Programmbuch Ernst von Siemens Musikpreis 2024

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Ernst von Siemens Musikpreis 2024

Verleihung des Ernst von Siemens Musikpreises 2024 an

Unsuk Chin

Verleihung der Förderpreise Komposition an

Daniele Ghisi, Bára Gísladóttir und Yiqing Zhu

Verleihung der Förderpreise Ensemble an

Broken Frames Syndicate und Frames Percussion

Herkulessaal der Münchner Residenz

Samstag | 18. Mai 2024 | 19 Uhr

Ernst von Siemens Musikstiftung

Bayerische Akademie der Schönen Künste

Die Preisverleihung wird vom Bayerischen Rundfunk aufgezeichnet und am 18. und 20. Juni 2024 jeweils um 22.05 Uhr auf BR-KLASSIK gesendet.

Programm

Begrüßung

Tabea Zimmermann

Vorsitzende des Stiftungsrates der Ernst von Siemens Musikstiftung

Förderpreise 2024

Daniele Ghisi

Porträtfilm

3 Stücke aus Weltliche (2020) für Klavier und Elektronik

Joseph Houston, Klavier

Bára Gísladóttir

Porträtfilm

RÓL (2023) für Tuba und Elektronik

Jack Adler-McKean, Tuba

Yiqing Zhu

Porträtfilm

The Aether and Nether (2023) für Pipa, Flöte und Elektronik

Liyi Lu, Pipa; Rafał Zolkos, Flöte

Verleihung der Förderpeise Komposition

Thomas Angyan

Vorsitzender des Kuratoriums der Ernst von Siemens Musikstiftung

Gespräch

Thomas Angyan im Gespräch mit Annekatrin Hentschel

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Filmclips

Broken Frames Syndicate und Frames Percussion

Verleihung der Förderpreise Ensemble

Thomas Angyan

Ernst von Siemens Musikpreis 2024

Unsuk Chin

Gran Cadenza (2018) für zwei Violinen

Hae-Sun Kang und Diégo Tosi, Violine

Laudatio auf Unsuk Chin

Louwrens Langevoort

Intendant der Kölner Philharmonie

Verleihung des Ernst von Siemens Musikpreises 2024 an Unsuk Chin

Tabea Zimmermann

Unsuk Chin

Doppelkonzert (2002)

Ensemble intercontemporain

Dimitri Vassilakis, Klavier

Samuel Favre, Schlagzeug

Pierre Bleuse, Leitung

Annekatrin Hentschel, Moderation

Zoro Babel, Klangregie

Porträtfilme und Filmclips von Johannes List

Im Anschluss lädt Sie die Ernst von Siemens Musikstiftung zu einem Empfang im Foyer des Herkulessaals ein.

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Förderpreise Komposition

3 Stücke aus Weltliche (2020)

Blumen nach J.S. Bach Weichet nur, betrübte Schatten (BWV 202)

Schlafe nach J.S. Bach Wieget euch, ihr satten Schafe (BWV 249a)

August nach J.S. Bach Jede Woge meiner Wellen (BWV 206)

für Klavier und Elektronik

Jede Transkription ist eine Verschränkung: Es geht nicht nur um die Etymologie des Wortes, sondern um das tiefe Gefühl, sich synchron mit der Musik von gestern und heute zu verbinden. Aus dem richtigen Blickwinkel steht jeder Komponist hinter der nächsten Ecke.

Die Stücke aus Weltliche sind Verschränkungen von Abschnitten aus fünf verschiedenen weltlichen Bach-Kantaten. Von den Originalen behalten sie einige konkrete Elemente bei (die harmonische Struktur, die melodischen Zellen...), aber sie entfernen sich von ihnen durch Überblendungen, Abbrüche, Explosionen, Kanons – aber vor allem durch die elektronischen Klänge.

Die Elektronik ist der den Blick erweiternde Hebel: Sie verbindet die Abstraktheit einer Sinuswelle mit der Konkretheit von Geplauder in einer Bar; sie entweiht die Heiligkeit von Bach mit der Leichtigkeit eines unbekümmerten Liedes. Die Elektronik wird größtenteils durch Schallwandler gestreut, die das Holz des laviers als Lautsprecher benutzen: Das Klavier selbst, wird so zur Emanation eines anderen Ortes, einer Welt außerhalb der Zeit, wo jede Begegnung möglich ist, wo jede Begegnung „weltlich“ ist.

Weltliche ist weder eine Hommage noch eine Bearbeitung: Es ist ein Körper, der versucht, Bach zu durchschreiten, und dabei leicht und transformiert herauskommt.

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Daniele
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Poetische Räume

Eins, eins, zwei, drei, fünf, acht, dreizehn. Nicht erst seit die Fibonacci-Reihe im 20. Jahrhundert zum beliebten Topos zeitgenössischer Kompositionspraxis wurde, liegt die enge Verflechtung von Musik und Mathematik auf der Hand. Mehr noch: Das Phänomen, das wir heute Musik nennen, hat einen seiner Ursprünge in der pythagoräischen Zahlenlehre. Aristoteles nannte die Musik die „Wissenschaft des Hörbaren“ und spätestens seit Boethius zählte sie – neben Arithmetik, Geometrie und Astronomie – zu dem am numerischen Denken orientierten Quadrivium der sieben freien Künste.

Dass also Komponistinnen und Komponisten eine Affinität zur Mathematik haben mögen, ist nichts Außergewöhnliches; dass sie hingegen Mathematiker sind, schon eher. Daniele Ghisi, 1984 bei Bergamo geboren, ist ein solcher. Parallel zu seiner Kompositionsausbildung absolvierte er an der Mailänder Universität ein Masterstudium der Mathematik. In seinen Abschlussarbeiten beschäftigte er sich mit sogenannten „Shearlets“, Darstellungssystemen zur Signal- und Bildverarbeitung und erarbeitete eine Studie über Eigenschaften von Intervallvektoren in der Musical Set Theory – einer Art musikalischer Mengenlehre.

„Die Mathematik“, sagt Daniele Ghisi, „hilft mir beim Komponieren nicht in einer konkret anwendungsbezogenen Form, sondern als eine Art des Denkens.“ Dementsprechend bedeutet Komponieren für ihn immer eine Erforschung von Musik, Klang und Technologie. Dass er von 2008 bis 2011 seine Studien am IRCAM – dem Pariser Institut für Klangrecherche – fortsetzte, ist dabei nur folgerichtig. „Die Verbindung von musikalischer Produktion und Forschung“, so Ghisi, „hat mich sehr interessiert: Forschung über Technologie, immer verbunden mit Forschung

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über musikalisches Denken. Am IRCAM begann für mich ein Weg, der dazu führte, viel mehr mit Elektronik zu arbeiten und eine Musik zu entwerfen, in der Instrumente und Elektronik zusammenspielen“.

Fast alle seiner jüngeren Kompositionen hat Ghisi für akustische Klanggeber plus Elektronik entworfen. Nicht selten findet dabei die explizite Hör- und Sichtbarmachung des technischen Settings der Komposition statt. Ghisi betont die Potenziale gegenwärtiger Technologien, verwendet sie als integralen Bestandteil aktueller ästhetischer Praxis und befreit sie damit vom Image der „Beigabe“. „Elektronische Musik“, sagt Ghisi, „hat immer auch mit Präsenz und Performance zu tun“.

Ein weiteres methodisches Moment, das Daniele Ghisis Arbeit grundiert, ist das der Analyse musikalischer Materialien, nicht zuletzt mit Blick auf deren „Tauglichkeit“ in möglichen Rekontextualisierungen. Statt sich der Illusion zu verschreiben, eine neuartige Musik ex nihilo zu schaffen, erforscht er das bereits Vorhandene, spielt mit traditionellen Bedeutungen in neuen Umgebungen, vermischt im besten Sinne respektlos Klänge und Formen, dekonstruiert ihre ursprünglichen Botschaften und setzt sie neu zusammen. Dementsprechend tauchen in seinen Kompositionen immer wieder Allusionen und Zitate aus der Musikgeschichte auf: von Guillaume de Machaut und Johannes Ockeghem über Bach, Chopin und Wagner bis hin zu Gérard Grisey oder Tom Johnson. Insbesondere die Musik von Johann Sebastian Bach hat es Ghisi angetan, wobei sie bei ihm keineswegs als Objekt der ergebenen Hommage erscheint. Im Gegenteil: Ghisi setzt Bach an einen anderen, gegenwärtigen Ort und begegnet dessen Ideen aus der Warte des technologisch versierten „Millennials“.

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Neben den Anleihen aus der musikalischen Historie spielen auch Rekurse auf die Literatur in der Arbeit von Daniele Ghisi eine Rolle. Nicht wenige seiner Stücke sind textbasiert oder nehmen zumindest ein literarisches „Objekt“ zum Ausgangspunkt. Auch hier spannt die Wahl der Texte einen weiten Bogen, der von Gustavo Adolfo Bécquer oder Fernando Pessoa bis zu zeitgenössischen Autor*innen wie Bernard-Marie Koltès und Maylis de Kerangal reicht. Ähnlich, wie die elektronischen Klänge und Effekte in Ghisis Musik integral sind, ist auch der Text – oder konkreter: die Sprache – nicht von der musikalischen Gestalt zu trennen. Mit der sprachlichen Sinnstiftung wird ein Narrativ hergestellt, dem die Musik ebenso folgt wie sie es kommentiert. In diesem Sinn „vertont“ Ghisi nicht, sondern erzeugt eine „immersive“ Umgebung, in der sich die semantischen Ebenen überlagern und in eins gesetzt werden: „Sobald Klänge zu Sprache werden, verlieren die Wörter ihren Sinn und werden zu Meta-Wörtern, die wie ein schwacher Schatten eine Spur ihrer früheren Bedeutung tragen“ (Ghisi).

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Die Kompositionen von Daniele Ghisi interdisziplinär oder intermedial zu nennen, beschreibt nur eine Äußerlichkeit; letztlich geht es ihm um deutlich mehr als die schiere Kombination. Ghisi prüft mit jedem Stück von neuem die Wechselbeziehung von Form und Wahrnehmung und entwirft poetische Räume, in denen die Vorstellung, dass jede Kunstform ihrer definierten Kategorie bedarf, zu überwinden versucht wird.

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Daniele Ghisi wurde 1984 in Italien geboren und studierte Komposition bei Stefano Gervasoni und Mathematik an der Universität Mailand-Bicocca. Zwischen 2008 und 2011 besuchte er den „Cursus de composition et d’informatique musicale“ des IRCAM in Paris. Für ein Jahr ging er als Composer in Residence nach Berlin an die Akademie der Künste (2009 –2010). Von 2011–2012 war er Mitglied der Académie de France à Madrid – Casa de Velázquez und kehrte 2012 ans IRCAM zurück.

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Anschließend ging Daniele Ghisi von 2013 bis 2014 als Forschungsassistent an die Haute Ècole de Musique de Genève und wurde dort 2019 künstlerisch-wissenschaftlicher Berater. Seine Zusammenarbeit mit dem Divertimento Ensemble mündete 2015 in seine erste CD (Geografie). Im Jahr 2017 promovierte Ghisi in Komposition und Musikforschung an der Sorbonne und erhielt Lehraufträge für elektroakustische Komposition an den Konservatorien von Genua und Piacenza. 2020 ging er für ein Jahr als wissenschaftlicher Mitarbeiter ans Berkeley Center for New Music and Audio Technologies der University of California. Derzeit unterrichtet er elektroakustische Komposition am Konservatorium von Turin.

Daniele Ghisi arbeitete mit diversen Ensembles und Orchestern zusammen, so u. a. mit dem Ensemble intercontemporain, Ensemble Musikfabrik, Ensemble Modern, Divertimento Ensemble, Orchestra del Teatro La Fenice, Orchestre des Pays de Savoie, FontanaMix Ensemble, Quartetto di Cremona, Orchestra Regionale della Toscana und Ulysses ensemble. Seine Werke wurden u. a. bei Festivals wie ManiFeste, Milano Musica, RSMAD Glasgow Piano Festival, GRAME, MiTo Settembre und Festival Archipel aufgeführt. Neben seiner Arbeit als Komponist ist Daniele Ghisi auch Wissenschaftler. Er beschäftigte sich in seiner Dissertation mit Techniken für computergestützte Komposition und ist an der Entwicklung entsprechender Software beteiligt. So entstanden die Online-Bibliotheken „bach“, „cage“ und „dada“.

Er ist Mitbegründer des Kollektivs /nu/thing. Seine Musik wird von Ricordi verlegt.

danieleghisi.com

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Bára Gísladóttir

RÓL (2023) für Tuba und Elektronik

RÓL (og gól (roll and goal)) wurde 2023 für Jack Adler-McKean geschrieben und im selben Jahr bei den Darmstädter Ferienkursen uraufgeführt. Ein Werk für Solo-Tuba und Live-Elektronik, das auf der Idee von Rauch und Metal, Rock und Roll basiert.

Bára Gísladóttir

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“Home bass.”

Nahaufnahme: Das erste Mal, als Bára Gísladóttir einen Kontrabass in die Hand nahm, war sie bei einem Schüleraustausch in Neuseeland. Sie hatte als Kind Geige gespielt, es einige Jahre zuvor aber wieder aufgegeben, da ihre Leidenschaft für Fußball größer war als die für die Musik. Das Schulorchester brauchte aber jemanden, der Kontrabass spielt, und so wurde Gísladóttir mit ihrer Erfahrung als Streicherin ermutigt, es zu versuchen. Da war es hilfreich, dass die Teenagerin ihr Lampenfieber hinter dem voluminösen Instrument verbergen konnte. Aber was noch wichtiger war: Gísladóttir fühlte sofort eine Verbundenheit mit den langen, dicken Saiten und dem großen Resonanzraum des Instruments. Sie entdeckte, wie kleinste Veränderungen des Fingerdrucks oder der Bogengeschwindigkeit neue, verlockende Klangwelten hervorrufen konnten: an jedem Punkt Millionen neuer Universen. Als sie lernte, diese Welten zu kontrollieren –die feinen Justierungen ihrer Hände, die es ihr ermöglichten, diese Welten nach Belieben zu betreten und zwischen ihnen hin und her zu wechseln – fühlte sich ihr Bass nicht mehr wie ein eigenständiges Objekt an, sondern wie eine Erweiterung ihres eigenen Körpers. Seither hat er sie kaum jemals mehr verlassen.

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Als sie einige Jahre später mit dem Komponieren begann – sie studierte an der Iceland Academy of the Arts in Reykjavík, am Conservatorio di Musica „Giuseppe Verdi“ in Mailand und an der Royal Danish Academy of Music in Kopenhagen – behandelte sie Momente gesteigerter Emotionen in ihrer Musik, wie die Saiten ihres Basses: wie winzige Klingen, die in den Lebensfaden hineinschneiden und ihn zum Klingen bringen.

So verwandelte sie in Suzuki Baleno (2016) einen beunruhigten Kinderblick ins Erwachsen-Sein in ein ausgedünntes Wiegenlied. In Music to accompany your sweet splatter dreams (2019) wurde der Nervenkitzel einer rasanten Bergabfahrt auf der Ladefläche eines Pick-Ups zu einem Kaleidoskop aus Schreien und atemloser Stille. Im selbsterklärenden Rage against reply guy (2021) zerschellen die Wogen der Abscheu, mit denen jede Frau online zu kämpfen hat, an einem von Doom-Metal inspiriertem Drone. Durch subtiles Komprimieren und wieder Loslassen errichtet Gísladóttir Wände aus Geräuschen und rohen Klängen –ineinander verschachtelte Erinnerungs- und Wirkungswelten –jede mit dem Potenzial, unsere unmittelbare Wahrnehmung zu überwältigen. „Der Bass ist für mich zu einem Zuhause geworden“, erklärt sie heute. „Und von der Haustür aus kann man alles sehen.“

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Porträt. In Kopenhagen, wo sie seit 2015 lebt, pinnt Gísladóttir Bögen von Manuskriptpapier an die Wände ihres Arbeitszimmers. In der Mitte sitzend, will sie ihre Musik nicht aus der Vogelperspektive betrachten, sondern sich mit ihr umgeben, um ganz in ihr aufzugehen. So wie ihre Arme ihren Bass umschlingen, möchte sie, dass sich ihre Musik um sie wickelt; eine Spirale in der Spirale.

Gísladóttirs Musik zu hören, bedeutet, sich in einen sich windenden Organismus zu versetzen und von innen zu beobachten, wie er sich ausbreitet, verzehrt, tanzt und reproduziert. „Die Idee, Klang als etwas Lebendiges zu behandeln, ist mir sehr wichtig“, sagt Gísladóttir in ihrem Arbeitszimmer. „Das Verständnis von Klang als etwas Sterilem, finde ich sehr deprimierend; es ist so wichtig, sich darauf zu besinnen, dass in allem Leben steckt, nicht nur in uns Menschen. In Animals of your pasture (2021) stellt sie sich eine Herde von Tieren vor, die sie aus verschiedenen Kameraperspektiven und in unterschiedlichen Geschwindigkeiten betrachtet. Dennoch ist die Musik viszeral und nicht pastoral: Die Herde rennt, schläft und singt, und ihre Lebendigkeit spiegelt sich im metallischen Knistern von Fingerhüten auf Cembalosaiten, im Heulen und Dröhnen von Holzbläsern und im Chaos von E-Gitarren-Improvisationen wider. Auf ähnliche Weise stellt sich

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Gísladóttir in SILVA (2022), einem einstündigen Solo für Bass und Elektronik, das geheime unterirdische Leben der Bäume vor: eine Welt der Techno-Raves und Heavy-Metal-Partys tief im Untergrund. Doch so humorvoll dieses Bild auch sein mag, führen die Schichtungen der elektronischen Prozesse (und die Macht tiefer Frequenzen zu verflüssigen und zu verschlingen) es doch über den Organismus, über das Sein hinaus. Ihr Bass wird, durch seine Resonanzen und seinen Widerhall reflektiert und verzerrt, weniger zum Objekt als zum Hyperobjekt: etwas, das so massiv und diffus ist, dass es nicht mehr direkt wahrgenommen werden kann; wie der Klimawandel oder das Patriarchat.

Weitwinkel. In ihrem Kokon dehnt sich Gísladóttir aus. Im Februar 2020 saß sie in der Mitte der großen und klangvollen Grundtvig-Kirche in Kopenhagen. Der Anlass war ihr Studienabschluss und die Uraufführung ihres Werkes VÍDDIR (2019), zu der sich viele Menschen versammelt hatten. Neben ihr standen die drei Schlagzeuger von NEKO3 und ihr Duopartner, der renommierte Jazzbassist Skúli Sverisson. Um sie herum saß das Publikum in stiller Erwartung, wiederum umgeben von einem Kreis aus neun Flöten: ein silberner Ereignishorizont. Vom Schrei, mit dem das Stück beginnt, bis zum langen Bassflötensolo, mit

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dem es endet, durch tiefe Bass-Sümpfe und das kohleartige Glitzern und Glänzen metallischer Perkussion, durchläuft die Musik in VÍDDIR diesen Kreis vom äußeren Rand zur Mitte und zurück, wie Schallwellen über einen riesigen Gong. Über den Rand von Flöten hinaus entzieht sie sich der Kontrolle der Spieler und gibt sich den Wänden der Kirche hin, wo sie sich auflöst und als tieftönendes Grollen und statisches Knistern zurückgeworfen wird. Klangrelikte des Urknalls. Vom Rande des Universums blickt Gísladóttir zurück, um uns zu berühren. Wir sind weit entfernt von unserer Haustür.

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Bára Gísladóttir ist eine isländische Komponistin und Kontrabassistin. Sie studierte Komposition an der Iceland Academy of the Arts in Reykjavík, am Conservatorio di Musica „Giuseppe Verdi“ in Mailand und an der Royal Danish Academy of Music in Kopenhagen. Sie ist eine aktive Performerin und spielt regelmäßig ihre eigene Musik, solo oder mit ihrem langjährigen Duo-Partner Skúli Sverrisson. Darüber hinaus ist sie Kontrabassistin des Elja Ensemble. Gelegentlich tritt sie auch als Solistin mit Ensembles und Orchestern auf, zuletzt mit ihrem eigenen Kontrabasskonzert Hringla mit Copenhagen Phil und dem Iceland Symphony Orchestra. In den letzten Jahren hat sich Gísladóttir immer mehr auf interdisziplinäre Produktionen verlegt und arbeitet dabei vor allem mit Ben J. Riepe zusammen.

