

Zukunftsimpuls
Berufsbildungssysteme von morgen
Wie viel Digitalisierung braucht die Berufsbildung?
Gesellschaft und Wirtschaft sind im Wandel. Megatrends wie die Globalisierung, Digitalisierung, Upskilling, der demografische Wandel oder die steigende Mobilität und Flexibilität in den Arbeitsbeziehungen machen auch vor der Berufsbildung nicht halt. Die Frage, die sich damit stellt, ist nicht, ob, sondern wie man diesen Herausforderungen begegnen soll.
In Beratungsprojekten mit unseren Kunden beschäftigt uns dieser Themenbereich tagtäglich. Dabei gehen wir den folgenden Fragen nach:
> Wie wird sich der Arbeitsmarkt in den nächsten 10 Jahren verändern?
> Welche Auswirkungen auf die zukünftigen Berufsprofile hat die Veränderung des Arbeitsmarktes?
> Welches Kompetenzmodell ist geeignet, um die Vielfältigkeit der geforderten Kompetenzen gut abbilden zu können?
> Wie kann eine erfolgreiche Kompetenzentwicklung innerhalb der dynamischen Arbeitswelt erfolgen?
> Wie können Kompetenzen ganzheitlich gemessen werden?
> Welche Partner haben welche Verantwortung im Rahmen der Kompetenzentwicklung von Berufsleuten?
> Sind unsere Berufsbildungssysteme für die Anforderungen der Zukunft bereit?
In unseren «Zukunftsimpulsen» zeigen wir Ihnen zu all diesen Fragen wissensbasierte Denkansätze und Lösungsskizzen auf.
Eine Inspiration für Ihre Mitgestaltung einer innovativen und zukunftsfähigen Berufsbildung von morgen!
inhaltsverzeichnis
Wie sieht die Berufsbildung von morgen aus? 7
Was macht ein Berufsbildungssystem erfolgreich? 12
Der Arbeitsprozess im Zentrum – was folgt daraus? 17
Digitale Transformation von modernen
wie sieht die berufsbildung von morgen aus?
Der Arbeitsmarkt verändert sich: Die Problemstellungen werden komplexer, die Ansprüche an Berufsleute steigen. Während man früher irgendwann «ausgelernt» war, ist heute lebenslanges Lernen die Maxime. Dazu kommt die fortschreitende Digitalisierung, über deren Auswirkungen man viel weiss – und noch mehr vermutet. Diese Veränderungen führen bei den Betroffenen zu Verunsicherung: Man fürchtet um den Arbeitsplatz und sieht die sicher geglaubten Zukunftsaussichten schwinden.
Der Verunsicherung haben sich Fachleute, Medien und Politik gleichermassen angenommen. Es wird rege diskutiert, wie man den verschiedenen Herausforderungen begegnet: Wie sieht die Berufsbildung von morgen aus?
Fest steht: In einem so dynamischen Umfeld kann die Berufsbildung nicht stehen bleiben. Um den Anforderungen des Arbeitsmarkts gerecht zu werden, sind Anpassungen der bestehenden Systeme und Strukturen notwendig. Dem Ruf nach Reformen begegnet man in der Berufsbildung ganz unterschiedlich. Oft herrscht rege Betriebsamkeit, manchmal auch operative Hektik. Ein guter Moment, um in Ruhe über die Anforderungen und Erfolgsfaktoren einer zielgerichteten Berufsbildung nachzudenken.
wie sieht die berufsbildung von morgen aus?
Verfolgt man die Diskussion der beteiligten Akteure über die «Berufsbildung von morgen», so werden folgende Forderungen laut:
> Die digitalen Kompetenzen der Lernenden und Berufsleute müssen von Beginn an gefördert werden. Ohne Digitalisierung geht nichts mehr!
> Die Lernangebote an allen drei Lernorten (Betrieb, Berufsfachschule und überbetriebliche Kurse) sollen digitaler werden. Informationen sind online, Lernangebote interaktiv und Inhalte multimedial aufbereitet – um nur einige der Begehrlichkeiten zu nennen.
