewöhnlichen Exotismus zum Ausdruck. Es erscheinen musikalische Instrumente spanischer Herkunft neben Blumen aus der vermeintlich ‘neuen Welt’. Besonders ausgefallen ist die geheimnisvolle Anspielung auf einen Elefanten. Am Ansatz der Beine

Schreibbureau Ein 2021 mit Unterstützung der Ernst von Siemens Kunststiftung, der Rudolf-August Oetker-Stiftung für Kunst, Kultur, Wissenschaft und Denkmalpflege sowie der Julius-Lessing-Gesellschaft, dem Freundeskreis des Kunstgewerbemuseums Berlin erworbene Schreibbureau ist ein herausragendes Beispiel dieser meisterlichen Möbelkunst. Vollständig in Mahagoniholz gebaut und mit seltensten Furnieren belegt, entfaltet das Schreibbureau einen höchst extravaganten Dekor. Das Möbelstück mit exotischem Marketeriedekor der Madrider Hofwerkstatt von Karl III. wurde unter Leitung von José Canops in Madrid um 1772/73 gebaut. Die Konstruktion von Korpus und Schubkästen besteht aus dem kostbaren Mahagoniholz, die Marketerie aus diversen exotischen Furnierhölzern u. a. Königs-, Amaranth- und Rosenholz. Die Bronzebeschläge sind feuervergoldet. 01-02 / 24


MÖBEL 12 Farbigkeit der Furniere. Das Teilmodell lädt die Museumsbesucher ein, die Form zu berühren und die originale Farbigkeit und Konstruktion zu erkunden.

sind Paare von Augen vollständig ausgestaltet. Zusammen mit den geschweiften Beinen erwecken sie die Illusion eines rüsseltragenden Elefantenantlitzes. Das aus der chinesischen Kunst rührende Motiv führt in die weitverzweigte Geschichte des Möbels. Das für das Berliner Kunstgewerbemuseum erworbene Zylinderbureau bezeugt nicht allein Könnerschaft und einen ausgeprägten Gestaltungswillen. Es offenbart zudem die vielschichtigen Möglichkeiten, Möbelkunst mit ihrer Materialkultur und Kolonialgeschichte in der Begegnung der europäischen mit der außereuropäischen Welt zu begreifen.

Königspalast in Madrid

Meisterleistung Die technische Meisterleistung von Canops‘ Werk wird anhand eines speziell angefertigten Teilmodells des Berliner Schreibmöbels in originaler Größe greifbar. In dem Modell des Zylinderbureaus von José Canops wurde Birnbaum- und Mahagoniholz verwendet, das Furnier besteht aus Rosen- und Königsholz, Amarant, Palisander, weißem und schwarzem Ebenholz, blaugrün gefärbtem Satinholz und Berberitze. Auch die Marketerien des Berliner Zylinderbureaus werden in ihrer ursprünglichen Farbigkeit als Rekonstruktion am Teilmodell des Möbels gezeigt mit einem geöffneten Pultaufsatz von José Canops, gefertigt von den Berliner Spezialisten für modernen Modellbau Werk5 in Kooperation mit dem Fachbereich Konser-

vierung und Restaurierung – Holz der Fachhochschule Potsdam. Für die Ausstellung wurde das Teilmodell angefertigt mithilfe dreidimensionaler fotometrischer Erfassung und rechnerbasierter Modellierung. Anhand der Daten wurde der Körper in originaler Größe maschinell aus Holz gefräst. Die Mechanismen und Kästen im Inneren des Möbels wurden handwerklich rekonstruiert, ebenso die ursprüngliche