Ihre Musik wurde von Ensembles und Orchestern aufgeführt wie Athelas Sinfonietta, Collectif Love Music, Copenhagen Phil, Danish National Symphony Orchestra, Danish National Vocal Ensemble, Elektra Ensemble, Ensemble Adapter, Ensemble intercontemporain, Ensemble New Babylon, Ensemble Recherche, Esbjerg Ensemble, hr-Sinfonieorchester, Helsingborg Symphony Orchestra, Iceland Symphony Orchestra, loadbang, Marco Fusi, Mimitabu, NJYD, Nordic Affect, Polish National Radio Symphony Orchestra, Riot Ensemble, Siggi String Quartet, Solistenensemble Kaleidoskop und dem WDR Sinfonieorchester.

Gísladóttirs Stücke wurden für Festivals wie das CPH Jazz Festival, die Dark Music Days, die Darmstädter Ferienkurse, das Festival Musica, das Huddersfield Contemporary Music Festival, das International Rostrum of Composers, das KLANG Festival, MaerzMusik, die Nordic Music Days, das SPOR Festival, das TRANSIT Festival, den Warschauer Herbst und die Wittener Tage für neue Kammermusik ausgewählt.

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Sie wurde mit den Talentpreisen der Carl-Nielsen- und AnneMarie-Carl-Nielsen-Stiftung, dem Gladsaxe-Musikpreis, dem Léonie-Sonning-Talentpreis und den Musikpreisen der Reykjavík Grapevine ausgezeichnet. Im Jahr 2021 war sie eine von drei Künstler*innen, die von der Danish Arts Foundation ein Arbeitsstipendium für drei Jahre erhielten.

Gísladóttir hat mehrere Alben veröffentlicht, zuletzt die Orchesterwerke beim dänischen Label Dacapo Records mit dem Iceland Symphony Orchestra. Ihre Werke sind bei Edition-S erschienen. Sie lebt in Kopenhagen.

baragisladottir.com

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The Aether and Nether 千嶂九幽 (2023) für Pipa, Flöte und Elektronik

Der chinesische Titel 千嶂九幽 bedeutet „Tausend Gipfel, Myriaden von Abgeschiedenheit“, während der englische Titel The Aether and Nether eine Paarung von Welten suggeriert – die eine steht für höhere, mystische Ebenen, die andere für niedrigere, möglicherweise dunklere Dimensionen. Das Werk ist eine „spirituelle Mischung“ aus ostasiatischer Musik, ägyptischer Musik, Blues, Rock, Techno, Glitch und Popmusik. Der Komponist nutzt diese Kollisionen, um die subjektive Natur der künstlerischen Interpretation und die Schönheit kultureller Missverständnisse auszudrücken. Neben dem kulturellen Aspekt ist das Werk auch technisch von der Fehlerästhetik angezogen, indem es Technologien wie Echtzeit-Audioverarbeitung, Wavetable-Synthesizer und taktile Sensoren verwendet. Die Parameter des gesamten chaotischen Teils werden durch lineare Regressionsalgorithmen in Echtzeit berechnet.

Yiqing Zhu
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Yiqing Zhu

Beständige Unbeständigkeit von Mingyue Li

Das tägliche Bemühen, im Denken zwischen verschiedenen Wissensbereichen hin und her zu pendeln, kommt in Yiqing Zhus Musik genauso zum Ausdruck wie in seinen Notizen, die er in seinen Arbeitspausen anfertigt. Gedichte, Reisetagebücher und Essays stehen beispielhaft für die verschiedenen Kanäle seines sprachlichen Ausdrucks. In den Notizen werden Glossen zu oft typologisch formalisierten Begriffen aus Mathematik, Mikroökonomie und kognitiver Psychologie, die die Entfaltung seines musikalischen Werks in mehreren Serien spiegeln, mit spontanen Bemerkungen zu künstlerischen, philosophischen und sozialen

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Gegenwartsfragen verflochten. Der Grundgedanke hinter dieser Praxis? Die Überzeugung, dass eine heuristische Übertragung wissenschaftlicher Konzepte auf musikalisches Wissen hilfreich sein kann bei der Entwicklung neuer Wege, Musik zu imaginieren. Eine Art Neugier, wie weit sich zwei scheinbar nicht vergleichbare Dinge einander annähern können, ist zunehmend zu einer treibenden Kraft in Yiqing Zhus Komponieren geworden.

Während das Interesse an Tontechnologie und KI zunimmt, schwelgt Yiqing Zhu in einem überschäumenden Soundscape: Flüchtige Mikrogesten breiten sich in einem verdichteten Zeitrahmen aus, flitzen, prallen ab und zucken in den größtmöglichen räumlichen und dynamischen Spielräumen. Eine janusköpfige Intensität nimmt Gestalt an. Einerseits ist dies hier hyper-energetische Musik und so konkret, dass Klänge zu greifbaren Objekten werden. Diese Sensibilität strahlt puren Überschwang aus – Beweis für die Befriedigung und Stimulation, die Yiqing Zhu in der Computerkomposition gefunden hat, einem Bereich, von dem er sich jetzt wünscht, dass er ihn schon früher betreten hätte. Andererseits vereinnahmt diese Musik auch durch ihre handwerkliche Raffinesse, die interessanterweise in beinahe anachronistischem Gegensatz zur Welt der Codes steht und Yiqing Zhus Begeisterung in kristalline Filigrangebilde, wasserdichte Strukturen und fein proportionierte Formen hineinwebt. Die eingehende Beschäftigung mit algorithmus-basierter Klangsynthese und Live-Bearbeitung in Stuttgart hat sich als Wendepunkt erwiesen (Yiqing Zhu studierte bei Marco Stroppa). Der digitale Ansatz regte ihn dazu an, Klang, Zeit, Natur und die Endlichkeit menschlicher Wahrnehmung in einem neuen Licht zu sehen, und brachte ihn zu dem besonderen Modus Operandi, sich ständig zwischen zwei Milieus zu bewegen, nämlich dem eines vitalen qualitativen Materialismus und dem der digitalen quantitativen Simulacra, um es in Jean Baudrillards Worten zu formulieren. Ein solches Oszillieren führt schließlich dazu, dass eins der ursprünglichen Milieus ständig mit Mustern des anderen überflutet wird. Die

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Idee des Übersetzens und Transkodierens ist zweifellos der Kern digitaler Technologien. Als besonders fruchtbar erwiesen hat sich diese Idee auch in Yiqings Zhu kompositorischem Ansatz, der immer darauf aus ist, Grenzen zu sprengen – Grenzen zwischen dem Künstlichen und dem Natürlichen, dem technologisch Manipulierten und dem körperlich Verwurzelten, zwischen Instrumentalität und Vokalität und zwischen menschlicher Handlungsfähigkeit und einem Netz gemischter Kräfte, die Situationen und Ereignisse beeinflussen.

In dieser Orientierung ist eine Serie elektroakustischer Werke verankert, die Yiqing Zhu in einer Phase komponierte, als er auf der Suche nach einer „von Granulation inspirierten” Ästhetik war. Das Erbe der Granularsynthese, die den Weg ebnete, Klang als unendlich spaltbare und formbare Partikel darzustellen, und das Universum dessen weit öffnete, was Xenakis einmal als „Mikrokomposition“ bezeichnete, floss in Yiqing Zhus klassische Ensemble- und Orchesterwerke ein. Der Kern dieser Musik deutet sich im Titel eines jeden Werks an: verschiedene Flexionen, zusammengehalten durch das chinesische Schriftzeichen „碎”, das so viel wie zertrümmert, zerbrochen, pulverisiert bedeutet. Dieses semantische Bild und das entsprechende Phonem – „sui”, ein inhaltsloser Zischlaut – versinnbildlichen zusammen den Klangarchetypus, der diese Musik definiert: „Geräusch“-Splitter oder -Tröpfchen, Spucken, Spritzen, Streuen. Anomal im Spektrum, explosiv in den Bewegungsabläufen. So wie Pixel immer dichter werden, stellt uns die granulare Verarbeitung mit ihrem quantitativen Realismus-Ansatz vor das Rätsel der Auflösungen von Wahrnehmung. Doch so sehr die Berechnung der Wahrnehmungsdifferenz – die „Kleinheit“ – Yiqing Zhu faszinieren mag, so bleibt doch die biologische Grundlage der Wahrnehmung ein entscheidender Faktor. So erfährt man im Kreislauf und in den Mikromutationen winziger Klangscheibchen eine Art modulierter Differenz, die sich nicht in quantitativen Unterteilungen oder einer Negation von Identität manifestiert, sondern in qualitativen

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Ähnlichkeiten, die einer Nicht-Identität nahekommen. Erfrischend wirkt ein auf diese Weise gesättigter Minimalismus sowie eine Intermittenz, die sich unablässig verjüngt. In Le ciel écrasé 碎穹 (2018) wird der rastlose Fluss von Klangscherben behutsam durch Bojen gesteuert, die gewissermaßen als kognitive „Brücken“ dienen: ein kurzes, krampfhaftes, morsecodeähnliches Ostinato zum Beispiel oder Verdopplungen einer Oktave in Clustern, deren Reinheit und Einfachheit denen eines Sinustons ähneln.

Ein beiderseitiges Werden ist hier ein zentrales Gestaltungsmittel. Während die grobkörnigen und federnden Klänge des Tenorsaxophons in L’oeil brisé 碎瞳 (2017) die durchbrochenen Klänge der Elektronik widerspiegeln, ist auch ein „InstrumentalWerden“ der Elektronik im Gange: synthetische Cut-Ups, in Notenschrift festgehalten, als wären sie Perkussion ohne Tonhöhe, füllen leere Risse und bilden eine mikrokontrapunktische Linie zum Soloinstrument. Wenn, wie im Fall von Le visage déchiré 碎脸 (2017), dieses duale Werden bearbeitete und nicht bearbeitete menschliche Stimmen einbezieht, stellt sich etwas Beunruhigendes ein: Andeutungen von stimmlicher Wärme und das Haspeln zerbrochener Silben rücken eine zutiefst polemische Stimme

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in den Vordergrund. Ob es sich hier um ein schäumendes Subjekt am Rande des völligen Zusammenbruchs handelt oder eher um einen „Geist in der Maschine“, bleibt rätselhaft bis zum Epilog, in dem ein Cyborg-Sopran, der nun ins Rampenlicht gerückt wird, eine unbeschwerte, aber energische Schlusskadenz singt.

Vanishing Chant (2019) bringt dies auf die nächste Ebene. Sechs Stimmen agieren als allmächtiger menschlicher Synthesizer –eine kompromisslose Simulation (stimmlich) der Simulation (digital). Zur Menschlichkeit des Stücks trägt ein Text aus einem Krimi von Agatha Christie bei, den Yiqing Zhu möglicherweise gewählt hat, um mithilfe der außergewöhnlichen stimmlichen Plastizität und Theatralik ein Markenzeichen von Christie wieder aufleben zu lassen: In einem Spiel mit dem Schein ist nichts ganz so, wie es zu sein scheint.

Während Verwandlung und Rückverwandlung zwischen den Medien Yiqing Zhus Inspiration auch weiterhin vorantreiben, reift zunehmend eine kulturelle Sensibilität heran. Die Jahre, als Yiqing Zhu an der Musikhochschule Shanghai Komposition studierte, bekunden eine ästhetische Realität, in der standardisierte Idiome, die auf historischen Modellen der europäischen

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Neuen Musik beruhen, mit zwei weiteren Tendenzen einhergingen: Widerstand gegen einen abgehobenen Akademismus und das neu empfundene Bedürfnis, eine chinesische kulturelle Identität zu artikulieren. Yiqing Zhus Pluralismus zeichnete sich schon in seinen frühesten Werken ab und beinhaltet sowohl die Akzeptanz als auch die Negation einer solchen Realität. The Silence of Borobudur (2014) mäandert durch ein Labyrinth, in dem sich musikalische Altertümer aus Japan, Indonesien und China miteinander mischen. Das Stück nahm eine fortlaufende Serie („Chinese Poetry“) vorweg, die sich mit dem chinesischen und ostasiatischen Erbe des Komponisten auseinandersetzt und dabei die stilistischen Klischees vermeidet, die so oft mit einer essentialistischen Sichtweise kultureller Identität verbunden sind. So gesehen lassen sich wohl auch die raffinierte polyphone Technik und die Inhalte der Formenlehre für Yiqing Zhus kulturelle Selbstverortung betrachten. Diese kommen deutlich zur Geltung in DeepGrey (2020) für Orchester, Gewinner des Ersten Preises des Basler Kompositionswettbewerbs, sowie in einer Reihe weiterer Werke, die die barocke Suite neu interpretieren, darunter Partita (2019), eine Serie von fünf virtuosen Concertini. In letzter Zeit sickerte eine ständig zunehmende Vielfalt von Einflüssen in seine Musik ein, darunter Metal, Techno und Glitch. Diese Elemente scheinen sich jedoch weder zu konsolidieren, noch scheinen sie sich gegenseitig die Vormachtstellung streitig zu machen. Dies zeigt sich bei DeepBlue (2020) und DeepVoid (2022). Ersteres, ein Capriccio für großes Ensemble und Elektronik, ist gekennzeichnet durch ein poröses Milieu, in dem Jazzfetzen, elektronisches Pochen, Knistern, Fiepen und Alltagsgeräusche wie Herzschlag und Radiosprache frei ein- und ausgehen, während sie sich gegenseitig filtern und formen. In letzterem durchziehen atmosphärische Anspielungen auf Gamelan und alte volkstümliche Gesänge ein durch und durch westliches und kanonisches Genre – das Streich-

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quartett. Die chamäleonartige Anpassungsfähigkeit hinter einer derartig kapriziösen musikalischen Assemblage, die ständig „auf dem Weg zur Deterritorialisierung“ ist, um mit Deleuze zu sprechen, geht eher auf einen ausgeprägten Hang zu Fluidität und Wandel zurück als auf Yiqing Zhus tatsächlicher transkontinentaler oder interkultureller Erfahrung.

Es überrascht nicht, dass das vorangestellte „Deep“ in Yiqings Arbeitstiteln auf das zurückgeht, was dem Aufstieg des Deep Learning vorausging: Deep Blue, der ersten Schachroboter, der einen menschlichen Experten schlug. Yiqing Zhu sieht darin ein Zeichen der Kreativität, die ihn ins Unbekannte und Unvorhersehbare führen würde. In diesem Sinn verweist er auch auf die Idee der Faltung, womit ursprünglich eine mathematische Operation bezeichnet wird, die eine Funktion mit einer anderen koppelt. Bei der digitalen Bildverarbeitung entsteht durch Faltung beispielsweise eine Informationsvermengung, die das rein Numerische in etwas „Wahrnehmbares“ verwandelt. Und genau diese Schwellen überschreitende Transformation macht hier den Reiz aus. Yiqing Zhus jüngstes Experimentieren bezieht Berührungsund Bewegungssensoren sowie die Visualisierung akustischer Daten/Messwerte ein. Das Gestalten, Verformen und Schmelzen von Klängen wird somit in der sensorischen und physischen Dimension noch realer (oder surrealer). Und was folgt dann? Wir wissen es noch nicht. Sicher ist jedoch, dass hier ein wagemutiger, vorbehaltloser und zärtlicher Geist am Werk ist. Um zu unserem Ausgangspunkt zurückzukommen, an dem wir begonnen haben, nämlich Yiqing Zhu als leidenschaftlichen Autor zu betrachten: Wie die Reisetagebücher bezeugen, hat er sich auf seinen Streifzügen durch die verschiedenen Ecken Europas nie zurückgehalten zu staunen, Sympathie und Rührung zu empfinden, sich zu verausgaben und vor allem seine Fühler in unbekannte Richtungen auszustrecken.

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Yiqing Zhu (*1989) ist ein chinesischer Komponist und Pianist. Schon als Kind erlernte er eine Reihe von Instrumenten, darunter Klavier, Akkordeon und Geige. 2008 begann er sein Studium der Komposition am Shanghai Conservatory of Music. Im Rahmen des Erasmus-Programms setzte er seine Studien an der Königlich Dänischen Musikakademie fort. Anschließend ging er an die Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst nach Stuttgart, wo er 2019 sein Studium abschloss. Zu seinen Lehrern zählen Huang Lv, Niels Rosing-Schow und Marco Stroppa. Derzeit ist Zhu Lehrer für Komposition am Shanghai Conservatory of Music.

Yiqing Zhu beschäftigt sich nicht nur mit der zeitgenössischen Musik. Er setzt sich auch mit traditioneller östlicher Musik, elektronischer Musik, Jazz, Weltmusik sowie populärer Musik auseinander. In seinen Werken strebt er danach, die Grenzen zwischen dem Künstlichen und dem Natürlichen, dem technologisch Manipulierten und dem körperlich Verwurzelten, der Instrumentalität und der Vokalität zu durchbrechen.

Er arbeitet international mit Ensembles und Orchestern zusammen wie dem Ensemble intercontemporain, Ensemble Musikfabrik, Klangforum Wien, Neue Vocalsolisten Stuttgart, Moskauer Ensemble für zeitgenössische Musik, Mivos Quartett, Quatour Diotima, Ensemble Cikada, Ensemble Soundstreams, Ensemble Suono Giallo, Han String Quartet, Ensemble Novel, Copenhagen Piano Quartet, China-Asean Contemporary Orchestra, Shanghai Symphony Orchestra, Shanghai Philharmonic Orchestra und dem Singapore Chinese Orchestra.

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Yiqing Zhu

Seine Werke werden bei verschiedenen Musikfestivals aufgeführt, wie z. B. bei Manifeste, ilSuono Contemporary Music Week, Lucerne Festival, Shanghai New Music Week, Festival Archipel, Dyce Project und dem Impuls Festival.

Für sein Orchesterwerk DeepGrey gewann Yiqing Zhu den ersten Preis des Basler Kompositionswettbewerbs 2021. Er ist auch der Gewinner des Impuls-Wettbewerbs (Graz) 2019, des Dyce Wettbewerb (Mailand) 2019 und Gewinner des 3. Preises des Singapore Chinese Orchestra Wettbewerbs 2011

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Förderpreise Ensemble

Broken Frames Syndicate

„Wir brennen für zeitgenössische Musik. Mit kritischem Blick und offenen Ohren formen wir Klänge, beziehen Stellung und widmen uns gesellschaftsrelevanten Themen.“

Das Broken Frames Syndicate spielt zeitgenössische Musik und bringt ganzheitliche Konzerterlebnisse auf die Bühne. Zu zehnt wollen sie Alternativen zum Gewohnten aufzeigen und stehen ein für die kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftsrelevanten Themen.

Sie präsentieren aktuelle Positionen junger Musik und Kunst und bieten zeitgenössische Interpretationen von Schlüsselwerken der neueren Musikgeschichte. Oft bieten ihre Produktionen einen multidisziplinären Blick auf außermusikalische Themen. Besonders gerne arbeiten sie mit jungen Komponist*innen zusammen, wobei ihr Fokus auf der Diversifizierung von Programmen sowie des klassischen Konzertbetriebs liegt. Wichtig ist ihnen dabei die konzeptionelle Durchdringung ihrer Programme. Sie nutzen Musik, um Geschichten zu erzählen, zum Diskurs anzuregen, um die Ecke zu denken und um zu neuen Überzeugungen beizutragen.

Ihnen liegt besonders viel daran, eigene experimentelle Formate zu entwickeln, um diese selbstgewählten Themen sowie ihre eigenen Werte transportieren zu können.

