einführung
Das Rollenspiel ist eine Prüfungsmethode, bei der ein Gespräch aus dem beruflichen Kontext der Kandidat/innen simuliert wird. Die Gesprächssituation kann sowohl konfrontativ als auch kooperativ sein. Der Kandidat bzw. die Kandidatin nimmt dabei stets die Rolle der Berufsperson ein.
Das Rollenspiel ist eine Möglichkeit, um die Kommunikationsfähigkeit der Kandidat/innen zu überprüfen. Auch zeigen sich Einfühlungsvermögen, Fingerspitzengefühl und Geschick im Umgang mit Kolleg/innen, Mitarbeitenden oder Kund/innen in schwierigen Gesprächssituationen. Der Einsatz des Rollenspiels eignet sich zum Beispiel bei Verhandlungs-, Verkaufs-, Mitarbeitenden- oder Beratungsgesprächen.
Während bei der Methode der Gesprächsanalyse, welche wir Ihnen bereits vorgestellt haben, aufgrund des Erkennens und Reflektierens von Gesprächsmerkmalen auf die Handlungskompetenz der Kandidat/innen geschlossen wird, werden diese beim Rollenspiel selbst zu Akteurinnen und Akteuren. Rollenspiele bieten somit den Vorteil, dass sie sich sehr nah am aktuellen oder zukünftigen Berufsfeld der Kandidat/innen orientieren. Auch zeigen sich im Rollenspiel implizite und zum Teil unbewusste Verhaltensweisen. Man geht davon aus, dass das Verhalten im Rollenspiel weniger dem Störfaktor der sozialen Erwünschtheit unterliegt als bewusst abgefragte Verhaltenstendenzen (Aldering & Nüsser, 2013). Das Rollenspiel wird aufgrund dieser Vorteile nicht nur in klassischen Prüfungssituationen, sondern auch bei Personalentscheidungen, in der Managementdiagnostik oder der Verhaltenstherapie gern eingesetzt.
Einen theoretischen Einblick in die Grundlagen des Rollenspiels ermöglichen die folgenden Werke:
Aldering, C. & Nüsser, C. (2013). Rollenspiele. In: Sarges, W. (Hrsg.).
Managementdiagnostik. Göttingen, Bern, Wien, Paris, Oxford, Prag, Toronto, Boston, Amsterdam, Kopenhagen, Stockholm, Florenz: Hogrefe Verlag GmBH & Co. KG.
Ebbinghaus, M. & Schmidt, J. U. (2002). Prüfungsmethoden und Aufgabenarten. Bonn: Bundesinstitut für Berufsbildung.
Ewald, D., Lammert, K., Marx, S.U. & Wigang, S. (2009). Einstellungstests: 45 sofort einsetzbare Aufgaben und Rollenspiele zur Personalauswahl.
München: Rudolf Haufe Verlag GmbH & Co. KG.
Fonberg, N. «Ich spiele eine Rolle für Sie».
In: Psychoscope, Heft 7/2014, S. 34–35.
Kliem, S. (o.J.). Die Bausteine des Assessment-Centers. Das Rollenspiel.
Zugriff am 23. Juli 2016 unter https://www.arbeitsagentur.de.
Wübblemann, K. (o.J.). Simulationen im Management Audit: Fallstudien, Präsentationen, Rollenspiele.
Zugriff am 23. Juli 2016 unter http://www.managementaudit.de.
Eine Auswahl der aufgeführten Artikel ist auf unserer Homepage www.ectaveo.ch aufgeschaltet.
Die menschliche Kommunikation ist von einer hohen Dynamik geprägt, was einen standardisierten Gesprächsverlauf unmöglich macht. Umso wichtiger ist es, den Rahmen, in dem das Gespräch stattfindet, möglichst klar festzulegen. Die Kandidat/innen müssen genau über die Ausgangslage und das Ziel, das mit dem simulierten Gespräch verfolgt wird, informiert werden. Die Beurteilungskriterien müssen so gewählt werden, dass sie, egal welchen Verlauf das Gespräch auch nimmt, für jede Prüfungsdurchführung verwendet werden können.
Beim Rollenspiel lassen sich zwei Varianten unterscheiden, nämlich das Rollenspiel zwischen einem Kandidaten bzw. einer Kandidatin und einem/einer Rollenspieler/in und das Rollenspiel zwischen zwei Kandidat/innen. Beide Varianten bringen unterschiedliche Anforderungen an die Entwicklung, Durchführung und Auswertung der Prüfung mit sich.
Variante 1: Rollenspiel zwischen einem Kandidaten bzw. einer Kandidatin und einem/einer Rollenspieler/in
Bei dieser Variante übernehmen die Kandidat/innen die Rolle der Berufsperson. Ihr Gegenüber, also die Kundin, der Chef oder die Mitarbeiterin, wird von einer entsprechend geschulten Person gespielt. Beurteilt wird, ob das Kommunikationsverhalten der Kandidat/innen der jeweiligen Berufsrolle entspricht.
