UT 3 Sozialkompetenz

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Umsetzungstipp

Sozialkompetenz prüfen?

Utopie oder Realität?

In unserem Vademecum «ÜberPrüfen» thematisieren wir die Herausforderungen kompetenzorientierten Prüfens in Bezug auf die Handlungskompetenzen und liefern mit den dazugehörigen Umsetzungstipps praktische «Helferlein» für die Ausgestaltung von Prüfungsaufgaben. Im vorliegenden Umsetzungstipp spannen wir den Bogen nun etwas weiter. Sozialkompetenzen sind komplexe Konstrukte, die zu überprüfen mit Herausforderungen verbunden sind.

Diesen Konstrukten widmen wir uns im vorliegenden Umsetzungstipp. Und wir versprechen Ihnen auch mit diesem Umsetzungstipp ein «kleines Helferlein», das Sie dabei unterstützen soll, die Sozialkompetenzen in Ihre Systematik der Kompetenzüberprüfung zu integrieren. Sie werden sehen, es ist so schwierig nicht!

Sehr oft sehen wir uns in unserer Beratungspraxis mit Aussagen konfrontiert wie: «Sozialkompetenzen sind durchaus wichtig bei der Berufsausübung, aber die können ja nicht entwickelt oder überprüft werden!», «Entweder man hat sie oder eben nicht!» oder «Klar eine Frage der Persönlichkeit!». Solche und ähnliche Aussagen treffen wir gleichermassen in der Berufsbildung wie in der innerbetrieblichen Ausbildung an.

Betrachtet man die wissenschaftliche Literatur oder auch die Alltagspresse näher, lässt sich auf einen Blick feststellen, dass der Begriff der Sozialkompetenz, der «soft skills» oder der «social competence», in aller Munde ist. So erzielte zum Beispiel 2012 eine Internetrecherche zum Begriff «soziale Kompetenz» ein Ergebnis von 582’000 Treffern (vgl. Oberneder (2012) In: Niedermair, G. (Hrsg.): Kompetenzen entwickeln, messen und bewerten). Nicht nur mit der Suchmaschine Google, sondern auch in Stellenanzeigen, Anforderungsprofilen, Bildungsplänen etc. nimmt das Konstrukt der Sozialkompetenz eine wichtige Stellung ein. Studien belegen immer wieder, dass sich mangelnde Kompetenz in der Beziehungsgestaltung mit Mitmenschen im betrieblichen Alltag (fast) immer negativ auf die Leistungsfähigkeit und somit auf die Produktivität einer Organisation auswirkt.

Im vorliegenden Umsetzungstipp wird das Konstrukt Sozialkompetenz näher beleuchtet und der Frage der Überprüfbarkeit nachgegangen. Betrachtet man die Relevanz von sozialen Kompetenzen im betrieblichen Alltag, möchten wir uns nicht so einfach geschlagen geben. Packen wir also den Stier bei den Hörnern!

Zuerst ein Blick in die Theorie: Eine erste Schwierigkeit bei der Bearbeitung der Fragestellung «Können Sozialkompetenzen überprüft werden?» zeigt sich schon in der Begriffsdefinition. Der Bedeutungsgehalt des Begriffs differiert je nach Autor/in oder Fachdisziplin sehr stark. Folgende Auszüge illustrieren diese unterschiedlichen Ausprägungen:

«Sozialkompetenz ist ein komplexes Gefüge aus kognitiven, emotionalen und motorischen Verhaltensweisen (…), durch deren Anwendung soziale Anforderungssituationen so bewältigt werden, dass die angenehmen und unangenehmen Folgen langfristig in einem günstigen Verhältnis stehen.»

(Friede, 1994 zitiert in: Euler, D. 2009, S. 17)

«Sozialkompetenz ist die Fähigkeit und Bereitschaft, mit sich selbst und anderen konstruktiv, eigenbestimmt, kooperativ und situationsgerecht umzugehen.»