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Bei der Entwicklung ihrer Formate macht sich das Ensemble frei von veralteten Strukturen und Ritualen des Musikbetriebs. Da der Klassikbetrieb allzu oft sehr museal erscheint, wollen sie das „Konzert“ neu denken. Besonders durch den inhaltlich-konzeptionellen Diskurs sowie mit Liebe zu kreativen Details wollen sie als Musiker*innen Haltung zeigen und gleichzeitig Musikerlebnisse auf höchstem Niveau schaffen.

brokenframessyndicate.com

Mitglieder

Lola Rubio, Violine

William Overcash, Violine

Laura Hovestadt, Viola

Nathan Watts, Violoncello

Katrin Szamatulski, Flöte

Moritz Schneidewendt, Klarinette

Peng-Hui Wang, Fagott

Vitaliy Kyianytsia, Klavier

Yu-Ling Chiu, Percussion

Lautaro Mura Fuentealba, Dirigent

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„Teil des BFS zu sein, ist eine höchst inspirierende Erfahrung. Es ist schwer zu beschreiben, was es bedeutet, dass diese kleine Familie nach der Ensemble Modern Akademie zusammenhält und sich dank der unermüdlichen Kreativität einiger Leute zu diesem ständig wachsenden, jungen, professionellen Ensemble entwickelt... ohne den Funken zu verlieren, der uns überhaupt erst dazu gebracht hat, dies zu tun. Irgendwie magisch .“

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„Mit dem EvS Ensemblepreis ausgezeichnet zu werden, empfinde ich als eine große Ehre und gleichzeitig als eine Bestätigung unserer vergangenen Arbeit. Dass auch außerhalb unserer Gruppe Menschen an uns glauben, macht mir Mut. Dadurch haben wir nun die Möglichkeit erhalten, noch weiter an uns zu arbeiten und zu wachsen. Während der letzten Jahre ist das Syndicate zu meiner Familie geworden. Ich bin wahnsinnig dankbar, dass ich mit so unglaublich tollen Musiker*innen spielen darf, und ich freue mich riesig, dass wir dank des Preises den nächsten Schritt gehen können.“

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Frames Percussion

Frames Percussion aus Barcelona besticht durch seine außergewöhnliche Besetzung. Acht Percussionist*innen und ein Klangregisseur haben sich 2014 zu einem Ensemble zusammengeschlossen. Seither arbeiten die Ensemblemusiker*innen eng mit Komponist*innen zusammen und erweitern das Repertoire für zeitgenössisches Percussion-Ensemble. Darüber hinaus zeichnet das Ensemble für die Gestaltung und Interpretation von Musiktheaterwerken verantwortlich.

Das Repertoire des Ensembles umfasst neben stilbildenden Standardwerken aus dem Repertoire für Schlagzeugensembles auch Uraufführungen von bekannten Komponist*innen wie Meriel Price, Yukiko Watanabe, Cathy van Eck, Ruud Roelofsen, Montserrat Lladó, Manuel Rodríguez-Valenzuela, Pablo Carrascosa, Luis Codera Puzo, Núria Giménez-Comas, Sirah Martínez, Alberto Bernal und Helena Cánovas. Frames Percussion ist es ein Anliegen, mit vielversprechenden jungen Komponist*innen zusammenzuarbeiten und ihnen so eine Bühne für ihre Werke zu geben. Seit seiner Gründung hat sich das Ensemble schnell zu einer der aktivsten Gruppen für Neue Musik in Südeuropa entwickelt und gibt jede Saison über 25 Konzerte.

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Regelmäßig gastieren die Musiker mit ihren Programmen im L’Auditori in Barcelona. Frames Percussion spielt auf Festivals und in Veranstaltungsorten in ganz Spanien und Europa, darunter das Mixtur Festival, Fundación Juan March, VANG Madrid, Festival Riverrun of Albi, Festival GREC, CNDM und andere. Die Gruppe spielte eine entscheidende Rolle bei der Gründung der Konzertreihe Difraccions (früher bekannt als OUT-SIDE). 2022 veröffentlichten Frames Percussion ihr Debütalbum mit der Aufnahme von David Langs The so-called laws of nature beim Label Neu Records und ihre erste EP mit Silenced von Elena Rykova beim Phonos Netlabel.

framespercussion.com

Mitglieder

Miquel Vich Vila, Percussion, Künstlerische Leitung

Ruben Orio, Percussion, Produktion und Künstlerische Assistenz

Feliu Ribera Riera, Percussion

Ferran Carceller Amorós, Percussion

Sabela Castro Rodríguez, Percussion

Daniel Munarriz Senosiain, Percussion

Javier Delgado Pérez, Percussion

Núria Carbó Vives, Percussion

Itziar Viloria Céspedes, Live-Elektronik

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„Wir freuen uns, dass Frames Percussion von der Ernst von Siemens Musikstiftung ausgezeichnet wurde. Wir sind sehr dankbar für die Anerkennung all der Arbeit, die wir im Laufe der Jahre geleistet haben. Denn all die Anstrengungen, die wir unternehmen, um in der spanischen Musikszene präsent zu sein, entspringen der Liebe zur Kunst und dem Glauben an ihre Kraft zur sozialen Transformation.“

Ruben Orio, Schlagzeuger

„Für jemanden, der Frames Percussion seit seinen Anfängen hat wachsen sehen, ist es faszinierend, wie sich das Projekt im Laufe seiner unaufhaltsamen professionellen Entwicklung nicht entpersönlicht hat, sondern eher menschlicher geworden ist, mit exquisiter Aufmerksamkeit für ethische Arbeitsbeziehungen und einem sorgsamen Umgang mit jeder Musik, Musiker*in, Mitarbeiter*in und Zuhörer*in.“

Luis Codera Puzo, Komponist und Kulturmanager

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„Frames Percussion würdigt die neue Musik: interpretatorische Strenge, tadellose Technik, künstlerische Vision und vor allem eine Menge Neugier!“

Santi Barguñó

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Musikpreis 2024 40
Ernst von Siemens

Unsuk Chin

Gran Cadenza (2018) für zwei Violinen

von Maris Gothoni

Gran Cadenza, von Anne-Sophie Mutter in Auftrag gegeben, ist ein virtuoses Duo für zwei Violinen. Der Titel spielt an auf die Tradition virtuoser Solopassagen im Verlauf einer Arie, eines Instrumentalkonzerts oder eines Kammermusikstückes, die entweder vom Solisten improvisiert wurden oder bereits vom Komponisten ausgeschrieben worden waren, und die in der Regel mit ornamentalen, rhapsodischen und rhythmisch freien Elementen aufwarteten. Kadenzen standen ursprünglich in engem Zusammenhang mit einer Interpretationskultur, die starke Elemente von Improvisation aufwies und gegenüber freier Umgestaltung oft tolerant gesinnt war, einer Tradition, die von den neuen Idealen der Werktreue und des Copyrights im 19. und spätestens im 20. Jahrhundert verdrängt wurde.

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Gran Cadenza ist ein in sich abgeschlossenes, ausnotiertes Werk, und auch deutlich länger als die Solokadenz eines Instrumentalkonzerts. Dennoch reflektiert es Elemente freier traditioneller musikalischer Formen wie die einer Kadenz, eines Capriccio oder einer Fantasie. Der Bezug auf die Kadenz wird auch deutlich durch die Zurschaustellung virtuoser Fähigkeiten zweier Solist*innen, welche ganz im Sinne des lateinischen „concertare“ auf Wettkampf und Disput aber auch auf Ausgleich und Zusammenwirken hinweist. Gran Cadenza kostet verschiedenste Arten der Interaktion – Konflikt, Dialog und Verschmelzung – aus; seine Form entsteht fließend durch Kontraste und verschiedenartige Übergänge zwischen diesen verschiedenen Zuständen.

Eröffnet wird das Stück von markanten und schroffen Gesten der zweiten Geige, denen – im völligen Kontrast – gleichsam improvisatorisch wirkende, ätherisch-ornamentale Figuren der ersten Geige zugesellt werden. Nach einer Weile „greift“ unversehens die erste Geige die zweite an, und kommt es zu virtuosen musikalischen Gefechten und Schlagabtauschen verschiedener Art, wobei alle möglichen kadenzartigen Floskeln als Fragment aufblitzen.

Schließlich kommen die beiden Solist*innen zusammen, mit Folgen abwärtsgerichteter Akkorde; die ganze Bewegungsenergie kommt quasi zum Stillstand und mündet in klanglich verfremdeten dreiklangartigen Harmonien, die von den beiden Geigen abwechselnd und miteinander konkurrierend dargeboten werden. Es folgt eine plötzliche Aufballung von Energie, samt ornamentaler Einwürfe, in der kurze Fragmente, als Nachhall früherer Motive oder als Vorwegnahme späterer Entwicklungen, auftauchen. Über ein jähes Crescendo kommt es anschließend zu einem kontrastierenden mittleren Abschnitt, einer längeren Passage absichtslosen Innehaltens, in der die beiden Geigen zu einem „Superinstrument“ verschmelzen. Die zweite Geige bietet eine Melodie dar, die von der ersten harmonisch durch Obertöne umspielt wird; allmählich verflüssigt sich das Tempo und spielen beide Geigen zwei verschiedene sich ergänzende melodische Linien.

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Immer wieder wird der Ablauf durch Reminiszenzen an den Anfang, an markante Akkorde wie auch an improvisatorischvirtuose Fragmente, unterbrochen; schließlich münden beide Linien in eine rasche und dichte Bewegung in der mittleren Lage, die einer Art Klangteppich gleicht. Dieses Gewebe, wenn auch unterbrochen durch jäh aufblitzende Fragmente, breitet sich unaufhaltsam in verschiedenen Lagen auf und in immer virtuoseren Formen, bis es abrupt von Pizzicati unterbrochen wird und die gesamte Bewegung unvermittelt zum Stillstand kommt.

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Skizze zu Doppelkonzert (2002)

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Unsuk Chin

Doppelkonzert (2002)

Dieses Doppelkonzert für Klavier, Schlagzeug und Ensemble ist mein drittes Auftragswerk für das Ensemble intercontemporain. Die Idee dazu kam mir nach den Erfahrungen mit meinen früheren Werken, in denen ich Klavier und Schlagzeug einsetzte: die Etudes für Klavier, die beiden Konzerte (für Klavier, für Violine), Fantaisie mécanique, Allegro ma non troppo. In diesem neuen Stück versuche ich, die beiden Instrumentalteile (Solisten und Ensemble) in völliger Homogenität zu verschmelzen, so dass ein einziger, neuer Klangkörper entsteht. Das Klavier wird mit kleinen Metallklötzen „präpariert“, die einen leicht gedämpften, metallischen Klang in den mittleren Lagen und einen perkussiven Klang in den tiefen Lagen erzeugen. Der Klang der präparierten Saiten erzeugt einen Kontrast zum Klang der unpräparierten Saiten. Das aus 19 Musikern bestehende Ensemble stellt gewissermaßen den Schatten der solistischen Partien dar. Diese senden ihnen Impulse, um die „Keime“ des Materials zu entwickeln.

Diese Impulse können aber ebenso gut jedes der 19 Instrumente dazu anregen, seine eigene Geschichte zu erzählen. Das Ensemble wird durch ein Schlagwerk verstärkt, das den Soloparts durch ganz besondere Effekte eine zusätzliche Färbung verleiht. So entsteht eine Klangwelt, deren Bezugspunkte sowohl in der westlichen als auch in der außereuropäischen Musik zu finden sind. Davon ausgehend versuche ich, eine Musik mit einer sehr bunten Gangart und Ausdrucksweise zu schreiben, die frei und beweglich ist und deren Verlauf manchmal völlig unvorhersehbar ist.

Unsuk Chin

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Down the Rabbit Hole

Die Musik Unsuk Chins: Transkulturelles KlangKaleidoskop und orchestrale Illusionsmaschine von Dirk Wieschollek

Kaum eine Besprechung der Musik Unsuk Chins, die nicht gleich in den ersten Zeilen eine ihrer eindrucksvollsten Qualitäten in den Vordergrund rückt: die unmittelbare Sinnlichkeit und Farbintensität der klanglichen Wirkung: Es glitzert und funkelt, leuchtet und irrlichtert in Transformationen und Metamorphosen vielstimmiger Instrumental-Gewebe, die immer wieder verblüffende Klang-Konstellationen hervorbringen. Das allein nötigt nach 300 Jahren Orchestergeschichte Bewunderung ab. Dasjenige aber, was Unsuk Chins Kompositionen so besonders macht, lässt sich nicht auf schillernde Oberflächen und Verführungen der Instrumentationskunst herunterbrechen. Es hat mit der Vielschichtigkeit und Mehrdimensionalität ihrer Mittel zu tun: ihren Doppelbödigkeiten und imaginären Potentialen im Wechselspiel von Konstruktion und expressiver Dynamik, von Objekthaftigkeit und Bewegung, von offensichtlicher Schönheit und verborgener Abgründigkeit. Erst recht, weil in Chins Klangdenken Farbe und Struktur zwei Seiten einer kompositorischen Medaille sind. Es ist unüberhörbar, dass das Medium, in dem sich die Komponistin am liebsten und wirkungsvollsten bewegt, der große Orchesterapparat ist. Unbeeindruckt von der zwischenzeitlichen Neigung der Neuen Musik zum Fragment, entlockt Chin dem Orchester seit Jahrzehnten eine Energie und einen Klangreichtum, wie es momentan nur wenige Komponist*innen vermögen. Es ist eine große Qualität ihrer Musik, dass sie sich von ästhetischen Trends und kommerziellen Oberflächen gleichermaßen fernhalten konnte. In Unsuk Chins Rede zur Verleihung des Arnold-Schönberg-Preises 2005 in Wien finden wir eine ihrer wesentlichen künstlerischen Prämissen formuliert: dass „Komplexität und Kommunikation keine inkommensurablen Größen sein müssen.“

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„Begin at the beginning,” the King said, very gravely, „and go on till you come to the end: then stop.”

Seit über 30 Jahren wahrt Unsuk Chin eine merkliche Distanz zum Musikbetrieb und seinen Institutionen. Die Gründe dafür sind auch in ihrer Arbeitsweise zu suchen. Chin ist keine Vielschreiberin, sondern nimmt sich Zeit, arbeitet gewissenhaft am kleinsten Klangzusammenhang, um ihre Imaginationen möglichst genau auf eine sinnlich erfahrbare Ebene zu bringen. Das steht den Anforderungen zahlreicher Aufträge im alljährlichen Festivalkarussell spürbar entgegen. Chins internationalem Erfolg hat das keinen Abbruch getan, der nicht in Deutschland, sondern in England und Frankreich seinen Durchbruch erlebte und eng mit den Dirigenten George Benjamin und Kent Nagano verknüpft ist. Als die frisch gebackene Absolventin der Seoul National University 1985 mit einem DAAD-Stipendium und dem unbedingten Willen, die zeitgenössische Musik Europas kennenzulernen, aus Südkorea nach Hamburg kam, war an Erfolg noch lange nicht zu denken. Drei Jahre war Unsuk Chin Teil der Kompositionsklasse György Ligetis, ein rückblickend so traumatisches wie wegweisendes Erlebnis für die unerfahrene Komponistin, die mit dem postseriellen Handwerkszeug ihres koreanischen Lehrers Sukhi Kang nach Deutschland kam: „Ligeti stürzte mich in eine schöpferische und existenzielle Krise, weil er mir zu verstehen gab, dass ich mich aus den Traditionen der Zweiten Wiener Schule, des Serialismus und des Postserialismus befreien müsse, wenn ich zu mir selbst kommen wolle. Wichtig für mich wurde daher nicht nur das Studium der ‚westlichen‘ Moderne, sondern auch das der traditionellen Musik verschiedener Kulturen. Wichtig wurden mir der Gedanke über das Wesen und das ‚Innere‘ des Klangs und die Suche nach einer organischen Entwicklung von Form aus den natürlichen Gegebenheiten der klanglichen Materie.“

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Diese Suche nach den Grundbedingungen des Klingenden führte Unsuk Chin nach einer mehrjährigen Schaffenskrise zunächst ins Elektronische Studio der TU Berlin. Anfang der 1990 er-Jahre erkundete Chin dort intensiv die Möglichkeiten elektronischer Musik. Zunächst experimentierte sie mit reinen Tonbandstücken, Grundlage waren jedoch immer instrumentale oder konkrete, nie rein synthetische Klänge: Gradus ad infinitum (1989) war inspiriert von Conlon Nancarrows Stücken für Selbstspielklaviere und schickte sich an, dessen menschenunmögliche Polyphonie in der achtstimmigen Überlagerung verschiedener Temposchichten noch zu übersteigern; in Allegro ma non troppo (1993/94) bildeten zuvor aufgenommene Perkussions- und Realklänge die Basis für elektronische Transformationen, die auf fließende Übergänge der Klangfarben aus waren. 1998 ist Xi für Ensemble der vorläufige Höhepunkt einer Reihe von Werken, die eine Amalgamierung elektronischer und instrumentaler Klangwelten im Sinn hatten. Auch wenn die elektronische Musik im Werk Chins insgesamt nur eine untergeordnete Rolle spielt, waren die anfänglichen Erfahrungen im elektronischen Studio (ähnlich wie bei Ligeti Mitte der 1950 er-Jahre) von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Entwicklung differenziertester Klangwirkungen im vielstimmigen Instrumentalapparat. Sie waren wichtig für ein tiefenperspektivisches Verständnis des Klangraumes, der von einem Denken in Schichten und mehrdimensionalen Vernetzungen bestimmt ist. Auch klangfarblich spiegeln sich diese Erfahrungen in Klangphysiognomien wieder, die auch im rein instrumentalen Zusammenhang eine verblüffende Nähe zur elektroakustischen Musik zeigen können. Rückblickend stellen die 1990 er-Jahre das experimentelle Jahrzehnt in Unsuk Chins Komponieren dar, wo die Komponistin technisch, strukturell und ästhetisch in ganz unterschiedlichen Settings unterwegs war: Tonbandstücke und elektroakustische Mischformen stehen neben Vokalkompositionen, Kammermusikwerken mit improvisatorischen (Fantaisie mécanique für fünf Instrumentalisten, 1994) und szenisch performativen Elementen (Allegro ma non troppo für Schlagzeug und Zuspielband, 1993/94; 1998), dann plötzlich Klavieretüden (ab 1995) und ein Klavierkonzert (1996/97). Bewältigung des Ligeti-Traumas?

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Bei einer Komponistin, die in den 1980 er-Jahren aus Korea nach Deutschland kam, liegt die Frage nahe, welche Rolle die Herkunft bei der künstlerischen Identitätsfindung gespielt hat. Sie hat im Falle Unsuk Chins erstaunlicherweise nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Unsuk Chin hat es nie darauf angelegt, Klangvorstellungen asiatischer Musiktraditionen in ihr Komponieren zu integrieren: „Ich verstehe mich nicht als koreanische Komponistin, sondern als Komponistin, die Teil einer internationalen Musikkultur ist (...)“.1 Um darüber hinaus dem Eindruck musikalischer Exotismen vorzubeugen, hat Chin auch asiatisches Instrumentarium weitestgehend gemieden. Gewichtige Ausnahme: Šu (2009), ein Konzert für Sheng und Orchester. Doch auch hier wird die chinesische Mundorgel nicht zur Herstellung einer Aura des Asiatischen genutzt, sondern auf ihre ganz besonderen klangphysiologischen Kapazitäten hin abgeklopft.

Ungeachtet Chins Distanzierung von einer vermeintlich koreanischen Klangsprache existieren naturgemäß vielfältige Bezüge zu musikalischen Traditionen Asiens in ihrem Werk. Sie werden jedoch – wie alle anderen kulturellen Bezugspunkte – eher als Allusionen und Illusionen wirksam und nicht unter der Prämisse der Synthese. Auch in der Komposition mit der offensichtlichsten Nähe zu koreanischer Musik, die in sechs suggestiven Episoden auf musikalische Kindheitserinnerungen der Komponistin zurückgeht, erscheint die Bezugnahme nur scheinbar original. Gougalon (2009/12) beschwört die Darbietungen fahrender Amateur-Theater ihrer Heimat herauf mit einer betont schrägen Instrumentation und einem sehr erzählfreudigen Schlagzeugapparat. Dennoch ist Chins Ensemblekomposition (trotz narrativer Satztitel) kein Versuch authentisches Material mit europäischen Techniken zu verschmelzen: „Gougalon bezieht sich nicht direkt auf die dilettantische und schäbige Musik des Straßentheaters. (...) In diesem Stück geht es um eine ‚imaginäre Volksmusik‘, die stilisiert, in sich gebrochen und nur scheinbar primitiv ist.“ Chins Äußerungen über den Charakter von Gougalon können als beispielhaft für ihre Ästhetik betrachtet werden: Die Materialen ihrer Musik sind nicht ge-funden, sondern er-funden, nicht „authentisch“, sondern imaginär.

1 Zit. n. Hanno Ehrler: Ordnung, Chaos und Computer. Betrachtungen zur Musik Unsuk Chins, in: Stefan Drees (Hg.), Im Spiegel der Zeit – Die Komponistin Unsuk Chin, Mainz 2011, S. 32.