Der Erfolg dieser Prüfung ist zu einem grossen Teil vom Verhalten der Rollenspielerin bzw. des Rollenspielers abhängig. Es ist wichtig, dass diese Person ihre Rolle glaubhaft spielt und sich an einen vorgegebenen Ablauf hält, ohne den Lead über das Gespräch zu sehr an sich zu reissen. Aufgrund der Authentizität in ihrem Auftreten eignen sich für diese Rolle erfahrene Berufsleute meist besser als eigens engagierte Schauspieler/innen.
Variante 2: Rollenspiel zwischen zwei Kandidat/innen
Bei dieser Variante findet das Rollenspiel zwischen zwei Kandidat/innen statt, die ein kollegiales Gespräch führen. Beurteilt wird in diesem Fall das Kommunikationsverhalten im Allgemeinen.
Hier ist es wichtig, die Ausgangslage so anzulegen, dass sich die Kandidat/innen tatsächlich auf Augenhöhe unterhalten und kein Kandidat bzw. keine Kandidatin einen Vorteil für das Gespräch aus seiner/ihrer Ausgangsposition ziehen kann.
Auch müssen beide Kandidat/innen anhand derselben Kriterien beurteilt werden.
tipps für die entwicklung der prüfungsaufgaben
In einer Aufgabenstellung für die Kandidat/innen werden die Ausgangslage für das zu führende Gespräch, die konkrete Aufgabe der Kandidat/innen, die zu beachtenden Rahmenbedingungen und die Kriterien, anhand derer die Leistung beurteilt wird, beschrieben. Bei Variante 1, dem Rollenspiel zwischen einem Kandidaten bzw. einer Kandidatin und einem/einer Rollenspieler/in, muss zudem ein Gesprächsleitfaden entwickelt werden. Folgende Tipps helfen bei der Ausarbeitung einer Aufgabenstellung, eines Gesprächsleitfadens und eines Beurteilungsinstruments:
Merkmale der Ausgangslage
In der Ausgangslage werden die Kandidat/innen umfassend über folgende Aspekte informiert:
> Um welche Art von Gespräch handelt es sich (Konfliktgespräch, Mitarbeitendengespräch, Verkaufsgespräch etc.)?
> Warum ist es zu diesem Gespräch gekommen? Was ist vorher passiert?
> Welche Personen sind am Gespräch beteiligt und welche Rollen nehmen sie dabei ein?
Um die Ausgangslage zu konkretisieren, ist es ausserdem möglich, Beilagen wie etwa einen Beschwerdebrief eines Kunden abzugeben.
Merkmale der Aufgabe
Die Kandidat/innen erhalten einen klaren Auftrag. Für sie ist es wichtig zu wissen, welches Ziel sie in diesem Gespräch verfolgen sollten. Auch müssen sie darüber informiert werden, zu welchem Zeitpunkt das Gespräch beginnt.
Merkmale der Rahmenbedingungen
In der Rahmenbedingung wird über die für die Vorbereitung und die Durchführung des Rollenspiels zur Verfügung stehende Zeit informiert. Auf mögliche Hilfsmittel, die während des Rollenspiels verwendet werden dürfen, wird hingewiesen.
Merkmale des Gesprächsleitfadens
> Der Gesprächsleitfaden gibt dem Rollenspieler bzw. der Rollenspielerin den grundsätzlichen Ablauf des Gesprächs vor.
> Er enthält Elemente, die zwingend im Gespräch vorkommen müssen, da diese ansonsten nicht beurteilt werden können.
> Trotzdem sollte er so offen formuliert sein, dass flexibel auf das Verhalten der Kandidat/innen reagiert werden kann.
Beurteilungskriterien
> Anhand der Beurteilungskriterien wird eingeschätzt, ob das Verhalten der Kandidat/innen dem Erreichen des Gesprächsziels dienlich ist.
> Beurteilt werden in erster Linie kommunikative Fähigkeiten. Auch die Korrektheit fachlicher Aussagen kann berücksichtigt werden.
Ein Rollenspiel dauert in der Regel 15–30 Minuten. Die Kandidat/innen erhalten im Vorhinein 5–15 Minuten Zeit, um die Aufgabenstellung zu lesen und sich auf das Gespräch vorzubereiten.
Während des Gesprächs werden sie von geschulten Expert/ innen beobachtet. Diese notieren ihre Beobachtungen und nehmen anschliessend eine Beurteilung vor. Wichtig ist, dass bei Variante 1 die Person, die im Rollenspiel zum Einsatz kommt, nicht an der Beurteilung beteiligt ist. Es besteht die Gefahr, dass das eigene Rollenerleben die Beurteilung der Leistung der Kandidat/innen überlagert.
Das Erarbeiten einer Musterlösung ist aufgrund des unvorhersehbaren Gesprächsverlaufs nicht vorgesehen. Trotzdem können im Rahmen der Prüfungsentwicklung Erwartungen an das Verhalten der Kandidat/innen in bestimmten Gesprächssituationen definiert und für die Beurteilung herangezogen werden.
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Sozialkompetenz prüfen – Utopie oder Realität?
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Prüfungsmethode «Geleitete Fallarbeit»
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