> Die Berufsbilder sollen in immer kürzeren Intervallen überarbeitet werden. Dadurch hofft man mit den dynamischen Veränderungen in der Arbeitswelt Schritt zu halten. Ganz nach dem Motto: Nach der Reform ist vor der Reform.
> Berufspersonen sollen sich sich stetig weiterentwickeln, damit sie ihre Arbeitsmarktfähigkeit erhalten. Diese Forderung ist nicht neu, erhält jedoch durch die Dynamisierung der Arbeitsprozesse eine wesentlich stärkere Gewichtung.
Die genannten Forderungen sind durchaus berechtigt. Der Arbeitsmarkt verändert sich und die daraus abgeleiteten Reformansprüche sind sinnvoll. Doch die manchmal etwas vorschnelle Anpassung des Berufsbildungssystems birgt verschiedene Risiken. Welche Schwierigkeiten gilt es dabei zu umschiffen?
Verstärkte Berücksichtigung von digitalen Kompetenzen Es ist unbestritten: Berufsleute werden sich in einer digitalisierten Arbeitswelt bewegen, das Handling von digitalen Hilfsmitteln wird immer wichtiger und die digitale Affinität von Berufsleuten wird an Bedeutung zunehmen. Beispiele dafür gibt es viele, nicht nur im Büro, wo die Digitalisierung schon lange sichtbar ist. Gerade auch in gewerblichen Berufsfeldern erleichtern technologische Neuerungen den Arbeitsalltag: Während früher von Hand Bauteile ausgemessen, Pläne gezeichnet und Gefälle berechnet wurden, übernehmen heute Apps und Lasertechnik viele Routinearbeiten.
Die Beispiele zeigen: Digitale Kompetenzen sind für Berufsleute von morgen unerlässlich. Aber Achtung! Oft entsteht der Eindruck, dass die Modernisierungsdiskussionen vor allem durch den Themenbereich der Digitalisierung geprägt –um nicht zu sagen dominiert – werden. Dabei geht vergessen, dass digitale Kompetenzen nicht allgemeingültig sind. Diese haben sich an den Anforderungen des Berufsbildes auszurichten. Erfolgreiche Berufsleute zeichnen sich dadurch aus, dass sie Problemstellungen ihres Berufsfeldes souverän bearbeiten. Sind dafür digitale Kompetenzen notwendig, müssen sie über diese verfügen. Wird die digitale Kompetenz jedoch abstrakt definiert und vermittelt – das heisst losgelöst vom Kompetenzprofil der Berufsperson –, so findet sie den Weg in den Arbeitsalltag nicht. Das Wissen bleibt träge.
Digitalisierung der Lernangebote
Auch in der Gestaltung von Berufsbildungssystemen eröffnen sich durch die neuen Medien zahlreiche Möglichkeiten: Der Austausch zwischen Teilnehmenden und Lehrpersonen kann vermehrt auch ausserhalb des Klassenzimmers stattfinden, Leistungsnachweise sind nicht länger auf reinen Text beschränkt und Wissen findet auf verschiedenen Kanälen den Weg zu den Lernenden. Aber Achtung! Denn auch hier steht die Forderung nach digitaler Unterstützung mancherorts zu sehr im Zentrum. Das Bildungssystem muss nicht um jeden
wie sieht die berufsbildung von morgen aus?
Preis digital werden – vielmehr sollen die sich bietenden Möglichkeiten dort genutzt werden, wo sie einen Mehrwert bringen. Wird die Digitalisierung zum Selbstzweck, werden Bildungssysteme vielleicht «modern», nicht aber unbedingt auch wirksam und bedarfsgerecht. Genau das ist aber das Ziel eines funktionierenden Berufsbildungssystems.
