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Schöner Fernsehen: Norder
NORDISCH NOBEL.
ER IST SEEZEICHEN, LANDMARKE UND WEGWEISER, AUSSICHTSTURM UND SEHNSUCHTSORT FÜR PHAN TASIEN, DIE SICH UMS MEER DREHEN: NORDERNEYS LEUCHTTURM.
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53° 42’ 33,2”N, 7° 13’ 46,7” O
Stolz und aufrecht ragt es in den Himmel, das markanteste Wahrzeichen Norderneys – der von 1871 bis 1874 erbaute Leuchtturm. Der „Große Norderneyer Leuchtturm“, wie er offiziell heißt, ist mit 60 m ü. NN – also einer Höhe von 60 Metern über dem Meeresspiegel – das höchste Bauwerk der Insel. Anders als viele Artverwandte weist er keine rot-weiße Bemalung auf, sondern setzt durch seine schlanke Silhouette, roten Klinker und Sandstein Zeichen. Majestätisch leuchtet das Feuer des achteckigen, voll aktiven Seezeichens in den Nachthimmel. Seine „Laterne“ aus 1018 Prismen und 24 Linsen weist Schiffen und Skippern den Weg. Allein deren Einhausung, das gläserne Laternenhaus, ist gut fünf Meter hoch. Das gebündelte Licht des linksdrehenden Leuchtfeuers ist 23 Seemeilen weit zu sehen – das sind über 42 km. Tagsüber fungiert der Leuchtturm, der überraschenderweise keinen Spitznamen hat, als Landmarke und Navigationspunkt. Nachts dient er der Orientierung, wenn seine seit 1977 genutzte „Blitzkennung“ im Dreivierteltakt über die Insel und das Meer zuckt. Bei der Eröffnung anno 1874 spendete noch eine von Hand befeuerte Petroleumlampe mit fünf Dochten Licht. Entsprechend wichtig war der Leuchtturmwärter, der am Fuße des Turmes ein Häuschen bewohnte.
LEUCHTTURM NORDERNEY Am Leuchtturm 26548 Norderney April – Oktober täglich von 14 : 00 Uhr bis 18 : 00 Uhr Erwachsene 3,00 €, Kinder ab 17 Jahre 1,00 €, bis 17 Jahre frei Mit Norderney-Card 2,00 € bzw. 0,50 €
HINKOMMEN Abfahrt der Linie 4 am Norderneyer Busbahnhof täglich von 09 : 40 Uhr bis 17: 40 Uhr, Fahrplan gibt’s unter bus-fi scher.de E inen Leuchtturmwärter gibt es freilich längst nicht mehr auf Norderney. Schade, er hätte sicher Interessantes zu berichten. Stattdessen wird das Seezeichen von Emden aus gesteuert – sozusagen per Knopfdruck. Dennoch befl ügelt der ab 2004 sanierte, unter Denkmalschutz stehende Turm unsere Phantasie. Auf einer 10 m hohen Düne außerhalb der Stadt thronend steht der Leuchtturm für das Gefühl, hier mit den Wurzeln Norderneys verbunden zu sein, mit maritimer Romantik, mit dem Quietschen gelber Öljacken, mit markant gegerbten Charaktergesichtern sowie mit der Schellfi sch-Fischerei, die bis etwa 1900 auf der Insel fl orierte. Nur am Rande sei erwähnt, dass Norderneyer Fischer ihren Gästen nach der Jahrhundertwende lieber lukrative „Lustfahrten in See“ als Schellfi sch anboten. Wahrscheinlich waren Seefahrt und Fischfang in Wirklichkeit alles andere als romantisch – und doch weckt der Leuchtturm bis heute nostalgische Sehnsüchte.

Vielleicht auch deshalb ist er eines der beliebtesten Ausfl ugsziele der Insel. In etwa 30 Minuten ist der Leuchtturm per Fahrrad über den „Zuckerpad“ und in noch kürzerer Zeit per Bus erreicht. Seit 2006 kann der Turm über eine Wendeltreppe mit 253 Stufen erklommen werden. Seine unterhalb des Laternenhauses liegende, gesicherte Aussichtsplattform ist von Ende März bis Oktober täglich geöffnet. Sie bietet gegen einen Obolus spektakuläre Panoramablicke auf das Wattenmeer sowie nach Juist und Baltrum. Bei besonders klarer Sicht kann man Langeoog, Spiekeroog, Borkum und die Emsmündung im niederländischen Groningen ausmachen. Stürmt es aber, empfi ehlt es sich nur Mutigen, den Turm zu erklimmen: Bläst der Nordseewind nämlich richtig, schwankt der Leuchtturm an der Spitze um bis zu 40 Zentimeter. „Wind ist, wenn die Schafe keine Locken mehr haben“, sagt man dazu an der Nordseeküste. Ob man dies in 60 Metern Höhe überprüfen möchte, soll jedem selbst überlassen bleiben.

THE GREAT WIDE OPEN.
Kerzengerade steht er da, Norderneys Leuchtturm, wie ein Wächter über all die Pracht, die ihn hier draußen umgibt, sechs Kilometer vor der Stadt, wo Wege gewählt, um begangen und Gedanken gemacht, um zu Ende gedacht zu werden.
ediglich das Nor- derneyer Damwild macht ihnen die leckersten Häpp- chen streitig. Viele Gäste der Insel trauen ihren Augen nicht, wenn sie in den Dünen, Birken- oder Nadelwäldern in Richtung des Strandbades „Oase“ Rehen und sogar weißen Hirschen begegnen. Mitten auf dem Kurplatz äsendes Wild, das sich durch nichts und niemanden bei seiner Mahlzeit stören lässt – ein Anblick, der auf der Insel Norderney zum allseits beliebten Fotomotiv, doch längst nicht mehr zur Sensation taugt.
