Hörlandkarte
Invitatorium – Vespro della beata vergine
Hörlandkarte
9. Mai 2017
Invitatorium
Nisi Dominus
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isi Dominus“ ist die vierte Psalmvertonung in der Marienvesper. Hier geschieht der Durchbruch zur großen Doppelchörigkeit. Im Text geht es um den Bau eines Hauses, einer Stadt; große Taten also, die der Hilfe Gottes bedürfen. Die Größe der Bauprojekte spiegelt sich in der großen Anlage des Klangs. Zwei fünfstimmige Chöre setzen mit verwirrend kleinem Abstand nacheinander imitierend ein und bilden ein dichtes Klanggeflecht. Nur jeweils eine Stimme der Gruppen singt im Unisonso, die Tenores II. Sie halten an einem Gesang fest: Cantus firmus, versteckt, zugedeckt vom Gesamtklang, kaum hörbar und dennoch das Fundament der Melodien und Harmonien. Der möglichen Gefahr einer wortwörtlichen Eintönigkeit beim Vertonen des Psalms (Cantus firmus) wirkt Monteverdi mit Klangpracht und Finessen im Detail entgegen. Die Teilung des Chors verweist auf die Musik an großen italienischen Kirchen. Im venezianischen Markusdom etwa hatten Andrea und Giovanni Gabrieli den Innenraum genutzt, um auf verschiedenen Balkonen und Balustraden kleine Gesangsensembles zu platzieren, die ein musikalisch und räumlich getrenntes Wechselspiel von Klangräumen entstehen lassen. Der Raum selbst wird dabei zum Klingen gebracht. Solche Kirchenmusik war also eine Inszenierung des Klangs im Raum. Die Cantus firmus-Stimme aus dem Druck von 1610. Monteverdi verwendet hier die alte Choralnotation, d.h. man sieht nicht nur die damals noch üblichen Rauten als Notenköpfe, sondern auch Quadratnoten und so genannte „Ligaturen“, also Zeichen, die für zwei oder mehrere Töne stehen. Diese werden in der modernen Übertragung mit einer eckigen horizontalen Klammer gekennzeichnet.
Ausblick: Eine Darstellung kompositorischer Vielfalt
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onteverdi hat in seiner Marienvesper kompositorische Vielfalt präsentiert. Sie ist kein trockenes Stück Kirchenmusik, gelehrt und fromm, sondern eine aufregende Zusammenstellung dessen, was zu seiner Zeit möglich war. In ihr verbindet der Komponist die große Tradition der Kirchenmusik des 16. Jahrhunderts – die zentral an der Cappella Sistina im Vatikan entwickelt und gepflegt wurde – mit den brandneuen Erfindungen der Jahre nach 1600. Dabei fügt er dem Kirchenstil der
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Vokalpolyphonie die ausgesprochen weltlichen Gestaltungsweisen aus Oper und Konzert hinzu. Die Andacht und Strenge ergänzt er mit der Darstellung von Drama und Affekt. Geistliches und Sinnliches reichen sich die Hand. Dies würde auch erklären, warum in seiner „Bewerbungsmappe“ eine Messe, die Missa „In illo tempore“, mit ihren 7 Seiten an erster Stelle steht – mit einer eher konservativen Komposition wollte er zunächst einmal beim Papst punkten – und dann erst die 44-seitige Marienvesper
erscheint. Der gewogen gemachte Pontifex sollte erst im zweiten Schritt mit den hochaktuellen Klang experimenten der Vesper konfrontiert werden. Leider kam es nie zu der Begegnung von Paul V. und Claudio Monteverdi, er hat die Mappe niemals überreicht. Warum, wissen wir nicht; die Musikgeschichte wäre sonst möglicherweise etwas anders verlaufen …
Vespro della beata vergine
Ensemblehaus Freiburg
9. Mai 2017
Claudio Monteverdi vor sensationellen 450 Jahren in Cremona (Italien) geboren Der Meisterkomponist gilt als Wegbereiter des Barock