Berufsbilder in kurzen Intervallen überarbeiten
Eine sich schnell verändernde Arbeitswelt erfordert rasche Anpassungen an neue Gegebenheiten. Die Idee dahinter: Wer sich schnell verändert, ist stets am Puls der Zeit. Die Realität in der Berufsbildung stellt sich mancherorts anders dar: anspruchsvolle Abstimmungsprozesse der verschiedenen Beteiligten, zeitintensive Reformprozesse und die Schwierigkeit, Innovationen schnell und treffsicher in die Umsetzung zu bringen. Dieses Ungleichgewicht zwischen Wunsch und Realität führt oftmals zur Forderung, wenigstens einzelne Systembestandteile schnell anzupassen. Aber Achtung! Im Sinne eines ganzheitlichen Blicks auf Berufsbildungssysteme und die Berufspersonen, die darin aus und weitergebildet werden, müssen die Wirkungen dieser Anpassungen sorgfältig analysiert werden. Werden im Schnelldurchgang Systembestandteile angepasst, geht der ganzheitliche Blick auf das System verloren, meist zum Nachteil der Beteiligten –Lernenden und Lehrpersonen. Ein ganzheitliches, bedachtes Vorgehen führt dabei nicht zu ständig veralteten Systemen. Im Gegenteil: Eine sorgfältige Analyse der heute und in Zukunft geforderten Kompetenzen von Berufsleuten führt vielmehr zu durchdachten, langfristigen Lösungen, die dem Wandel angemessen begegnen.
Lebenslanges Lernen erhält die Arbeitsmarktfähigkeit Im Hinblick auf das lebenslange Lernen ist vielerorts eine Flexibilisierung der Bildungsangebote gefordert. Aus und Weiterbildungen sind dabei kein geschlossenes System, sie sind kleinteiliger und modularer und bieten eine Fülle von Anknüpfungspunkten für weitere individuelle oder institutionalisierte Bildungsangebote. Aber Achtung! Auch hier besteht die Gefahr, dass punktuelle Anpassungen zu inkonsistenten Systemen führen: Der Blick aufs Ganze wird vernachlässigt und schnelle Teilreformen führen nicht zur gewünschten nachhaltigen Verbesserung. Ausserdem ist es wichtig, dass all diese Angebote nicht zur Orientierungslosigkeit bei Berufspersonen und Arbeitgeber/innen führen.
All diese Forderungen haben ihre Berechtigung. Lassen Sie uns diese mit dem Blick auf die Komponenten einer erfolgreichen Berufsbildung diskutieren.
was macht ein berufsbildungssystem erfolgreich?
Das Berufsbildungssystem hat die zentrale Aufgabe, Rahmenbedingungen und Angebote für angehende und erfahrene Berufsleute zu schaffen. Damit sind diese in der Lage, sich in einem immer schneller wandelnden Arbeitsumfeld professionell und mit Freude zu bewegen. Der Aufbau von relevanten und zukunftsgerichteten Handlungskompetenzen steht dabei im Zentrum der Überlegungen.
Um die Frage nach einer zielgerichteten und modernen Aus und Weiterbildung zu bearbeiten, ist eine ganzheitliche Betrachtung des Berufsbildungssystems zentral (vgl. Wilbers 2014). Demnach müssen mindestens fünf curriculare Elemente aufeinander abgestimmt sein:
Kompetenzerwartungen im Lehrplan
Kompetenzentwicklung
Kompetenzanforderungen in beruflichen oder privaten Lebenssituationen Bedingungen Assessment
Kompetenzanforderungen in beruflichen oder privaten Lebenssituationen
Um berufliche Bildung an den Ansprüchen des Arbeitsmarkts und der Gesellschaft auszurichten, ist es entscheidend, zunächst genau diese Kompetenzanforderungen in beruflichen oder privaten Lebenssituationen zu identifizieren. Das
Quelle: Wilbers 2014.
bedeutet: Nur auf Basis zukünftig relevanter Kompetenzanforderungen können moderne Berufsbildungssysteme entstehen.