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rholt haben sich hingegen die Be- stände an Seehun- den und Kegelrob- ben. Wie pudelwohl sie sich vor Norderney fühlen, lässt sich auf nahezu jeder Überfahrt mit der Fähre bewundern. Zu Hunder- ten aalen sich die sichtlich wohl- genährten Tiere auf Sandbänken zwischen den Inseln Norderney und Juist in der warmen Sonne. Der Nationalpark Niedersäch- sisches Wattenmeer mit seinen 10.000 unterschiedlichen Arten – vorrangig Würmern – bietet ih- nen ein solides Auskommen.
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Im Frühjahr und im Herbst rasten Schwär- me von Zugvögeln auf der Ostseite der Insel. Das Wattenmeer dient ihnen als Delikatessenbuffet und Nischen, Täler sowie Senken als Schutz- und Brutraum. Die Silbermöwen kreischen. Auch die vielen Krähen klingen nicht virtuoser. Amsel und Dohle, Stockente, Eiderente und Moorente tummeln sich hinter der Deichbefestigung. W er den Insel- osten durch- streift, wird indes vor
Seltener begegnet man dem Kiebitz, dem Strandläufer, der Brandgans oder dem Brachvogel, der See- schwalbe und dem Goldregen- pfeifer. Jenseits des Leuchtturms, an den Campingplätzen vorbei und dem letzten Parkplatz der Insel zu, leben Eulen, Falken, Ha- bichte und Fasane. Mit sehr viel Glück trifft man hier, in der Abge- schiedenheit der letzten Kilome- ter vor der Nachbarinsel Baltrum, sogar auf die Kornweihe, von der in ganz Deutschland nur noch etwa 35 Paare leben, die meisten auf den Ostfriesischen Inseln.
allem Wildkaninchen begegnen. Deren allseits bekannte Fort- pfl anzungsstrategie hat sich zum Risiko für Norderneys befestigte Deiche, Dünen und Flora entwi- ckelt. Durchschnittlich 40.000 Tie- re zählen zum festen Inselinventar. Die Kinder haben ihren Spaß an den kleinen Hopplern. Des einen Freud, des anderen Leid: In den kalten Monaten fressen die Nager Gärten und Parks der Insel ratze- kahl. Dabei machen sie pietätloser- weise sogar vor Grabgestecken auf dem Inselfriedhof nicht halt.
„Elementare Töne der Natur sind das Prasseln des Regens, das Lied des Windes in den Baumkronen und der Aufschlag des Meeres am Strand.“
01 NICHT VERWÖHNT Schnecken, Wattwürmer und Insekten tun es für den Austernfi scher auch. 02 RUHEPOLE Barrierefreie Thalasso- Plattformen mit serpen- tinenartigen Wegen aus Douglasienholz fügen sich in die Landschaft ein. 03 LEBENSKÜNSTLER Quallen zählen zu den allerältesten Tieren der Erdgeschichte. Sie haben 670 Mio. Jahre Evolution souverän überdauert.
Wiesen, Dünen und das Watt teilen sich den Himmel mit silbrigweißen Skeletten knarziger Birken. Wind und Sturm sind Teil dieser Komposition, die vielen Menschen wichtig geworden ist – einer Komposition mit eigenen Gesetzen und fast rebellischer Energie. Die niedrig stehende Sonne taucht die Landschaft in pastellfarbenes Licht und bricht sich in der Nordsee, die heute wie ein polierter Spiegel daliegt und sich morgen schäumend
Gäbe es Nebel- feen und andere Natur- geister, so träfen sie sich hier zum Stelldichein, in mondähnlicher Szenerie, getaucht in Grün und Silber.
gegen Herbststürme aufl ehnt. Zieht sich das Meer zurück, lässt es perlmuttern schimmernde Muschelfelder achtlos hinter sich liegen. Austernfi scher patrouillie- ren eifrig am Wassersaum, um sich ihren Anteil zu sichern.
Die natürliche Wildnis des In- selostens ist ein Versprechen. Ein Versprechen von Weite und Licht. Nahezu unberührt entfaltet sich das Areal zwischen Leuchtturm und Inselende. Der Standort des Leuchtturmes wurde anno 1871 mit Bedacht gewählt. Schließlich musste das für seine Errichtung benötigte Baumaterial – allem voran Backstein für ein 60 m ho- hes, imposantes Bauwerk – mit Pferdegespannen über das Watt transportiert werden, Fuhre für Fuhre. An dieser Stelle beträgt die Distanz zwischen Festland und Strand nicht einmal drei Kilome- ter. Ein besserer – und schönerer – Platz für das Leuchtfeuer hätte
Die scheue Rohr- dommel rastet im Schilf. Silbrig- blau erblüht die Stranddistel. Und von November bis März hat man diese zauber- hafte Inselnatur fast für sich allein. Von Millionen tierischen Bewoh- nern mal abgesehen. Nahezu 100 Vogelarten und zahlreiche Wild- tiere sind hier zu Hause.
sich schwerlich fi nden lassen.