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Bei aller Faszination, die der Klangreichtum von Chins Instrumentalkompositionen hervorruft, ließe sich leicht übersehen, dass ihr Schaffen ein bedeutendes Vokalwerk beinhaltet. Ja, Chins internationale Karriere begann mit der Uraufführung einer Vokalkomposition, woran der letztjährige Ernst von Siemens Musikpreisträger George Benjamin nicht ganz unschuldig war. Das Akrostichon-Wortspiel für Sopran und Ensemble sorgte 1993 (in der UA seiner endgültigen Form) für beträchtliches Aufsehen in London, was Chin nach lebhafter Berichterstattung in den einschlägigen Zeitungen schlagartig bekannt machte. Sieben musikalische Szenen nach Motiven aus Michael Endes Die unendliche Geschichte und Lewis Carrolls Alice hinter den Spiegeln exponierten erstmals in größerem Rahmen Chins vom Märchenhaften und Grotesken angetriebene Klangfantasie. Vor allem aber offenbarten sie eine kompositorische Auffassung von Sprache, die ihre Semantik in den Hintergrund rückte und vor einer Neuordnung ihrer Bestandteile nicht Halt machte. In Kalá für Sopran- und Bass-Solo, Chor und Orchester (2000) ist es ein Mix aus Gedichten von Gerhard Rühm, Inger Christensen, Unica Zürn, Gunnar Ekelöf, Arthur Rimbaud und Paavo Haavikko, die ihrerseits elementare Laborsituationen von Sprache austesten. Diese wiederum wurden von der Komponistin nochmal bewusst fragmentarisiert und zur Basis für strukturelle Äquivalente des Klangs. Chins Wahl der Textvorlagen und ihr grundsätzlich asemantisch ausgerichteter Umgang damit spricht Bände: „Gedichte in Musik zu setzen, die konkrete Inhalte oder Gefühle transportieren, behagt mir nicht sonderlich. Musik und Literatur sind stark eigengesetzliche ‚Sprachen‘ die sich in ihrer Verbindung nicht selten gegenseitig im Wege stehen. Der Vorteil der Kombinatorik experimenteller Lyrik ist in meinen Augen (und Ohren) nicht nur ihr Mangel an konkretem Sinn und ‚Botschaften‘, sondern vor allem ihre Nähe zu kompositorischen Verfahrensweisen.“ Die darin wirksamen Aspekte der Selbstreferentialität und Ironie haben Chin besonders angezogen und motivierten in Cantatrix Sopranica (2004/05) neben Textvorlagen unterschiedlicher Epochen die Verwendung auch eigener Texte. In den acht Sätzen für zwei

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Soprane, Countertenor und Ensemble dreht sich alles um das Singen selbst und seine selbstdarstellerischen Klischees zwischen Barock-Oper, italienischem Belcanto und avantgardistischem Lautexperiment. Das musikalische „Rollenspiel“ mit Sprachen der Vergangenheit, das Jonglieren mit idiomatischen Sprechweisen, Stereotypen und Stilparodien tritt hier besonders markant in Erscheinung. Das kann in komödiantischer Überzeichnung opernhafter Arien-Pathetik geschehen wie im 5. Satz Con tutti i Fantasmi oder gar als Persiflage von „Chinoiserie“ in Yue Guang –Clair de Lune. Die Idee einer polystilistischen „Musik über Musik“, die in Chins Instrumentalkompositionen eine eher untergeordnete Rolle spielt, wird im Vokalwerk mit hörbarer Lust an der musikalischen Eulenspiegelei inszeniert.

All das läuft in den Nullerjahren geradezu folgerichtig über den „Testlauf“ von Snags & Snarls für Sopran und Orchester (2003/04) auf Chins erste große Oper Alice in Wonderland (2007) zu. Die „Uraufführung des Jahres“ (Opernwelt) an der Bayerischen Staatsoper wurde unter Kent Nagano und der minimalistisch-surrealen Regie/Bühne von Achim Freyer ein großer Erfolg, dem Inszenierungen in London und Los Angeles folgten. Schon in Korea war Unsuk Chin fasziniert von Lewis Carolls „Alice“-Stoff und fühlte sich der irrationalen Traumsphäre mit seinen absurden Realitätsverschiebungen, Sprachspielen, Vieldeutigkeiten und skurrilen Situationen wesensverwandt. Aber erst nach dem Tod György Ligetis 2006, dessen eigene „Alice“-Oper ein unerfüllter Traum blieb, wagte sich Chin an eine Adaption eines Stoffes, wo konventionelle Koordinaten von Logik, Kausalität und Vernunft außer Kraft gesetzt werden. Dem Anspielungsreichtum Carrolls wird auf musikalischer Ebene mit vielfältigen Referenzen und Stilparodien existierender Musikformen entsprochen: „Der skurrile Humor und auch die Intertextualität der Buchvorlage reizten mich dazu, eine Musik zu schreiben, die mit musikalischen Bedeutungen spielerisch umgeht und sie hinterfragt – ein musikalisches Spiegellabyrinth sozusagen. Ich suchte nach einer musikalischen Entsprechung für den schwarzen Humor. So etwas hatte ich vorher noch nie gemacht.“2 Insofern ist die Musik von

2 „...Zusammenprall verschiedener Arten unserer Kommunikation und unserer Erfahrung der Wirklichkeit...“, Unsuk Chin im Gespräch mit David Allenby über ihre Oper Alice in Wonderland (2004–2007), in: Ebd., S. 132.

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Skizze zu Graffiti (2012/2013)
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Alice in Wonderland für Chins sonstige Verhältnisse ungewohnt bildhaft und narrativ, steht somit durchaus in der Tradition von Oper. Auch deren vokales Formenrepertoire wird spielerisch und augenzwinkernd heraufbeschworen.

Chins Musik ist selten kontemplativ, keine „Klangkalligrafie“ am Rande der Stille, sondern bestimmt von ruhelosen Bewegungsenergien, die oft parallel in verschiedene Richtungen drängen. Paradebeispiele für diese polyperspektivische, farbintensive Energetik im Orchester sind die einsätzigen Klangströme von Rocaná (2008) und Chóros cordón (2017) oder das rastlos vorwärtsdrängende „Palimpsest“ aus Graffiti (2012/13).

Fast alle Stücke Chins, entwickeln ihren klanglichen Reichtum jedoch aus einem reduzierten Anfangszustand, einer Art klanglichen Urzelle, aus der das Geschehen sich quasi organisch entwickelt: Im Cellokonzert ist das der Ton gis, der fast den kompletten Kopfsatz bestimmt; im 1. Violinkonzert das Quintintervall, in Xi ein tonloses Rauschen (respektive der menschliche Atem), die die Keime bilden für vielschichtige Klangprozesse, die nicht selten wieder in den Anfangszustand zurückkehren – ein Werden und Vergehen von Klang. Bei allen kulinarischen Reizen der Musik Unsuk Chins wird gern übersehen, dass ihr verschwenderischer Reichtum des Klingenden selten rein affirmativ ist, sondern jederzeit ein Ventil des Schreckens sein kann. Einer der Wenigen, die auf diesen existentiellen Aspekt hingewiesen haben, ist Kent Nagano: „Sie [die Musik Chins] kennt aber auch die anderen, die dunklen und tiefen Zonen sowie das insistierende Ausloten und Hineinstoßen ins Ungemütliche. Hinter einer glänzenden, oft berückend schönen Fassade scheint immer der Abgrund hindurch.“3 Dieses Abgründige manifestiert sich in den großen Orchesterstücken nicht selten in katastrophischen Eruptionen, Entladungen und Zusammenbrüchen massiver Tutti, die schmerzhaft grell instrumentiert sind. Oft steht dabei ein vehementer Einsatz des Schlagzeugs im Blickpunkt.

Ein zentrales Medium in Chins die Potentiale des großen Orchesters ausschöpfenden Klangsprache ist die Form des Konzertes, die sich wie ein roter Faden durch ihren Werkkatalog zieht.

3 Kent Nagano, Unsuk Chin zu Ehren, in: Ebd., S. 11.

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So entstanden im Laufe von 25 Jahren herausragende Gattungsbeiträge für Klavier (1996/97), Violine (2001 und 2021), Klavier und Schlagzeug (2002), Violoncello (2006 –08), Sheng (2009) und Klarinette (2014). Darin wird die Beziehung von Solist*in und Orchesterapparat aber ganz unterschiedlich interpretiert. Während die Konzerte für Violine und Klarinette dem klassischen Antagonismus von Individuum und Kollektiv in entsprechend dramatischen Auseinandersetzungen frönen und für Chin eher ungewöhnlich elegische Anteile haben, werden im Klavierkonzert oder im Doppelkonzert die Soloinstrumente zu einem zentralen Teil des Klanggewebes, mit der Intention, dass Soloinstrument und Orchester zu einem „Superinstrument“ verschmelzen. Besonders sprechend wird in den Konzerten Chins doppelbödiges Verhältnis zur instrumentalen Virtuosität. Sie ist, auch wenn sie Extremformen ausprägt, nie Selbstzweck. Eng verschwistert mit dem konstruktiven Aspekt der Musik, ist sie untrennbares Medium der Darstellung komplexer Strukturen. „Was mich an Komplexität und Manierismus musikalisch interessiert, ist die Gratwanderung zwischen Ordnung und Caos und das Umkippen vom einen ins andere“,4 bekannte die Komponistin. Hierbei führt Chin die Musiker*innen bewusst in Bereiche jenseits der spieltechnischen Komfortzone, um aus diesen Zonen der Unsicherheit und potentiellen Überforderung eine besondere Intensität zu gewinnen. Stets hat Unsuk Chin betont, dass ihre Musik keinen programmusikalischen Erzählfäden folgt, dennoch sind die außermusikalischen Inspirationen ihres Werks vielfältig und transkulturell. Sie entstammen der Kunst und Literatur ebenso wie der Natur und den Naturwissenschaften und dienen vor allem als strukturelle Impulsgeber komplexer Klangprozesse. Der lichtdurchflutete Klangraum von Rocaná (2008) wurde angeregt durch die auf physikalische Phänomene gründenden Installationen The Weather Project und Notion Motion von Ólafur Eliasson; Cosmigimmicks (2012) bezieht sich auf verschiedene Formen minimalistischer Theatralik zwischen asiatischem Schattentheater und Becketts geometrischen TV-Stücken; Graffiti (2013) reflektiert Aspekte von Urbanität und Street Art; Mannequin (2014/15)

4 Unsuk Chin, Gradus ad infinitum für Tonband (1989), in: Ebd., S. 57.

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wurde inspiriert durch die Phantastik der Dichtung E.T.A. Hoffmanns; die orchestralen Massenbewegungen von Spira (2019) gründen auf der Idee der Wachstumsspirale des Mathematikers Jacob Bernoulli; Les Chants des Enfants des Étoiles für Chor und Orchester (2019) reflektiert mit abendfüllender Transzendierung Chins leidenschaftliches Interesse für die Astronomie. All diese Stücke mit außermusikalischen Berührungspunkten sind aber keine Stück über Themen und Inhalte, sondern verwandeln ihre Anregungen in letztlich autarke Formgefüge. Die Gestaltung von Musik betrachtet Chin prinzipiell als eine Wirklichkeit, die sich jenseits der konventionellen Gegebenheiten der Realität vermittelt und bei ihr ganz dezidiert mit der Sphäre des Traumes und ihren unbegrenzten Vorstellungswelten zu tun hat: „Ich habe eine große Affinität zur abstrakt-surrealistischen Gedankenwelt. Schon als Kind erlebte ich sie in meinen Träumen, in von Licht- und Farbphänomenen durchwirkten Traumzuständen, in denen die Gesetze der Physik und der Logik auf den Kopf gestellt werden. Sie waren und sind für mich eine existentielle Erfahrung und eine wesentliche Anregung beim Komponieren.“5 Nicht minder vielfältig aber zeigen sich die musikalischen Anregungen in Chins Werk, die sich unterschiedlichsten Epochen und Kulturkreisen verdanken. Sie treten selten als eklektizistisches Referenz-Spiel mit konkreten Zitaten, sondern in der Regel als Allusion oder strukturelle Transformation auf den Plan. Die Anknüpfungspunkte offenbaren ein breit gefächertes, transkulturelles Interessenfeld: Chins Faszination für die Musik des Gamelan lässt sich in einem vielfarbig schillernden Aktionsreichtum perkussiver Klänge ebenso ausmachen, wie eine Affinität zum Jazz, nicht nur im Klarinettenkonzert (2015) und seinem Schlusssatz „Improvisation on a groove“. Chins Interesse für die Vokalpolyphonie des Spätmittelalters hat sich am deutlichsten in Miroirs des temps für Solostimmen und Orchester (1999) niedergeschlagen. Dort geistern Machaut und Perotin durch eine Partitur, die zwischen hypertropher Polyphonie oder an die Satztechnik des Organums angelehnte Homophonie schwankt. Dabei werden Ideen der Spiegelung und des Palindroms weiter-

5 „Gemischte Identität“ und „Sprachspiele“. Unsuk Chin im Gespräch mit Patrick Hahn, in: Ebd., S. 178.

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gesponnen, die in Machauts Rondeau Ma fin est mon commencement vorgeprägt waren. Eine Achterbahnfahrt durch spätromantische Orchesterrhetorik, wo „Musikgeschichte wie im Zeitraffer zusammengeballt wird“ (Chin) und Schlüsselwerke der europäischen Orchestermusik zwischen Brahms, Strauss und Strawinskys Sacre anklingen, verkörpert Frontispiece (2019). Für Sekunden blitzen dort vertraute Versatzstücke orchestraler Dramatik auf und auch die karikierte Schlussapotheose lässt sich Chin nicht nehmen.

Dass Chins Komponieren wenig von seiner Energie und soghaften Intensität eingebüßt hat, beweisen aktuelle Stücke wie Alaraph – Ritus des Herzschlags (2022). Inspiriert von den Pulsierungen von Doppelsternen und den perkussiven Aspekten koreanischer Hofmusik wird der Orchesterapparat mit gewaltigen Massierungen in ein Kraftwerk des Elementaren verwandelt, mit einem Schlagzeug, dessen Wucht einen imaginären Ritus zu befeuern scheint.

Momentan ist die Komponistin wieder in einer ganz anderen Sphäre unterwegs: Sie schreibt im Auftrag der Hamburger Staatsoper an ihrer zweiten Oper. Diesmal hat Chin das Libretto selbst verfasst, inspiriert von zwei Geistesgrößen der frühen Moderne: dem österreichischen Quantenphysiker Wolfgang Pauli und dem Psychologen C. G. Jung. Sie dienten als Vorbilder für zwei fiktive Figuren, aus deren Verhältnis Chin eine komplexe faustische Geschichte entwickelt hat, wo alle Protagonisten schicksalhaft miteinander verbunden sind. Die Idee einer Wirklichkeit jenseits der konventionellen Alltagserfahrung wird das Leitmotiv auch dieser Oper sein. Ihr Titel liest sich wie eine Metapher für Chins Musik und ihre irrationalen Ambivalenzen zwischen Licht und Schatten, Wirklichkeit und Traum: Die dunkle Seite des Mondes ...

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Unsuk Chin wurde 1961 in Seoul, Korea, geboren. Schon früh begann sie, sich selbst Klavier und Musiktheorie beizubringen und studierte anschließend Komposition an der Seoul National University bei Sukhi Kang. 1985 zog sie mit einem akademischen Austauschstipendium nach Europa, um in Deutschland zu studieren, und nahm bis 1988 an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg Kompositionsunterricht bei György Ligeti. Er ermutigte sie, über die Ästhetik der aktuellen Avantgarde hinauszuschauen. Nach Abschluss ihres Studiums bei Ligeti zog Unsuk Chin nach Berlin. Sie arbeitete als freischaffende Komponistin im Studio für Elektronische Musik der Technischen Universität Berlin. Bis heute ist ihr Lebensmittelpunkt in Berlin.

Schon in Trojan Women (1986) für drei Sängerinnen, Frauenchor und Orchester zeigte sich Chins originärer Stil: eine Musik, die in ihrer Sprache modern, in ihrer Aussagekraft aber lyrisch und nicht doktrinär ist. Es war jedoch das Akrostichon-Wortspiel (1991–93) für Sopran solo und Ensemble, das Chins internationalen Durchbruch markierte. Es wurde bis heute in über 20 Ländern von führenden internationalen Ensembles programmiert. 1992 wurde Unsuk Chin vom Reading Panel des Ensemble intercontemporain in Paris ausgewählt, um 1994 Fantaisie mécanique zu schreiben. Es ist das erste von bisher sechs Werken, die von diesem Ensemble in Auftrag gegeben wurden. Bis heute hat die Komponistin eine enge Verbindung zu diesem Ensemble. Die Uraufführung von Miroirs des temps im Auftrag der BBC für das Hilliard Ensemble und das London Philharmonic Orchestra im Jahr 2000 markierte den Beginn der Zusammenarbeit mit Kent Nagano, einem der wichtigsten Förderer von Chins Musik. Des Weiteren arbeitete sie mehrfach mit Sir Simon Rattle sowie Esa-Pekka Salonen, Gustavo Dudamel, Mirga Gražinyte-Tyla, Myung-Whun Chung und weiteren namhaften Dirigent*innen zusammen.

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Ihre erste Oper Alice in Wonderland wurde im Juni 2007 an der Bayerischen Staatsoper in München als Eröffnungsstück der Münchner Opernfestspiele uraufgeführt. Die Inszenierung unter der Regie von Achim Freyer und dem Dirigat von Kent Nagano wurde im Jahrbuch der Opernwelt als Uraufführung des Jahres ausgezeichnet und stand auf der Liste der „Best of 2007 “ der Los Angeles Times.

Von 2009 an entstanden wichtige Solokonzerte, so unter anderem ihr Violinkonzert, das bisher in 16 Ländern aufgeführt wurde. Die Uraufführung fand mit Viviane Hagner und dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin unter der Leitung von Kent Nagano statt. Weitere Werke folgten wie Šu für Sheng und Orchester mit Wu Wei, ein Klarinettenkonzert für Kari Kriikku, ein Cellokonzert für Alban Gerhardt sowie Le Silence des Sirènes für

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Barbara Hannigan und das Lucerne Festival Academy Orchestra. Mehrere Festivals für zeitgenössische Musik widmeten sich ihrer Musik: MITO Settembre Musica in Italien, Festival Musica Strasbourg, MADE Festival in Schweden, das Festival des Royal Northern College of Music in Manchester sowie Lucerne Festival. Unsuk Chin hat zu vielen Orchestern eine enge Verbindung. Sie arbeitet regelmäßig u. a. mit dem Los Angeles Philharmonic, dem London Symphony Orchestra und den Berliner Philharmonikern zusammen. Beim Deutschen Symphonie-Orchester Berlin (2001/2002) und in der Philharmonie Essen (2009) war sie Composer-in-Residence. Von 2009 an arbeitete sie elf Jahre mit dem Seoul Philharmonic Orchestra zusammen. Hier gründete und leitete sie eine Reihe für zeitgenössische Musik. Esa-Pekka Salonen holte sie für neun Spielzeiten als Künstlerische Leiterin der Reihe „Music of Today“ zum Philharmonia Orchestra nach London. Eine Position, die sie bis 2020 innehatte. 2022 begann Unsuk Chin eine fünfjährige Amtszeit als Künstlerische Leiterin des Tongyeong International Festival in Südkorea und des Weiwuying International Music Festival in Taiwan. Viele ihrer Werke sind auf CD erschienen. Hervorzuheben ist ihre erste Portrait-CD bei der Deutschen Grammophon in der Reihe 20/21, mit der sie die zehnjährige Zusammenarbeit mit dem Ensemble intercontemporain feierte. Neben Einspielungen ihrer Orchesterwerke Rocaná und Chorós Chordón sind auch Ensemblewerke wie Fantaisie mécanique und Gougalon sowie ihre Klavieretüden auf CD erhältlich. Ein Mitschnitt ihrer Oper Alice in Wonderland ist auf DVD erschienen.

Die Werke von Unsuk Chin werden seit 1994 exklusiv bei Boosey & Hawkes verlegt.

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Laudator

Louwrens Langevoort

Intendant der Kölner Philharmonie

Seit 2005 ist Louwrens Langevoort Intendant der Kölner Philharmonie. Sein beruflicher Weg führte den studierten Juristen und gebürtigen Niederländer Langevoort von den Opernhäusern und Festivals in Brüssel über Salzburg und Leipzig nach Köln. Als Intendant war Langevoort tätig in den Niederlanden und an der Staatsoper Hamburg.

An allen Stationen kreierte er Neues: neues Repertoire, neue Strukturen, neue Formate. Dafür wurde er nicht nur ausgezeichnet (Kölner Kulturpreis „Kulturmanager des Jahres 2014“), sondern auch geschätzt und zum Mitglied vieler Gremien ernannt, so in der Liz Mohn Kultur- und Musikstiftung, beim Forum Dirigieren des Deutschen Musikrats, oder als Stiftungsrat Mitglied der Stiftung Oper in Berlin. Seit 2017 ist er Vorsitzender der European Concert Hall Organisation (ECHO).