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as Geburtsdatum von Claudio Monteverdi ist nicht genau bekannt. Doch wir wissen, wann seine Taufe war: am 15. Mai 1567. Da damals die Babys üblicherweise sehr bald nach der Geburt getauft wurden, können wir annehmen, dass der Geburtstag wenige Tage zuvor war. Vielleicht sogar am heutigen 9. Mai? Tun wir einmal so und feiern also heute
den 450. Geburtstag von Claudio Monteverdi! Doch was war Monteverdi eigentlich für ein Komponist? Er stand zwischen zwei Epochen, mit einem Bein in der Renaissance, mit dem anderen bereits im Barock. Musikalisch betrachtet heißt das: Einerseits komponierte er kunstvoll gearbeitete, polyphone Vokalmusik, die auch ganz ohne Instrumente auskommt; andererseits
interessierte er sich für den Gesang von Solisten, die sich auf die Stütze eines Bassfundaments verlassen können. Daher schrieb er – wie ein Komponist des 16. Jahrhunderts – Madrigale, Motetten, Messen und – wie ein Barockkomponist – Opern und geistliche Vokalkonzerte. Beide Weisen der Gestaltung sind in seiner Marien vesper von 1610 zu hören …
Die Marienvesper: eine monumentale Hommage an die Gottesmutter
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as für ein Stück verbirgt sich hinter dem Titel „Marienvesper“? „Vesper“ bezieht sich auf die Gebete, die als Abendgottesdienst um 18 Uhr gefeiert werden. An bestimmten Tagen waren diese Gebete der Jungfrau und Gottesmutter Maria gewidmet. Diese Gebetstexte setzt eine „Marienvesper“ in Musik. Monteverdis Marienvesper ist ein sehr eindrucksvolles Stück. Es ist üppig mit Sängern und Instrumentalisten besetzt und dauert anderthalb Stunden. So ein monumentales Stück Kirchenmusik hatte es bis 1610 nicht gegeben und gab es auch danach lange nicht mehr. Die meisten Texte stammen aus der Bibel: Psalmen,
Hohelied der Liebe, Lukas, Johannes etc. Angeordnet sind sie so, dass sich Psalm-Text und Nicht-Psalm abwechseln. Musikalisch äußert sich das ebenfalls, denn die Psalmen sind im älteren Stil der Vokalpolyphonie gesetzt, während die übrigen Texte Experimente im neuen Concerto-Stil sind. Eine Sonderstellung nehmen der siebenstrophige, mittelalterliche Marien-Hymnus „Ave maris stella“ und der siebenstimmige „Canticum Beatae Virginis Mariae“, das Magnificat, ein. Zusammen mit dem prächtigen Einleitungssatz bildet es den festlichen Rahmen der großangelegten Komposition.
Eine Bewerbung beim Papst
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Claudio Monteverdi 1567 – 1643
1608 ist Monteverdi in einem erbärmlichen Zustand: völlig überarbeitet, krank, verschuldet und ohne Perspektive für die Zukunft. Seine Anstellung am Hofe der Gonzagas in Mantua hat sich zum Motor eines regelrechten Burnouts entwickelt. Ihm fehlt die Anerkennung, das Geld, die Freiheit für seine Arbeit. Deshalb will er sich heimlich um eine neue Anstellung beim Papst in Rom bewerben. Zu seinem Bewerbungsgespräch 1610 nimmt er eine Mappe mit repräsentativen Kompositionen mit, Kirchenwerke natürlich. Dafür wählt er einige seiner Werke aus, um sie mit neuem Text zu versehen und schreibt neue Stücke, die er dann zusammen zu einer Vesper für die Heilige Jungfrau Maria, zur „Marienvesper“ verbindet. Die Bewerbung bleibt – unverständlicherweise – leider erfolglos und Monteverdi muss bis 1613 bei den Gonzagas arbeiten bis er zum Kapellmeister des Markusdom in Venedig gewählt wird.