einführung
In einer PostkorbAufgabe – gerne auch nur Postkorb genannt – priorisieren die Kandidat/innen verschiedene Tätigkeiten aus einem Arbeitstag. Diese zu ordnenden Tätigkeiten werden ihnen in Form unterschiedlichster Dokumente wie Briefe, EMails, Telefonnotizen, Nachrichten sowie Hintergrundmaterial wie Terminkalender oder ein Organigramm zugänglich gemacht. Mit der PostkorbMethode wird überprüft, wie gut die Kandidat/innen unter Zeitdruck in der Lage sind, die Informationen zu analysieren, ihre Arbeit sinnvoll zu organisieren und zu strukturieren, Prioritäten zu setzen und Informationen an andere weiterzuleiten oder Arbeiten zu delegieren. Das heisst, beim Postkorb müssen wichtige von unwichtigen Informationen unterschieden, die Dringlichkeit eingeschätzt und entsprechend sinnvolle Massnahmen getroffen werden. Aus der Bewältigung dieser Aufgabe können Rückschlüsse auf Stressresistenz, Entscheidungsfähigkeit, Konzentrationsfähigkeit und Arbeitsorganisation gezogen werden.
PostkorbAufgaben eignen sich hauptsächlich für schriftliche Prüfungen. Nach Bedarf kann ein mündlicher Teil vorgesehen werden, in welchem die Kandidat/innen ihre Lösung erläutern.
Die PostkorbAufgabe hat ihre Wurzeln in der Arbeitsund Organisationspsychologie und ist beispielsweise fester Bestandteil von AssessmentCentern.
Folgende Literatur ermöglicht einen theoretischen Einblick in die Prüfungsmethode:
Höft, S. & Funke, U. (2006): Simulationsorientierte Verfahren der Personalauswahl. In: Schuler, H. (Hrsg.): Lehrbuch Personalpsychologie. Göttingen: Hogrefe. S. 147–187.
Musch, J. & Lieberei, W. (1997): Entwicklung und Validierung einer auswertungsobjektiven Postkorbübung für die Personalauswahl. http://psydok.sulb.unisaarland.de/ volltexte/2004/321/pdf/BoBe1997_1.pdf
Wolz, S. (2008): Darstellung ausgewählter Verfahren des Assessment Centers. Handout zum Referat im Rahmen der Lehrveranstaltung: Personalmarketing und Personalauswahl Sommersemester 2008.
Eine Auswahl der aufgeführten Artikel ist auf unserer Homepage www.ectaveo.ch im Themenfokus unter dem Stichwort «Kompetenzmessung» aufgeschaltet.
anforderungen an die prüfungsform
Die Qualität dieser Prüfungsform hängt entscheidend davon ab, ob die Aufgabenstellung praxisnah und komplex aufgebaut ist. Der Postkorb ist so zu konstruieren, dass die Kandidat/innen realistische und alltägliche Informationen erhalten. Dabei ist es möglich, dass sich Informationen widersprechen oder zu Terminkollisionen führen. Ausserdem sind auch Informationen aus dem persönlichen Umfeld (wie Zahnarzttermin, Geburtstag der Tochter etc.) einzubeziehen.
Bei der Konstruktion der Aufgabenstellung ist auf Folgendes zu achten:
> Der Postkorb beinhaltet eine Fülle an Schriftstücken und Informationen unterschiedlichster Art.
> Der Postkorb ist in einen Kontext eingebunden.
> Die zu lösenden Probleme sind vielfältig und nicht nur beruflicher Natur.
> Der Postkorb wird unter Zeitdruck ausgeführt.
> Die Aufgabenstellung enthält einen Aktionsplan, bei erhöhter Schwierigkeit auch einen Zeitplan, in welchem die Kandidat/innen die Arbeiten planen.
Ausserdem: Die Informationen und Tätigkeiten …
> sind miteinander vernetzt.
> sind unterschiedlich relevant und dringlich.
> haben einen Einfluss auf die Arbeitsgestaltung der Kandidaten/innen.
tipps für die entwicklung der prüfungsaufgaben
Eine PostkorbAufgabe dauert in der Regel zwischen 30 und 120 Minuten. In der Aufgabenstellung wird der Postkorb zunächst in einen Kontext eingebettet. Das bedeutet, dass in der Ausgangslage beschrieben wird, in welcher (fiktiven) Firma die Kandidat/innen arbeiten, in welcher Rolle sie handeln und wie ihr Terminplan für diesen Tag aussieht. Weiter erhalten die Kandidat/innen ein Organigramm, aus welchem ersichtlich wird, in welcher hierarchischen Position ihre Funktion angesiedelt ist. Anhand der beschriebenen Ausgangslage und des Organigramms können die Kandidat/innen einschätzen, welche Führungs und Delegationskompetenzen sie haben und innerhalb welcher Rahmenbedingungen sie aufgefordert sind, die vorliegenden Meldungen und Vorgänge zu bewältigen.
Je nach Schwierigkeitsgrad enthält der Postkorb 15 bis 40 Schriftstücke. Er kann verschieden komplex sein, wobei die Verbindungen der Informationen untereinander nicht allzu offensichtlich sein dürfen. Versteckte Informationen hingegen sind eher zu vermeiden. Die Kandidat/innen müssen nach der Analyse der Informationen die einzelnen Vorgänge in einem Aktionsplan priorisieren, die zu treffenden Massnahmen bestimmen und diese plausibel begründen. Bei erhöhtem Schwierigkeitsgrad, müssen die Kandidat/innen zudem eine zeitliche Planung erstellen und darin aufführen, wann sie welche Massnahme treffen und wie viel Zeit dies in Anspruch nimmt.
