friedrich - Zeitschrift für BerlinBrandenburg

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Foto André Stiebitz

Potsdam LEbenswelt

L eben im LTURERBE WELT LTKULT

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Wer lebt eigentlich heutzutage im Potsdamer Weltkulturerbe, seitdem Monarchen und Prinzen ausgezogen sind? Und wie lebt es sich tatsächlich in den schönen Gärten zwischen all den Schlössern und Touristen?

#1 Alexandrowka

Der Ur-Ur-Ur-Urenkel des Ivan Grigorieff Vor sechs Generationen kam Ivan Grigorieff aus der Ukraine durch die Wirren der Geschichte nach Potsdam. Kaiser Napoléon, König Friedrich Wilhelm III. und Zar Alexander I. haben durch Feind- und Freundschaft für eine Skurrilität der Potsdamer Stadtgeschichte gesorgt, indem zwölf russische Familien zwangsmigriert wurden – bei gleichzeitig üppiger Unterbringung in einem heimatlich aussehenden Neubau wohlgemerkt. 1827 zog der erste Grigorieff in das Haus Nr. 7 der russischen Kolonie ein. Noch heute lebt sein Ur-Ur-Ur-Urenkel Joachim im selben Haus – abzulesen an der noch erhaltenen Ahnenreihe aus schwarzen Schildern an der Fassade. Der 76-Jährige ist der letzte Bewohner der ›Alexandrowka‹, der aus der Linie der Erstgeborenen der Kolonistenfamilien stammt. Ein männlicher Nachkomme war ursprünglich der einzige und nicht immer leichte Weg, das Haus samt Remise und der Obstplantage in der Familie vererben zu dürfen. Sein Opa Paul, geboren 1893, »war das 13. Kind!« erzählt Joachim Grigorieff, was auf viele Schwestern und früh verstorbene Brüder schließen lässt. Er selbst wurde 1937

in Potsdam geboren und lebt seitdem auf dem Hof. Nach dem Krieg zog die Familie für zweieinhalb Jahre in den Stall, weil erst ein sowjetischer General und dann ein Oberst das Haus bewohnten. Während Vater Kurt

und Opa Paul Straßenbahnfahrer waren, lernte Joachim als Maurer, sanierte später das Haus, das schon Schwamm im Sockel und Boden hatte. Heute ist die Nr. 7 zwar von Fäulnis befreit, aber die russischen Zierleisten verblassen bereits wieder. Auf die Leiter kommt der Rentner nicht mehr. Bis zu seinem Vater, der 1983 verstarb, waren alle Vorfahren als Gärtner tätig, »aber nur nach Feierabend! Das war ja hart. Da konnte man nicht durch die Baumreihen schauen wie heute. Alles war mit Unterkulturen, zum Beispiel Johannisbeersträuchern, besetzt.« Die Äpfel und Birnen hinter der großen, von seinem Vater gepflanzten Tanne sind noch junge Nachpflanzungen des Grünflächenamts – damit habe er nichts mehr am Hut. Sein Grundstück ende dicht hinter dem Haus und Touristen nähmen mittlerweile selten Obst oder Gemüse mit, das er vor seinem Grundstück anbietet. Um die Nachfolge hat sich Joachim Grigorieff auch nie gekümmert. Er lebt zwar mit seiner Lebensgefährtin Irmgard zusammen, ist jedoch kinderlos geblieben. Am vergangenen Wochenende aber, »da kam ein Grigorieff aus Berlin! Der stammt aus einer Nebenlinie,

der Ivan hatte nämlich zwei Söhne.« Der entfernte Verwandte brachte Pralinen und hat sich das Haus Nr. 7 einmal genauer angeschaut. [Peter Degener]

Fakten, Fakten, Fakten, Fakte Fakten Fakten, n Die ›Russische Colonie Alexandrowka‹ wurde 1826 »als bleibendes Denkmal der Erinnerung an die Bande der Freundschaft« zwischen Friedrich Wilhelm III. und dem zuvor verstorbenen Zaren Alexander I. errichtet und gehört seit 1999 zum Weltkulturerbe. 13 Häuser im russischen Stil wurden für russische Soldaten rings um eine Plantage mit etwa 600 verschiedenen Obstbäumen herum angesiedelt.


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