Kompetenzerwartungen im Lehrplan
Wenn die identifizierten Kompetenzanforderungen in die offiziellen Planungshilfen – die Kompetenzerwartungen im Lehrplan – einfliessen, können Berufsleute zukunftsorientiert und gleichzeitig lehrplankonform ausgebildet werden. Das bedeutet: Eine enge Verzahnung von Arbeitsmarkt, Gesellschaft und Bildungsverantwortlichen ist gefragt.
Kompetenzentwicklung
Zukunftsorientierte Kompetenzanforderungen und erwartungen nehmen in systemisch gedachten Berufsbildungssystemen Einfluss auf die Kompetenzentwicklung. Das bedeutet: Es werden Berufsleute aus und weitergebildet, die der Arbeitsmarkt braucht und die sich in der Gesellschaft einbringen und etwas bewirken.
Bedingungen
Die berufliche Bildung ist durch ein komplexes Geflecht an Rahmenbedingungen charakterisiert. Um erfolgreiche Bildungssysteme zu gestalten, müssen diese Rahmenbedingungen auf Kompetenzanforderungen, erwartungen und deren Entwicklung abgestimmt sein. Das bedeutet: Die Bedingungen für Lernorte, Berufsbildner/innen und Lehrpersonen sowie für die Lernenden selbst müssen auf die ganzheitliche Kompetenzentwicklung ausgerichtet sein.
Assessment
Ein Assessment – die Beurteilung von Kompetenz(entwicklung) – ist dann authentisch, lehrplankonform, relevant und kontextsensitiv, wenn es auf die genannten vier curricularen Elemente bezogen ist. Das bedeutet: Nur mithilfe vielfältiger und kompetenzorientierter Prüfungsformen können zukunftsträchtige Kompetenzen umfassend beurteilt werden.
was macht ein berufsbildungssystem erfolgreich?
Überträgt man diese Modellüberlegungen auf die Berufsbildung, so ergeben sich für die Ausgestaltung von modernen Berufsbildungssystemen drei zentrale Handlungsfelder: zukunftsfähige Kompetenzprofile, bedarfsgerechte Kompetenzentwicklung und wirksame Kompetenzmessung.
Die Ausgestaltung dieser Handlungsfelder ist entscheidend, wenn es darum geht, kompetente Berufspersonen auszubilden, die auf dem Arbeitsmarkt langfristig wettbewerbsfähig sind.
Zukunftsfähige Kompetenzprofile
Bedarfsgerechte Kompetenzentwicklung
– Die Ausbildung kompetenter Berufsleute sicherstellen
– Die Arbeitsmarktfähigkeit erhalten
Wirksame Kompetenzmessung
Ein Berufsbildungssystem, das alle drei Handlungsfelder ganzheitlich berücksichtigt, erlaubt also die Ausbildung kompetenter Berufspersonen und den Erhalt der Arbeitsmarktfähigkeit. Dabei gilt es zu beachten, dass Berufsleute umfassende Handlungskompetenzen vor allem bei der täglichen Arbeit entwickeln: Kompetenzentwicklung ohne das Agieren im beruflichen Alltag gibt es nicht (Heyse & Erpenbeck 2007). Oder würden Sie sich zutrauen, ohne praktische Erfahrung einen Zahn zu ziehen?
Quelle: Ectaveo.
In allen Handlungsfeldern müssen also die Anforderungen und Aufgabenstellungen der beruflichen Tätigkeit im Zentrum der Betrachtung stehen. Dem steht die heute oft vorliegende Abstraktion in den Bildungsprozessen gegenüber. Der Bezug zur Praxis fehlt, stattdessen werden Lerninhalte am bestehenden System ausgerichtet. Beispiele dafür gibt es zur Genüge:
> Generalistische Kompetenzprofile ohne einen Bezug zum Beruf: Die geforderten Kompetenzen sind vor allem ein Allgemeinschauplatz, ohne die spezifischen Anforderungen des Berufsfeldes abzubilden.
