Fazit 137

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Der zweite Platz ist der erste Verlierer. Und unser Land ist zu wertvoll, um von Verlierern regiert zu werden.

Fotos: ÖVP/Dominik Butzmann, Voestalpine

Christian Kern, SPÖ-Vorsitzender

Rote Farbenlehre Wenige Tage nach der Nationalratswahl sind die Farbenspiele, wie die künftige Regierung aussehen wird, in vollem Gange. Wenn es nach den Gesetzen der mathematischen Mengenlehre ginge, wäre längst alles klar. Da müsste es schon bald nach diesem deutlichen Wahlsieg von Sebastian Kurz und seiner »neuen ÖVP« ein schwarzblaues Bündnis geben. Denn die Wahlprogramme von ÖVP und FPÖ weisen eindeutig die größere Schnittmenge auf als jene von SPÖ und FPÖ oder ÖVP und SPÖ. Dennoch sind auch noch andere Optionen am Leben. SPÖ-Chef Christian Kern will seine Aussage, nach der das Wahlrecht geändert werden müsse, damit die stimmenstärkste Partei nicht nur den Auftrag zur Regierungsbildung erhält, sondern auch den Bundeskanzler stellen kann, nichts mehr wissen. Bei der Präsentation des »Plan A« ließ uns Christian Kern nämlich noch wissen: »Der zweite Platz ist der erste Verlierer. Und unser Land ist zu wertvoll, um von Verlierern regiert zu werden.« Die SPÖ will Regierungspartei bleiben und sowohl mit der ÖVP als auch mit der FPÖ über ein Bündnis reden. Das ist nachvollziehbar und das demokratische Recht der SPÖ. Denn jeder staatstragenden Partei fällt der Gang in die Opposition schwer. Und nicht nur die SPÖ-Gewerkschafter, sondern auch die meisten roten Landesorganisationen schrecken davor zurück, die Pfründe, die mit der Regierungstätigkeit verbunden sind, aufzugeben. Ernsthafter Widerstand gegen die rotblaue Option kommt daher nur aus Wien, die Einwände der Parteijugend interessieren wenig. Aber die Warnung von Michael Häupl vor einer Parteispaltung hat natürlich Gewicht. Man kann sie durchaus auch als Drohung verstehen. In Wien hat die SPÖ nämlich ihren zweiten Platz gerettet. Und zwar mit der Wählermotivation, dass nur eine starke SPÖ eine Regierungsbeteiligung von HC Strache verhindern könne. Falls es nun zu einer rotblauen Regierung käme, müssten sich die auf diese Weise getäuschten Wiener 10 /// FAZIT NOVEMBER 2017

Wahlsieger Sebastian Kurz ist in Bezug auf die Regierungsbildung wohl so lange zum Zuschauen verdammt, bis die Versuche einer rotblauen Regierungsbildung endgültig scheitern. Wähler natürlich verraten fühlen.

Blaue Farbenlehre Aus Sicht der FPÖ hat ein rotblaues Regierungsbündnis natürlich seine Reize. Der Abstand zur SPÖ ist viel kleiner als jener zur ÖVP. Die Freiheitlichen befänden sich bei einem rotblauen Bündnis daher tatsächlich auf Augenhöhe mit ihrem Regierungspartner. Außerdem gibt es bei der SPÖ keinen Sebastian Kurz, der mit seiner Strahlkraft – die Freiheitlichen nennen es Unverfrorenheit – einen Teil der FPÖ-Agenda übernommen und völlig vereinnahmt hat. Bei etwaigen Erfolgen einer schwarzblauen Regierung würde der FPÖ das undankbare Schicksal des Juniorpartners erwarten. Kurz könnte strahlen und Strache wäre der Buhmann dieses – aus Sicht der linken Medien – »rechtspopulistischen Bündnisses«. Eine Koalition mit der SPÖ käme für die FPÖ hingegen einer »Reinwaschung«

gleich. Eine rechtspopulistische Partei, mit der sogar die SPÖ koaliert, würde nämlich niemals als so böse wahrgenommen wie eine FPÖ unter dem »Neofeschisten« Sebastian Kurz – so hat das linke Kampfblatt »Der Falter« den ÖVP-Chef tatsächlich bezeichnet – als Bundeskanzler. Natürlich hätte auch die FPÖ gewisse Schwierigkeiten, dieses Bündnis vor dem Hintergrund ihres wirtschaftsfreundlichen Wahlprogrammes zu rechtfertigen. Doch bei den freiheitlichen Wählern handelt es sich vor allem um Arbeiter, die wohl kein Problem damit haben würden, wenn ihre FPÖ Inhalte wie eine Körperschaftssteuersenkung oder den Verzicht auf eine Erbschaftssteuer aufgibt. Aus Sicht der FPÖ ist daher ein Bündnis mit der SPÖ einem Pakt mit der ÖVP klar vorzuziehen. Verhindern kann eine rotblaue Regierung daher nur der Wiener Bürgermeister Michael Häupl und eine drohende rote Parteispaltung. Ob Kern dazu bereit ist, dieses Risiko einzugehen, hängt wohl von seinen Machtinstinkten ab. Von seinen stärksten innerparteilichen Widersachern – dem burgenländischen Landeshauptmann Hans Niessl und von Verteidigungsminister Hans-Peter Doskozil – muss er sich zumindest in dieser Frage nicht fürchten. Grüne Watschen Die Grünen haben bei der Nationalratswahl mit dem Verpassen der Vierprozenthürde die Höchststrafe ausgefasst. Und zwar weil ihre Wahlstrategen in ihrer Tugendhaftigkeit bis zum Schluss der Kampagne nicht begriffen haben, von wo der Partei das größte Unheil droht. Weder Peter Pilz noch die NEOS und schon gar nicht die ÖVP haben sich als Hauptfeind der Grünen erwiesen, sondern es war die SPÖ, die sich den urbanen Bobos als Garant für die Verhinderung einer blauen Regierungsbeteiligung angepriesen hat und damit sowohl in Wien als auch in Graz großen Erfolg hatte. Statt ständig vor Schwarzblau zu warnen, hätte Ulrike Lunacek besser den rotblauen Teufel an die Wand gemalt. Dass die Grünen nun


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