Exemplarisch sind seine Errungenschaften als Intendant für die Staatsoper Hamburg und die Kölner Philharmonie, die er 2025 nach 20 Jahren verlassen wird. Modernes Musiktheater zu fördern und alte Werke immer wieder aufleben zu lassen, waren programmatische Schwerpunkte seiner Opernleitung in Hamburg. Neben der Repertoirepflege gehörten dazu für Louwrens Langevoort aber auch der überaus erfolgreiche Zyklus mit Barockopern, den er 2001 initiierte, der Aufbau der Kinderopernreihe „Opera piccola“, die Nachwuchsförderung mit dem Internationalen Opernstudio und die Förderung junger Komponistinnen und Komponisten im Rahmen der von ihm 2001 ins Leben gerufenen „Komponistenwerkstatt“.

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Louwrens Langevoort hat das Profil der Kölner Philharmonie durch viele neue erfolgreiche Reihen, Formate und Festivals geprägt: Das Festival ACHT BRÜCKEN | Musik für Köln widmet sich seit 2011 jeweils Anfang Mai der Musik der Moderne. Dieses hat Langevoort ebenso initiiert und erfolgreich im Kölner Kulturleben etabliert, wie seit 2019 das Originalklang-Festival FEL!X. Mit Projekten wie PhilharmonieLunch, PhilharmonieVeedel und philharmonie.tv gelang es ihm, Publikumskreise wie junge Berufstätige und junge Familien anzusprechen, die in speziellen Veranstaltungen innerhalb und außerhalb des Konzertsaals auf sie zugeschnittene Angebote finden. Das Konzerthaus für alle  Menschen zu öffnen und Musik allen zugänglich zu machen, ist sein steter Antrieb. Darüber hinaus setzt er sich in seinem internationalen Netzwerk dafür ein, dass Musik eine länder- und gesellschaftsübergreifende Bedeutung erlangt.

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Interpret*innen

Joseph Houston, Klavier

Joseph Houston ist ein britischer Pianist, der in Berlin lebt. Seine Aufführungspraxis umfasst ein breites Spektrum an Musik, darunter neue und experimentelle Musik, Klaviermusik des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, Musik für Synthesizer und eigene Kompositionen.

Houston entwickelt einzigartige und mitreißende Programme, die Musik aus verschiedenen Genres miteinander verbinden und so ein Ganzes schaffen, das das Verständnis jedes einzelnen Werks herausfordert und bereichert. Er setzt sich dafür ein, neue Werke zu beauftragen und arbeitet mit den Komponist*innen im Entstehungsprozess eng zusammen.

Zu den jüngsten Auftritten gehören Solokonzerte in der Wigmore Hall und bei den Donaueschinger Musiktagen; Duoauftritte mit dem Saviet/Houston Duo bei den Wittener Tagen für neue Kammermusik, dem Ultraschall Festival und dem AFEKT Festival (Estland) sowie größere Kooperationen mit dem Quatuor Diotima, dem Harmonic Space Orchestra, dem Ensemble KNM Berlin und dem Ensemble PianoPercussion Berlin. In den letzten 10 Jahren hat er mit vielen Komponist*innen intensiv an neuer Musik gearbeitet, darunter Rebecca Saunders, Catherine Lamb, Chiyoko Szlavnics, Ernstalbrecht Stiebler, Clara Iannotta, Enno Poppe, Mark Barden und Christian Wolff.

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Jack Adler-McKean, Tuba

Jack Adler-McKean arbeitet mit international anerkannten Ensembles, Komponist*innen und akademischen Institutionen zusammen, um das Renommée der und das Verständnis für die Tuba-Familie zu fördern. Zu seinen jüngsten Projekten gehören Konzerte mit dem Ensemble Resonanz und dem Ensemble Modern, Musiktheaterwerke auf der Bühne der Deutschen Oper Berlin und der Philharmonie de Luxembourg, die Zusammenarbeit bei Solowerken mit Georges Aperghis und Michael Finnissy, Uraufführungen bei den Darmstädter Ferienkursen und den BBC Proms. Darüber hinaus gibt er Solokonzerte in New York und Buenos Aires, Tuba-Meisterkurse in Ankara und Oslo und bietet Seminare für Komponist*innen in London und Boston an. Orchesterauftritte reichen von denjenigen mit der Kontrabasstuba beim WDR Sinfonieorchester und dem BBC Scottish Symphony Orchestra bis hin zu solchen mit Serpent und Ophikleide bei der Kammerakademie Potsdam und dem Ensemble Spira Mirabilis. Er ist Verfasser des im Bärenreiter-Verlag erschienen Werkes Die Spieltechnik der Tuba und Herausgeber der Reihe Contemporary Music for Tuba bei der Edition Gravis. Seine eigenen Kompositionen und Bearbeitungen sind bei Potenza Music veröffentlicht. Nach dem Studium in Manchester und Hannover und als Stipendiat u. a. des DAAD und des Leverhulme Trust hat er seine Promotion 2023 abgeschlossen und ist seit Februar 2024 Postdoktorand an der Lunds Universitet / Musikhochschule in Malmö in Schweden.

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Liyi Lu, ist Komponistin und Solistin und wohnt in Shanghai. Sie begann schon in jungen Jahren das Instrumentalspiel zu erlernen und wurde im Alter von 10 Jahren an dem am Konservatorium von Shanghai angeschlossenen Gymnasium mit dem Hauptfach Pipa aufgenommen. Sie schloss dieses mit Auszeichnung ab und gewann mehrfach Stipendien des Konservatoriums und der Stadt Shanghai. Anschließend begann sie Musik zu studieren und schloss ihr Bachelor-Studium mit den Hauptfächern Komposition und Pipa-Spiel am Shanghai Conservatory of Music ab. Sie erwarb ihren Master-Abschluss in Komposition und belegte außerdem die Fächer Harfe und Guqin. Liyi Lu gewann zahlreiche Preise und Stipendien sowohl als Komponistin als auch als Solistin, darunter den ersten Preis des serbischen Kompositionswettbewerbs „Smederevo“, den zweiten Preis des italienischen Kompositionswettbewerbs „Don Vincenzo Vitti“, den Excellence Award des internationalen Kompositionswettbewerbs „7th Rivers Awards“, den ersten Preis des Kompositionswettbewerbs „JSFest 2022“, den Goldpreis des internationalen Pipa-Wettbewerbs „QingYue“, den Goldpreis des internationalen Instrumentalwettbewerbs in Singapur usw. Sie arbeitete bereits mit vielen Orchestern und Dirigent*innen zusammen, wie dem Shanghai Opera Symphony Orchestra, dem Shanghai Philharmonic Orchestra und dem Shanghai Chamber Orchestra.

Liyi Lu, Pipa
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Rafał Zolkos, Flöte

Rafał Zolkos studierte u. a. bei Philippe Racine, Benoît Fromanger, Mario Caroli, Martin Fahlenbock und Jadwiga Kotnowska. Er erhielt Diplome mit Auszeichnung von der Zürcher Hochschule der Künste, der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin, der Hochschule der Künste Bern, dem Conservatoire de Strasbourg, dem Conservatoire National Supérieur de Musique et Danse de Paris, der Hochschule für Musik Basel und der Academy of Music in Bydgoszcz. Er ist Preisträger zahlreicher Musikwettbewerbe, darunter NICATI in Bern, ISCM Wettbewerb in Warschau, TWIYCA in England und Kiefer-Hablitzel in Bern. Rafał erhielt Preise und Stipendien wie den Fritz-Gerber-Preis 2015, den Prix Société Générale Paris und den Young Poland-Ministry of Culture and National Heritage.

Als Solist und Kammermusiker trat Zolkos bei internationalen Festivals auf, darunter Tage für Neue Musik Zürich, Menuhin Festival Gstaad, Lucerne Festival, ManiFeste Paris, Warschauer Herbst, Musica Polonica Nova, Donaueschinger Musiktage. Seine Interpretationen sind in Konzertsälen auf der ganzen Welt zu hören, darunter die Tonhalle Zürich, die Hagia Irene Istanbul, der Smetana-Saal Prag, das Konzerthaus Berlin, das KKL Luzern, die Philharmonie de Paris, das Wiener Konzerthaus, die Munetsugu Hall Nagoya, das Daejeon Arts Center, die Lotte Concert Hall und das Seoul Arts Center.

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Hae-Sun Kang , Violine

Die in Südkorea geborene Hae-Sun Kang begann im Alter von drei Jahren mit dem Geigenspiel. Mit 15 Jahren begann sie ihr Studium am Conservatoire de Paris (CNSMDP) in der Klasse von Christian Ferras. Sie gewann mehrere internationale Preise und wurde 1993 erste Solovioline im Orchestre de Paris, wo sie Pierre Boulez kennenlernte, bevor sie 1994 Mitglied des Ensemble intercontemporain wurde. Hae-Sun Kang hat zahlreiche Referenzwerke für Violine uraufgeführt, darunter Pierre Boulez’ Anthèmes II für Violine und Elektronik (Donaueschingen, 1997), das sie bei der Deutschen Grammophon aufgenommen hat. Außerdem brachte sie Werke von Georges Aperghis, Pascal Dusapin, Michael Jarrell, Ivan Fedele, Marco Stroppa, Matthias Pintscher, Yan Maresz und Philippe Manoury und vielen mehr zur Uraufführung. Am Conservatoire de Paris ist Hae-Sun Kang Referentin für Studierende des Artist Diploma und des Ensemble Next und unterrichtet außerdem Kammermusik und zeitgenössische Musik. Sie wurde 2014 zum Chevalier des Arts et des Lettres ernannt und erhielt 2022 den Grand Prix In Honorem der Akademie Charles Cros für ihre musikalische Karriere.

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Diégo Tosi, Violine

Diégo Tosi ist seit Oktober 2006 Violinist des Ensemble intercontemporain. Er tritt als Solist in den renommiertesten Konzertsälen der Welt auf und spielt aus dem Repertoire aller Epochen. Er hat mehrere CDs mit Werken u.a. von Ravel, Scelsi, Berio und Boulez beim Label Solstice aufgenommen, die mit bedeutenden Preisen ausgezeichnet wurden. Er hat das gesamte Œuvre des Geigenvirtuosen Pablo de Sarasate aufgenommen und wurde mit dem Del Duca-Preis der französischen Akademie der Schönen Künste und dem Enesco-Preis der SACEM ausgezeichnet. Nachdem er am Pariser Konservatorium, wo er bei Jean-Jacques Kantorow und Jean Lenert studierte, den ersten Preis erhalten hatte, bildete er sich in Bloomington (USA) bei Miriam Fried weiter, bevor er am Pariser Konservatorium den Concours des Avant-scènes für Postgraduierte gewann. Während seiner Ausbildung gewann Diégo Tosi den Paganini-Wettbewerb in Genua, den Rodrigo-Wettbewerb in Madrid und den Valentino Bucchi-Wettbewerb in Rom. Desweiteren war er Preisträger bei verschiedenen internationalen Wettbewerben, darunter die von Wattrelos, Germans Claret und Moskau. Seit 2010 ist er der künstlerische Leiter des Festivals Tautavel en musique.

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Dimitri Vassilakis, Klavier

Dimitri Vassilakis begann seine musikalische Ausbildung in Athen, wo er 1967 geboren wurde, und setzte sie am Pariser Conservatoire National Supérieur de Musique fort, insbesondere bei Gérard Frémy. Er studierte auch bei Monique Deschaussées und György Sebok. Seit 1992 ist er Solist des Ensemble intercontemporain. Weitere Komponisten, mit denen er zusammengearbeitet hat, sind Iannis Xenakis, Luciano Berio, Karlheinz Stockhausen und György Kurtàg. Seine Aufnahme Le Scorpion mit den Percussions de Strasbourg gewann den Grand Prix du Disque der Akademie Charles Cros in der Kategorie „Beste Aufnahme zeitgenössischer Musik 2004“. Zu seinen Festivalauftritten gehören Salzburg, Edinburgh, Luzern, der Maggio Musicale in Florenz, der Warschauer Herbst, das Ottawa Chamber Music Festival und die London Proms. Er konzertierte in Konzertsälen wie der Berliner Philharmonie, der New Yorker Carnegie Hall, der Londoner Royal Festival Hall, dem Concertgebouw Amsterdam und dem Teatro Colón in Buenos Aires. Als Solist ist er mit verschiedenen Orchestern aufgetreten, darunter die Philharmonie von Seoul, die Philharmonie von Buenos Aires und das Orchestre de la SuisseRomande. Sein Repertoire reicht von Bach bis zu zeitgenössischen Komponisten, darunter das gesamte Klavierwerk von Pierre Boulez und Iannis Xenakis. Zu seinen Alben gehören unter anderem Etüden von György Ligeti und Fabiàn Panisello (Neos) und Boulez’ erstes Gesamtwerk für Klavier (Cybele).

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Samuel Favre, Schlagzeug

Samuel Favre wurde 1979 in Lyon geboren und studierte Schlagzeug bei Alain Londeix am Regionalen Konservatorium von Lyon, wo er 1996 mit Gold ausgezeichnet wurde. Im selben Jahr wechselte er an das Conservatoire National Supérieur de Musique et de la Danse in Lyon in die Klasse von Georges Van Gucht und Jean Geoffroy, wo er im Jahr 2000 sein Musikstudium mit Auszeichnung und einstimmigem Urteil der Jury abschloss.

Parallel dazu studierte Samuel Favre an der Académie du Festival d’Aix-en-Provence und am Centre Acanthes. Er arbeitete mit dem Komponisten und Perkussionisten Camille Rocailleux zusammen, der ihn im Jahr 2000 in das Ensemble ARCOSM einlud, um das Stück Echoa uraufzuführen, eine Mischung aus Musik und Tanz, das bereits fast 400 Mal in Frankreich und im Ausland aufgeführt wurde.

Seit 2001 ist Samuel Favre Mitglied des Ensemble intercontemporain und hat in zahlreichen Uraufführungen mitgewirkt, darunter Isabel Mundrys Noli Me Tangere, oder Werken von François Sarhan und Alexander Schubert. Mit dem EIC hat er mehrere Werke aufgenommen, darunter Le Marteau sans maître von Pierre Boulez.

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Ensemble intercontemporain

1976 gründete Pierre Boulez das Ensemble intercontemporain mit der Unterstützung des damaligen Kulturministers Michel Guy und der Mitarbeit von Nicholas Snowman. Die 31 Solist*innen des Ensembles teilen die Leidenschaft für die Musik des 20. bis 21 Jahrhunderts und formulieren einen gemeinsamen Auftrag: Aufführung, künstlerische Gestaltung und Vermittlung für junge Musiker*innen und das breite Publikum. Unter der künstlerischen Leitung von Pierre Bleuse arbeiten die Musiker*innen eng mit Komponist*innen zusammen, experimentieren mit Instrumentaltechniken und entwickeln Projekte, die Musik, Tanz, Theater, Film, Video und Bildende Kunst miteinander verbinden. In Zusammenarbeit mit dem IRCAM (Institut de Recherche et Coordination Acoustique/Musique) ist das Ensemble intercontemporain auch auf dem Gebiet der synthetischen Klangerzeugung tätig. Mit der Unterstützung der Fondation Meyer werden regelmäßig neue Stücke in Auftrag gegeben und aufgeführt. Das Ensemble ist bekannt für seinen starken Fokus auf die Musikvermittlung: Konzerte für Kinder, kreative Workshops für Studierende, Ausbildungsprogramme für zukünftige Dirigent*innen, Komponist*innen, etc. Seit 2004 unterrichten die Solist*innen des Ensembles junge Instrumentalist*innen im Bereich des zeitgenössischen Repertoires im Rahmen der Lucerne Festival Academy, einem mehrwöchigen Bildungsprojekt von Lucerne Festival. Das Ensemble

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residiert in der Philharmonie de Paris, tritt in Frankreich und im Ausland auf und nimmt an den wichtigsten Festivals weltweit teil. Vom Ministerium für Kultur finanziert, erhält das Ensemble zusätzliche Unterstützung von der Stadt Paris. Im Jahr 2022 wurde das Ensemble intercontemporain mit dem renommierten Polar Music Prize ausgezeichnet.

Besetzung

Sophie Cherrier, Emmanuelle Ophèle, Flöte

Thibaud Rezzouk, Oboe

Martin Adamek, Klarinette

Paul Riveaux, Fagott

Jean-Christophe Vervoitte, Pierre Remondiere*, Horn

Clement Saunier, Trompete

Lucas Ounissi, Posaune

Jeremie Dufort , Tuba

Gilles Durot, Samuel Favre, Percussion

Valeria Kafelnikov, Harfe

Dimitri Vassilakis, Klavier

Hae-Sun Kang, Diégo Tosi, Violine

Odile Auboin, Elsa Balas*, Viola

Eric-Maria Couturier, Vlorent Xhafaj*, Violoncello

Nicolas Crosse, Kontrabass

* Gastmusiker*innen

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Pierre Bleuse studierte Dirigieren bei Jorma Panula in Finnland und Laurent Gay an der Haute École de Genève. Ursprünglich als Geiger ausgebildet, war er Konzertmeister und stellvertretender Dirigent des Kammerorchesters Toulouse (2000 –2010) und Mitglied des Satie Quartetts. Seit 2023 ist Bleuse Musikalischer Leiter des Ensemble intercontemporain. Seit 2021 ist er außerdem Chefdirigent des Odense Symphony Orchestra und Künstlerischer Leiter des Pablo Casals Festival in Prades, Frankreich. Zu den jüngsten Höhepunkten zählen Einladungen zu Orchestern wie dem Royal Concertgebouw Amsterdam, dem Royal Stockholm Philharmonic Orchestra, dem MDR Sinfonieorchester, dem Tonkünstler-Orchester, dem Orchestre de la Suisse Romande, dem Berner Symphonieorchester, dem Brussels Philharmonic, dem Belgium National Orchestra, dem Antwerp Symphony Orchestra, dem China National Symphony Orchestra, der National Philharmonic of Russia, dem São Paulo State Symphony Orchestra und dem Utah Symphony Orchestra. In Frankreich tritt er regelmäßig mit dem Orchestre National du Capitole de Toulouse, dem Orchestre National de France, der Opéra National de Lyon, dem Orchestre Philharmonique de Strasbourg, dem Orchestre National d’Île-deFrance und dem Orchestre National Bordeaux Aquitaine auf.

Er arbeitet regelmäßig mit einigen der gefragtesten internationalen Solist*innen wie Sol Gabetta, Bertrand Chamayou, Truls Mørk, Emmanuel Pahud, Renaud und Gautier Capuçon zusammen.

Bleuse gründete 2008 die Musika Orchestra Academy in Toulouse.

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Annekatrin Hentschel, Moderation

Als freiberufliche Moderatorin präsentiert Annekatrin Hentschel zahlreiche Kulturveranstaltungen wie Open-Air, Preisträgeroder Gesprächskonzerte und außergewöhnliche Formate wie „Die Lange Nacht des Streichquartetts“. Zu ihren Auftraggebern zählen u. a. die Alfred Töpfer Stiftung, AUDI, MünchenMusik, die Bayerische Staatsoper oder das Bacharchiv Leipzig. Seit 10 Jahren leitet sie bei BR-KLASSIK die junge Redaktion SWEET SPOT, deren Aufgabe es ist, mit neuen Formaten und Präsentationsformen rund um klassische Musik, Filmmusik und Game Musik junge Zielgruppen zu erreichen. Sie ist verantwortlich für die Podcasts „Klassik für Klugscheißer“ und „Levels & Soundtracks“ und realisiert Videoproduktionen für die ARD Mediathek. Darüber hinaus arbeitet Annekatrin Hentschel als Dozentin für die Concerto21 Sommerakademie, wo sie ihr Fachwissen und ihre Erfahrung mit jungen aufstrebenden Künstlerinnen und Künstlern teilt. Die Nachwuchsförderung ist ihr ein besonderes Anliegen.

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Stiftungsrat und Kuratorium der Ernst von Siemens Musikstiftung

Der Stiftungsrat trägt die Verantwortung für die Ernst von Siemens Musikstiftung. Ihm sitzt seit 2023 die Musikerin Tabea Zimmermann, Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, vor. Weitere Mitglieder des Stiftungsrates sind Ferdinand von Siemens als stellvertretender Vorsitzender, Elisabeth Bourqui, Eric Fellhauer, Elisabeth Oltramare, Herbert Scheidt, Christoph von Seidel und Christian Wildmoser sowie die Ehrenvorsitzende Bettina von Siemens.

