Wenn man heute die Lange Straße entlangläuft, bietet sich kein einheitliches Bild. Mehrfach geschnitten von stärker frequentierten Wegen, prägen im Westen mehrgeschossige Bauten die Szenerie - darunter einige traditionsreiche Hotels und Appartementhäuser. Wo zuvor kleine Handwerksbetriebe die feine Kundschaft aus der Kaiserstraße bedienten, entstanden in den 1970er Jahren einige der ersten modernen Ferienwohnungen auf der Insel. Nach Osten hin weicht die Geschäftigkeit einer durchmischten Wohnbebauung - und wer genau hinschaut, erkennt noch einige der alten Fischerhäuser, wie sie früher auf Norderney typisch waren. Auch Wilfried Lührs, der langjährige Chefredakteur der Norderneyer Badezeitung, wohnt in einem dieser - aufgrund ihrer Größe im Volksmund „Tee-Büchsen“ genannten - Häuschen. Wenige Schritte weiter lebt ein Schauspieler im Ruhestand. Wir fragen hier und fragen dort und landen am Ende bei Heidi Ipsen. Bei einer Tasse Tee sitzen wir mit der Grafikerin im Atelier in der Schmiede und lauschen ihren Geschichten aus der Straße.
„Die Schmiede hier lag für uns Kinder auf dem Weg zur Schule und war daher ständig präsent“, erinnert sich Heidi Ipsen. Ein schwarz verrußter Raum, grobes Werkzeug
Anblick in den Norderneyer Straßen. „Das Hufgetrappel und die vielen Pferdeäpfel auf den Straßen war bis in die 1960er Jahre gang und gäbe im Ort.“
Hufgetrappel und Pferdeäpfel
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Heidi Ipsen kennt natürlich nicht nur die an den damals noch unverputzten Wänden, Pferdegeschichten aus der Langen Stradazwischen die von der Arbeit mit Ruß beße. Sie erzählt zum Beispiel auch von der schmierten Menschen - „und es roch dort so fremd und schön, weil immer das Schmiede- kleinen Kneipe „St. Pauli“, wo sich nach Feierabend die Arbeiter trafen, oder vom feuer brannte.“ Die Pferde wurden draußen Lokal „Ostende“ an der Ecke zur Osterstraße. auf dem kleinen Vorplatz beschlagen - und „Da ging wirklich die Post ab.“ Wir erfahder Schmied hatte gut zu tun in der Langen Straße. Denn viel länger als man heute denkt, ren von Hühnerställen in Hinterhöfen, von Schneidern, die auch Mittagstisch anboten, wurde auf Norderney ein großer Teil aller und hören Anekdoten über einen Hotelier Transporte mit Pferdefuhrwerken erledigt. und seinen Sohn, die beide über 100 Jahre Auch Heidi Ipsens Urgroßeltern waren 1879 aus Neßmersiel auf die Insel gekommen, um alt wurden. Die meisten der Namen sagen uns heute nichts mehr und sind beinahe in der nach hinten gelegenen Scheune im vergessen. Auch die Lange Straße zeugt Haus Nummer 15 ein florierendes Fuhrgevom stetigen Wandel, den Norderney seit schäft zu eröffnen - „während der Gründerzeit eines der größten auf der Insel mit bis zu Jahrhunderten erfährt - vom Fischerort zum Seebad der Gegenwart. Vielleicht werden 14 Pferden und 7 Gespannen.“ Die mit zwei viele der heutigen Einwohner und Gäste Pferdestärken gezogenen Pritschenwagen zukünftig Zeitzeugen sein einer spannenden blieben auch nach dem Zweiten Weltkrieg Phase der Inselgeschichte. noch lange Zeit ein selbstverständlicher
quartier. ahoi! norderney
Geschichten aus der Straße