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Grande Dame: Inselkind

INGE SALVERIUS’ ELTERN BESASSEN EINE BÄCKEREI IM HERZEN DER INSEL. » NATÜRLICH HATTEN SIE KAUM ZEIT FÜR UNS, STANDEN JA AB VIER UHR FRÜH IN DER BACKSTUBE. ICH SAGE GERN, DASS WIR WIE STRASSENKINDER AUFGEWACHSEN SIND – IMMER DRAUSSEN, IMMER FRÖHLICH, IMMER SICHER UND GEBORGEN.«

Unser Magazin möchte auch Türen ö nen, an denen man als Gast vielleicht vorübergeht, die aber Teil von Norderney sind wie das Kap oder der Leuchtturm. Den Anfang machen wir mit einem Ort, der nicht für Aufbruch, sondern für Vollendung steht – das Seniorenzentrum „To Huus“. Hier begegnen wir Inge Salverius. 2018 ist sie nach sieben Jahren im „Exil“ heimgekehrt. Um hier zu leben – und um in Inselerde begraben zu werden.

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Wie Ebbe und Flut, verstehen Sie?

Inselkinder gehen in die Ferne und Inselkinder kommen zurück.

Neun Jahrzehnte stehen wie eine Landschaft in Inge Salverius’ Züge geschrieben – furchig, weitsichtig, verschmitzt. Ihr Gesicht spiegelt die besondere Würde derer, die viel erlebt haben und die daran gewachsen sind – „WACHSEN MUSSTEN“, WIE FRAU SALVERIUS MIT BLICK AUF ZWEI PORTRAITS NAHE IHREM BETT SAGT. Beide Bil-

der zeigen Norderneyer Bürgermeister. Beide hat

Inge Salverius beerdigt – ihren Mann Heinz-Ludwig 1984 und 27 Jahre später Sohn Ludwig. Beide waren kaum 55 Jahre alt. Wer Frau Salverius zuhört, meint zu spüren, wie sie ihre Gedanken filtert, damit nur das Wesentliche bleibt. Wesentliches aus 89 Jahren wird sie 2020 in den Neubau des Seniorenheims „To

Huus“ mitnehmen – schöner, heller und großzügiger als bisher. Rund 20 m² wird Inge Salverius mit den

Spuren ihres Lebens füllen, das 1930 mit einer Bilderbuchkindheit seinen Anfang nahm, um einst auf dem

Inselfriedhof sein Ende zu finden.

Maritime Ölbilder liebt Inge Salverius, und ihren stolzen Viermaster auf dem Schrank. Rosen verlieren erste Blätter. Ihr Sessel knarzt. Allein der Rollstuhl wirkt ein wenig fremd in diesem kleinen Reich voller Erinnerungen. ER GEHÖRT JETZT ZU MIR“, SAGT INGE SALVERIUS, DIE NACH EINEM SCHLAGANFALL 2011 NICHT MEHR MOBIL IST. „ES FÄLLT MIR SCHWER, DIESE ABHÄNGIGKEIT ZU AKZEPTIEREN. Zeitle-

bens war ich auf Achse. Unsere Eltern waren Bäcker, arbeiteten rund um die Uhr. Ich sage gern, dass wir fast wie Straßenkinder aufgewachsen sind – auf uns gestellt und frei. Dann habe ich meinen Beruf erlernt, jung geheiratet und zwei Söhne großgezogen. Als ich mit 52 Jahren Witwe wurde, fing ich ganz von vorne an, habe vermietet und einen neuen Lebenspartner gefunden. Ich bin 50 Jahre lang unfallfrei Auto gefahren, saß im Verwaltungsausschuss der Insel und wurde in den Ostfriesischen Kreistag gewählt. Heute kann ich nicht einmal mehr zum Strand laufen.“

Inge Salverius ist im Laufe ihres langen Lebens auf Norderney vielen Menschen begegnet. Stets hat sie diese in echte Norderneyer, Norderneyer und Nicht-Norderneyer unterteilt.

„ECHTER NORDERNEYER IST, WER HIER GEBOREN WURDE“, LERNEN WIR. „NORDERNEYER IST, WER SICH IN UNSERE GEMEINSCHAFT EINFÜGT. NICHT-NORDERNEYER IST DER GANZE REST DER WELT.“

Wie etwa Frau Salverius’ Pensionsgäste. „Die kamen aus dem Ruhrpott – waren ja froh, da mal rauszukommen. Ich gab ihnen den Rat, am Strand tief einzuatmen. ‚Die Luft hatte noch niemand in der Lunge, die ist ganz exklusiv für dich‘, habe ich gesagt. Wenn die Gäste von Bord der Frisia gingen, hatten die meisten nur völlig untaugliche Kleidung im Gepäck. Beim zweiten Mal wussten sie, dass sie hier oben vor allem einen winddichten Anorak brauchen. Alles war so viel bescheidener als heute. ‚Huch, meine Haare!‘ – solche Gäste hätten mir damals gefehlt.“

Ein Besuch beim „Inselkind“, das den Fortschritt stets bejaht hat und dem heutigen Leben auf Norderney rege folgt, vermittelt den Eindruck, dass sich das Altwerden im „To Huus“ gut anfühlt. „Ja“, sagt Inge Salverius beim Abschied. „Die Menschen hier tun alles, damit die Freude auf den nächsten Tag abends das letzte Wort hat. Manche von ihnen kannte ich schon als Kinder, habe sie gehütet und ein bisschen verwöhnt. HEUTE KÜMMERN SIE SICH UM MICH. SO SCHLIESST SICH EIN KREIS.“

Der Name ist Programm.

Das Seniorenzentrum, das seit 2016 unter neuer Leitung steht und sich seither mit Quantensprüngen entwickelt hat, bietet derzeit 49 Bewohnern vollstufige Pflegeplätze und ein behagliches Zuhause. Der Neubau, der Insulanern und Nicht-Insulanern offen steht, verfügt über barrierefreie Einzelzimmer, schöne Gemeinschaftsräume und einen großen Garten. 35 Mitarbeiter und sehr viele Ehrenamtliche kümmern sich liebevoll um die Bewohner.

«To Huus» Nördernee Mühlenstraße 4 26548 Norderney T: 04932 – 869 20 seniorenzentrumnorderney.de

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