Umsetzungstipp
Bewerten mit Kriterien
Kompetenzen aussagekräftig und fair beurteilen
In unserem Vademecum «ÜberPrüfen» haben wir die Herausforderungen kompetenzorientierter Prüfungen vorgestellt und ein Spektrum verschiedener Prüfungsformen aufgezeigt, die das Überprüfen von Handlungskompetenzen möglich machen.
Die Umsetzungstipps knüpfen an das Vademecum an, vertiefen jeweils eine darin aufgeführte Prüfungsmethode oder stellen eine neue Methode vor. Fokus der Umsetzungstipps –sie tragen ihn bereits im Namen – ist die Umsetzung. Während im Vademecum vor allem das WAS ins Zentrum gestellt wurde, so geht es in den Umsetzungstipps nun um das WIE bei den zentralen Prüfungsmethoden.
Wir hoffen, Ihnen mit den Umsetzungstipps wertvolle, praxisnahe und vor allem hilfreiche Impulse für die Umsetzung der Prüfungsmethoden in der «Prüfungsrealität» geben zu können.
Eine gute Prüfung muss verschiedene Anforderungen erfüllen: Sie soll die Herausforderungen der Praxis abbilden, klar und verständlich formulierte Aufgaben beinhalten, fair durchgeführt und möglichst objektiv ausgewertet werden.
Der letzte Aspekt, nämlich die Frage nach der Bewertung, ist besonders relevant, da er über das Bestehen und NichtBestehen einer Prüfung entscheidet und somit zum Teil weit reichende Konsequenzen für die weitere (berufliche) Laufbahn der Kandidat/innen mit sich bringt. Eine nachvollziehbare, faire und transparente Bewertung der Prüfungsleistung steht deshalb im Zentrum. Dies gelingt, indem sie anhand von geeigneten, bereits im Vorfeld der Prüfung festgelegten Kriterien vorgenommen wird.
Im vorliegenden Umsetzungstipp werden wir das Bewerten mit Kriterien genauer beleuchten. Wir möchten aufzeigen, warum das Bewerten mit Kriterien so wichtig ist und was es dabei zu beachten gilt.
Bei der Beantwortung der Frage, was denn überhaupt eine gute Leistung ausmacht, lassen sich zwei Herangehensweisen unterschieden, die normorientierte und die kriterienorientierte Bewertung.
Bei der normorientierten Bewertung wird die Einzelleistung in Relation zu den Resultaten der anderen Kandidat/innen gesetzt (Tent & Stelzl, 1993): Der schnellste Läufer gewinnt, die Maler/innen der fünf schönsten Bilder erhalten einen Preis, 20 % der Kandidat/innen bestehen die Prüfung. Bei dieser Form der Beurteilung steht die Anzahl der Personen, die die Prüfung bestehen werden, bereits im Vorfeld fest.
Im Gegensatz dazu wird bei der kriterienorientierten Bewertung die individuelle Leistung der Kandidat/innen mit einem von den anderen Kandidat/innen unabhängigen Massstab verglichen. Dieser Massstab – auch Kriterium genannt – ist eine sachliche und stabile Messlatte wie etwa ein Lernziel (Frey & Frey-Eiling, 2010). Ausschlaggebend für das Prüfungsergebnis ist ausschliesslich die Frage, inwieweit die Kandidat/ innen dieses Kriterium erfüllen.
Das Bewerten anhand von Kriterien hat im Vergleich zur normorientierten Bewertung den grossen Vorteil, dass der Erwartungshorizont, also das, was von den Kandidat/innen erwartet wird, um die Prüfung zu bestehen, im Vorhinein festgelegt werden kann. Daneben sprechen auch motivationspsychologische Argumente für kriterienorientierte Prüfungen. Studien zeigen, dass Leistungen am wirksamsten gesteigert werden, wenn ein Leistungsfortschritt an der individuellen und nicht an der sozialen Bezugsnorm gemessen wird (Rheinberg, 2001).
Einen theoretischen Einblick in die Grundlagen des Bewertens ermöglichen die folgenden Werke:
Frey, K. & Frey-Eiling, A. (2010).
Ausgewählte Methoden der Didaktik.
Zürich: vdf Hochschulverlag AG.
Rheinberg, F. (2001).
Bezugsnormen und schulische Leistungsmessung.
In: Weinert, Franz E.: Leistungsmessungen in Schulen.
Weinheim: Beltz, S. 59–71.
Tent, L. & Stelzl, I. (1993).
