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FALTER 17/22
HEUR EKA 1/22 : N AC H RI C HTEN
: W I SS E N S C H A F T S KO M M U N I K AT I O N
Dafür sorgen, dass Wissen in der Welt ist Der Wissenschaftler Florian Freistetter über die BMBWF-Initiative gegen Wissenschafts- und Demokratiefeindlichkeit INTERVIEW: WERNER STURMBERGER
In keinem anderen EU-Land mit Ausnahme von Kroatien ist das Interesse an Wissenschaft so niedrig wie in Österreich, ergab eine Eurobarometer-Umfrage des Vorjahres. Das BMBWF hat deshalb ein Maßnahmenpaket gegen Wissenschafts- und Demokratiefeindlichkeit angekündigt, das insbesondere in den Schulen ansetzt. Auch im Bereich Wissenschaftskommunikation will man neue Impulse setzen. Warum die Science Busters, die seit bald 15 Jahren Wissenschaft innovativ und humorvoll auf die Bühne bringen, dabei helfen sollen und können, verrät der Astronom Florian Freistetter. Herr Freistetter, woher kommt die große Skepsis gegenüber den Wissenschaften? Florian Freistetter: Meiner Erfahrung nach hat das Problem oft nicht mit Unwissen zu tun. Das ist eher ein Symptom, aber keine Ursache. Dahinter steht eine Form von Unbehagen, ein Sich-nicht-Wohlfühlen
in der Gesellschaft, das sich manifestiert. Das ist vielleicht selbst gar nicht spezifisch, äußert sich aber in ganz spezifischen Situationen – etwa wenn mir die Regierung sagt, dass ich zuhause bleiben oder impfen gehen soll. Dann sucht man gezielt nach Informationen, die die eigene Haltung unterstützen. Im Internet wird man schnell fündig, während man die eigene Meinung in etablierten Medien nicht wiederfindet. So ist man eher bereit zu glauben, dass Wissenschaft und Journalismus gekauft sind. Man darf auch nicht vergessen, dass Verschwörungstheorien einfache Erklärungen in einer komplexen Welt liefern. Letztlich sind sie auch eine Form von Selbsterhöhung: Ich habe etwas erkannt, was alle anderen nicht verstanden haben. Das fühlt sich gut an und wird darum auch nicht einfach aufgegeben. Was kann man dagegen tun? Freistetter: Ich glaube nicht, dass man irrationalen Überzeugungen mit ratio-
nalen Argumenten begegnen kann. Es lohnt sich trotzdem, Falschinformationen richtigzustellen, damit jene, die nach Informationen suchen, sie auch finden. Man muss bewusst dafür sorgen, dass Wissen in der Welt ist. Ist es das nicht, dann kann man nicht darauf stoßen. Das heißt, Zugänge zu diesem Wissen zu schaffen – von Hochschulvorlesungen bis zu Instagram oder Podcasts. Damit steigt die Möglich-
Florian Freistetter, Astronom und Science Buster
keit, dass auch jene, die stur an irrationalen Überzeugungen festhalten, ins Grübeln kommen. Das muss von jedem selbst kommen. Man kann aber versuchen, das Interesse an „echtem Wissen“ zu wecken. Kommt damit der Wissenschaftskommunikation eine größere Rolle als bisher zu? Freistetter: Forscher*innen, die viel Wissenschaftskommunikation betreiben, werden oft danach gefragt, ob sie noch zum Forschen kommen. Man könnte aber auch fragen, wann kommst du zum Kommunizieren, wenn du nur im Labor stehst? Ich glaube, dass die meisten Forschenden gern von ihrer Arbeit erzählen – und viele auch sehr gut darin wären. Weil es in ihrem Job bislang nicht vorgesehen war, haben aber nur wenige Erfahrungen damit gemacht. Mittlerweile setzt ein Umdenken ein. In vielen Studiengängen finden sich bereits einschlägige Lehrveranstaltungen, um künftige Wissenschaftler*innen besser auf diesen Bereich ihrer Arbeit vorzubereiten.
