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Wenn Gott anders heilt
Wer Rösli Hirsbrunner begegnet, ist berührt von der sanften Stimme in wohltuend, rundem Berndeutsch und ihrer ganz speziellen Ausstrahlung. Es ist sofort klar, da steht ein Mensch mit Tiefgang vor mir. Sie ist heute 71 Jahre alt und eine treue Mitarbeiterin der Gemeinde Jesu. 16 Jahre EGW Bern, 30 Jahre Vineyard Bern und heute ein wichtiger Pfeiler in der Gemeindegründung von FokusKöniz.
Sieben Operationen
Wer 1952 auf einem Bauernhof im Emmental geboren wird, wächst zwar in einer heilen Natur auf, aber auch in einer anderen Welt. «Ich war eine Express-Geburt, es hat nicht mehr gereicht ins Spital», lacht sie. Rösli ist das zweitälteste Kind von vieren. Als Kleinkind fällt ihr das Laufen schwer. Immer wieder fällt sie um, und es dauert drei Jahre, bis sie zu einem Arzt kommt. Vermutlich verursachte die schwere Hausgeburt eine Hüftschädigung. Bis zum Schulaustritt sind 7 Operationen nötig. «Immer wieder Operationen und tägliche Schmerzen gehörten zu meinem Leben – bis heute, aber aufgeben ist für mich keine Option.»
Die Aussenseiterin
Zuerst wollen die Eltern Rösli gar nicht in die Schule schicken. «Ich hatte das Gefühl, dass sich meine Eltern für mich schämen. Ich aber habe beim Arzt um einen Platz in der Schule gekämpft.» So kann sie im Schulhaus Reutenen in die 1. Klasse mit gerade mal drei Schülern. Sie wird geplagt, ausgelacht und für dumm erklärt. Durch ihre Einschränkung kann sie nicht mitspielen, turnen und nie eine Schulreise geniessen. Oft kann sie sich nur mit Hilfsgeräten bewegen. «Ich war sowohl in der Familie als auch in der Schule die Aussenseiterin, und das hat meinem Selbstwert sehr geschadet.»
Der Same der Sonntagsschule
Obwohl im Elternhaus immer wieder über die «Stündeler» geschimpft wird, dürfen die Kinder in die Sonntagsschule. Dort fühlt sich Rösli sehr wohl. Sie taucht gerne in die biblischen Geschichten ein und sie hinterlassen einen tiefen Eindruck. «Dort in der Sonntagsschule ist ein enorm kostbarer Same in mein Leben gelegt worden.» Manchmal darf Rösli bei der Sonntagsschullehrerin zum Mittagessen bleiben, besonders im Winter, wenn der Weg nach Hause zu mühsam ist. Sie lernt ein komplett anderes Familiensystem kennen und insgeheim wünscht sie sich: «Wenn ich doch so eine Familie hätte.»
Der mühsame Weg in den Beruf
Rösli hat den Wunsch, Lehrerin zu werden, was ihr leider verwehrt wird. Es folgt ein halbes Jahr Welschland und im Anschluss beginnt sie eine KV-Lehre in einer sozial tätigen Firma. 25 Jahre ist sie später bei Pro Infirmis als Sekretärin angestellt. Aber die Schmerzen dehnen sich zunehmend auf den Rücken und andere Gelenke aus. Mit 41 nach der 1. Rückenoperation ist Rösli nur noch zu 50 Prozent arbeitsfähig. Nach langem Kampf bekommt sie erst eine halbe, 10 Jahre später dann endlich eine volle Invalidenrente.
Berner Münster und Lobpreis
Während ihrer Ausbildung wohnt sie in einem christlich geführten Wohnheim. Eine Zeitlang geht Rösli mit einer Freundin regelmässig ins Berner Münster zum Gottesdienst. Dort hört sie gerne den Predigten von Walter Lüthi zu, diesem weit herum bekannten Pfarrer. Immer wieder besucht sie Sing- und Bibelwochen des BLB. Durch diese Verbindung wird sie ein Teil des EGW Bern und singt dort im Chor mit. An einer Evangelisation geht sie nach vorne und macht ihre Beziehung zu Jesus fest. «Ich war schon vorher ein Kind Gottes, aber jetzt habe ich es öffentlich festgemacht.»
Damals kommen die ersten Lobpreislieder in die Gemeinden und verursachen auch Spannungen. «Lobpreis hat mit mir etwas gemacht. Ich versuchte das in der EGW umzusetzen, aber es gab leider auch viel Kritik.» Es war Zeit, in die Basileia, heute Vineyard, Bern, zu wechseln. Dort hat Rösli in vielen Bereichen gedient und ist im Glauben gewachsen. Hauskreisarbeit, Gebetsdienst, Prophetieteam und am Schluss noch 12 Jahre Deutschunterricht für Menschen aus allen Ländern. Ihr Wunsch, Lehrerin zu sein, erfüllt sich. Seitdem begleitet sie immer wieder auch Kinder fremdsprachiger Eltern beim Lernen.
Wenn Gott anders heilt
Und wie geht Rösli mit der ganzen Heilungsbewegung um? Da hat sie ihren Weg machen müssen. Rösli erlebt endlose Gebete um Heilung, aber die Schmerzen bleiben. «Für mich waren die Konferenzen am schlimmsten. Ich bin irgendwann gar nicht mehr hingegangen. Da wurde alles ziemlich aufgebauscht, Druck gemacht und bei mir passierte nichts.» Rösli ist oft am Boden zerstört, stellt sich und ihren Glauben in Frage. Leider bekommt sie auf ihre Fragen keine Antworten. «Mir fehlte die Hilfestellung für Menschen, bei denen keine körperliche Heilung passiert, und das waren viele.» Irgendwann benötigt sie psychologische Beratung, um aus dieser zusätzlichen Not herauszukommen. «Der Psychologe sagte mir, dass es nicht erstaunlich ist, dass sie viele Patienten aus diesen Kreisen haben. Er konnte mir helfen, die richtige Sicht zu bekommen.»
Rösli wird in ihrer Seele heil. 2018 ist es für Rösli Zeit, die Gemeinde zu wechseln. Der Weg in die Stadt wird immer mühsamer. Sie hört von der Gemeindegründung FokusKöniz, aber etwas hält sie zurück: «Ich hatte so ein verstaubtes und konservatives Bild von einer FEG im Kopf und war dann so positiv überrascht.»
Am Schluss meint sie zu mir: «Je länger ich meine Geschichte betrachte, umso mehr sehe ich, was Gott Gutes daraus gemacht hat!» Wenn das nicht ein Wunder ist!
Harry Pepelnar FEG Kommunikation, Gemeindegründer pepelnar@ gmail.com
