einführung
In der heutigen dynamischen und komplexen Arbeitswelt sind eine gestärkte Berufsidentität, ein klares Rollenbild und ein bewusstes Stärken-Schwächen-Profil wichtige Anker für Berufspersonen. Eine Prüfungsmethode, welche die Berufsperson im Erhalt und Ausbau der eigenen Leistungsfähigkeit und deren zielgerichteten Einsatz fördert, ist das Statusgespräch.
Im Statusgespräch besprechen die Berufspersonen ihre Berufsidentität und ihr Kompetenzprofil anhand eines persönlichen Portfolios und leiten daraus Entwicklungsmassnahmen ab. Sie nehmen eine Auswertung der Überlegungen vor und stellen sich als Berufsperson ganzheitlich dar – diese Überlegungen werden in einem Gespräch mit den Prüfungsexpert/innen einer qualifizierten Diskussion unterzogen.
Der Einsatz des Statusgesprächs als Prüfungsmethode eignet sich dann, wenn die Kandidat/innen bereits in der Praxis tätig sind und eine reflektierte Sicht auf ihre Entwicklung, ihre Haltung und Berufsidentität für die Ausübung ihrer Rolle wichtig sind.
Wir alle haben ein Bild von uns selbst. Wir sind der Meinung, dass uns bestimmte Fähigkeiten und Fertigkeiten auszeichnen, wir über bestimmte Einstellungen und Haltungen verfügen und wir auf eine ganz bestimmte Art und Weise auf andere wirken. Allerdings stimmt dieses Bild oft nicht mit dem Bild, das andere von uns haben, überein. Wir haben das Gefühl, die Welt nicht mehr zu verstehen, wenn wir von Vorgesetzten oder Kolleg/innen Feedback erhalten, das sich so gar nicht mit unserem Selbstbild deckt (Linde & Steinweg 2009). Die Psychologen Zlatan Krizan und Ethan Zell (2014) stellten in einer Metaanalyse fest, dass zwischen der eigenen Selbsteinschätzung und der tatsächlichen Leistung ein sehr geringer Zusammenhang (Korrelation von 0.29) besteht. Die grösste Übereinstimmung zeigte sich im Bereich der Sprachkompetenz – die geringste bei der nonverbalen Kommunikation.
Ein Grund für die geringe Korrelation zwischen Selbstbild und tatsächlicher Leistung besteht wohl darin, dass wir uns kaum Gedanken darüber machen, wie das Bild über uns selbst entstanden ist oder welche Belege in der Praxis es dafür gibt. Die Fähigkeit zur realistischen Selbsteinschätzung wird jedoch zunehmend als Schlüsselkompetenz von Berufspersonen angesehen.
Das Mitarbeitendengespräch leistet hier einen wichtigen Beitrag. Es ermöglicht einen Abgleich zwischen Selbstund Fremdbild und hilft uns, «blinde Flecken» (vgl. Luft & Ingham 1955), also jene Persönlichkeits- und Verhaltensmerkmale, die uns selbst nicht bekannt sind, aber von anderen sehr wohl wahrgenommen werden, zu erkennen. Der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin erhält durch Rückmeldungen ein Gefühl der Sicherheit und Stabilität. Er/sie weiss, was erwartet wird und inwieweit er/sie diese Erwartungen erfüllt (Ectaveo, 2019).
In der Prüfungsmethode «Statusgespräch» erfolgt dieser Austausch nicht wie beim Mitarbeitendengespräch mit der vorgesetzten Person, sondern mit einem/r Prüfungsexpert/in. Folglich wird der Aspekt der Fremdbeurteilung ausgeklammert. Der Fokus liegt auf einer nachvollziehbaren und ausgewogenen Einschätzung des persönlichen Kompetenzprofils. Im Zentrum steht der reflektierte Umgang mit den eigenen Fähigkeiten und Haltungen.
Einen theoretischen Einblick im Zusammenhang mit dem Thema Statusgespräch ermöglichen die folgenden Werke:
Ectaveo (2019).
Wissensbaustein Standortbestimmungen durchführen.
Krizan, Z. & Zell, E. (2014).
Perspective on Psychological Science. Zugriff am 26. August 2019 unter https://www.researchgate.net/publication/267393611_ Do_People_Have_Insight_Into_Their_Abilities_A_ Metasynthesis
Linde, B. & Steinweg S. (2009). Psychologie für den Beruf. E-Book: Haufe.
