Bücher 04/2013

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Krimis & Thriller

Das letzte Werk des james m. cain

Raffiniertes Luder

Im Berliner Metrolit Verlag ist in deutscher Erstausgabe „Abserviert“ erschienen, der fast vier Jahrzehnte lang verschollene letzte Roman von Kult-Autor James M. Cain. von Katharina Granzin

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Foto: Hard Case Crime

s ist sehr selten, dass sich das Nachwort zu einem Krimi fast so spannend liest wie der Roman selbst. Aber das späte posthume Erscheinen des letzten Romans des Erfolgsschriftstellers James M. Cain, Autor von „Wenn der Postmann zweimal klingelt“ und „Doppelte Abfindung“, ist ja auch eine kleine literaturhistorische Sensation. Cain, Genrekollege und Zeitgenosse von Raymond Chandler und Dashiell Hammett, schrieb sein Alterswerk „Abserviert“ – eine raffiniert erzählte Geschichte über eine attraktive junge Frau, deren Männer fatalerweise immer sterben – um das Jahr 1975 herum. 1977 starb der Autor im Alter von 85 Jahren, ohne die Arbeit am Manuskript beendet zu haben. Der notorische Um- und Neuschreiber hinterließ einen beträchtlichen Berg an Papieren, darunter auch zahlreiche Versionen von „Abserviert“ (Originaltitel: „The Cocktail Waitress“). Doch da sich offenbar niemand um eine systematische Sichtung des Nachlasses bemühte, wurde der Roman erst geschlagene 35 Jahre nach dem Tod seines Autors veröffentlicht. Charles Ardai, Jäger des verschwundenen Manuskripts und Herausgeber der Pulp-Reihe „Hard Case Crime“, wo Cains Roman 2012 erschien, schildert in seinem Nachwort plastisch, wie, nachdem alle Recherche nichts gebracht hatte, erst ein glücklicher Zufall das verschollene Textkonvolut zutage förderte, und wie schwierig die Lektoratsarbeit an einem Manuskript war, dessen Autor vor Vollendung des Werks verschieden ist. Denn obzwar der Roman durchaus ein Ende hatte, hielt Cain offenbar keine der bis zu seinem Tod erarbeiteten Versionen schon für veröffentlichungswürdig. Natürlich ist dergleichen reine Spekulation, aber möglicherweise zögerte Cain auch deshalb mit der Publikation, weil er selbst spürte, dass der Roman, den er geschrieben hatte, im Kontext der gesellschaftspolitisch sensiblen Siebzigerjahre reichlich anachronistisch war. Wüsste man nicht um die Entstehungsgeschichte, würde man ohne Weiteres annehmen, dass „Abserviert“ zur ungefähr selben Zeit entstand wie Cains berühmter Noir-Klassiker „Wenn der Postmann zweimal klingelt“ von 1934, so unbeschadet transportiert der Roman historisch überholte Geschlechterstereotypen. Auf der anderen Seite ist „Abserviert“ ein hervorragendes Beispiel dafür, was die Figur des Luders, oder dessen vornehmere Variante, die Femme fatale, wie sie auch Chandler einzusetzen liebte, für den Kriminalroman zu leisten vermag. Cains Einfall, die Kellnerin Joan den Lesern ihre Geschichte als Ich-Erzählerin selbst aufti-

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James M. Cain: Abserviert Übersetzt von Simone Salitter und Gunter Blank Metrolit, 351 Seiten, 22,99 Euro

schen zu lassen, macht zu einem raffiniert doppelbödigen Erzählspiel, was im anderen Fall eben nur eine etwas aus der Zeit gefallene Ludergeschichte geworden wäre (Cain hatte die ersten hundert Seiten schon in der dritten Person geschrieben, bevor er sein Konzept änderte). Joan tut selbstverständlich alles, um sich den Lesern als zu Unrecht verdächtigte Unschuld zu präsentieren. Zwar ist es insgesamt recht auffällig, dass alle Männer, mit denen Joan in intimem Kontakt gewesen ist, über kurz oder lang das Zeitliche segnen. Doch da man als Leser stets geneigt ist, sich mit Ich-Erzählern zu identifizieren, und die Geschichte der Kellnerin sehr konsistent ist, ist es eine vollkommen natürliche Reaktion, Joan Glauben zu schenken. Auch nach dem überraschenden Ende aber bleibt ein Restzweifel: Hat sie nicht doch …? Wir selbst müssen entscheiden, ob wir der Dame vertrauen oder nicht. So hat James M. Cain als letztes literarisches Vermächtnis ein Rätsel hinterlassen. Ziemlich cooler Abgang.

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