friedrich - Zeitschrift für BerlinBrandenburg

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Interview

Foto Stefan Klüter

und Todesopfer durch das System gab, ging es der Bevölkerung insgesamt besser. Aber als wir jetzt in Rumänien gedreht haben, war ich sehr überrascht, ich war von dem Land und den Leuten sehr angetan. Es gibt dort wunderschöne Regionen. Beeinflusst Ihre ostdeutsche Herkunft generell Ihre Rollenauswahl? In ›Die Reise mit Vater‹ habe ich die ›Gegenseite‹ gespielt, ein Mitglied der Münchner Schickeria, das privilegierte Gegenstück aus dem Westen. Aber bei Rollen wie der in Christian Petzolds ›Barbara‹ hilft es einfach zu wissen, was es bedeutet, eine Tüte Tchibo-Kaffee in der Hand zu halten, diese Sehnsucht nach den Westprodukten zu haben und nach dem, was der Westen verspricht, die damaligen Träume und Wünsche; aber auch, wie anders sich das Leben angefühlt hat, mit allen Beklemmungen, aber auch mit der Solidarität unter den Menschen. Also, wenn du dein Dach reparieren wolltest, hast du bei Dachdeckern alte Ziegel zusammengeklaubt, denn so einfach zu kaufen gab es die nicht. Diese Erfahrungen prägen natürlich, aber ich würde nicht sagen, dass ich deswegen gezielt solche Rollen aussuche. Zumal es wie gesagt gerade spannend ist, sich in das zu verwandeln, was man nicht kennt. Wie eben diese Münchnerin aus adligem Hause. Wie kann man das umsetzen, dass sie eine Adlige ist, ihre Herkunft aber verleugnet? Das sind spannende Widersprüche, die Spaß machen zu spielen. Klingt spannend, aber auch sehr schwierig, diese Feinheiten darzustellen. Interessanterweise wird man als Schauspieler oft gefragt: ›Wie schafft man das bloß, diesen ganzen Text zu lernen?‹, dabei ist gerade das das geringste Problem, das ist reine Fleißarbeit. Die Herausforderung besteht in der Gestaltung einer Figur und der Feinabstufung, also sie mit Widersprüchen anzureichern, sodass sie glaubhaft ist und den Menschen nahegeht. Und bei der Ulli war die Mischung zwischen der Ad-

ligen und der Kommunardin spannend. Oder auch, ob man der Figur diese Zeit glaubt? Ich sehe oft historische Film, wo ich den Schauspielern nicht die Zeit abkaufe, weil sie sich heutig verhalten. Es gab früher andere Umgangsformen, wenn die nicht stimmen, spürt man das. Manchmal stoßen ja schon Äußerlichkeiten extrem an. Bei David Leans ›Dr. Schiwago‹ zum Beispiel sah die Frisur der von Julie Christie gespielten Hauptfigur typisch nach 60er Jahren aus und passte damit überhaupt nicht zum Russland der Revolutionszeit – was von vielen zeitgenössischen Zuschauern bemängelt wurde. Genau. Und oft sind es ganz feinstoffliche Details, auf die es ankommt. Aber es ist schwer, in dem Moment zu überprüfen, ob es stimmt. Man kann sich nur vorbereiten und hoffen, dass die Summe aller Teile, die sich am Ende zusammensetzen, ein stimmiges Konglomerat ergibt. Trotzdem finde ich es bezüglich des Textlernens kurios, dass es Schauspieler gibt, die sich ihren Text überhaupt nicht merken können. Hans Albers oder Manfred Krug haben sich teilweise in jeder Szene Zettel in alle möglichen Requisiten geklebt, um den Text abzulesen. Klar, gibt es auch Textlernschwächen. Gerade im Alter ist das für manche eine Problem. Da wird dann dem Partner ein Klebezettel auf die Stirn gepappt, damit derjenige dann mit dem Kollegen spielen kann. Aber wenn ich mich mit Schauspielfreunden oder -kollegen unterhalte, ist so was eigentlich nie Thema. Es geht dann höchstens darum, wie man Text lernt, ohne dass er später nach Papier klingt, dass man ihn organisch sprechen kann. Der Hauptkonflikt in ›DieReise mit Vater‹ dreht sich um die lebensentscheidende Frage, ob die Familie im Westen bleiben oder nach Rumänien zurückkehren soll. Gab es vor diesem emotionalen Hintergrund Szenen, die Sie als besonders intensiv oder auch beklemmend empfunden haben? Es gibt speziell eine Szene aus dem Trailer, wo der Satz gesagt wird: ›Schau mir in die Augen und sag‘ mir, dass du zurück willst‹. Das ist bei einer Improvisation entstanden, denn wir hatten das Gefühl, dass die Stelle im Drehbuch noch nicht die ganze Dimension eingefangen hat, um die es geht. Nämlich dem Menschen, den man liebt, zu sagen: ›Ich glaube nicht, dass du zurück willst. Ich will nicht, dass du deine Leben auf eine Art und Weise zubringst, die du hasst. Ich sehe doch, wie du leidest, wie du kaputt gehst‹. Es hat mich sehr gepackt zu sehen, dass die Umstände jemanden zwingen können, in ein System zurückzukehren, von dem er weiß, dass er dort innerlich zugrunde geht. Denn er kann dort nur existieren, weil er sich selber verrät. Diese Tragik hat mich extrem berührt. Aber interessant und schlau finde ich bei diesem Film, dass er am Ende die Klammer dazu aufmacht, dass das andere System gar nicht so viel anders war. Im Westen wurde genau so bespitzelt und spioniert. In der BRD wurden in den 60ern auch Kommunisten und die Studentenbewegung verfolgt. Auch hier wurde auf Demonstranten eingeprügelt, wenn sie sich nicht systemkonform verhalten haben. Hat der Film Ihre Sicht auf die Lebensführung beeinflusst – im Sinne von Freiheit und Konsum vs. eingeschränkte Freiheit und möglicherweise mehr Sicherheit? Im Film nennt der jüngere Bruder einen Grund, warum er nach Rumänien zurück möchte: ›Die haben hier im Westen alles, wovon wir geträumt haben, aber sie freuen sich gar nicht darüber‹. Auf jeden Fall erinnert einen der Film an das, was man hat, und was wir uns durch diese Freiheit, in der wir leben, alles ermöglichen können. Trotz aller gesellschaftlichen Probleme wie der zunehmenden Kluft zwischen Arm und Reich bin ich dankbar, in einem System zu leben, in dem ich ich selber sein kann und mich nicht verleugnen muss, um in diesem System existieren zu können. [Interview: Stefan Kahlau]


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