
3 minute read
Tanztee bis Tinder: Flirten 4.0
Das Kurbad
galt als „Örtlichkeit, in der Damen und Herren flirten oder eine Affäre beginnen und trotzdem eine gewisse Anonymität wahren konnten“, weiß der Kulturhistoriker Arnold Beuke. Wie recht der Mann hatte.
Advertisement

Wir schreiben das Jahr 1955. Auf Norderney lädt das Café Fröhle zu „Waldi Hummels Schlagerpotpourri mit Tanz“ ein. Im Hotel Kaiserhof „arrangiert das elegante Paar Peter und Maré Klug“ den alltäglichen Tanztee. Was genau die Klugs im Einzelnen arrangierten, lassen die Berichte der Fünfzigerjahre offen. Sicher die eine oder andere Sommerromanze. Von Tanztee bis Tinder – auf zum Streifzug durch die Kunst des Inselflirts im Spiegel der Zeit.
Von Tanztee bis Tinder. bis Tinder.
Das Amüsement für zwei wurde auf Norderney bereits im frühen 19. Jahrhundert groß geschrieben. Die Staatlichen Strandhallen, später im Volksmund „Roter Teppich“ genannt, und das Conversationshaus luden bereits vor der Jahrhundertwende zum geselligen Ringelpiez mit Anfassen ein. Brav und züchtig ging es zu – strikt getrennt nach Männlein und Weiblein. Und doch: Ein verstohlener Blick über den Rand des seidenen Fächers, ja: jede noch so diskrete Geste konnte beim sommerlichen Inselfl irt vieles in Wallung bringen – vor allem den Pulsschlag. Der Kurschatten, bis heute Sinnbild für den Flirt an mondänen Kur- und Badeorten, erlebte auf Norderney seine erste Blüte. Er galt gemeinhin als effektivster „Helfer“ des Badearztes für erstaunliche Heilungserfolge. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts versalzte die auf Norderney einziehende „Wilhelminische Sitte“ den amourösen Abenteurern beiderlei Geschlechts die Suppe. Das mondäne Staatsbad stand als Königliche Sommerresidenz im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit. Sinn und Zweck der Kontaktanbahnung galten nunmehr dem Ziel, sich einen Platz an der Sonne bzw. unter der Haube zu sichern. Norderney war der „Place to be“, um eine standesgemäße Partie zu machen. Gefl irtet und verkuppelt wurde – wie könnte es anders sein – im Bade. Da blitzte unter manchem Strandkleid schon mal ein Hauch von Nichts hervor – ein „frivoles“ Spitzenunterkleid aus Berlin oder der Hauptstadt der Sünde, Paris. Das Café Cornelius bat lange vor dem Ersten Weltkrieg zum ungezwungenen Tanz im Freien. Die Jugend auf der Insel betete allabendlich um Schlechtwetterwolken, weil auch das Kurhaus bei Regen zum Tanztee lud. Tuchfühlung inklusive. Die 1920er Jahre brachten den „Kleinen Grünen Kaktus“ auf die Notenblätter des Kurorchesters. In der Nachkriegszeit der 1950er-, 60er- und 70er-Jahre vergnügte sich das Inselpublikum in Tanzbars wie dem „Chez Nous“, in denen neben gerührten Martinis vor allem eines geboten wurde: Kontakt. Damals erlebte auch der Kurschatten sein verdientes Revival. Die durchaus übliche vierwöchige Badekur galt weniger der Heilung, als vielmehr der Vorbeugung. „Morgens Fango, abends Tango“ – mancher Norderneyer Kurgast wusste ganz gut, was es mit dieser griffi gen Kurzformel auf sich hatte. Die Gesundheitsreform der 1990er Jahre schickte sich an, den Spaßverderber zu geben. Sie läutete das Ende des klassischen Kurwesens nebst gleichnamigem Schatten ein. Parallel entstanden Kanäle und Plattformen, um am Weststrand oder rund um den Globus in Kontakt zu kommen. Heute braucht es, wie jeder weiß, zum Flirten nicht einmal mehr Augenkontakt. Wer sich auf Dating-Apps wie Tinder anmeldet, sucht indes das Gleiche wie vor 150 Jahren – Nähe. „Resonanz“ nennt der Soziologe Hartmut Rosa diese Sehnsucht. Den Wunsch danach, dass die Welt antworte, das Bedürfnis, in der eigenen Einzigartigkeit gesehen zu werden. Dieses „Sehen und gesehen werden“ kann sich auf Tinder indes ebenso ereignen wie anno 1910 am Norderneyer Damenpfad. Dass sich zwei unbekannte Wesen begegnen. Und dass irgendwann mindestens eines von ihnen funkt: „Du hast mich verzaubert“. Ob die süße Botschaft ihren Empfänger durch verstohlene Tanzteeblicke oder auf digitalem Wege mitten ins Herz trifft, ist doch letztlich Jacke wie Hose.
Die Sehnsucht nach Zweisamkeit ist nicht kleiner oder größer geworden in den vergangenen Jahrzehnten. Jede Generation muss sie neu üben.
UNABHÄNGIG VOM KOMMUNIKATIONSMEDIUM TRIFFT UNS DIE SIMPLE BOTSCHAFT « DU GEFÄLLST MIR » MITTEN INS HERZ — SOFERN WIR DAS INTERESSE ERWIDERN JEDENFALLS.