> Fächeroptik in den Lehrplänen: Berufsfachschulen leiten aus der bestehenden Gliederung in Fächer ab, was gelehrt wird, anstatt den Bedürfnissen des Arbeitsalltags zu entsprechen. Das führt dazu, dass vor allem träges Wissen vermittelt wird, das im Berufsalltag nicht zur Anwendung kommt.
> Prüfen von Faktenwissen ohne Bezug zu authentischen Situationen: Das Prüfungssetting geht hauptsächlich vom vermittelten Fachwissen aus, ohne die praxisrelevante Situation, in der dieses angewandt wird, ausreichend zu berücksichtigen.
Diese Abstraktion wird zum Auslaufmodell. Vielmehr geht es darum, die Kompetenzprofile, Lerninhalte und Prüfungen an den Anforderungen und Aufgabenstellungen der beruflichen Tätigkeit auszurichten.
der arbeitsprozess im zentrum –was folgt daraus?
Erfolgt eine sorgfältige Bearbeitung dieser drei Handlungsfelder, so ist das der Grundstein für eine erfolgreiche Berufsbildung.
Handlungsfeld 1: Zukunftsfähige Kompetenzprofile
Die Veränderungen der Arbeitswelt haben einen nachhaltigen Einfluss auf die Arbeit und somit auf die erforderlichen Kompetenzprofile von Berufsleuten. So zeigt die aktuelle Forschungslage, dass neben den fachlichen Kompetenzen die sozialkommunikativen, methodischen und personalen Kompetenzen stark an Bedeutung gewinnen (vgl. z.B. Adler & Salvi 2017, Dubs 2018, Erpenbeck & von Rosenstiel 2003, Sachs et al. 2016). Doch auch diese Kompetenzen sind kein Selbstzweck: Zentral ist, dass die Kompetenzprofile aus den Anforderungen der verschiedenen Berufe oder Berufsfelder abgeleitet werden. Sowohl die fachlichen wie auch die überfachlichen Kompetenzen müssen zwar an den Herausforderungen ausgerichtet sein, die künftig auf Berufsleute zukommen. Doch auch beim Blick in die Zukunft bleiben das Berufsfeld und die konkreten Herausforderungen des Arbeitsalltags Treiber der Überlegungen (vgl. Ectaveo 2018a, 2018b).
Handlungsfeld 2: Bedarfsgerechte Kompetenzentwicklung
Das Schweizer Berufsbildungssystem ist von eidgenössisch anerkannten Abschlüssen bzw. Ausbildungen geprägt und hat zum Ziel, bedürfnisgerechte Angebote für die Entwicklung von Berufsleuten zu schaffen. Das heisst, die Bildungssysteme richten sich danach aus, welche Ausbildungsinhalte auf dem Arbeitsmarkt benötigt werden – und vermitteln diese.
Bedarfsgerechte Inhalte heisst immer auch: Gelehrt wird nicht Faktenwissen, sondern praxisrelevantes Wissen und Können, welches es im Arbeitsalltag braucht. Die zentrale Forderung in diesem Bereich ist die Ausrichtung der didaktischen Ansätze auf eine Kompetenzförderung hin. Eine
der arbeitsprozess im zentrum –was folgt daraus? fortsetzung
flexible Ausgestaltung der Bildungsangebote fördert die bedarfsgerechte Kompetenzentwicklung zusätzlich.
Durch die dynamischen Veränderungen in der Arbeitswelt heisst «bedarfsgerecht» aber auch, dass Berufsbildungssysteme das lebenslange Lernen ermöglichen und fördern. Dazu müssen die folgenden Bedingungen erfüllt sein:
1 Die konsequente Ausrichtung auf die Handlungskompetenzen macht den Arbeitsprozess zum wichtigsten Lernort. Der individuelle Lernprozess am Arbeitsplatz wird gefördert und steht im Zentrum der Kompetenzentwicklung. Lernangebote werden zur Verfügung gestellt, der Lernprozess findet aber soweit wie möglich selbstorganisiert statt.