Oberstes Ziel der Repräsentation für Karl III. war die Fertigstellung und Ausstattung des neuen königlichen Palasts in Madrid, in den er schließlich Ende 1764 Einzug hielt. Mit dem imposanten barocken Schlossbau, einem der größten in Europa, sollte nicht nur die 1738 bei einem Brand zerstörte Residenz der spanischen Könige neu begründet, sondern auch dem Herrschaftsanspruch seines Weltreichs neuer Ausdruck verliehen werden. Der prächtige Palast am Rande von Madrid war weithin sichtbar: Die Hauptfassade des Gebäudes richtet sich nach Süden, im Westen erstreckt sich eine weitläufige Parkanlage und die Stadtseite im Osten blickt auf das benachbarte Opernhaus. Die Appartements des Königs und der Königin sowie der Prinzen befanden sich im Piano Nobile. Der Architekt Francesco Sabatini übernahm die Gesamtleitung für den Bau. Er verpflichtete in ganz Europa berühmte Künstler, wie die Maler Giovanni Battista Tiepolo oder Anton Rafael Mengs. Für die Ausstattung des Appartements des Königs wurden unter der Leitung von Mattia Gasparini eigene Werkstätten ins Leben gerufen. Dort entstanden die überaus kostbaren Seidenstickereien, ebenso wie die gefeierten Boiserien und Prunkmöbel von José Canops und deren reich vergoldete Bronzebeschläge.

Gesamtentwurf Die Ausstattung für den Madrider Königspalast folgt einem beeindruckenden Gesamtentwurf, der die Raumschale und das bewegliche Mobiliar gleichermaßen umfasst. Die perfekte Ausführung spricht für Links: Die Marketerien des Berliner Zylinderbureaus in ihrer ursprünglichen Farbigkeit als Rekonstruktion am teilmodell des Möbels, geöffneter pultaufsatz am teilmodell des Zylinderbureaus von José Canops und der Madrider Hofwerkstatt im Kunstgewerbemuseum Berlin © Staatliche Museen zu Berlin, Kunstgewerbemuseum oben: teilmodell des Zylinderbureaus von José Canops und der Madrider Hofwerkstatt im Kunstgewerbemuseum, Birnbaum- und Mahagoniholz; Furnier: Rosen- und Königsholz, Amarant, palisander, weißes und schwarzes Ebenholz, Satinholz, blaugrün gefärbt, Berberitze. H 120,3 × 98,5 × 30,7 cm © Staatliche Museen zu Berlin, Kunstgewerbemuseum 01-02 / 24


MÖBEL 13 ihre Dekoration mit den kostbarsten Materialien aus dem spanischen Königreich: prächtige Marmore, enorme Spiegel, feuervergoldete Bronzen, chinesische Textilien, Türen und Fenster aus massivem Mahagoni und erlesene exotische Furnierhölzer. Der Saal gilt als das Meisterwerk Gasparinis und seiner Mitarbeiter und als einer der Höhepunkte des europäischen Rokokos. Der Raum wurde zu Lebzeiten Karls III. nicht gänzlich vollendet. Im späteren 19. Jahrhundert unter Alfons XII. wurden die fehlenden Elemente rekonstruiert und ergänzt: Die Wände, Spiegel und der Kamin wurden nach und nach in ihren ursprünglichen Zustand versetzt. Marmorboden, Stuckdecke und Wandbespannungen waren original erhalten. Dadurch bietet sich heute die seltene Chance, den Dekor, wie er von Gasparini erdacht war, als Gesamtkunstwerk zu erleben.

Fantastische Formationen Schon 1877 erwarb das junge Berliner Kunstgewerbemuseum Fotografien des aufsehenerregenden Raums von Jean Laurent (1816-1892). Üppige chinoise Ornamente überziehen die Wandbespannung mit ihrer Seidenstickerei und die farbig stuckierte Decke. Die Formensprache reicht von naturalistischen Elementen über fantastische Formationen, die eine geradezu psychedelische Wirkung entfalten, bis hin zur Stilisierung des farbenprächtigen Marmorbodens. Von dem ursprünglich für den Saal bestimmten Mobiliar ist allein ein Ensemble von Sitzmöbeln bekannt: ein Kanapee mit (heute) acht Sesseln und drei Stühlen. Die stattlichen Möbel folgen dem Pariser Sesseltyp des

eine ungewöhnlich enge Zusammenarbeit aller Beteiligten. Den repräsentativen Dekor bestimmen vor allem chinoise Motive. Die Begegnung mit fernöstlichen Vorbildern, die Übersetzung, Nachahmung und Neuinterpretation von Ornament, Material und Technik prägten die königlichen Madrider Werkstätten. Sie waren Teil einer über Europa hinausreichenden Rezeption, aber auch der globalen kolonialen Machtausübung. Die Formensprache und technische Perfektion waren vor allem möglich durch die aus der neuen Welt stammenden exotischen Hölzer, allen voran das amerikanische Mahagoni.

