UT 11 Mündliche Prüfungen

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Umsetzungstipp

Mündliche Prüfungen

Als Prüfungsexperte/in fair agieren

Die meisten Prüfungskonzepte umfassen neben schriftlichen und praktischen auch mündliche Prüfungen, um das gesamte Spektrum kompetenzorientierter Prüfungsmethoden abzudecken. Die Durchführung von fairen mündlichen Prüfungen ist eine Herausforderung. Alle Beteiligten sind gefordert, für die Kandidierenden dieselben Rahmenbedingungen zu schaffen, damit diese ihr Know­how zeigen können.

Mündliche Prüfungen sind bei vielen Kandidierenden nicht sehr beliebt. Sie stellen eine Ausnahmesituation dar und lösen Stress und Nervosität aus. Um dem entgegenzuwirken, ist es wichtig, dass die Kandidierenden den Eindruck gewinnen, dass die mündlichen Prüfungen vergleichbar und professionell durchgeführt werden und die Prüfungsexpert/innen alles daran setzen, eine angenehme und faire Atmosphäre zu schaffen. Um das zu erreichen, sind verschiedenste Aspekte zu berücksichtigen.

Dabei spielt der Rahmen, in dem die Prüfung stattfindet, eine bedeutende Rolle. Auf der einen Seite werden durch die Organisationen der Arbeitswelt und das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) Standards definiert, wie die mündliche Prüfung umgesetzt wird. Diese Vorgaben werden in der Prüfungsordnung festgehalten. Auf der anderen Seite geben viele Prüfungskommissionen Richtlinien und einen Code of Conduct vor, um eine für die Kandidierenden vergleichbare mündliche Prüfung sicherzustellen. Die verschiedensten Spielregeln sind in der Umsetzung zu berücksichtigen. Aber nicht nur die formalen Rahmenbedingungen, sondern eben auch der Umgang und die Kommunikation mit den Kandidierenden und der Auftritt der Prüfungsexpert/ innen sind wesentliche Faktoren bei der Gestaltung der Prüfungssituation.

Aus Sicht der Prüfungskommission lohnt es sich, den mündlichen Prüfungen besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

Nicht zuletzt sind die Prüfungsexpert/innen der mündlichen Prüfungen «die Gesichter» der Prüfung, an welche sich die Kandidierenden oft Jahre später noch erinnern. Die Prüfungsexpert/innen tragen deshalb eine grosse Verantwortung in der Prüfungsumsetzung und haben im Weiteren einen nachhaltigen Einfluss auf das Image der eidgenössischen Prüfung.

Im vorliegenden Umsetzungstipp wird die Frage vertieft, was es braucht, um eine faire Prüfung durchzuführen.

Zur Durchführung mündlicher Prüfungen gibt es verschiedene Literatur, Leitfäden und Hilfsmittel. Dabei werden unterschiedliche Aspekte beleuchtet. So heben Reetz/Hewlet (2008, S. 59) hervor, dass eine der Qualitätsanforderungen von Berufsprüfungen die «Objektivität» betrifft. Darunter verstehen sie die Bedingung, dass eine Prüfung in ihrer Vorbereitung, Durchführung und Auswertung so beschaffen sein soll, «dass die Prüfungsergebnisse weitestgehend unabhängig vom einzelnen Prüfer und seinen subjektiven Wertungen zustande kommen.» Frey (2010) entwickelte für die Durchführung fairer und objektiver Prüfungen einen auf Forschungsergebnissen beruhenden Leitfaden. In diesem Leitfaden fokussiert er unter anderem darauf, welche Massnahmen Prüfungsexpert/innen treffen sollten, um die Prüfung für die Kandidierenden angemessen zu gestalten. Schmidt (2005) hält zudem fest, dass die Ausbildung von Prüfungsexperten in Bezug auf «Prüfungsablauf, Fragestellungen, Prüfungsverhalten, Protokollierung und Bewertung» entscheidend ist. Diese Ausbildungen werden gemäss Mpangara von zwei Dritteln der durch ihn befragten Prüfungsexperten sehr gewünscht. Als weitere Qualitätssicherung erachten sie «die Auswertung und den Informationsaustausch nach durchgeführten Prüfungen.»

Eine Befragung des SBFI zeigt, dass «die Prüfungsdurchführung (u.a. Organisation, Infrastruktur, Expert/innen) von mindestens drei Vierteln der Kandidat/innen als eher gut oder sehr gut beurteilt wird». Dies weist darauf hin, dass in diesem Bereich schon einiges unternommen wurde.

Folgende Literatur ermöglicht einen theoretischen Einblick in die Rahmenbedingungen professionell geführter Prüfungsgespräche:

Frey, K., Frey­Eiling, A. (2010). Ausgewählte Methoden der Didaktik. Zürich: vdf Hochschulverlag AG.

Mpangara, M. Qualifizierungswege und ­wünsche von Prüferinnen und Prüfern im dualen System. Themenschwerpunkt.

BIPP 3/2014. Zugriff am 18. Februar 2016 unter https://www.bibb.de/veroeffentlichungen/de/publication/ download/id/7293

Schmidt, J. U. (2005). Prüfungsmethoden in der beruflichen Aus­ und Weiterbildung.

Katalog und Leitfaden für Sachverständige in Neuordnungsverfahren, Aufgabenersteller/­innen und Prüfer/­innen.

DIHK­Gesellschaft für berufliche Bildung (Hrsg.).

Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag GmbH & Co.