2 Die Lernprozesse am Arbeitsplatz und deren Reflexion sind integraler Bestandteil des didaktischen Designs. Wissen wird nicht oktroyiert, sondern zur Verfügung gestellt, damit es am Arbeitsplatz angewendet werden kann. Durch die Reflexion wird implizites Wissen sichtbar und der Lernprozess am Arbeitsplatz strukturiert.
3 Lern und Entwicklungsmassnahmen werden nicht pauschal verordnet, sondern an den jeweiligen Wissensstand der Lernenden angepasst. Dabei werden sowohl die formal wie auch die nonformal erworbenen Kompetenzen als Ausgangspunkt erfasst. Eine regelmässige Erhebung der Kompetenzentwicklung ist dafür unabdingbar.
4 Für die Entwicklung von Handlungskompetenzen muss praktisch orientiertes Erfahrungswissen aufgebaut werden. Um diesen Prozess so wirksam wie möglich zu gestalten, wird er durch zielgerichtete Instrumente angeleitet und strukturiert.
5 Das Bildungssystem animiert Berufsleute dazu, die individuelle Kompetenzentwicklung als wesentliche Aufgabe zu betrachten und diese mit Engagement zu betreiben. So werden die Selbstverantwortung und die Kompetenzentwicklung nachhaltig gefördert.
Der Arbeitsprozess wird zum wichtigsten Lernort
Kompetenzen = selbstorganisiertes, kreatives Handeln
Bedarfsorientiertes Lernen am Arbeitsplatz
Bildungssystem lässt bedarfsorientiertes Lernen am Arbeitsplatz zu
Quelle: Ectaveo (i. A. an Erpenbeck et al. 2016).
Virtuelle Arbeitswelten
Expertengruppen
problemorientierter, mobiler, informeller, selbstorganisierter Lernen
Diese Anforderungen schaffen wichtige Voraussetzungen für lebenslanges Lernen: Sie erhalten die Freude, sich mit neuem Wissen auseinanderzusetzen, und befähigen Lernende, ihre Lern und Arbeitsprozesse selbstständig zu gestalten und zu reflektieren – während ihrer Ausbildung, aber auch danach.
Handlungsfeld 3: Wirksame Kompetenzmesssysteme Steht die Kompetenzentwicklung im Zentrum der Betrachtung, so sind natürlich die Prüfungssysteme auf die Kompetenzmessung hin auszurichten. Auch hier ist ein Fokus auf die im Arbeitsalltag relevanten Bedingungen essenziell: Bei der Gestaltung von Prüfungsdesigns steht die Arbeitssituation im Zentrum. Bei praktischen Prüfungen ist dieser Bezug zur Praxis leicht herstellbar. Doch auch in anderen Prüfungssettings können mit Praxissimulationen realitätsnahe Rahmenbedingungen geschaffen werden.
der arbeitsprozess im zentrum –was folgt daraus? fortsetzung
Werden Kompetenzen geprüft, spielen nicht nur Kenntnisse und Fertigkeiten eine wichtige Rolle. Auch die Thematisierung der erworbenen Handlungskompetenzen im Sinne der Berufserfahrung und der Berufsidentität ist Teil der Kompetenzmessung. Dabei kommt z.B. auch der Dokumentation und Reflexion der praktischen Umsetzung eine grosse Bedeutung zu.
Praxisnahe Prüfungsdesigns, die auch Reflexionen der Berufserfahrung und identität thematisieren, lassen sich kaum mit einer Reihe von MultipleChoiceAufgaben umsetzen. Vielmehr bedürfen sie innovativer Prüfungsmethoden, um die erworbenen Kompetenzen wirksam darzustellen. Idealerweise sind die Instrumente und Methoden dabei angelehnt an oder verknüpft mit den Instrumenten und Methoden, die bereits während der Ausbildung angewandt wurden. Gerade die instrumentell angeleitete Dokumentation und Reflexion des eigenen Arbeits und Entwicklungsprozesses ist eine gute Möglichkeit zur Darstellung von informell erworbenen Kompetenzen – welche bei einer wirksamen Kompetenzmessung auf jeden Fall zu berücksichtigen sind.