Luft, J. & Ingham, H. (1955).
The Johari window, a graphic model of interpersonal awareness.
In: Proceedings of the western training laboratory in group development, Los Angeles: UCLA, 1955.
anforderungen an die prüfungsform
Der Erfolg dieser Prüfungsmethode hängt wesentlich von der Vorbereitung der Kandidat/innen, der Struktur des Gesprächs sowie der Eignung der Beurteilungskriterien ab. Dabei sind folgende Überlegungen zu beachten:
Vorbereitung der Kandidat/innen
Es ist wichtig, dass die Kandidat/innen vorbereitet zum Statusgespräch erscheinen. Hierfür sollten ihnen Analyseinstrumente für die Auseinandersetzung mit den eigenen Kompetenzen und Haltungen zur Verfügung gestellt werden. Eine Selbst- und Fremdbeurteilung des Stands der Kompetenzentwicklung oder ein Fragebogen zu den persönlichen Einstellungen und Haltungen liefern wichtige Anhaltspunkte.
Beispiel Einschätzung der Kompetenzentwicklung
Beispiel Einschätzung der Einstellungen und Haltungen
Quelle: Ectaveo
Wichtig ist, dass die Instrumente auf den Beruf und die Rolle der Kandidat/innen massgeschneidert sind. Zudem sollten die Kandidat/innen genau angeleitet werden, wie sie die Ergebnisse der Instrumente auswerten und sich auf das Statusgespräch vorbereiten sollen. Gesprächsablauf und Beurteilungskriterien sollten transparent gemacht werden.
Quelle: Ectaveo
Gesprächsstruktur
Das Statusgespräch sollte eine einheitliche Struktur aufweisen. Grundsätzlich wird es in folgende Themenblöcke unterteilt:
> Rollenbewusstsein: Die Kandidat/innen erläutern ihre zentralen Aufgaben, die Erwartungen ihres Betriebs und wie sie diese erfüllen.
> Stärken und Schwächen im Kompetenzprofil: Die Kandidat/ innen zeigen auf, in welchen Bereichen sie über umfassende Kompetenzen verfügen und in welchen noch Entwicklungsbedarf besteht. Sie plausibilisieren ihre Ausführungen anhand von konkreten Beispielen.
> Haltungen und Einstellungen: Die Kandidat/innen erläutern, wie sich einzelne ihrer Einstellungen und Haltungen in der Praxis konkret zeigen. Sie analysieren, für welche Aufgaben bzw. Situationen diese mehr oder weniger geeignet sind.
> Fallbeispiele: Die Kandidat/innen bearbeiten kleine Fallbeispiele in Form von Mini Cases und Critical Incidents. Sie verifizieren somit die bisherigen Ausführungen.
> Ausblick: Die Kandidat/inne analysieren ihr persönliches Potenzial und leiten Zielsetzungen und Massnahmen für die Zukunft ab.
Beurteilungskriterien
Die Beurteilung des Statusgesprächs erfolgt anhand von standardisierten Kriterien. Diese zielen darauf ab, die Motivation und Fähigkeit zu einer kritischen Auseinandersetzung mit sich selbst als Berufsperson zu bewerten.
Mögliche Leitfragen für die Beurteilung
> Ist der/die Kandidat/in in der Lage, die eigenen Stärken und Schwächen darzustellen und nachvollziehbar zu belegen?
> Schätzt der/die Kandidat/in die Auswirkungen seiner/ihrer Einstellungen und Haltungen im beruflichen Kontext zutreffend ein?
tipps für den einsatz des statusgesprächs als prüfungsmethode
Das Statusgespräch sollte genutzt werden, um herauszufinden, ob sich Kandidat/innen realistisch einschätzen können. Es geht nicht darum, dass sich die Kandidat/innen möglichst gut verkaufen und unter Beweis stellen, was sie alles wissen und können. Hierfür sind andere Prüfungsmethoden vorgesehen.
Diesem Aspekt sollte auch im Umgang mit den Analyseinstrumenten Rechnung getragen werden. Die Kandidat/ innen müssen unbedingt informiert werden, dass die Ergebnisse ihrer Arbeit mit den Instrumenten nicht direkt in die Beurteilung einfliessen. Was beurteilt wird, ist ihre Auseinandersetzung mit diesen Ergebnissen im Rahmen des Statusgesprächs. Ansonsten ist mit einer Verfälschung der Ergebnisse zu rechnen.