Die Auswahl der Preisträger*innen sowie der Förderprojekte obliegt dem derzeit neunköpfigen Kuratorium der Musikstiftung. Ihm gehören Thomas Angyan als Vorsitzender sowie Nikolaus Brass, Winrich Hopp, Clara Iannotta, Ulrich Mosch, Enno Poppe, Wolfgang Rihm, Ilona Schmiel und Tamara Stefanovich an.

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Presentation of the Ernst von Siemens Music Prize 2024 to

Unsuk Chin

Presentation of the Composer Prizes to Daniele Ghisi

Bára Gísladóttir and Yiqing Zhu

Presentation of the Ensemble Prizes to Broken Frames Syndicate and Frames Percussion

Hercules Hall, Munich Residence | 18 May 2024 | 7 pm

Ernst von Siemens Music Foundation

Bavarian Academy of Fine Arts

The award ceremony will be recorded by Bayerischer Rundfunk and broadcasted on June 18 and June 20, 2024, at 10.05 p.m. on BR-KLASSIK.

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Program

Word of welcome

Tabea Zimmermann

Chairwoman of the Foundation Board

Composer Prizes

Daniele Ghisi

Portrait film

3 pieces from Weltliche (2020) for piano and electronics

Joseph Houston, piano

Bára Gísladóttir

Portrait film

RÓL (2023) for tuba and electronics

Jack Adler-McKean, tuba

Zhu Yiqing

Portrait film

The Aether and Nether (2023) for pipa, flute and electronics

Liyi Lu, pipa; Rafał Zolkos, flute

Presentation of the Composer Prizes

Thomas Angyan

Chairman of the Board of Trustees

Conversation

Thomas Angyan in a conversation with Annekatrin Hentschel

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Film Clips Ensemble Prizes

Broken Frames Syndicate and Frames Percussion

Presentation of the Ensemble Prizes

Thomas Angyan

Ernst von Siemens Music Prize 2024

Unsuk Chin

Gran Cadenza (2018) for two violins

Hae-Sun Kang & Diégo Tosi, violin

Laudatory Speech on Unsuk Chin

Louwrens Langevoort

Artistic and Managing Director of the Kölner Philharmonie

Presentation of the Ernst von Siemens Music Prize 2024 to Unsuk Chin

Tabea Zimmermann

Unsuk Chin

Doppelkonzert (2002)

Ensemble intercontemporain

Dimitri Vassilakis, piano

Samuel Favre, percussion

Pierre Bleuse, conductor

Annekatrin Hentschel, host

Zoro Babel, electronics

Portrait films and Filmclips by Johannes List

Afterwards, the Ernst von Siemens Music Foundation has the honour of inviting you to a reception in the foyer of the Hercules Hall.

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Composer Prizes

Daniele Ghisi

3 pieces from Weltliche (2020)

Blumen after J.S. Bach Weichet nur, betrübte Schatten (BWV 202)

Schlafe after J.S. Bach Wieget euch, ihr satten Schafe (BWV 249a)

August after J.S. Bach Jede Woge meiner Wellen (BWV 206)

for piano and electronics

Every transcription is a crossing: it is not just about the etymology of the word, but about the profound sense of relating synchronously with the music of yesterday and today. In the right perspective, every composer is around the corner.

The pieces in Weltliche are crossings of episodes from five different secular cantatas by J.S. Bach. Of the originals, they retain some concrete elements (harmonic structure, melodic cells...), but they move away from them through superimpositions, absorbtions, explosions, canons - and, above all, through the sounds of electronics.

Electronics is the arrow that widens the gaze: it connects the abstractness of a sine wave and the concrete of chattering inside a bar; it profanes the sacredness of Bach with the lightness of a carefree song. The electronics are largely diffused through transducers, using the piano’s wood as a loudspeaker: the piano itself, then, becomes the emanation of an elsewhere, a world outside time where every encounter is possible, where every encounter is secular.

Weltliche is neither a homage nor a reworking: it is a body that tries to cross Bach, coming out light and transfigured.

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Poetic spaces

One, one, two, three, five, eight, thirteen. The close links between music and mathematics were apparent long before the Fibonacci series became a popular topos of 20 th-century compositional practice. What is more, one of the origins of the phenomenon we now call music lies in the Pythagorean philosophy of numbers. Aristotle called music the “science of the audible”, and since Boethius at the latest it formed part of the numbers-based quadrivium of the seven liberal arts alongside arithmetic, geometry, and astronomy.

The fact that composers may have an affinity for mathematics is thus not unusual; however, it is more unusual for them to actually be mathematicians. Daniele Ghisi, who was born near Bergamo in 1984, is such a composer-cum-mathematician. In parallel to his studies in composition, he completed a master’s degree in mathematics at the University of Milan. In his theses, he focused on so-called “shearlets”, representation systems used in signal and image processing, and developed a study on the properties of interval vectors in musical set theory.

“Mathematics helps me compose – not in a specific application-related form, but as a way of thinking”, says Daniele Ghisi. Accordingly, for him composing is always an exploration of music, sound and technology. It was thus only logical that he continued his studies at IRCAM – the Paris Institute for Sound Research –from 2008 to 2011. “The combination of musical production and research”, explains Ghisi, “really interested me: research on technology, always combined with research on musical thinking. At IRCAM, I started on a path that led me to work much more with electronics and to create music in which instruments and electronics interact”.

Almost all of Ghisi’s more recent compositions are written for acoustic instruments plus electronics. Frequently, the compo-

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sition’s technical setting is made explicitly audible and visible. Ghisi emphasizes the potential offered by contemporary technologies, using them as an integral part of contemporary aesthetic practice and thus freeing them from their image as mere “addons”. “Electronic music”, he says, “always also has to do with presence and performance.”

A further methodological aspect underpinning Daniele Ghisi’s creative work is the analysis of musical materials, not least with a view to their “suitability” in possible recontextualizations. Instead of embracing the illusion that he is creating a new kind of music ex nihilo, Ghisi explores what already exists, playing with traditional meanings in new environments, mixing sounds and forms irreverently in the best sense of the word, deconstructing their original messages and reassembling them. Allusions to and quotations from music history thus appear again and again in his compositions: from Guillaume de Machaut and Johannes Ockeghem to Bach, Chopin, Wagner, Gérard Grisey and Tom Johnson. Ghisi is particularly fond of the music of Johann Sebastian Bach, although he certainly sees no need to treat Bach’s music with veneration. Far from it: Ghisi gives Bach a new place in the here and now, approaching his ideas from the perspective of a technologically savvy “millennial”.

In addition to borrowings from music history, references to literature also play a role in Daniele Ghisi’s work. A fair number of his pieces are text-based or at least take a literary “object” as their starting point. His choice of texts likewise spans a wide range, from Gustavo Adolfo Bécquer and Fernando Pessoa to contemporary authors such as Bernard-Marie Koltès and Maylis de Kerangal. In much the same way that electronic sounds and effects are integral to Ghisi’s music, the text – or, more specifically, the language – cannot be separated from the musical form. The linguistic creation of meaning gives rise to a narrative that the music both follows and comments upon. In this sense, Ghisi does not “set to music”, but creates an “immersive” environment in which the semantic levels overlap and become one: “As soon as sounds become language, words lose their meaning and be-

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come meta-words that carry a trace of their former meaning like a faint shadow” (Ghisi).

Calling Daniele Ghisi’s compositions interdisciplinary or intermedial merely describes an external, superficial aspect of his work; ultimately, he is concerned with much more than simply combining different media. With each piece, Ghisi re-examines the interrelation of form and perception, creating poetic spaces in which he attempts to overcome the idea that every art form requires its own defined category.

Biography

Daniele Ghisi was born in Italy in 1984 and studied composition with Stefano Gervasoni and mathematics at the University of Milano-Bicocca. Between 2008 and 2011, he attended the “Cursus de composition et d’informatique musicale” at IRCAM in Paris. He spent a year as composer in residence at the Akademie der Künste in Berlin (2009 –2010). From 2011–2012 he was a member of the Académie de France à Madrid – Casa de Velázquez and returned to the IRCAM in 2012.

Daniele Ghisi then went to the Haute École de Musique de Genève as a research assistant from 2013 to 2014, where he became artistic and scientific advisor in 2019. His collaboration with the Divertimento Ensemble in 2015 resulted in his first CD (Geography). In 2017, Ghisi received his PhD in Composition and Music Research from Sorbonne University and received teaching assignments in electroacoustic composition at the conservatories of Genoa and Piacenza. In 2020, he joined the Center for New Music and Audio Technologies at the Berkeley University of California as a research associate for one year. He currently teaches electroacoustic composition at the Turin Conservatory.

Daniele Ghisi has worked with various ensembles and orchestras, including Ensemble Musikfabrik, Ensemble Modern, Divertimento Ensemble, Orchestra del

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Teatro La Fenice, Orchestre des Pays de Savoie, FontanaMix Ensemble, Quartetto di Cremona, Orchestra Regionale della Toscana and Ulysses ensemble. His works have been performed at festivals such as ManiFeste, Milano Musica, RSMAD Glasgow Piano Festival, GRAME, MiTo Settembre and Festival Archipel. In addition to his work as a composer, Daniele Ghisi is also a scientist. In his dissertation, he dealt with techniques for computeraided composition. He is involved in the development of corresponding software. This led to the creation of the online library “bach”, “cage” and “dada”.

He is co-founder of the collective /nu/thing. His music is published by Ricordi.

RÓL (2023) for tuba and electronics

RÓL (og gól (roll and goal)) was written for Jack Adler-McKean in 2023 and premiered at the Darmstädter Ferienkurse the same year. A work for solo tuba and live-electronics, built on the idea of smoke and metal, rock and roll.

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Home bass.

Close-up. The first time Bára Gísladóttir picked up a double bass was on a school exchange to New Zealand. She had learnt violin as a child but given it up some years earlier, her attention briefly captured by soccer instead of music. Nevertheless, the school’s orchestra needed a bass player, and with her background in string playing Gísladóttir was encouraged to have a go. It helped that her teenage stage fright could hide behind the instrument’s bulk. But more important, Gísladóttir felt an immediate affinity with its long, thick strings and cavernous soundbox. She found how slight changes in finger pressure or bow speed could suggest new, enticing worlds of sound: how there could be millions of universes in every point. As she learnt to control these worlds –to learn the tiny adjustments of her hands that would allow her to enter and pass between them at will – her bass came to feel not like a separate object but like an extension of her body. It has barely left her since.

When she began to write music a few years later, following studies at the Iceland Academy of the Arts in Reykjavik, the Conservatorio di Musica “Giuseppe Verdi” in Milan, and the Royal Danish Academy of Music in Copenhagen, she came to handle moments of heightened emotion in her music like she handled the strings of her bass: as pinpricks of pressure that cut into the thread of life and cause it to reverberate. So, in Suzuki Baleno (2016) she transformed a disquieting childhood glimpse into adulthood into an attenuated lullaby. In Music to accompany your sweet splatter dreams (2019), the thrill of careening down a mountainside in the back of a pick-up truck became a kaleidoscope of screams and breathless silences. In the self-explanatory Rage against reply guy (2021), the spikes of revulsion faced by every woman online collapse into waves of doom metal-inspired drone. Subtly squeezing and releasing, Gísladóttir discharges walls of noise and raw sound – worlds within worlds of memory and consequence – each with the potential to flood our immediate experience. “The bass has become a home for me”, she explains now. “And you see everything from your front door.”

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Portrait. In Copenhagen, where she has lived since 2015, Gísladóttir pins sheets of manuscript paper around the walls of her study. Sitting in the middle, she doesn’t seek a birds-eye view of her music, but rather wants to surround herself with it, to become fully absorbed by it. Just as her arms wrap around her bass, so she invites her music to wrap itself around her; a coil within a coil.

To listen to Gísladóttir’s music is to be similarly folded into a twisting organism, watching from the inside as it spreads, consumes, dances and reproduces. “It’s very important to me the idea of sound being treated as something alive”, Gísladóttir says from within her study. “The feeling of sound as sterile is extremely depressing to me; it’s so important to remember the life in everything, and not only in humans.” In Animals of your pasture (2021), she imagines a flock of beasts viewed from different camera angles and at different speeds. But this is music that is visceral, not pastoral: as the flock runs, sleeps and sings, its vitality is reflected in the metallic crinkling of thimbles on harpsichord strings, the howls and drones of woodwind, and the chaos of electric guitar improvisation. Likewise, in SILVA (2022), an hour-long solo for bass and electronics, Gísladóttir imagines the secret underground life of trees: a world of techno raves and heavy metal parties deep in the subsoil. But while the image is humorous, layers of electronic processing (and the power of low frequencies to liquify and devour) take it beyond organism, beyond being. Reflected and distorted by its resonances and reverberations, her bass becomes less object than hyperobject: something so massive and diffuse it can no longer be perceived directly; like climate change, or the patriarchy.

Wide angle. Within her cocoon, Gísladóttir stretches out. In February 2020 she sat at the centre of the large and resonant Grundtvig’s church in Copenhagen. The occasion was the completion of her postgraduate studies and people were gathered for the premiere of her VÍDDIR (2019). Beside her were the three percussionists of NEKO3 and her regular duo partner, the renowned jazz bassist Skúli Sverisson. Around them sat the

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audience, in quiet anticipation, and around them a circle of nine flutes: a silver event horizon. From the scream with which it begins, to the long bass flute solo with which it ends, through deep pools of bass and the coal-like gleam and glitter of metallic percussion, the music of VÍDDIR passes across this circle from edge to centre and back, like soundwaves across a giant gong. Past the rim of flutes it exceeds the players’ control and is given up to the walls of the church, where it dissolves and is reflected back as subsonic rumble and static fuzz. The sound remnants of the big bang. From the edge of the universe, Gísladóttir looks back to embrace us. We are a long way from our front door.

Biography

Bára Gísladóttir is an Icelandic composer and double bass player. She studied composition at the Iceland Academy of the Arts in Reykjavík, at the Conservatorio di Musica “Giuseppe Verdi” in Milan and at the Royal Danish Academy of Music in Copenhagen. She is an active performer and regularly plays her own music, solo or with her long-time collaborator Skúli Sverrisson. She is also a double bass player in the Elja Ensemble. Occasionally she performs as a soloist with ensembles and orchestras, most recently with her own double bass concerto Hringla with Copenhagen Phil and the Iceland Symphony Orchestra. In recent years, Gísladóttir has increasingly focussed on interdisciplinary productions, working primarily with Ben J. Riepe.

Her music has been performed by ensembles and orchestras such as Athelas Sinfonietta, Collectif Love Music, Copenhagen Phil, The Danish National Symphony Orchestra, The Danish National Vocal Ensemble, Elektra Ensemble, Ensemble Adapter, Ensemble intercontemporain, Ensemble New Babylon, Ensemble recherche, Esbjerg Ensemble, Frankfurt Radio Symphony, Helsingborg Symphony Orchestra, Iceland Symphony Orchestra, loadbang, Marco Fusi, Mimitabu, NJYD, Nordic Affect, Polish National Radio Symphony Orchestra, Riot Ensemble, Siggi String Quartet, Solistenensemble Kaleidoskop and WDR Sinfonieorchester.

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Gísladóttir’s pieces have been selected for festivals such as the CPH Jazz Festival, the Dark Music Days, the Darmstadt Summer Courses, the Festival Musica, the Huddersfield Contemporary Music Festival, the International Rostrum of Composers, the KLANG Festival, MaerzMusik, the Nordic Music Days, the SPOR Festival, the TRANSIT Festival, the Warsaw Autumn and the Wittener Tage für neue Kammermusik.

She has been honoured with the Carl Nielsen and Anne Marie Carl Nielsen Foundation Talent Prizes, the Gladsaxe Music Prize, the Léonie Sonning Talent Prize and the Reykjavík Grapevine Music Prizes. In 2021, she was one of three artists to receive a three-year working grant from the Danish Arts Foundation.

Gísladóttir has released several albums, most recently SILVA via Sono Luminus/ESP-disk. Her works have been published by Edition-S. She lives in Copenhagen.

Yiqing Zhu

The Aether and Nether 千嶂九幽 (2023) for pipa, flute and electronics

The Chinese title 千嶂九幽 means “Thousand Peaks, Myriad Seclusion” while the English title The Aether and Nether suggests a pairing of realms — one representing higher, mystical planes, and the other denoting lower, possibly darker dimensions. The work is a “spiritual mixture” of East Asian Music, Egyptian Music, Blues, Rock, Techno, Glitch and Pop Music. The composer use these collisions to express the subjective nature of artistic interpretation and the beauty of cultural misunderstanding. In addition to the cultural aspect, the work is also technically attracted to the Error Aesthetics by using technologies such as real-time audio processing, wavetable synth and tactile sensor. The parameters of all the chaotic parts are trained by linear regression algorithm in realtime.

Yiqing Zhu

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Persistent Volatility

Yiqing Zhu’s daily effort to think in a way that shuttles between different territories of knowledge is manifested as much in his music as in his leisure-time study notes, an example of his miscellaneous channels of verbal expression, including poems, travel diaries, and essays. In these notes, glosses on terminology from math, microeconomics, and cognitive psychology, often typologically formalised—mirroring how his musical œuvre expands in multiple series—are interlaced with spontaneous remarks on artistic, philosophical, and social issues pertaining to our time. The rationale behind such an exercise? The belief that a heuristic mapping of scientific concepts onto musical knowledge helps to form new ways of imagining music. Increasingly, a curiosity about how far two seemingly incommensurable things can approximate each other has become a driving force in Yiqing Zhu’s composition.

As interest in sound technology and AI grows, Yiqing Zhu indulges in an effervescent soundscape: volatile micro-gestures propagate in a condensed timeframe, dashing, ricocheting, and twitching in the widest possible spatial and dynamic ranges. A Janus-faced intensity takes shape. On the one hand, this is hyper-energetic music, so concrete that sounds become touchable objects. This sensibility radiates sheer exuberance—testament to the satisfactions and stimulations that Yiqing Zhu has found in computer composition, a realm that he wishes he could have entered earlier. On the other hand, this music is equally engrossing for its refined craftsmanship, which, interestingly, stands in almost anachronistic contrast with the world of codes, weaving Yiqing Zhu’s excitement into crystalline filigree, watertight structures, and finely proportioned forms. Working extensively on algo-based sound synthesis and live processing in Stuttgart has proven a turning point (Yiqing Zhu studied under Marco Stroppa). The digital approach prompted him to see sound, time, nature,

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and the finitude of human perception in a fresh new light and has led him to the special modus operandi of constantly travelling between two milieux: one of vital, qualitative materialism and the other of digital, quantitative simulacra, to use Jean Baudrillard’s parlance. This oscillation continues to the extent that one of the original milieus is continually inundated with patterns from the other. The idea of translation or transcoding is without doubt at the heart of digital technologies. The same idea has become especially fertile in Yiqing Zhu’s compositional approach—one that always seeks to disrupt boundaries distinguishing the artificial from the natural, the technologically manipulated from the corporeally rooted, instrumentality from vocality, and the autonomy of human agency from a web of mixed forces affecting situations and events.

This orientation provides anchorage for a series of electroacoustic works composed in a phase whenYiqing Zhu searched for a “granulation-inspired” aesthetic. The legacy of granular synthesis, which inaugurated a way of imaging sound as infinitely fissile and malleable particles and made the universe of what Xenakis once termed “micro-composition” widely open, fed into Yiqing Zhu’s classical ensembles and orchestras. The core of this music is implied in the title of each work—different inflections unified by the Chinese character “碎”, meaning something smashed, fractured, pulverized. This semantic image and the character’s phoneme— “sui“, an insubstantial, sibilant sound— jointly epitomize the sound archetype defining this music: splinters or droplets of “noises”, spitting, splashing, scattering. Anomalous in spectrum, explosive in trajectory. Just like pixels becoming ever denser, granular processing confronts us with the riddle of resolutions of perception with its quantitative approach to realism. But as much as the calculation of perceptual difference—the “smallness”—fascinates Yiqing Zhu, the biological underpinning of perception remains a key determinant. Thus, in the cycling and micro-mutations of minute slices of sound, one experiences a kind of modulated difference that manifests itself not through quantitative divisions, or a negation of idenity, but through qualitative resemblances, which approximate non-iden-

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tity. What feels refreshing is a minimalism so saturated and an intermittency that relentlessly rejuvenates itself. In Le ciel écrasé 碎穹 (2018), the restless flux of sonic shards is carefully navigated by buoys serving effectively as cognitive “bridges”: a short, spasmodic morse-code-like ostinato, for example, or duplications of an octave in clusters, the purity and simplicity of which are analogous to those of a sine tone.