Die genannten Handlungsfelder sowie ihre Ausrichtung an der beruflichen Praxis sind für moderne Bildungssysteme also zentral. Um ein effektives Berufsbildungssystem im oben beschriebenen Sinn zu gewährleisten, müssen zusätzlich aber verschiedene weitere Bedingungen vorliegen:
> Die Entwicklung von modernen Bildungssystemen und die Umsetzung der Innovationen bedarf einer funktionierenden Verbundpartnerschaft und einer effizienten, konstruktiven Zusammenarbeit. Reformen sind arbeitsintensive Prozesse, die unter Umständen grosse Anpassungsleistungen verschiedener Akteure erfordern. Dieser Herausforderung begegnen funktionierende Verbundpartnerschaften deutlich souveräner.
> Die Kompetenzorientierung benötigt eine abgestimmte Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure bzw. Lernorte.
Auch hier kann den Herausforderungen des Bildungsalltags nur dann professionell begegnet werden, wenn die Beteiligten konstruktiv zusammenarbeiten und gemeinsam die für die Lernenden beste Lösung anstreben. Dazu benötigt es u.a. ein geeignetes Instrumentarium, um die Kompetenzentwicklung über alle Lernorte hinweg zu dokumentieren und zu reflektieren.
> Berufsleuten stehen in einem flexiblen, modernen Berufsbildungssystem verschiedene Angebote zur Verfügung und sie organisieren ihren Lern und Entwicklungsprozess selbstverantwortlich. Diese Möglichkeiten gewinnbringend zu nutzen, kann auch eine Herausforderung sein. Um diese zu meistern, müssen die Berufsleute kompetent beraten und informiert werden. Sie brauchen engagierte «Coaches», die sie bei ihrer Entwicklung fachkundig unterstützen und begleiten.
Der ganzheitliche Blick auf Bildungssysteme und die Fokussierung auf den Arbeitsprozess sowie das Ineinandergreifen aller genannten Handlungsfelder sind also zentral. Dabei wird der ausschliessliche Fokus auf die Digitalisierung einem modernen Berufsbildungssystem nicht gerecht. Dennoch ist sie ein bedeutender Treiber der Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und erlaubt eine flexible und zielführende Gestaltung von Bildungssystemen.
In den folgenden Abschnitten führen wir deshalb einige Überlegungen zur Digitalisierung mit ganzheitlichem Blick auf das Bildungssystem aus.
digitale transformation von modernen bildungssystemen –oder einfach bildung 4.0 ?
Wenn derzeit über die Zukunft der Berufsbildung nachgedacht wird, ist die Frage nach der digitalen Transformation der Bildungssysteme nicht mehr wegzudenken. Aber einfach digitalisieren um der Digitalisierung willen?
Die Diskussion rund um die digitale Bildung sollte dabei ganzheitlich geführt werden: im Sinne einer Unterstützung der verschiedenen Systembestandteile und nicht als Selbstzweck. Aktuell wird diese Diskussion häufig noch sehr technologielastig geführt. Im Zentrum stehen digitale Umgebungen, Tools, Gadgets und sonstige digitale Hilfsmittel mit ihren verschiedenen Funktionalitäten. Hier wird das Pferd von hinten aufgezäumt: Nicht Nutzen oder Bedürfnisse leiten die Auseinandersetzung, sondern die digitalen Möglichkeiten für sich. Doch welcher didaktische Zweck wird dabei verfolgt?
Damit technologische Entwicklungen im Sinne der Handlungskompetenzorientierung wirksam werden, müssen Technologien, Inhalte und Didaktik miteinander verbunden werden. Die Einführung von digitalen Lern und Arbeitswelten in der Berufsbildung ist damit auch eine strategische Frage. Ausgangspunkt sollten Systemskizzen sein, welche eine nachhaltige Ausrichtung des Bildungssystems im jeweiligen Berufsfeld ermöglichen. Erst daran ausgerichtet kann die Frage nach einer technologischen Unterstützung der verschiedenen Lern und Arbeitsprozesse diskutiert werden.