Mattia Gasparini Zum Kern des königlichen Appartements im Madrider Palast gehören der berühmte Paradesaal und die Arbeitszimmer des Königs, eine Folge von drei Kabinetten. Der Hofmaler und Stuckateur Mattia Gasparini (aktiv in Madrid 1760-1774) entwarf oben: Seidenvorhang aus der Sala Gasparini, Entwurf Mattia Gasparini, Ausführung Königliche Seidenstickerei unter María Luisa Bergonzini und Antonio Gasparini, Madrid 1774-1791. Seidensatin bestickt mit farbigen Seiden- und teilweise vergoldeten Silberfäden. Detail mit stilisiertem chinoisen planzendekor © patrimonio nacional, Colecciones Reales. palacio Real Rechts: Blick in die Sala Gasparini im Königlichen palast, Madrid, Entwurf Mattia Gasparini 17601774, Stuckdecke, Marmorfußboden, Wandbespannung mit Seidenstickereien, Spiegelrahmen und Sitzmöbel, Ausführung 1760-1791 © patrimonio nacional, Colecciones Reales. palacio Real / Stephan Klonk, Berlin 01-02 / 24


MÖBEL 14 fauteuil à la reine mit flacher zurückgeneigter Rücklehne, breiter Sitzfläche mit geschweifter Vorderkante und sich weit öffnenden Armlehnen. Sie zählen zu den letzten Arbeiten, die Canops vor seiner Pensionierung fertigstellte und sind von virtuoser Plastizität.

Chinoises Dekor Chinoiser Dekor ziert den Paradesaal und das Arbeitszimmern des Königs. Die Ausstattung der drei kleinen Kabinetträume und des angrenzenden Paradesaals stand im Zentrum des Schaffens von José Canops und seinen Mitarbeitern. Mattia

Gasparini gestaltete für jedes einzelne Zimmer die gesamte Raumschale. Diese stilistische Geschlossenheit führte dazu, dass die Entwürfe auch nach seinem Tod 1774 in seinem Sinne konsequent weiter ausgeführt wurden. Der chinois geprägte Dekor wurde in den vier Räumen unterschiedlich interpretiert. Formen und Figuren bedienen sich fantasievoll an ostasiatischen Vorbildern, wie Orchideen oder Glück bringenden Karpfen, und kombinieren sie mit dem Gestaltungsrepertoire des Rokoko. Die erstaunliche Ausführungsqualität aller Details und die Farbigkeit der exotischen Hölzer prägen den Raumeindruck. In den Profilen, Rahmen und Füllungen wiederholen sich selbst die aufwändigsten Dekorelemente vielfach. Für jeden Raum wurden passende Möbel entworfen.

Jedes einzelne ist ein Juwel der Möbelkunst. Die Ebenisten, Bildschnitzer, Bronzeure und Graveure setzten die Entwurfsidee kongenial um. So entwickeln sich die in Messing gravierten Zeichnungen zur naturalistischen, körperlichen Lebendigkeit der kräftigen Profilierungen und des bildhauerischen Blattwerks.