: E R N Ä H RU N G SW I SS E N S C H A F T
Elf Millionen sterben jährlich am Essen Falsche Ernährung bringt viele Menschen um. Daher raten Wissenschaftler*innen zu einem Speiseplan, der Planetary Health Diet
500 Gramm Obst und Gemüse, 250 Gramm Milchprodukte, 14 Gramm rotes Fleisch: Wer sich daran hält, bleibt nicht nur gesund, sondern schützt auch den Planeten. 2019 veröffentlichte die EAT-Lancet-Kommission die Planetary Health Diet, einen Speiseplan, der von 37 Wissenschaftler*innen unterschiedlicher Disziplinen entwickelt wurde. Das Ziel: Ein nachhaltiges Ernährungssystem für eine steigende Weltbevölkerung innerhalb planetarer Grenzen. Richtiges Essen kann 62 Prozent der CO2-Emissionen einsparen Die Ernährung macht laut Weltklimarat in Summe zwischen elf und 37 Prozent aller vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen aus. Gleichzeitig sterben elf Millionen Menschen pro Jahr an den Folgen einer schlechten Ernährung. „Hier gibt es also großes Einsparungspotenzial“, betont Martin Schlatzer, Ernährungsökologe am Forschungsinstitut für Biologischen Landbau in Wien. Wür-
den sich die Einwohner*innen wohlhabender Länder an die Empfehlungen der Planetary Health Diet halten, könnten laut aktueller Studie 62 Prozent der landwirtschaftlichen Emissionen eingespart werden. „Durch die weltweite Umstellung auf pflanzenbetonte Ernährung würde außerdem zusätzliches Land frei werden, das Treibhausgase aus der Atmosphäre speichern kann“, erklärt Schlatzer und fügt hinzu: „So könnte jene Menge gespeichert werden, die dem 81-Fachen der jährlichen Treibhausgasemissionen der gesamten landwirtschaftlichen Produktion für reichere Länder entspricht.“ Österreich isst um zwei Drittel zu viel Fleisch „Je weniger tierische Produkte, umso größer der Beitrag für das Klima“, sagt der Ernährungsexperte. Bei der Planetary Health Diet liegt die Empfehlung bei 5 Kilogramm Fleisch pro Jahr. Das entspricht einem Rindfleischburger pro Woche oder einem Steak pro
Monat. „Wir essen in Österreich jährlich ca. 61 Kilogramm Fleisch pro Person, das sind schon um zwei Drittel zu viel Fleisch, als gesundheitlich von der Österreichischen Gesellschaft für Ernährung empfohlen wird.“ Im Falle eines reduzierten Rindfleischkonsums wären die Auswirkungen auf das Klima am frühesten zu sehen, da dieser mit Methanemissionen verbunden ist. Schlatzer: „Die Lebenszeit von Methan, einem sehr klimawirksamen Treibhausgas, beträgt 12,4 Jahre. Im Vergleich dazu sind bei CO2 nach 1.000 Jahren noch rund 15 bis vierzig Prozent in der Atmosphäre übrig.“ Schneller sichtbar wären Co-Benefits wie die Reduzierung der RegenwaldMartin Schlatzer, Forschungsinstitut für Biologischen Landbau, Wien
abholzung für Futtermittel und Rindfleisch in Südamerika oder die Steigerung der Ernährungssicherheit und Gesundheit. Rein pflanzliche Ernährung verringert verfrühte Todesfälle Die Ernährung hat einen wesentlichen Einfluss auf die Erreichung des Pariser Abkommens. Allerdings stellt sich die Frage, ob es angesichts der derzeitigen Klimasituation noch radikalere Ernährungspläne als die Planetary Health Diet braucht. „Eine weltweit vegane Ernährung würde zirka die doppelte Menge an den gesamten Treibhausgasemissionen einsparen, die die Europäische Union pro Jahr emittiert“, erklärt Schlatzer. Ein Ergebnis von rein pflanzlicher Ernährung würde sich an der Zahl der vermiedenen verfrühten Todesfälle zeigen: „Die könnte sich auf rund 8,1 Millionen belaufen – das ist fast das Doppelte der Einwohner*innenzahl von Kroatien.“
FOTO: FRANZI SCHÄDEL/CC-BY-SA 4.0, MUTTER ERDE / THOMAS JANTZEN
LISA SCHÖTTEL