Die Komplexität eines Postkorbs wird vor allem durch die Art der Schriftstücke erzeugt. Dabei ist zu beachten:
Merkmale der Schriftstücke
> Es handelt sich um verschiedene Schriftstücke: Briefe, EMails, Telefonnotizen, Anliegen von Kunden, Rechnungen, Mahnungen, vertrauliche Mitteilungen u. ä.
> Die Art der Schriftstücke muss in der Praxis tatsächlich vorkommen.
> Die Schriftstücke sollen echt aussehen (z. B. mit Briefkopf, mit Unterschrift, mit Datum u. ä.).
> Die Schriftstücke können Informationen zu organisationsspezifischen Problemen enthalten.
> Die Dringlichkeit und die Relevanz der Schriftstücke sind unterschiedlich.
> Die Inhalte der Schriftstücke stehen untereinander in Zusammenhang und können sich auch widersprechen.
> Die Inhalte der Schriftstücke haben Auswirkungen auf den Terminplan der Kandidat/innen.
> Die Dokumente sind nummeriert, damit die Kandidat/ innen bei der Lösung auf die Nummern referenzieren können und Missverständnisse bei der Korrektur vermieden werden.
> Die Anzahl der Schriftstücke und die Komplexität der Verbindung unter den einzelnen Schriftstücken sind der Prüfungszeit und dem Prüfungsniveau angepasst.
tipps für die entwicklung der prüfungsaufgaben
Für die Lösung des Postkorbs können folgende Hilfsmittel zur Verfügung gestellt werden:
> Aktionsplan
> Je nach Anforderungsniveau auch ein Zeitplan
> Organigramm der Firma
> Terminkalender, in welchem Sitzungen u. Ä. eingetragen sind
> Je nachdem eine kurze Beschreibung der Mitarbeitenden im Team
Musterlösung
Bei PostkorbAufgaben gibt es nicht die richtige oder falsche Lösung, sondern geeignete und weniger geeignete Lösungen. Entscheidend ist, dass die Kandidat/innen ihr Vorgehen begründen. Damit dies möglich ist, muss im Aktionsplan deshalb immer auch eine Spalte «Begründung» vorgesehen werden. Für die Erstellung der Musterlösung hilft die Überlegung, welche Aufgaben warum prioritär zu behandeln sind und welche Vorgänge nicht relevant sind.
Test
Es ist zu empfehlen, den Postkorb zu testen, bevor er für die Prüfung freigegeben wird. Idealerweise übernimmt diese Aufgabe eine Person, die an der Entwicklung des Postkorbs nicht beteiligt war, mit der Materie aber gut vertraut ist. Diese TestPrüfung ist unter denselben Bedingungen (gleiche Hilfsmittel, Zeitlimit) durchzuführen, wie sie auch für die Prüfung angedacht sind. Anhand des Tests lässt sich überprüfen, ob die Aufgabe in der vorgegebenen Zeit lösbar ist und die Unterscheidung zwischen dringend / nicht dringend sowie relevant / nicht relevant aus den vorliegenden Schriftstücken deutlich wird.
Der Postkorb wird schriftlich durchgeführt, wobei die Möglichkeit besteht, die Aufgabe anschliessend zu besprechen.
Es gibt keine eindeutige und richtige Lösung. Meist ist der Postkorb auch so angelegt, dass er nicht zu hundert Prozent lösbar ist, will heissen: Um Zeitdruck zu schaffen, wird den Kandidat/innen mehr Material bereitgestellt, als sie in der vorgegebenen Zeit bewältigen können. Die Prüfungsexpert/ innen schauen bei der Bewertung vor allem darauf, wie die Bearbeitung vorgenommen wurde und nach welchen Kriterien die Entscheidungen erfolgten. Hier ist vor allem der Weg das Ziel!
Während der Durchführung besteht die Möglichkeit, weitere Dokumente abzugeben, um den Zeitdruck und den Stressfaktor zusätzlich zu erhöhen. Rückfragen während der Prüfung sind hingegen in der Regel nicht erlaubt.
Ist ein anschliessendes Gespräch geplant, müssen die Kandidat/innen ihre Lösung erläutern und verteidigen. Es geht vor allem auch hier um die Frage, warum sie so vorgegangen sind und welches die dahinterliegenden Überlegungen sind.
Beim Gespräch sollte der Fokus immer wieder auf die Dringlichkeit und Wichtigkeit der Informationen und Aufgaben gelegt werden.
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Unsere Publikationsreihe «Umsetzungstipps» umfasst folgende Prüfungsmethoden:
Prüfungsmethode «Critical Incidents»
Prüfungsmethode «Praxisprüfungen»
Sozialkompetenz prüfen – Utopie oder Realität?
Prüfungsmethode «Postkorb»
Prüfungsmethode «MiniCases»
Prüfungsmethode «Geleitete Fallarbeit»
Prüfungsmethode «Fallstudie»
Prüfungsmethode «Wissensfragen»
Prüfungsmethode «Gesprächsanalyse»
Prüfungsmethode «Fachgespräch»
Mündliche Prüfungen
Prüfungsmethode «Rollenspiel»
Prüfungsmethode «Handlungssimulation»
Prüfungsmethode «Präsentation»
Bewerten mit Kriterien
Prüfungsmethode «Gruppendiskussion»
Prüfungsmethode «Projektarbeit»
Prüfungsmethode «Praxisarbeit»
Prüfungsmethode «Werkschau»
Prüfungsmethode «Kompetenzstatus»
Prüfungsmethode «Statusgespräch»
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Herausgeberin
Ectaveo AG
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Autorin
Ectaveo AG
Gestaltung und Satz dezember und juli gmbh www.dezemberundjuli.ch
Auflage 2. Auflage, Dezember 2022
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