(Wunderer, R. & Dick, P. (2002): Sozialkompetenz – eine mitunternehmerische Schlüsselkompetenz. In: Die Unternehmung, 56. Jg., Heft 6 sowie vgl. Euler, D. (2009): Sozialkompetenzen in der beruflichen Bildung)

Die Arbeitsstelle für Hochschuldidaktik der Universität Zürich stützt sich in ihrer Begriffsdefinition auf Orth, der den Begriff mit «Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die es ermöglichen, in den Beziehungen zu Mitmenschen situationsgerecht zu handeln» umreisst und subsumiert darunter die Begriffe «Kommunikations­ und Kooperationsfähigkeit, Konfliktfähigkeit und Einfühlungsvermögen». (vgl. Arbeitsstelle für Hochschuldidaktik der Universität Zürich (2008): Dossier «Überfachliche Kompetenzen»)

Die aufgeführten Beispiele machen deutlich, dass eine Begriffsklärung nötig ist, ehe wir uns mit der Frage der Überprüfbarkeit befassen können. Bei der Begriffsdefinition referenzieren wir auf den Ansatz von Dieter Euler (Euler, D. (2004) und (2009)).

Beispiel «Key Account Manager»

Stellen wir uns beispielsweise die Funktion eines Key Account Managers vor, könnte eine Arbeitssituation folgendermassen lauten:

«Die Key Account Manager stehen in regelmässigem Kontakt zu ihren Kunden. Sie pflegen eine persönliche, oft auch informelle Beziehung zu ihnen und bauen so ein Vertrauensverhältnis auf. Als Vorbereitung auf die Kundengespräche bereiten sie die vorhandenen Kundendaten und Verkaufszahlen auf und überlegen sich, mit welchen Massnahmen der Ertrag optimiert werden könnte. Sie führen regelmässig Kundengespräche, um die aktuelle Situation beim Kunden und seine Bedürfnisse zu erfassen. Gemeinsam mit dem Kunden planen sie die weitere Entwicklung der Geschäftsbeziehung.»

Key Account Manager benötigen neben fundierten fachlichen Kompetenzen im Bereich des Verkaufsgegenstandes auch eine entsprechende Arbeitstechnik und persönliche Belastbarkeit, um den Arbeitsalltag gut zu meistern. Aus der Arbeitssituation geht klar hervor, dass eine Schlüsselkompetenz im Bereich der Kommunikation und Beratung liegt.

Aus der Arbeitssituation lässt sich die Sozialkompetenz im Bereich Kommunikation folgendermassen extrahieren:

Umsetzungspotential

Wissen/Verständnis

Einstellung/ Werthaltungen

Metakognition

Der Fachmann / die Fachfrau kann Verkaufsgespräche empathisch und situationsgerecht führen.

Der Fachmann / die Fachfrau verfügt über ein Repertoire an Kommunikationsmethoden und ­techniken für Verkaufsgespräche.

Der Fachmann / die Fachfrau ist sich der Bedeutung einer dialogisch­orientierten Kommunikation bewusst.

Der Fachmann / die Fachfrau analysiert in Verkaufsgesprächen die Bedürfnisse des Kunden und bezieht sie in den Gesprächsverlauf ein.

Mit unserem Ansatz wird die Sozialkompetenz somit den fachlichen oder methodischen Kompetenzen gleichgestellt und gleichermassen situationsgebunden identifiziert. Dieses Verständnis von Sozialkompetenz bildet das Fundament für die Überprüfbarkeit der verschiedenen Dimensionen von Sozialkompetenz.

Euler, D. (2004): Sozialkompetenzen bestimmen, fördern und prüfen: Grundfragen und theoretische Fundierung.

In: Reihe Sozialkompetenzen in Theorie und Praxis. Bd. 1. St. Gallen: Institut für Wirtschaftspädagogik.

Euler, D. (2009): Sozialkompetenzen in der beruflichen Bildung. Didaktische Förderung und Prüfung. Bern Haupt.

Euler, D. (2012): Von der programmatischen Formel zum didaktischen Konzept: Sozialkompetenzen präzisieren, fördern und beurteilen. In: Niedermair, G. (Hrsg.): Kompetenzen entwickeln, messen und bewerten. Linz: Trauner. S. 183–197.