Technische Hilfsmittel bieten zahlreiche Chancen. So ist unbestritten, dass die digitalen Umgebungen und Tools eine flexiblere und wirkungsvollere Gestaltung von Entwicklungsund Kompetenzmesssystemen ermöglichen. Diese Chance gilt es zu nutzen. Gerade in der Ausgestaltung eines wirksamen Instrumentariums zur Unterstützung der individuellen Lernprozesse eröffnen sich mit den digitalen Welten völlig neue Möglichkeiten. Auch für das Wirken in der Verbundpartnerschaft von Bund, Kantonen und Organisationen der
Arbeitswelt stellt die digitale Unterstützung der Zusammenarbeit einen Mehrwert dar. Dasselbe gilt für die Lernortkooperation von Lehrbetrieb, überbetrieblichen Kursen und Schulen. Und nicht zuletzt eröffnet es völlig neue Möglichkeiten der Simulation von Praxis im Rahmen der Prüfungsdesigns.
Das Ergebnis: Berufsbildungssysteme, die wirken Angebote gibt es viele. Wichtig erscheint uns, bei der Wahl der technologischen Unterstützungshilfen den ganzheitlichen Blick auf das Bildungssystem nicht zu verlieren, um eine möglichst einheitliche digitale Arbeits und Lernwelt aufzubauen und nicht binnen kürzester Zeit vor einem unübersichtlichen Überfluss an Tools und digitalen Hilfsmitteln zu stehen. Auch wenn man Schritt für Schritt die digitalen Angebote ausbaut – was ein sinnvoller Ansatz sein kann, um die Organisation nicht zu überfordern –, muss das Gesamtsystem wegweisend für die einzelnen Schritte sein.
Adler, T. & Salvi, M. (2017). Wenn die Roboter kommen: Den Arbeitsmarkt für die Digitalisierung vorbereiten.
Zürich: Avenir Suisse.
Dubs, R. (2018). Gedanken zur Zukunft der kaufmännischen Grundbildung. In: Schlicht, J. & Moschner, U. (Hrsg.). Berufliche Bildung an der Grenze zwischen Wirtschaft und Pädagogik. Wiesbaden: Springer VS.
Ectaveo (2018a). Zukunftsimpuls 1 «Fit für die ‹Arbeitswelt 4.0›». Zürich: Ectaveo AG.
Ectaveo (2018b). Zukunftsimpuls 2 «Erfahrungswissen –vom Wissen zum Können». Zürich: Ectaveo AG.
Erpenbeck, J., Sauter, S. & Sauter, W. (2016). Social Workplace Learning. Wiesbaden: Springer.
Erpenbeck, J. & von Rosenstiel, L. (2003). Handbuch Kompetenzmessung –Erkennen, verstehen und bewerten von Kompetenzen in der betrieblichen, pädagogischen und psychologischen Praxis. Stuttgart: Schäffer Poeschel.
Heyse, V. & Erpenbeck, J. (2007). Kompetenzmanagement. Münster: Waxmann.
Sachs, S., Meier, C. & McSorley, V. (2016). Digitalisierung und die Zukunft kaufmännischer Berufsbilder – eine explorative Studie: Schlussbericht. Zürich: HWZ.
Wilbers, K. (2014). Wirtschaftsunterricht gestalten. Lehrbuch. 2. Auflage. Berlin: epubli.
In unserer Reihe «Zukunftsimpulse» beschäftigen wir uns mit vielfältigen Fragen rund um das Berufsbildungssystem von morgen. Wir zeigen wissensbasierte Denkansätze und erste Lösungsskizzen auf.
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Herausgeberin
Ectaveo AG
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Autorin
Ectaveo AG
Gestaltung und Satz dezember und juli gmbh www.dezemberundjuli.ch
Auflage
1. Auflage, Oktober 2018
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