Pädagogisch-psychologische Diagnostik. Band 1. Theoretische und Methodische Grundlagen.
Göttingen: Hogrefe.
anforderungen an das bewerten mit kriterien
Damit das Bewerten mit Kriterien nachvollziehbar, fair und transparent erfolgt, müssen einige Aspekte berücksichtigt werden. In erster Linie geht es um die Wahl der einzelnen Kriterien, das Vorgehen bei der Ermittlung des Gesamtergebnisses sowie die Schulung der Expert/innen.
Wahl der Kriterien
Bei der Wahl der einzusetzenden Kriterien sind folgende Aspekte zu beachten:
> Die Kriterien müssen bereits im Vorfeld der Prüfung definitiv festgelegt werden
> Die Kriterien müssen die zentralen Kompetenzen der Aufgabe abbilden und dürfen sich nicht auf Nebensächlichkeiten beziehen
> Die verschiedene Kriterien zur Beurteilung einer Prüfung dürfen sich gegenseitig nicht beeinflussen
> Das, was in den Kriterien bewertet werden muss, muss im Rahmen der Prüfung auch beobachtet werden können
> Die Kriterien müssen eindeutig und klar formuliert sein
> Die Kriterien müssen so genannte Gütestufen enthalten. Das heisst, es muss klar ersichtlich sein, unter welchen Voraussetzungen welche Anzahl von Punkten für das Kriterium vergeben wird
Ermittlung des Gesamtergebnisses
Bei der Ermittlung des Gesamtergebnisses einer Prüfung ist darauf zu achten, dass dieses direkt aus der Beurteilung der einzelnen Kriterien hervorgeht. Grundsätzlich werden zur Ermittlung des Gesamtergebnisses die pro Kriterium erreichten Punkte addiert. Es ist jedoch auch möglich, einzelne Kriterien stärker zu gewichten. Dies muss jedoch im Vorfeld der Prüfung so definiert werden.
Schulung der Expert/innen
Das Bewerten anhand von standardisierten Kriterien ist um einiges anspruchsvoller als eine einfache Reihung der Leistungen von Kandidat/innen, wie dies in der normorientierten Beurteilung der Fall ist. Um eine objektive Auswertung zu gewährleisten, müssen die eingesetzten Expert/innen entsprechend geschult werden. Hierbei geht es vor allem um das Schaffen eines gemeinsamen Verständnisses hinsichtlich folgender Fragen:
> Worauf beziehen sich die Kriterien einer Prüfung konkret?
> Wie gehe ich bei der Bearbeitung eines Beurteilungskriteriums vor?
> Welche Hilfsmittel stehen mir für die Einschätzung des Erfüllungsgrades eines bestimmten Kriteriums zur Verfügung?
tipps für die entwicklung von beurteilungskriterien
Ein Beurteilungskriterium besteht grundsätzlich aus einem Titel, einer Leitfrage und den Gütestufen.
Titel
Der Titel eines Kriteriums gibt einen Hinweis darauf, worum es im entsprechenden Kriterium geht und macht das Kriterium eindeutig erkennbar. Er sollte aussagekräftig sein, aber trotzdem kurz und knappgehalten werden.
Leitfrage
In der Leitfrage wird das Kriterium als konkrete Fragestellung formuliert. Sie hilft bei der Einschätzung, ob Kandidat/innen über eine entsprechende Kompetenz verfügen. Sie wird meist innerhalb des Arbeitsauftrags den Kandidat/innen bereits vor der Prüfung transparent gemacht. Somit werden die Erwartungen anschaulich gemacht. Die Leitfrage sollte klar verständlich sein und einen aussagekräftigen Massstab beinhalten.
Gütestufen
Die Gütestufen dienen als Grundlage für die Punktevergabe. Sie geben eine Information darüber, inwieweit die Kandidat/ innen über eine bestimmte Kompetenz verfügen. Es lohnt sich, vier Gütestufen zu unterschieden und diese kurz zu beschreiben. Wichtig ist dabei, dass die Gütestufen nicht zu eng gefasst werden. Sie müssen auf unterschiedliche Lösungsvarianten der Kandidat/innen anwendbar sein.
Nachfolgend finden Sie ein Beispiel eines Beurteilungskriteriums aus einer Präsentation:
Titel
Fachliche Korrektheit
Leitfrage Sind die präsentierten Inhalte fachlich korrekt und mit Begründungen und Beispielen belegt?
Die präsentierten Inhalte sind aus fachlicher Sicht korrekt. Der/die Kandidat/in belegt seine/ihre Aussagen durch Begründungen oder Beispiele nachvollziehbar.