Keller, M. et al. (2006): Entwicklung und Implementierung von Konzepten zur Förderung und Prüfung von Sozialkompetenz an einer Berufsschule. Eine Fallstudie. St. Gallen: Institut für Wirtschaftspädagogik der Universität St. Gallen.

Oberneder, J. (2012): Soziale Kompetenz – neuer Trend oder alte Mode? In: Niedermair, G. (Hrsg.): Kompetenzen entwickeln, messen und bewerten. Linz: Trauner. S. 199–208.

Wunderer, R. & Dick, P. (2002): Sozialkompetenz – eine mitunternehmerische Schlüsselkompetenz. In: Die Unternehmung, 56. Jg., Heft 6.

Arbeitsstelle für Hochschuldidaktik (2008): Dossier «Überfachliche Kompetenzen». Zürich: Universität Zürich.

anforderungen an die überprüfung von sozialkompetenz

Wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit der Sozialkompetenz beschränken sich nicht nur auf die Ebene der Begriffsdefinitionen und die Beschreibung von Sozialkompetenzen.

Auch zur Überprüfung von Sozialkompetenzen lässt sich eine Vielzahl an Studien ausmachen. Wir empfehlen auf folgende Ansatzpunkte besonderen Wert zu legen:

Ansatzpunkt 1

Es wird unterschieden zwischen einer formativen Messung von Sozialkompetenzen im Sinne einer lernprozessbegleitenden Massnahme und einer summativen Messung, welche häufig in den eidg. Prüfungen (eidg. Fachausweis und eidg. Diplom) zur Anwendung kommt. Die formative Messung hat den Vorteil, dass mehrmals und zu unterschiedlichen Zeitpunkten eine Überprüfung stattfinden kann. Gerade für die Überprüfung von Sozialkompetenzen ist das eine ideale Ausgangslage. Euler geht so weit in seinen Aussagen, dass er einmalige Verhaltensbeobachtungen als eine Aussage über das aktuelle Verhalten (Performanz) ansieht und weniger eine aussagekräftige Diagnostik über die vorhandenen Kompetenzen (vgl. Euler, D. in Niedermair, G. (2012): Kompetenzen entwickeln, messen und bewerten). Unserer Ansicht nach ist es aber durchaus vertretbar, bei punktuellen Überprüfungen der Sozialkompetenz Rückschlüsse vom Verhalten auf das Kompetenzprofil der Kandidat/innen zu ziehen.

Konsequenz

Weil an den eidg. Prüfungen in der Regel nur eine summative Messung, also eine Momentaufnahme der aktuell vorhandenen Kompetenzen, vorgenommen werden kann, bietet es sich an, im Rahmen von Vorbereitungskursen oder anderen Bildungsgängen eine formative Messung vorzusehen, also mehrfache Überprüfungen der sozialen Kompetenzen zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Dazu erweisen sich Modulabschlüsse beispielsweise als ideal. Dies ist auch im Hinblick auf die Entwicklung (und nicht «nur» die Überprüfung) der Sozialkompetenz ein wichtiger Aspekt.

anforderungen

Ansatzpunkt 2

Häufig werden nur einzelne Aspekte einer Sozialkompetenz betrachtet – so zum Beispiel die Fähigkeit zum Handeln. Die Bereitschaft zum Handeln hingegen, wird vernachlässigt. (vgl. Wunderer, R. / Dick, P. (2002): Sozialkompetenz – eine mitunternehmerische Schlüsselkompetenz, in: Die Unternehmung, 56. Jg., Heft 6). Nehmen wir das Beispiel Konfliktmanagement: Dabei ist es einerseits wichtig, dass Kandidat/ innen in der Lage sind, konstruktive Konfliktgespräche zu führen. Andererseits geht es aber auch um die Fähigkeit, Konflikte im Arbeitsalltag zu erkennen (z.B. in der Projektarbeit), sowie um die Bereitschaft, diese frühzeitig und aktiv zu bearbeiten.