Seidenstickerei Ein Blick in die Sala Gasparini im Königlichen Palast in Madrid zeigt den Entwurf Mattia Gasparinis mit Stuckdecke, Marmorfußboden und Wandbespannung mit Seidenstickereien sowie Spiegelrahmen und Sitzmöbeln, ausgeführt zwischen 1760 bis 1791. Der prächtige Seidenvorhang aus der Sala Gasparini nach dem Entwurf von Mattia Gasparini wurde ausgeführt in der Königlichen Seidenstickerei unter Leitung von María Luisa Bergonzini und Antonio Gasparini in Madrid zwischen 1774 und 1791. Der feine Seidensatin ist bestickt mit farbigen Seiden- und teilweise vergoldeten Silberfäden. Das Motiv zeigt ein stilisiertes, chinoises Planzendekor. Links: Sessel (aus einem Satz von acht) aus der Sala Gasparini, Entwurf Mattia Gasparini, Ausführung Madrider Hofwerkstatt von Karl III. unter Leitung von José Canops,1774-1791, Juan Baptista Ferroni (Bronzeur), Luigia Bergonzini und Antonio Gasparini (Seidenstickerei). Konstruktion in Mahagoniholz, Marketerie in diversen exotischen Furnierhölzern, feuervergoldete Bronzebeschläge, bestickter Seidenbezug © patrimonio nacional, Colecciones Reales. palacio Real / Stephan Klonk, Berlin oben: Sessel (aus einem Satz von acht) aus der Sala Gasparini, Entwurf Mattia Gasparini, Ausführung Madrider Hofwerkstatt von Karl III. unter Leitung von José Canops,1774-1791, Juan Baptista Ferroni (Bronzeur), Luigia Bergonzini und Antonio Gasparini (Seidenstickerei). Konstruktion in Mahagoniholz, Marketerie in diversen exotischen Furnierhölzern, feuervergoldete Bronzebeschläge, bestickter Seidenbezug, Detail Armlehne © patrimonio nacional, Colecciones Reales. palacio Real / Stephan Klonk, Berlin 01-02 / 24


MÖBEL 15 schlägen. Der Entwurf von Mattia Gasparini wurde ausgeführt in der Madrider Hofwerkstatt von Karl III. unter Leitung von José Canops. Auch ein anderer Sessel aus einem Satz von sechs aus dem Grünen Kabinett von Karl III. wurde nach dem Entwurf von Mattia Gasparini in der Madrider Hofwerkstatt unter Leitung von José Canops hergestellt. Der Bezug der Konstruktion in Mahagoniholz und Marketerie in diversen exotischen Furnierhölzern, mit feuervergoldeten Bronzebeschläge wurde jedoch erneuert. Auch der Bezug der zwei Tabourets aus dem Schreibkabinett von Karl III. nach dem Entwurf von Mattia Gasparini, das ebenfalls unter Leitung von José Canops mit Holschnitzereien von Jorge Balze entstand, musste erneuert werden. Eine Schale mit Elefantenmotiv „Talavera de la Reina“, stammt aus Toledo. Die glasierte Keramik entstand um 1770. Aus geschnitztem Elfenbein besteht die Grup-

pe Allegorie mit der Maria Immaculata auf die Herrschaft von Karl III. und die Begründung seines Verdienstordens.

Elefant – Symbol der Macht Lange stellten Monarchen mit dem Besitz seltenster Arten von Pflanzen und Tieren ihre Größe zur Schau. Vor allem der Elefant verkörperte globale Machtansprüche. Karl III. hatte bereits 1742 in Neapel eines der imposanten lebenden Tiere vom osmanischen Sultan Mahmud I.(reg. 1730-1754) zum Geschenk erhalten. Der Elefant wurde beim Palast von Portici gehalten und diente später unter anderem als Vorbild für den Eintrag zu seiner Gattung in der berühmten Histoire naturelle des Comte de Buffon (1707-1788).