Zudem ist vor dem Einsatz eines Statusgesprächs als Prüfungsmethode sicher zu stellen, dass die Kandidat/innen über ausreichend Praxiserfahrung verfügen. Nur wenn sie ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten im Berufsalltag einsetzen und Erfahrungen mit den Auswirkungen ihrer Einstellungen und Haltungen sammeln konnten, können sie diese auch reflektieren.
Das Statusgespräch dauert zwischen 30 und 90 Minuten. Die Prüfungsexpert/innen sollten die Ergebnisse der Analyseinstrumente im Vorhinein erhalten, um sich auf das Gespräch vorzubereiten. Ist dies nicht möglich bzw. erwünscht, können die Kandidat/innen aufgefordert werden, zu Beginn des Gesprächs die zentralen Ergebnisse kurz zu präsentieren.
Während des Gesprächs ist es wichtig, dass die Prüfungsexpert/innen eine wertschätzende und wohlwollende Haltung einnehmen. Es geht nicht darum, Schwächen ausfindig zu machen, sondern etwas über die Motive und Entwicklungsbedürfnisse des Gegenübers zu erfahren.
Werden Mini Cases oder Critical Incidents eingesetzt, um die Aussagen der Kandidat/innen zu plausibilisieren, sollte sichergestellt werden, dass ein ausreichend grosser Pool an Aufgaben zur Verfügung steht.
Idealerweise wird das Statusgespräch von zwei Prüfungsexpert/innen geführt. Während eine/r das Gespräch protokolliert hält der/die andere Augenkontakt mit dem Gegenüber.
Nach dem Gespräch werden die Beobachtungen in den Beurteilungsbogen übertragen. Die einzelnen Kriterien werden beurteilt und bei Punkteabzug wird dieser begründet. Bestenfalls erfolgt dies gleich im Anschluss an das Gespräch, sodass das Ziehen von Vergleichen zwischen den einzelnen Kandidat/innen vermieden wird.
In unserer Reihe «Umsetzungstipps» unterstützen wir Sie bei der Ausgestaltung kompetenzorientierter Prüfungen. Wir zeigen Ihnen, wie Sie kompetenzorientierte Prüfungsmethoden punktgenau im Prüfungsalltag umsetzen können.
Unsere Publikationsreihe «Umsetzungstipps» umfasst folgende Prüfungsmethoden:
Prüfungsmethode «Critical Incidents»
Prüfungsmethode «Praxisprüfungen»
Sozialkompetenz prüfen – Utopie oder Realität?
Prüfungsmethode «Postkorb»
Prüfungsmethode «Mini-Cases»
Prüfungsmethode «Geleitete Fallarbeit»
Prüfungsmethode «Fallstudie»
Prüfungsmethode «Wissensfragen»
Prüfungsmethode «Gesprächsanalyse»
Prüfungsmethode «Fachgespräch»
Mündliche Prüfungen
Prüfungsmethode «Rollenspiel»
Prüfungsmethode «Handlungssimulation»
Prüfungsmethode «Präsentation»
Bewerten mit Kriterien
Prüfungsmethode «Gruppendiskussion»
Prüfungsmethode «Projektarbeit»
Prüfungsmethode «Praxisarbeit»
Prüfungsmethode «Werkschau»
Prüfungsmethode «Kompetenzstatus»
Prüfungsmethode «Statusgespräch»
Möchten Sie die Umsetzungstipps in gedruckter Form beziehen, tragen Sie sich ein unter: www.ectaveo.ch/abonnement-umsetzungstipps
Herausgeberin
Ectaveo AG
Riedtlistrasse 15a CH-8006 Zürich info@ectaveo.ch www.ectaveo.ch
Autorin
Ectaveo AG
Gestaltung und Satz dezember und juli gmbh www.dezemberundjuli.ch
Auflage 1. Auflage, Dezember 2019
Wünschen Sie weitere Exemplare?
Bitte bestellen Sie diese via E-Mail an info@ectaveo.ch oder über unsere Website www.ectaveo.ch
Copyright © uneingeschränkt bei der Herausgeberin
ectaveo ag riedtlistrasse 15 a ch -8006 zürich
t +41 44 360 40 60
info@ectaveo.ch ww w ectaveo.ch