A mutual becoming is a central design device here. As the gritty and springy sounds emitted from the tenor saxophone in L’oeil brisé 碎瞳 (2017) mirror the perforated sonorities of the electronics, the „becoming-instrumental“ of the electronics is also under way: synthetic cut-ups, notated as if they were nonpitched percussion, fill in empty fissures and form a micro-contrapunctal line against the solo instrument. When this dual becoming involves processed and unprocessed human voices, such as in the case of Le visage déchiré 碎脸 (2017), something disquieting emerges: hints of vocal warmth and the sputtering of shattered syllables foreground a voice that is deeply polemical. The question of whether it is from a seething subject, crying on the brink of total disintegration, or, rather, from a “ghost in the machine” is perplexing until the epilogue, during which a cyborgsoprano, now put in the spotlight, sings a carefree but assertive final cadenza. Vanishing Chan t (2019) takes this to the next level. Six singers act like an omnipotent human synthesizer—a thoroughgoing a simulation (vocal) of simulation (digital). Adding to the humanness of the piece is Yiqing Zhu’s choice of text from an Agatha Christie whodunnit, potentially using the extraordinary plasticity and theatricality of voice to reinvigorate a Christie hallmark: in a play of appearance, nothing is quite as what it seems to be.

As conversion and reversion between media continue to fuel Yiqing Zhu’s inspirations, a cultural sensitivity is progressively maturing. The years when Yiqing Zhu studied composition at the Shanghai Conservatory of Music witnessed an aesthetic reality in which standardized idioms based on historical models of European new music were concurrent with two other tendencies: a resistence against aloof academicism and a newly-felt urge to

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articulate a Chinese cultural identity. Already evident in his earliest works, Yiqing Zhu’s pluralism is both an acceptance and a negation of such a reality. The Silence of Borobudur (2014) meanders through a maze that blends musical antiquities from Japan, Indonesia, and China. The piece anticipated an ongoing series (“Chinese Poetry”) that engages with the composer’s Chinese and East Asian heritages, one that bypasses the stylistic clichés so often associated with an essentialist attitude towards cultural identity. Seen in this light, the refined polyphonic technique and the teachings of Formenlehre that are thrown into relief in works such as DeepGrey (2020) for orchestra, the First Prize winner at the Basel Composition Competition, and a series of works that reimagine the Baroque suite, including Partita (2019), a set of five virtuosic concertinos, should arguably be regarded as an equally remarkable example of how Yiqing Zhu culturally locates himself. Recently, an even greater diversity of influences has seeped into his music, encompassing metal, techno, and glitch. But these elements do not appear to settle, nor do they proclaim dominance over one another. Such is the case of DeepBlue (2020) and DeepVoid (2022). The former, a capriccio for large ensemble and electronics, features a porous milieu where jazzy snippets, electronic throbs, sizzles, beeps, and quotidian sounds like heartbeats and radio speech travel freely in and out, filtering and moulding one another. In the latter, atmospheric allusions to gamelan and ancient folkish singing permeate a genre that is quintessentially occidental and canonical—the string quartet. The chameleonlike adaptability behind such a capricious musical assemblage, one that is constantly “en route to deterritorialization”, as Deleuzian critics would have it, originates more from a strong penchant for fluidity and change than from Yiqing Zhu’s cross-continental or intercultural experience in fact.

Unsurprisingly, “Deep-” as a prefix for Yiqing Zhu’s work titles comes from what preceded the rise of deep learning: the first chess robot to beat a human expert, Deep Blue. Yiqing Zhu sees it as a token of the kind of creativity that would lead him somewhere unknown and unpredictable. In the same spirit, he refers

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to the idea of convolution, which originally denotes a mathematical operation that couples one function with another. In digital image processing, for example, convolution results in blended information that turns the purely numerical into something “perceptual”—it is precisely this kind of threshold-crossing transformation that is the attraction here. Yiqing Zhu’s latest experimentation involves tactile and motion sensors and the visualization of sonic data. The carving, warping, and melting of sounds thus become even more real (or surreal) in the sensory and physical dimensions. And what will follow? As yet we do not know. What we can be sure of, however, is that this is a daring, unreserved, and tender mind. As his travel diaries attest, to circle back to where we begin regarding Yiqing Zhu as a keen writer, when roaming around different corners of Europe, he never restrained himself from marvelling, sympathizing, being moved, exhausted, and, most importantly, extending his antenna in unknown directions.

Biography

Yiqing Zhu (*1989) is a Chinese composer and pianist. He learnt to play a number of instruments as a child, including the piano, accordion and violin. In 2008, he began studying composition at the Shanghai Conservatory of Music. He continued his studies at the Royal Danish Academy of Music as part of the Erasmus programme. He then went to the State University of Music and the Performing Arts Stuttgart, where he graduated in 2019. His teachers include Huang Lv, Niels Rosing-Schow and Marco Stroppa. Zhu is currently a teacher of composition at the Shanghai Conservatory of Music.

Yiqing Zhu is not only interested in contemporary music. He also explores traditional Eastern music, electronic music, jazz, world music and popular music. In his works, he endeavours to break down the boundaries between the artificial and the natural, the technologically manipulated and the physically rooted, instrumentality and vocality.

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He works internationally with ensembles and orchestras such as Ensemble intercontemporain, Ensemble Musikfabrik, Klangforum Wien, Neue Vocalsolisten, Moscow Ensemble for Contemporary Music, Mivos Quartet, Quatour Diotima, Ensemble Cikada, Ensemble Soundstreams, Ensemble Suono Giallo, Han String Quartet, Ensemble Novel, Copenhagen Piano Quartet, ChinaAsean Contemporary Orchestra, Shanghai Symphony Orchestra, Shanghai Philharmonic Orchestra and Singapore Chinese Orchestra.

His works are performed at various music festivals such as Manifeste, ilSuono Contemporary Music Week, Lucerne Festival, Shanghai New Music Week, Festival Archipel, Dyce Project and Impuls Festival 2021

For his orchestral work DeepGrey, Yiqing Zhu won the first prize of the Basel Composition Competition 2021. He is also the winner of the Impuls Competition (Graz) 2019, the Dyce Competition (Milan) 2019 and winner of the 3rd prize of the Singapore Chinese Orchestra Competition 2011

Ensemble Prizes

Broken Frames Syndicate

The Frankfurt, Germany-based Broken Frames Syndicate plays contemporary music and brings holistic concert experiences to the stage. The ten musicians show alternatives to the usual and stand up for the critical examination of socially relevant topics. They present current positions in young music and art and offer contemporary interpretations of key works from recent music history. Their productions often present a multidisciplinary view of non-musical themes.

They particularly enjoy working with young composers, with a focus on diversifying programmes and the classical concert business. The conceptual penetration of their programmes is important to them. They use music to tell stories, stimulate discourse, think outside the box and contribute to new convic-

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tions. They are particularly keen to develop their own experimental formats in order to convey the topics they have chosen and their own values. In developing their formats, the ensemble frees itself from the outdated structures and rituals of the music business. As the classical music business all too often seems very museum-like, they want to rethink the “concert”. Through conceptual discourse and a love of creative details in particular, they want to show their attitude as musicians and at the same time create musical experiences at the highest level.

brokenframessyndicate.com

Members

Lola Rubio, violin

William Overcash, violin

Laura Hovestadt, viola

Nathan Watts, cello

Katrin Szamatulski, flute

Moritz Schneidewendt, clarinet

Peng-Hui Wang, bassoon

Vitaliy Kyianytsia, piano

Yu-Ling Chiu, percussion

Lautaro Mura Fuentealba, conductor

Frames Percussion

The Frames Percussion ensemble from Barcelona is characterised by its unusual line-up. Eight percussionists and a sound director came together to form an ensemble in 2014. Since then, the ensemble musicians have been working closely with composers and expanding the repertoire for contemporary percussion ensembles. The ensemble is also responsible for the creation and interpretation of music theatre works.

The ensemble’s repertoire includes stylistically influential standard works from the repertoire for percussion ensembles as well as world premieres by well-known composers such as Meriel Price, Yukiko Watanabe, Cathy van Eck, Ruud Roelofsen, Montserrat Lladó, Manuel Rodríguez-Valenzuela, Pablo Carrascosa, Luis Codera Puzo, Núria Giménez-Comas, Sirah Martínez,

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Alberto Bernal and Helena Cánovas. Frames Percussion is committed to working with up-and-coming young composers and giving them a stage for their works.

Since its foundation, the ensemble has quickly developed into one of the most active groups for new music in southern Europe and gives over 25 concerts every season. The musicians regularly present their programmes at L’Auditori in Barcelona. Frames Percussion performs at festivals and venues throughout Spain and Europe, including the Mixtur Festival, Fundación Juan March, VANG Madrid, Festival Riverrun of Albi, Festival GREC, CNDM and others. The group played a crucial role in the creation of the concert series Difraccions (formerly known as OUT-SIDE).

In 2022, Frames Percussion released their debut album with the recording of David Lang’s The so-called laws of nature on the Neu Records label and their first EP with Silenced by Elena Rykova on the Phonos Netlabel.

framespercussion.com

Miquel Vich Vila, percussion, artistic direction

Ruben Orio, percussion, production and artistic assistance

Feliu Ribera Riera, percussion

Ferran Carceller Amorós, percussion

Sabela Castro Rodríguez, percussion

Daniel Munarriz Senosiain, percussion

Javier Delgado Pérez, percussion

Núria Carbó Vives, percussion

Itziar Viloria Céspedes, live-electronics

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Ernst von Siemens Music Prize

Unsuk Chin

Gran Cadenza (2018) for two violins

Gran Cadenza, commissioned by Anne-Sophie Mutter, is a virtuoso duo for two violins. The title alludes to the tradition of virtuoso solo passages in the course of an aria, an instrumental concerto, or a chamber music work, which are either improvised by the soloist or already written out by the composer, and that as a rule offer ornamental, rhapsodic, and rhythmically free elements.

Gran Cadenza is a self-contained, written-out work, and also clearly longer than the solo cadenza of an instrumental concerto. Nevertheless, it reflects elements of free traditional musical forms such as that of a cadenza, a capriccio, or a fantasy. The connection to the cadenza becomes clear through the exhibition of the virtuoso skills of two soloists which, entirely in the sense of the Latin “concertare,” alludes to competition and dispute, but also to reconciliation and cooperation. Gran Cadenza savors the various kinds of interactions – conflict, dialogue, and fusion; its form develops fluidly through contrasts and diverse transitions between these various states.

The piece is opened by marked and abrupt gestures of the second violin, which – in complete contrast – are juxtaposed with seemingly improvisatory, ethereal-ornamental figures of the first violin. After a while, the first violin suddenly “attacks” the second violin, and virtuoso musical skirmishes and exchanges of blows of various kinds ensue, whereby all possible cadenza-like cliches flare up as fragments.

Eventually, the two soloists come together: the entire kinetic energy comes to a virtual standstill and flows into tonally distorted, triad-like harmonies, which are presented by both violins in alternation and in competition with one another. A sudden build-up of energy, including ornamental interjections, in which

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short fragments flare up as echoes of earlier motifs or as anticipations of later developments.

The flow is again and again interrupted by reminiscences of the beginning. Finally, the two lines lead into a quick and dense motion in the middle range, which resembles a sort of carpet of sound. This texture spreads out inexorably in various registers and in continually more virtuoso forms until it is abruptly interrupted by pizzicatos, and the whole motion unexpectedly comes to a standstill.

Double concerto (2002)

This double concerto for piano, percussion and ensemble is my third commissioned work for the Ensemble intercontemporain. The idea came to me after my experiences with my earlier works in which I used piano and percussion: the Etudes for piano, the two Etudes for piano, the two concertos (for piano, for violin), Fantaisie mécanique, Allegro ma non troppo. In this new piece, I try to combine the two instrumental parts (soloists and ensemble) in complete homogeneity, so that a single, new body of sound is created. The piano is “prepared” with small metal blocks that produce a slightly muted, metallic sound in the middle registers, and a percussive sound in the lower registers. The sound of the prepared strings creates a contrast to the sound of the unprepared strings. The ensemble, consisting of 19 musicians, represents to a certain extent the shadow of the solo parts. These send impulses to develop the “germs” of the material. However, these impulses can just as well encourage each of the 19 instruments instruments to tell their own story. The ensemble is reinforced by a percussionist who gives the soloist parts an additional colouring through very special effects. The result is a world of sound whose points of reference are in both Western and non-European music. Based on this, I try to create music with a very colourful pace and mode of expression, which is free and flexible and whose course is sometimes completely unpredictable.

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“Begin at the beginning” the King said, very gravely, “and go on till you come to the end: then stop.”

Down the Rabbit Hole

The Music of Unsuk Chin: Transcultural Kaleidoscopes of Sound and Orchestral Illusion Machines

Virtually every review of Unsuk Chin’s compositions immediately homes in on her music’s most impressive qualities – its immediacy, sensuality and vividness. Glistening and sparkling, gleaming and flickering, its polyphonic instrumental textures shift and metamorphose, giving rise to constellations of sound that astonish us again and again. After 300 years of orchestral music, this is a feat worthy of admiration in and of itself. But what makes Unsuk Chin’s compositions so very special cannot be broken down solely to the dazzling surfaces and seductions of her art of instrumentation. Rather, it has to do with the complexity and multidimensionality of the means she employs – their ambiguity and imaginative potential, the interplay of construction and dynamic expression, of solidity and movement, of obvious beauty and latent inscrutability. All the more so because in Chin’s concept of sound, colour and structure are two sides of the same compositional coin.

The large orchestra is unmistakably the composer’s favourite and most effective medium. Undaunted by contemporary music’s predilection for fragments, Chin has for decades now elicited from the orchestra an energy and richness of sound that only few current composers can match. One of her music’s outstanding qualities is its ability to steer clear both of aesthetic trends and of commercial superficiality. Unsuk Chin’s speech at the 2005 Arnold Schönberg Prize award ceremony in Vienna formulates one of her key artistic premises: that “complexity and communication need not be incommensurable variables.”

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For more than 30 years, Unsuk Chin has kept a noticeable distance to the music business and its institutions. The reasons for this lie in her manner of working among other things. Chin is not a prolific composer, but takes her time, scrupulously honing even the tiniest complexes of sound to translate her imaginings as precisely as possible into something that can be experienced by the senses. This is conspicuously at odds with the demands of the annual round of festivals and its commissions. But Chin’s unhurried creative process has not detracted from her international success, which first took off not in Germany, but in the United Kingdom and France and is closely associated with the conductors George Benjamin and Kent Nagano.

When the recent graduate of Seoul National University came to Hamburg from South Korea in 1985, armed with a DAAD scholarship and determined to learn all she could about contemporary European music, success was still a long way off. For three years, Unsuk Chin was part of György Ligeti’s composition class –an experience that in retrospect was as traumatic as it was groundbreaking for the inexperienced composer, who had arrived in Germany still focused on the post-serial toolkit of her Korean teacher Sukhi Kang: “Ligeti plunged me into a creative and existential crisis because he made me understand that I needed to free myself from the traditions of the Second Viennese School, serialism and post-serialism if I wanted to find myself. It thus became important for me to study not just ‘Western’ modern music, but the traditional music of different cultures. The idea of the essence and the ‘inward part’ of sound and the search for a form that developed organically from the naturally given qualities of the sound-matter became important to me.”

Following a creative crisis that lasted several years, this quest for the fundamentals of sound led Unsuk Chin to the electronic studio at Berlin’s University of Technology. There, in the early 1990 s, she explored the possibilities opened up by electronic music. At first, she experimented with audiotape pieces, but these works always had an instrumental or concrete foundation, never a purely synthetic one. Gradus ad infinitum (1989) was inspired

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by Conlon Nancarrow’s pieces for player piano and set out to surpass Nancarrow’s polyphony, which is impossible for humans to play, in its eight-part superimposition of different tempo layers; in Allegro ma non troppo (1993/94), previously recorded percussion and real-world sounds formed the basis for electronic transformations that aimed to create flowing transitions of timbre. The 1998 work Xi for ensemble marked the preliminary apex of a series of works focused on fusing electronic and instrumental soundscapes.

Even though electronic music only plays a subordinate role in Chin’s creative work as a whole, these first experiences in the electronic studio (similarly to Ligeti in the mid-1950 s) were a major influence on her development of highly differentiated sonic effects in pieces written for polyphonic multi-instrument apparatus. She was able to gain an in-depth understanding of sonority, its layers, interconnections and multidimensionality. Her early experiences are also reflected in physiognomies of sound that, even in purely instrumental contexts, sometimes display an astonishing kinship with electro-acoustic music. Looking back, the 1990 s represent the experimental decade in Unsuk Chin’s œuvre, a time the composer was exploring very different technical, structural and aesthetic possibilities: audiotape pieces and hybrid electro-acoustic forms stand side by side with vocal compositions, chamber music works containing elements of improvisation (Fantaisie mécanique for five instrumentalists, 1994) and scenic performance (Allegro ma non troppo for percussion and tape, 1993/94; 1998), then, suddenly, piano etudes (from 1995 onwards) and a piano concerto (1996/97). An overcoming of her Ligeti trauma?

Given that Unsuk Chin moved to Germany from Korea in the 1980 s, it seems obvious to ask what role her Korean origins played in her search for artistic identity. Surprisingly, only a subordinate one. Unsuk Chin has never set out to integrate the sounds and concepts of the Asian musical traditions into her compositions: “I don’t see myself as a Korean composer, but as a composer who is part of an international music culture (...)”. 1 Not wanting

1 Orig. “Ich verstehe mich nicht als koreanische Komponistin, sondern als Komponistin, die Teil einer internationalen Musikkultur ist (...).” Cited from Hanno Ehrler: Ordnung, Chaos und Computer. Betrachtungen zur Musik Unsuk Chins, in: Stefan Drees (ed.), Im Spiegel der Zeit – Die Komponistin Unsuk Chin, Mainz 2011, p. 32.

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her compositions to give off the impression of musical exoticism, Chin has also avoided using Asian instruments as far as possible. There is one major exception: Šu (2009), a concerto for sheng and orchestra. But here, too, the Chinese mouth organ is used not to create a kind of Asian aura, but rather to quite literally sound out its particular sonic capacities.

Even though Chin has distanced herself from a supposedly Korean musical language, her works naturally contain numerous references to various Asian musical traditions. However, like all other cultural points of reference in Chin’s works, these Asian references take effect as allusions and illusions; no claim to synthesis is made. Even the composition that is most obviously close to Korean music, whose six suggestive episodes are based on the composer’s musical childhood memories, only appears to allude to original, traditional matter. With its decidedly quirky instrumentation and narrator-like percussion apparatus, Gougalon (2009/12) evokes the performances of travelling amateur theatre companies in Chin’s homeland. Nevertheless, this ensemble composition (despite its narrative movement titles) is not an attempt to fuse authentic Korean material with European techniques: “Gougalon does not refer directly to the amateurish and shabby music of street theatre (...) This piece is concerned with an ‘imaginary folk music’ that is stylized, fractured and only seemingly primitive.” Chin’s remarks about Gougalon can be seen as exemplary of her aesthetics: the material of her music is not found but invented, not “authentic” but imaginary.

The fascination exuded by Chin’s instrumental compositions and their richness of sound makes it easy to forget that her oeuvre also includes an important vocal work. Indeed, Chin’s international career began with the world premiere of a vocal composition, an event in which last year’s Ernst von Siemens Music Prize winner George Benjamin had a hand. Akrostichon-Wortspiel for soprano and ensemble caused a considerable stir in London in 1993 (at the premiere of its final version), the lively newspaper coverage making Chin an instant celebrity.

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Seven musical scenes based on motifs from Michael Ende’s The Neverending Story and Lewis Carroll’s Alice Through the Looking Glass for the first time revealed Chin’s fascination with fairytales and the grotesque on a larger scale. Above all, however, Akrostichon-Wortspiel revealed a compositional conception of language that relegated semantics to the background and was not afraid to completely reorganize its components. Kalá for soprano and bass solo, choir and orchestra (2000) sets assorted poems by Gerhard Rühm, Inger Christensen, Unica Zürn, Gunnar Ekelöf, Arthur Rimbaud and Paavo Haavikko that explore and experiment with language. Chin then deliberately broke the poems down even further into fragments that become the foundation of structural equivalents of sound. Chin’s selection of texts and her fundamentally asemantic approach to them speaks volumes: “I’m not particularly comfortable setting poems to music that convey specific content or feelings. Music and literature are ‘languages‘ that each follow their own rules and that often get in each other’s way when combined. In my eyes (and ears), the advantage of experimental poetry’s combinatorics is not only that it lacks concrete meaning and ‘messages’, but above all that it approximates compositional approaches.” The self-referentiality and irony of experimental poetry attracted Chin particularly and inspired her to use some of her own writings alongside texts from different eras in Cantatrix Sopranica (2004/05). The eight movements for two sopranos, countertenor and ensemble revolve around singing and the clichés in which it portrays itself, between baroque opera, Italian bel canto and avant-garde sound experiments. Musical “role-playing” with languages of the past, juggling with idiomatic ways of speaking, stereotypes and stylistic parodies are particularly pronounced here. This can take the form of comically exaggerated operatic arias, as in the fifth movement Con tutti i Fantasmi, or even of a “chinoiserie” persiflage in Yue Guang – Clair de Lune. While the idea of a polystylistic “music about music” plays a more subordinate role in Chin’s instrumental compositions, the notion comes to the fore in this vocal work in its audible delight in musical jokes and pranks.