prachtvoller Sessel Ein prachtvoller Sessel, der zu dem Satz von acht Sesseln gehört, stand in der Sala Gasparini. Die Sessel wurden von Mattia Gasparini entworfen und entstanden in der Madrider Hofwerkstatt von Karl III. unter Leitung von José Canops zwischen 17741791. Juan Baptista Ferroni war der Bronzeur, Luigia Bergonzini und Antonio Gasparini waren verantwortlich für die Seidenstickerei der Konstruktion in Mahagoniholz und Marketerie in diversen exotischen Furnierhölzern mit feuervergoldete Bronzebeoben: Sessel (aus einem Satz von sechs) aus dem Grünen Kabinett von Karl III., Entwurf Mattia Gasparini, Ausführung Madrider Hofwerkstatt von Karl III. unter Leitung von José Canops, Juan Baptista Ferroni (Bronzeur). Konstruktion in Mahagoniholz, Marketerie in diversen exotischen Furnierhölzern, feuervergoldete Bronzebeschläge, Bezug erneuert © patrimonio nacional, Colecciones Reales. palacio Real / Stephan Klonk, Berlin Rechts oben: Schale mit Elefantenmotiv, talavera de la Reina, toledo, glasierte Keramik, um 1770 © Museo nacional de Artes Decorativas, Madrid / Stephan Klonk, Berlin Rechts unten: paar tabourets aus dem SchreibKabinett von Karl III., Entwurf Mattia Gasparini, Ausführung Madrider Hofwerkstatt von Karl III. unter Leitung von José Canops, 1774-1791, Jorge Balze (Holzschnitzer), Juan Baptista Ferroni (Bronzeur). Konstruktion in Mahagoniholz, Marketerie in diversen exotischen Furnierhölzern und graviertem Messing, feuervergoldete Bronzebeschläge, Bezug erneuert © patrimonio nacional, Colecciones Reales. palacio Real / Stephan Klonk, Berlin 01-02 / 24


MÖBEL 16 Seit seinem Amtsantritt als spanischer König hatte sich Karl III. um einen weiteren Elefanten bemüht, hatte jedoch erst Ende 1773 Erfolg. Er verdankte das Tier den politischen Beziehungen, die Simón de Anda y Salazar als spanischer Generalgouverneur der Philippinen in Indien pflegte. Dieser zweite Elefant war ein Geschenk des Nawabs von Karnatien, Mohammed Ali Khan Walajah (reg. 1749-1795). Sehnlichst erwartet ging das Geschöpf nach siebenmonatiger Seereise im Juli 1773 in Cádiz an Land und spazierte in 42 Tagen von Menschenmassen bestaunt nach Madrid. Seine Ankunft in La Granja de San Ildefonso, wo sich Karl III. mit seinem Hofstaat aufhielt, war damals ein spektakuläres Ereignis, begleitet von wissenschaftlichen Traktaten, Theaterstücken und satirischen Gedichten.

Elefantenmode Das Bild des Elefanten schmückte auch Modeartikel und Keramiken. Die Begeisterung hielt Jahre an. Die Madrider Elefantenmode übte auch Einfluss auf die Canops’sche Möbelkunst aus. Dies offenbart eine höchst ungewöhnliche Bildidee: Die geschweiften Beine am Berliner Zylinderbureau wie auch an den Möbeln für das private Arbeitszimmer des Königs sind am Ansatz mit einem Augenpaar versehen. Zusammen bilden sie das Antlitz eines Elefanten mit seinem Rüssel. Überraschenderweise weist das Motiv auf eine Tradition in der chinesischen Möbelkunst. Das geschweifte, sich am Ende einrollende Möbelbein (cabriole leg) wurde im europäischen Barock so selbstverständlich, dass dessen Ursprung weitgehend in Vergessenheit geriet.

Line of Beauty Die Ausführung der Canops’schen Möbel kreist um den fließenden Übergang von der gezeichneten Linie zum modellierten Links: Elfenbeingruppe Allegorie mit der Maria Immaculata auf die Herrschaft von Karl III. und die Begründung seines Verdienstordens, Madrid/ Sizilien?, um 1771/75. Elfenbein geschnitzt © Museo nacional de Artes Decorativas, Madrid / Stephan Klonk, Berlin oben: Ausstellungsansicht „Canops. Möbel von Welt" © Staatliche Museen zu Berlin, Kunstgewerbemuseum / Stephan Klonk, Berlin 01-02 / 24


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Ausstellung In neun Kapiteln werden die Besucherinnen und Besucher durch die Ausstellung geführt. Fünf Multimediastationen liefern Einblicke rund um Canops’ Werk: eine eigens in Madrid erstellte Panoramaprojektion des Gasparini Saals, zwei Filme zum Möbelbau des deutschen Ebenisten JeanFrançois Oeben, ein Videoclip zur Fertigung des modernen Modellbaus, eine Bildershow zur historischen Gewinnung von Mahagoniholz sowie die digitale Buchversion des „Roubo“, des Pariser Standardwerks zum Möbelbau des 18. Jahrhunderts.