Die präsentierten Inhalte weisen kleinere fachliche Unstimmigkeiten auf. Die Aussagen sind mehrheitlich durch Begründungen und Beispiele belegt.
Die präsentierten Inhalte weisen grössere fachliche Unstimmigkeiten auf. Die Aussagen sind ungenügend durch Begründungen und Beispiele belegt.
Die präsentierten Inhalte enthalten grobe fachliche Fehler. Die Aussagen sind nicht durch Begründungen oder Beispiele belegt.
3 Punkte
2 Punkte
1 Punkt
0 Punkte
Zusätzlich zu diesen Elementen enthält jedes Kriterium
Platz für das Festhalten der Beobachtungen während der Prüfung sowie die Begründung der Punktevergabe durch die Prüfungsexpert/innen.
hinweise zum einsatz der kriterien
Standardisierte Beurteilungskriterien kommen sowohl bei schriftlichen als auch mündlichen Prüfungen zum Einsatz. Meist sind sie in einem Beurteilungsbogen zusammengefasst.
Die Prüfungsexpert/innen gehen bei der Bearbeitung eines Kriteriums in drei Schritten vor:
Schritt 1: Beobachten
Die Prüfungsexpert/innen halten ihre Beobachtungen zum entsprechenden Kriterium fest. Bei mündlichen Prüfungen erfolgt dies bereits während der Prüfung. In schriftlichen Prüfungen können während der Korrektur Beobachtungen auch direkt auf der Prüfung festgehalten werden. Wichtig ist jedoch, dass diese Beobachtungen noch keine Beurteilung enthalten, sondern möglichst neutral das wiedergeben, was die Kandidat/innen getan, gesagt oder geschrieben haben.
Schritt 2: Beurteilen
Anhand ihrer Beobachtungen nehmen die Prüfungsexpert/ innen eine Beurteilung vor. Das heisst, sie vergeben eine bestimmte Punktezahl für das Kriterium. Sie orientieren sich dabei an den Gütestufen, ihrer persönlichen Praxiserfahrung und – sofern vorhanden – einer Musterlösung.
Schritt 3: Begründen
Die Prüfungsexspert/innen begründen in Stichworten, warum sie eine bestimmte Punktezahl vergeben haben. Erhält ein/e Kandidat/in in einem Kriterium die maximal mögliche Punktezahl, kann auf die Begründung verzichtet werden. Die Begründung ist vor allem für den Rekursfall wichtig, da sie es auch Dritten ermöglicht, das Urteil der Prüfungsexpert/innen nachzuvollziehen.
Wurden alle Kriterien auf diese Weise bearbeitet, werden die pro Kriterium erreichten Punkte addiert und somit das Gesamtergebnis der Prüfung ermittelt.
abonnement «umsetzungstipps»
In unserer Reihe «Umsetzungstipps» unterstützen wir Sie bei der Ausgestaltung kompetenzorientierter Prüfungen. Wir zeigen Ihnen, wie Sie kompetenzorientierte Prüfungsmethoden punktgenau im Prüfungsalltag umsetzen können.
Unsere Publikationsreihe «Umsetzungstipps» umfasst folgende Prüfungsmethoden:
Prüfungsmethode «Critical Incidents»
Prüfungsmethode «Praxisprüfungen»
Sozialkompetenz prüfen – Utopie oder Realität?
Prüfungsmethode «Postkorb»
Prüfungsmethode «Mini-Cases»
Prüfungsmethode «Geleitete Fallarbeit»
Prüfungsmethode «Fallstudie»
Prüfungsmethode «Wissensfragen»
Prüfungsmethode «Gesprächsanalyse»
Prüfungsmethode «Fachgespräch»
Mündliche Prüfungen
Prüfungsmethode «Rollenspiel»
Prüfungsmethode «Handlungssimulation»
Prüfungsmethode «Präsentation»
Bewerten mit Kriterien
Prüfungsmethode «Gruppendiskussion»
Prüfungsmethode «Projektarbeit»
Prüfungsmethode «Praxisarbeit»
Prüfungsmethode «Werkschau»
Prüfungsmethode «Kompetenzstatus»
Prüfungsmethode «Statusgespräch»
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Herausgeberin
Ectaveo AG
Riedtlistrasse 15a CH-8006 Zürich info@ectaveo.ch www.ectaveo.ch
Autorin
Ectaveo AG
Gestaltung und Satz dezember und juli gmbh www.dezemberundjuli.ch
Auflage 3. Auflage, März 2024
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