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In the noughties, all of this led via the “test run” of Snags & Snarls for soprano and orchestra (2003/04) to Chin’s first major opera Alice in Wonderland (2007). The “world premiere of the year” (Opernwelt) at the Bavarian State Opera, conducted by Kent Nagano and with a surreal, minimalist stage design by Achim Freyer, was a major success; productions in London and Los Angeles ensued. Unsuk Chin had already been fascinated by Lewis Carroll’s “Alice” stories when still living in Korea and felt a close affinity with the books’ irrational dream world and its absurd shifts in reality, its language games, ambiguities and bizarre situations. But it was only after the death in 2006 of György Ligeti, whose own “Alice” opera never came to fruition, that Chin ventured to adapt this subject-matter, which suspends conventional coordinates of logic, causality and reason. Carroll’s wealth of allusions is reflected musically in a variety of references and stylistic parodies of existing musical forms: “The book’s quirky humour and intertextuality inspired me to write music that engages playfully with musical meanings and questions them – a musical house of mirrors, so to speak. I was looking for a musical equivalent for black humour. I had never done anything like that before.” 2 The music of Alice in Wonderland is unusually pictorial and narrative by the standard of Chin’s other works, and thus stands very much in the tradition of opera. The operatic formal repertoire is also evoked in a playful, tongue-in-cheek manner.

Chin’s music is rarely contemplative, not a “calligraphy of sound” bordering on silence, but is determined by roving forces that often drive in several different directions simultaneously. Prime examples of this vivid, polyperspectival energy in the orchestra include the single-movement rivers of sound of Rocaná (2008) and Chóros cordón (2017) or the restless onward surge of “Palimpsest” from Graffiti (2012/13).

However, almost all of Chin’s pieces develop their opulent sound from a reduced initial state, a kind of sonic primal cell from which the events evolve organically, as it were. In the Cello Concerto, this primal cell is the note g sharp, which determines almost the entire first movement; in the First Violin Concerto, it is

2 Orig. “Der skurrile Humor und auch die Intertextualität der Buchvorlage reizten mich dazu, eine Musik zu schreiben, die mit musikalischen Bedeutungen spielerisch umgeht und sie hinterfragt – ein musikalisches Spiegellabyrinth sozusagen. Ich suchte nach einer musikalischen Entsprechung für den schwarzen Humor. So etwas hatte ich vorher noch nie gemacht.” “...Zusammenprall verschiedener Arten unserer Kommunikation und unserer Erfahrung der Wirklichkeit...”, Unsuk Chin im Gespräch mit David Allenby über ihre Oper Alice in Wonderland (2004–2007), in: ibid., p. 132.

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the interval of a fifth, in Xi it is a soundless murmur (or human breathing) that forms the seed of multi-layered tonal processes that often return to the initial state again – a becoming and passing away of sound. The luscious charm of Unsuk Chin’s music often leads us to overlook that its lavishness is rarely purely affirmative, but can at any time become an outlet for terror. Kent Nagano is among the few to have pointed out this existential aspect: “But it [Chin’s music] also knows the other areas, the dark and deep zones and the insistent sounding out of and pushing into the uncomfortable. Behind a glossy, often enchantingly beautiful façade, the abyss always shines through.” 3 In Chin’s large orchestral pieces, this “abysmal” quality often manifests in catastrophic eruptions, discharges and collapses in massive, luridly orchestrated tutti passages. The focus is often on a vehement use of the percussion section.

One key medium of Chin’s musical language and its exploration of the potential of the large orchestra is the concerto, and her catalogue of works sees her engaging with this genre again and again. Over the course of 25 years, she has composed outstanding concertos for piano (1996/97), violin (2001 and 2021), piano and percussion (2002), cello (2006 –08), sheng (2009) and clarinet (2014). However, these works interpret the relationship between soloist and orchestra in very different ways. While the concertos for violin and clarinet take up the classical antagonism between individual and collective, indulging in dramatic, confrontational passages and containing sections that are unusually elegiac for Chin, in the piano concerto and the double concerto the solo instruments become a key part of the musical fabric, the aim being that solo instrument and orchestra merge into a “super instrument”.

Chin’s ambiguous relationship to instrumental virtuosity is revealed particularly tellingly in the concertos. Even though it takes extreme forms, virtuosity is never an end in itself. Closely linked with the constructive aspect of music, it is an indispensable medium for the representation of complex structures. “What interests me musically about complexity and mannerism is the

3 Orig. “Sie kennt aber auch die anderen, die dunklen und tiefen Zonen sowie das insistierende Ausloten und Hineinstoßen ins Ungemütliche. Hinter einer glänzenden, oft berückend schönen Fassade scheint immer der Abgrund hindurch.” Kent Nagano, Unsuk Chin zu Ehren, in: ibid., p. 11.

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balancing act between order and chaos, the tipping from one to the other”, 4 the composer acknowledged. Chin deliberately takes the musicians to places beyond their technical comfort zone as this uncertainty and potential overwhelm generates a particular intensity.

Unsuk Chin has always stressed that her music does not follow any programme or narrative thread, yet her works are inspired by diverse transcultural extra-musical sources from art and literature as well as from nature and the natural sciences. These sources of inspiration serve first and foremost as structural impulses for complex sound processes. The light-suffused sonority of Rocaná (2008) was sparked by Ólafur Eliasson’s installations

The Weather Project and Notion Motion, which are based on physical phenomena; Cosmigimmicks (2012) relates to different forms of minimalist theatricality, from Asian shadow theatre to Beckett’s geometrical TV pieces; Graffiti (2013) reflects aspects of urbanism and street art; Mannequin (2014/15) was inspired by the fantastic literature of E.T.A. Hoffmann; the mass orchestral swirls of Spira (2019) are based on the mathematician Jacob Bernoulli’s concept of the growth spiral; and the transcendent Les Chants des Enfants des Étoiles (2019) reflects Chin’s passion for astronomy. However, although these works touch on extra-musical content, they are not pieces about themes and content, but transform their sources of inspiration into formal structures that ultimately are self-contained. Basically, Chin views the creation of music as a sphere of existence mediated beyond the conditions of conventional reality, a sphere that, in her case, is emphatically associated with dreams and their limitless imaginary worlds: “I have a great affinity with the abstract, surrealist world of thought. Ever since childhood, I have experienced it in my dreams, in dream states interwoven with phenomena of light and colour, in which the laws of physics and logic are turned upside down. For me, these states were and are an existential experience and are a vital stimulus when composing.” 5

4 Orig. “Was mich an Komplexität und Manierismus musikalisch interessiert, ist die Gratwanderung zwischen Ordnung und Caos und das Umkippen vom einem ins andere.” Unsuk Chin, Gradus ad infinitum for audiotape (1989), in: ibid., p. 57.

5 Orig. “Ich habe eine große Affinität zur abstrakt-surrealistischen Gedankenwelt. Schon als Kind erlebte ich sie in meinen Träumen, in von Licht- und Farbphänomenen durchwirkten Traumzuständen, in denen die Gesetze der Physik und der Logik auf den Kopf gestellt werden. Sie waren und sind für mich eine existentielle Erfahrung und eine wesentliche Anregung beim Komponieren.” “Gemischte Identität” und “Sprachspiele”. Unsuk Chin im Gespräch mit Patrick Hahn, in: ibid., p. 178.

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The musical sources of inspiration evident in Chin’s work are no less diverse, however, and span a wide variety of eras and cultures. They rarely appear in the form of specific quotations as a kind of eclectic “spot the reference” game, but usually manifest as allusions or structural transformations, evincing Chin’s wide-ranging, transcultural interests: the scintillating abundance of percussive sounds in her works reveals her fascination with gamelan music, and her fondness for jazz is evident particularly (but not only) in the clarinet concerto (2015) and its final movement Improvisation on a groove. Chin’s interest in the vocal polyphony of the late Middle Ages is most clearly reflected in Miroirs des temps for solo voices and orchestra (1999). Here, Machaut and Perotinus flit through a score that oscillates between hypertrophic polyphony and a homophony rooted in organum technique. Here, the notions of mirroring and the palindrome prefigured in Machaut’s rondeau Ma fin est mon commencement are developed further. Frontispiece (2019) is a rollercoaster ride through late Romantic orchestral rhetoric in which “music history is condensed in fast motion” (Chin) and allusions to key works of European orchestral music from Brahms and Strauss to Stravinsky’s Sacre can be heard. Familiar dramatic orchestral clichés flicker for a second or two, and of course Chin takes full advantage of the opportunity for a caricatured final apotheosis. Recent pieces such as the Alaraph – Ritus des Herzschlags (2022) prove that Chin’s compositions have lost little of their energy and engrossing intensity. Inspired by the pulsation of double stars and the percussive aspects of Korean court music, the orchestra is transformed into an elemental powerhouse, with a percussion section whose force seems to fuel an imaginary rite. At present, the composer is back in a completely different sphere: she is writing her second opera, commissioned by Hamburg State Opera. This time Chin has written the libretto herself, inspired by two leading intellectuals of the early twentieth century: the Austrian quantum physicist Wolfgang Pauli and the psychologist

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C. G. Jung. Pauli and Jung serve as models for two fictional characters whose relationship Chin turns into a complex Faustian tale in which the two protagonists’ fates are intertwined. The idea of a reality beyond conventional everyday experience will be the leitmotif of this opera, too. Its title reads like a metaphor for Chin’s music and its irrational ambivalences that move between light and shadow, reality and dream: Die dunkle Seite des Mondes (“The Dark Side of the Moon”) ...

Biography

Unsuk Chin was born in Seoul, Korea, in 1961. She began teaching herself piano and music theory at an early age and went on to study composition at Seoul National University with Sukhi Kang. In 1985, she moved to Europe on an academic exchange scholarship to study in Germany and took composition lessons with György Ligeti at the Hochschule für Musik und Theater in Hamburg until 1988. He encouraged her to look beyond the aesthetics of the current avant-garde. After completing her studies with Ligeti, Unsuk Chin moved to Berlin. She worked as a freelance composer at the Studio for Electronic Music at the Technical University of Berlin. She still lives in Berlin today.

Chin’s original style was already evident in Trojan Women (1986) for three female singers, female choir and orchestra: music that is modern in its language, but lyrical and non-doctrinaire in its expressiveness. However, it was Akrostichon-Wortspiel (1991–93) for soprano solo and ensemble that marked Chin’s international breakthrough. It has been programmed by leading international ensembles in over 20 countries to date. In 1992, Unsuk Chin was selected by the Reading Panel of the Ensemble intercontemporain in Paris to write Fantaisie mécanique in 1994. It is the first of six works commissioned by this ensemble to date. To this day, the composer has a close relationship with this ensemble.

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The world premiere of Miroirs des temps, commissioned by the BBC for the Hilliard Ensemble and the London Philharmonic Orchestra in 2000, marked the beginning of her collaboration with Kent Nagano, one of the most important patrons of Chin’s music. She has also worked several times with Sir Simon Rattle, Esa-Pekka Salonen, Gustavo Dudamel, Mirga Gražinyte-Tyla, Myung-Whun Chung and other renowned conductors.

Her first opera Alice in Wonderland was premiered at the Bayerische Staatsoper in Munich in June 2007 as the opening piece of the Munich Opera Festival. The production, directed by Achim Freyer and conducted by Kent Nagano, was honoured as “World Premiere of the Year” in the Opernwelt yearbook and was on the Los Angeles Times “Best of 2007 ” list.

From 2009 onwards, important solo concertos were written, including her violin concerto, which has been performed in 16 countries to date. The premiere took place with Viviane Hagner and the Deutsches Symphonie-Orchester Berlin under the direction of Kent Nagano. Further works followed, such as Šu for Sheng and orchestra with Wu Wei, a clarinet concerto for Kari Kriikku, a cello concerto for Alban Gerhardt and Le Silence des Sirènes for Barbara Hannigan and the Lucerne Festival Academy Orchestra.

Several festivals for contemporary music have been dedicated to her music: MITO Settembre Musica in Italy, Festival Musica Strasbourg, MADE Festival in Sweden, the Festival of the Royal Northern College of Music in Manchester and Lucerne Festival. Unsuk Chin has a close relationship with many orchestras. She works regularly with the Los Angeles Philharmonic, London Symphony Orchestra and Berlin Philharmonic, among others. She was composer-in-residence with the Deutsches Symphonie-Orchester Berlin (2001/2002) and the Philharmonie Essen (2009). From 2009, she worked with the Seoul Philharmonic Orchestra for eleven years. Here she founded and conducted a series for contemporary music. Esa-Pekka Salonen brought her to the Philharmonia Orchestra in London for nine seasons as artistic director

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of the “Music of Today” series. A position she held until 2020. In 2022, Unsuk Chin began a five-year term as artistic director of the Tongyeong International Festival in South Korea and her artistic directorship of the Weiwuying International Music Festival in Taiwan.

Many of her works have been released on CD. Her first portrait CD for Deutsche Grammphon in the 20/21 series, celebrating ten years of collaboration with the Ensemble intercontemporain, deserves special mention. In addition to recordings of her orchestral works Rocaná and Chorós Chordón, ensemble works such as Fantaisie mécanique and Gougalon as well as her piano etudes are also available on CD. A recording of her opera Alice in Wonderland has been released on DVD.

Unsuk Chin’s works have been published exclusively by Boosey & Hawkes since 1994.

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Artistic and Managing Director of the Kölner Philharmonie

Louwrens Langevoort has been Artistic and Managing Director of the Kölner Philharmonie since 2005. Langevoort, who was born in the Netherlands and studied law, began his career at the opera houses and festivals in Brussels and made his way to Cologne via Salzburg and Leipzig. Langevoort worked as an Artistic and Managing Director in the Netherlands and at the Hamburg State Opera. He created something new at all of these stations: new repertoire, new structures, new formats. He has not only been honoured for this (Cologne Culture Prize “Culture Manager of the Year 2014”), but also appreciated and appointed as a member of many committees, such as the Liz Mohn Culture and Music Foundation, the Conducting Forum of the German Music Council and as a member of the Board of Trustees of the “Stiftung Oper in Berlin” (Berlin Opera Foundation). He has been Chairman of the European Concert Hall Organisation (ECHO) since 2017 His achievements as Director of the Hamburg State Opera and the Kölner Philharmonie, which he will leave in 2025 after 20 years, are exemplary. Promoting modern music theatre and reviving old works were the programmatic focus of his opera leadership in Hamburg. In addition to maintaining the repertoire, Louwrens Langevoort was also responsible for the extremely successful cycle of baroque operas, which he initiated in 2001, the establishment of the children’s opera series “Opera piccola”, the promotion of young talent with the International Opera Studio and the promotion of young composers as part of the “Composers’ Workshop”, which he founded in 2001

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Louwrens Langevoort has shaped the profile of the Kölner Philharmonie with many new successful series, formats and festivals: The ACHT BRÜCKEN | Musik für Köln festival has been dedicated to modern music every year at the beginning of May since 2011 Langevoort initiated this and successfully established it in Cologne’s cultural life, as has the original sound festival FEL!X since 2019. With projects such as PhilharmonieLunch, PhilharmonieVeedel and philharmonie.tv, he has succeeded in appealing to audiences such as young professionals and young families, who find special events inside and outside the concert hall that are tailored to their needs. His constant motivation is to open up the concert hall to everyone and make music accessible to all. In addition, he works with his international network to ensure that music has a transnational and cross-societal significance.

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Foundation Board and Board of Trustees of the Ernst von Siemens Music Foundation

The Foundation Board is responsible for the Ernst von Siemens Music Foundation. It is currently chaired by the musician Tabea Zimmermann, a member of the Bavarian Academy of Fine Arts. Other members of the Foundation Board include Ferdinand von Siemens as Deputy Chairman, Elisabeth Bourqui, Eric Fellhauer, Elisabeth Oltramare, Herbert Scheidt, Christoph von Seidel and Christian Wildmoser. Bettina von Siemens is the Foundation’s honorary chairwoman.

The selection of the award winners as well as the funding projects is the responsibility of the Foundation’s Board of Trustees, which currently consists of nine members. Its members in 2024 are Thomas Angyan as chairman, Nikolaus Brass, Winrich Hopp, Clara Iannotta, Ulrich Mosch, Enno Poppe, Wolfgang Rihm, Ilona Schmiel and Tamara Stefanovich. evs-musikstiftung.ch

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Skizzenbuch von Unsuk Chin auf Skizze zu Die dunkle Seite des Mondes (2024)
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Die Preisverleihung wird vom Bayerischen Rundfunk aufgezeichnet und am 18. und 20. Juni 2024 jeweils um 22.05 Uhr auf BR-KLASSIK gesendet. Die Veranstaltung ist als Audiostream zeitnah abrufbar auf br-klassik.de und evs-musikstiftung.ch

Eine Kooperation von BR-KLASSIK und der Ernst von Siemens Musikstiftung.

Die Ernst von Siemens Musikstiftung dankt der Siemens AG herzlich für die Bereitstellung der Münchner Geschäftsräume.

Textnachweise:

Daniele Ghisi: Werktext zu Weltliche. 2020. | Michael Rebhahn: Poetische Räume. 2024. Übersetzung ins Englische: Margaret Hiley.

Bára Gísladóttir: Werktext zu RÓL. 2023. | Tim Rutherford-Johnson: Home bass. 2023. Yiqing Zhu: Werktext zu The Aether and Nether. 2023. | Mingye Li: Persistent Volatility 2023. Übersetzung ins Deutsche: Gudrun Brug.

Unsuk Chin: Werktext zu Doppelkonzert. 2002. | Maris Gothoni: Werktext zu Gran Cadenza. 2021. Übersetzung ins Englische: Howard Weiner. Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Boosey & Hawkes Bote & Bock. | Dirk Wieschollek: Down the Rabbit Hole. Die Musik Unsuk Chins: Transkulturelles Klang-Kaleidoskop und orchestrale Illusionsmaschine. 2024. Übersetzung ins Englische: Margaret Hiley.

Alle Rechte bei den Autor*innen.

Bildnachweise:

Fotos: Unsuk Chin, Daniele Ghisi, Bára Gísladóttir und Yiqing Zhu: Rui Camilo | Broken Frames Syndicate (S. 31ff): Hayrapet Arakelyan | Frames Percussion (S. 35): Ana Madrid; (S. 37): Miquel Angel Vich | Louwrens Langevoort (S. 63): Matthias Baus | Joseph Houston (S. 64): Camille Blake | Jack Adler-McKean (S.65): David Sünderhauf | Liyi Lu (S. 66): Yiqing Zhu | Rafał Zolkos (S. 67): Monika Franke | Hae-Sun Kang, Diégo Tosi, Dimitri Vassilakis, Samuel Favre (S. 69, 73, 74): Franck Ferville | Pierre Bleuse (S. 74): Marine Pierrot Detry | Ensemble intercontemporain (S. 73): Anne-Elise Grosbois | Annekatrin Hentschel (S. 75): Astrid Ackermann Skizzen/Manuskripte/Partiturseiten: Unsuk Chin, Daniele Ghisi, Bára Gísladóttir und Yiqing Zhu: Mit freundlicher Genehmigung der Komponist*innen. Collagen: jäger&jäger

Filme Förderpreise Komposition und Ensemble: Johannes List, fritzzfilm.de

Impressum:

Herausgeberin: Ernst von Siemens Musikstiftung, Chollerstr. 4, 6300 Zug, Schweiz

Geschäftsführung: Nicole Willimann, Stephanie Peyer; Sandra Jaeggi (Assistenz)

Sekretariat des Kuratoriums: Björn Gottstein, Imke List, Jennifer Beigel, Isabel Berkenbrink, Caroline Scholz; Sonja Scharfe (Assistenz)

Redaktion: Imke List und Caroline Scholz

Gestaltung: jäger&jäger, jaegerundjaeger.de

Druck: Druck-Ring, München

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