Begleitprogramm und Katalog

Körper. Die an diesem Arbeitsprozess beteiligten Personen in Handwerk und Künsten nutzten sicherlich unzählige Skizzen, technische Zeichnungen, Modelle, Schablonen und Lehren, die leider nicht erhalten sind. Die ehemals Mattia Gasparini zugeschriebene perspektivische Skizze eines prachtvollen Konsoltischs gibt zwar alle geplanten Einzelheiten in zwei Varianten wieder, verrät jedoch wenig über die gewünschte dreidimensionale Gestaltung. Die plastische Formgebung fand zunehmend Eingang in die zeitgenössische Kunsttheorie, zum Beispiel bei dem Maler und Grafiker William Hogarth (1697-1764), der seine „Analysis of Beauty“ (1753) den Quellen der Schönheit widmete. Seine unkonventionelle Kunsttheorie der schönen Linie, der „line of beauty“, leitete er nicht nur vom akademischen Kanon der antiken Bildhauerei ab, sondern auch von alltäglichen Objekten, unter anderem barocken Möbelbeinen in der Form des cabriole leg.

Demontage Nach dem Tod Karls III. ließen Karl IV. und Maria Luisa von Bourbon-Parma die festen Ausstattungen der königlichen Kabinetträume demontieren. Die Zerstreuung der Wandverkleidungen und Möbel führte schließlich dazu, dass sie weder mit dem Appartement Karls III. noch mit seiner Epoche in Verbindung gebracht wurden. Während der Paradesaal im 19. Jahrhundert seine Renaissance erlebte und die Würdigung Gasparinis als Künstler einsetzte, gerieten die angrenzenden drei Arbeitszimmer in Vergessenheit. Ihre Wiederentdeckung verdankt sich der Forschung der letzten Jahrzehnte.

Das Begleitprogramm zur Ausstellung aus Führungen, Vorträgen und Konzerten erfolgt in Zusammenarbeit mit dem IberoAmerikanischen Institut, dem Instituto Cervantes Berlin und der Botschaft von Spanien in Berlin. Die Ausstellung war Teil des Kulturprogramms der Spanischen Botschaft anlässlich der EU-Ratspräsidentschaft Spaniens im zweiten Halbjahr 2023. Die eindrucksvolle Ausstellung „Canops. Möbel von Welt“ wird kuratiert von Achim Stiegel, Kurator der Möbelsammlung am Kunstgewerbemuseum. Zur Ausstellung gibt es einen reich bebilderten Katalog im Michael Imhof Verlag mit wissenschaftlichen Beiträgen internationaler Spezialisten. Zahlreiche Neuaufnahmen des bisher unbekannten Werks von Canops wurden dafür von dem Berliner Fotografen Stephan Klonk angefertigt, ISBN 978-3-7319-1368-9. Die Ausstellung läuft bis 11. Februar. Fotos: wie angegeben

oben: Schreib- und toilettentisch, Jean-François oeben, paris um 1754/57, Marketerie in diversen exotischen Furnierhölzern (Rosen-, Satin-, Amarantholz u.a.), Lackpaneel, feuervergoldete Bronzebeschläge, Gesamtansicht © Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen, Residenz München / Stephan Klonk, Berlin Rechts: Schreib- und toilettentisch, Jean-François oeben, paris um 1754/57, Marketerie in diversen exotischen Furnierhölzern (Rosen-, Satin-, Amarantholz u.a.), Lackpaneel, feuervergoldete Bronzebeschläge, Detail der Marketerie © Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen, Residenz München / Stephan Klonk, Berlin 01-02 / 24


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