Verstehen wir Sozialkompetenz im oben dargestellten Sinn, so sind alle Dimensionen der Sozialkompetenz zu überprüfen. Dazu eignet sich ein Methodenmix, der die Überprüfung aller Aspekte von Sozialkompetenz im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung erlaubt. Für diesen Methodenmix eignen sich nach Euler et al. (2009) folgende Prüfungsformen:

Kognitiver Leistungstest

Mit kognitiven Leistungstests kann Wissen in seinen unterschiedlichsten Facetten überprüft werden.

Verhaltensbeobachtung

Durch Verhaltensbeobachtung wird das Verhalten unmittelbar in einer sozialen Situation betrachtet.

Verhaltensbefragung

Die Verhaltensbefragung kann als Selbst­ oder Fremdbeurteilung ausgestaltet werden und erfolgt oftmals in Form von Interviews.

anforderungen

Verhaltensbeobachtungen

Die Kandidat/innen zeigen das Verhalten in einer konkreten Situation.

Umsetzungspotential (Fertigkeit)

Metakognition

Einstellung Werthaltungen

Beobachtungen im natürlichen Setting

• Praxisprüfungen

• Videoleistungen

Beobachtungen im künstlichen Setting (Simulationen)

• Rollenspiel

• Präsentationen

• Gruppendiskussionen

• Gruppenübungen

Kann allenfalls in einem anschliessenden Fachgespräch anhand der Praxissituation oder der Simulation geprüft werden.

Kann allenfalls in einem anschliessenden Fachgespräch anhand der Praxissituationen oder der Simulation geprüft werden.

Verhaltensbefragungen

Soziale Kompetenzen werden nicht unmittelbar gemessen, sondern aus dem Sozialverhalten einer Person erschlossen. Erfolgt die Überprüfung durch eine Selbstbeurteilung, so ist eine hohe Kooperationsbereitschaft der Kandidat/innen Voraussetzung für ein aussagekräftiges Ergebnis.

Umsetzungspotential (Fertigkeit)

Konsequenz

• Interviewmethode

• Fragebogen zur Selbstbeschreibung

Damit Sozialkompetenzen ganzheitlich überprüft werden können, ist auf ein Design der Prüfungsanlage zu achten, das sich eng an die formulierten Kompetenzen anschliesst und genau darauf abgestimmt ist.

Ansatzpunkt 3

Die konkrete Ausgestaltung der Aufgabenstellungen und der Beurteilungsinstrumente im Rahmen des Prüfungssettings ist ein zentraler Erfolgsfaktor. Dabei ist zu beachten:

> Alle Aufgaben sind auf die jeweiligen Praxissituationen zugeschnitten. Allgemeine Aufgabenstellungen werden vermieden.

> Die Beurteilung erfolgt auf Basis von vordefinierten und aus den Kompetenzen resultierenden Beurteilungskriterien.

> Vor allem bei der Verhaltensbeobachtung wird auf eine klare Instruktion der Kandidat/innen geachtet.

> Das Verhalten der Mitspieler in den Simulationen ist realistisch.

Konsequenz

Die Instrumente für die Prüfungsdurchführung werden auf das Prüfungsdesign massgeschneidert. Bei der Umsetzung wird auf ein professionelles Verhalten bei den Mitwirkenden in den Simulationen wie auch bei den Prüfungsexpert/innen geachtet.

Fazit

Verfolgt man die oben beschriebenen Ansatzpunkte, so erweist sich ein Abbilden von Sozialkompetenzen in den Prüfungssettings der Berufsbildung als gut machbar. Wobei unbestritten ist, dass es eine grosse Herausforderung für die Entwickler/innen der Prüfungsaufgaben sowie für die Prüfungsexpert/innen darstellt. Packen auch Sie den Stier bei den Hörnern!

Sind Sie an einer bestimmten Prüfungsmethode interessiert, schauen Sie doch bei unseren anderen Umsetzungstipps nach, allenfalls ist darin die Methode schon im Detail beschrieben.

Herausgeberin

Ectaveo AG

Riedtlistrasse 15a

CH-8006 Zürich info@ectaveo.ch www.ectaveo.ch

Autorin

Ectaveo AG

Gestaltung und Satz dezember und juli gmbh www.dezemberundjuli.ch

Auflage 2. Auflage, März 2025

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