friedrich - Zeitschrift für BerlinBrandenburg

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LOB & Kritiken

Rezensionen LEbenswelt

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Blur The Magic Whip [Musik]

Tocotronic Das rote Album [Musik]

Schnell sagt man einer Reunion nach, vor allem des Geldes wegen Altes aufzuwärmen. Auch als ›Blur‹ zurückkehrten, überwog erst einmal die Skepsis. Wenige Konzerte später war man eines Besseren belehrt, sie begeisterten die Massen, auch wenn zunächst nur ein Best-OfSet gespielt wurde. Nun gibt es auch neues Material zu hören, welches an alte Erfolge anknüpfen soll. Wenige Hördurchgänge später steht fest: ›Blur‹ gelingt es sogar, sich selbst zu übertreffen. ›The Magic Whip‹ spannt den Bogen zu den frühen ›Blur‹, ist aber an sehr vielen Stellen vor allem die Fortführung von ›Everyday Robots‹, dem letztjährigen Solowerk Damon Albarns. Das Album ist größtenteils ruhig gehalten, erwachsen, vor allem jedoch ein von vorn bis hinten durchgetaktetes Werk mit ganz eigener Geschwindigkeit. ›Lonesome Street‹ beginnt, erinnert sofort an die Elemente, die »Brit-Pop« einst einen eigenen Genrebegriff werden ließen. Ein positiver Rocksong, mit einem überraschenden, an die ganz frühen ›Pink Floyd‹ erinnernden Umbruch zur Mitte. Albarn singt immerfort gedankenverloren, dazu seichtes Schlagzeug hier, kurzes Keyboardmotiv da und wunderschöne Gitarrenlinien. Und ›Go Out‹ zum Tanzen. Es passiert immer irgendetwas, was man vielleicht auch erst beim fünften Hinhören entdeckt. ›The Magic Whip‹ kann alles. Was für ein Comeback! [Klaus Porst]

Wie der eine oder andere hier an dieser Stelle vielleicht schon mitbekommen hat, beschäftige ich mich schon sehr lange und sehr ambivalent mit der Formation ›Tocotronic‹. Selbst einst Trainingsjackenträger, jedoch in leicht abgewandelter Form, hatte ich meine extremen Höhen, aber auch die entsprechenden Tiefen zu verzeichnen. Obwohl einige Kollegen bereits früh verlautbaren ließen, dass sich ›Tocotronic‹ mit vorliegendem elften (sic!) Album stark in Richtung Bombast-Pop verabschieden, war meine Vorfreude auch dieses Mal sehr groß. Denn schon ›Wie wir leben wollen‹ empfand ich so und war trotzdem durchaus begeistert. Und – oder gerade wegen dieser Voraussagungen hat mich das ›Rote Album‹ dann doch mehr als überrascht. Denn Bombast ist durchaus vertreten, aber nicht in seiner schmalzig-fetttriefenden Variante. Sondern in richtig guten, oft regelrecht genialen Kompositionen. Der Bombast zeigt sich eher in einer fetten, aber doch sehr facettenreichen Produktion. Klar, die Gitarren sind recht weit nach hinten gemixt, doch das tut der Qualität und der Dichte der Songs keinen Abbruch. Überhaupt ist es erstaunlich, wie kraftvoll und doch sensibel die Songs wirken. Ebenso bekommt man äußerst selten derartige Werke zu bestaunen, die einerseits sehr durchdacht wirken und andererseits doch extrem poppig sind und dann auch mitreißen. Ein geniales Paradoxon. [jes]

Shakhtyor Tunguska [Musik] Kurz zu den Fakten: ›Shakhtyor‹ kommen aus Hamburg, machen Doommetal, Sludge und Stoner und haben sich in den letzten Jahren wohl durch jegliche Clubkeller der Stadt gespielt. Musikalisch messen sie sich an Szenegrößen wie ›Neurosis‹, ›Cult Of Luna‹ und ›Ufomammut‹. Über den Status des ewigen Geheimtipps sind sie jedoch qualitativ erhaben, wenngleich der unbuchstabierbare Name natürlich ein Hindernis sein kann. Ihre ganze Wucht entfesselt die Band dabei vor allem live, aber auch aus der Konserve verliert ihr Sound nicht an Verve. Sechs Titel finden sich auf ›Tunguska‹ – klar, dass damit trotzdem nicht nach wenigen Minuten Schluss ist. Langgezogene Stücke gehören zum Genre und ›Shakhtyor‹ wissen, was sich gehört. Epische Strukturen, lange Intros und Outros sowie im Kern eines jeden Stückes mindestens einer, vielfach mehrere Ausbrüche. ›Shakhtyor‹ ziehen oft sogar noch etwas mehr durch, die harten Passagen nehmen einen Hauptteil der Songs ein. ›Tunguska‹ ist und war der Name einer sibirischen Region, in der sich vor hundert Jahren das »Tunguskaereignis« zutrug. Als Ursache wird ein Meteoriteneinschlag angenommen, das Ergebnis war großflächige Zerstörung. Passend, danach ein Album zu benennen, dessen Großteil aus vielen rhythmischen Soundexplosionen und metaphorischen Aus- und Zusammenbrüchen besteht. [Klaus Porst]

Birdpen In The Company Of Imaginary Friends [Musik] Obwohl Dave Pen eigentlich bereits Mitglied des Kollektivs ›Archive‹ ist und mit diesen tourt und in kurzen Abständen Alben veröffentlicht, schafft er es auch noch, mit ›Birdpen‹ ein Nebenprojekt am Laufen zu halten. ›In The Company Of Imaginary Friends‹ ist schon das dritte Album in wenigen Jahren, welches er zusammen mit Mike Bird und James Livinstone Seagull geschrieben hat. Da Pen mittlerweile so etwas wie der männliche Leadsänger von ›Archive‹ ist und auch hier auf größtenteils elektronisch erzeugte Instrumentallandschaften setzt, drängt sich die Ähnlichkeit der beiden Bands natürlich auf. Dennoch ist ›Birdpen‹ in gewisser Weise anders. ›Archive‹ ist die Band für das Progressive, für die komplexen Gebilde, bei ›Birdpen‹ geht es deutlich poppiger und ruhiger zu. Die Epen, diese zwiebelhaft schichtweise zu Tage tretenden Gebilde, sind nicht das, was er hier bietet. Viel mehr ein Quasi-Soloalbum persönlicher, schöner Popsongs, deren Zentrum die Stimme Pens und deren Interaktion mit der Musik ist. Nimmt man ›In The Company Of Imaginary Friends‹ als Ganzes oder die Highlights, wie ›Into The Blacklight‹, ›No Place Like Drone‹ und das nach den frühen ›The Cure‹ klingende ›Alive‹, ist dieses Album somit mehr als nur ein Lückenfüller zwischen zwei Veröffentlichungen der Hauptband. [Klaus Porst]


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