Reetz, L., Hewlett, C. (2008). Das Prüferhandbuch. Eine Handreichung zur Prüfungspraxis in der beruflichen Bildung. Hamburg: B+R Verlag.

SBFI (2015, 25. Februar). Qualitätsentwicklungsinstrument für die eidgenössischen Prüfungen (BP/HFP).

Zugriff am 15. Dezember 2015 unter http://www.sbfi.admin.ch/hbb/02500/02502/ index.html?lang=de

anforderungen an eine faire prüfungsumsetzung

Jede Prüfungsorganisation ist bestrebt, eine faire Umsetzung der mündlichen Prüfung sicherzustellen. Es gibt verschiedene Faktoren, welche zu einer gelungenen, mündlichen Prüfungsumsetzung beitragen.

Faktor 1: Normative Vorgaben einhalten

Zentral ist, dass die normativen Vorgaben der Prüfung eingehalten werden. Konkret bedeutet dies, dass die Prüfungsdauer eingehalten wird und der Prüfungsinhalt sowie die Prüfungsmethode im Sinne der Grundlagendokumente umgesetzt werden. Im Weiteren haben die Kandidierenden das Anrecht, von zwei unabhängigen Prüfungsexpert/innen geprüft und beurteilt zu werden.

Faktor 2: Angenehme Prüfungsatmosphäre sicherstellen

Die Prüfungsexpert/innen haben die Aufgabe, während der Prüfung eine angenehme Atmosphäre sicherzustellen. Sie achten darauf, die Begrüssungs­ und Einleitungsphase bewusst zu gestalten und die nötige Transparenz über den Ablauf herzustellen. Während des Prüfungsablaufs strahlen sie Ruhe aus und achten auf einen reibungslosen Ablauf, um einer allenfalls bestehenden Nervosität entgegenzuwirken.

Faktor 3: Mit einer adäquaten Gesprächsführung steuern Im Weiteren achten die Prüfungsexpert/innen darauf, das Gespräch so zu führen, dass die Kandidierenden ihr Bestes zeigen können. Sie interagieren mit den Kandidierenden, stellen offene Fragen, hören aktiv zu und lenken das Gespräch gekonnt, um sich ein Bild über Wissen und Können der Kandidierenden zu machen.

Faktor 4: Eine ressourcenorientierte Haltung ist eine Selbstverständlichkeit

Schliesslich ist auch die Haltung der Prüfungexpert/innen in der mündlichen Prüfung entscheidend. Sie begegnen jedem/r Kandidierenden unvoreingenommen, wohlwollend und mit derselben Aufmerksamkeit – ob es sich nun um den ersten oder um den letzten Kandidierenden handelt.

Die Faktoren klingen plausibel und wahrscheinlich würden Sie dem vollumfänglich zustimmen. Die Praxis zeigt, dass die Umsetzung der Faktoren keine Selbstverständlichkeit ist. In der konkreten Situation stellt die Umsetzung der Faktoren durch die Prüfungsexpert/innen – je nach Gegenüber – eine grosse Herausforderung dar. Allenfalls können die folgenden Tipps für eine Umsetzung in dem oben beschriebenen Sinne hilfreich sein.

tipps für die umsetzung fairer prüfungen

Den grössten Einfluss auf die qualitativ hochstehende Durchführung der Prüfung haben nach wie vor die Prüfungsexpert/ innen. Mit ihrem Tun und Verhalten in der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung können sie massgeblich dazu beitragen, dass die mündlichen Prüfungen professionell und fair umgesetzt werden. Aus diesem Grund fokussieren wir uns auf diesen Blickwinkel.

Hinweise zur Durchführung

Die Prüfungsexpert/innen sind die sichtbare Vertretung der Prüfungsorganisation und legen mit ihrem Urteil die Basis, ob die Kandidierenden die Prüfung bestehen oder nicht. Deshalb ist es entscheidend, dass sie die Prüfung fair und entsprechend der Prüfungsordnung durchführen und eine wertschätzende Haltung einnehmen.

Um eine einheitliche Durchführung der mündlichen Prüfung sicherzustellen, kommt oftmals ein standardisierter Ablauf zum Einsatz. Häufig wird von der Prüfungskommission vorgegeben, wie die Begrüssung, Identifikation des/der Kandidierenden und die Vorstellungsrunde umgesetzt wird. Ein wichtiger Erfolgsfaktor in der Einführungsphase ist die Erläuterung des Prüfungsablaufs. In diesem Schritt werden dem/der Kandidierenden die wesentlichen Rahmenbedingungen aufgezeigt und somit Sicherheit über den Verlauf der mündlichen Prüfung geschaffen. Gerade wenn Kandidat/ innen nervös sind oder Prüfungsangst haben, ist diese Phase von zentraler Bedeutung, um dem Gefühl des Kontrollverlusts bei den Kandidat/innen entgegenzuwirken.

Auch das Führen des Prüfungsgesprächs unterliegt klaren Regeln. Primär haben die Prüfungsexpert/innen die Aufgabe, das Prüfungsgespräch gemäss der vorgesehenen Prüfungsmethode zu führen, zu beobachten und im Anschluss zu bewerten. Dabei spielen Kommunikations­ und Fragetechniken eine wichtige Rolle. Damit die Kandidierenden in der Prüfung eine optimale Leistung erbringen können, sollen die Prüfungsexpert/innen zudem eine freundliche und positive Atmosphäre schaffen. Dies gelingt durch einen angenehmen Augenkontakt zu den Kandidierenden, eine zugewandte, offene Körperhaltung sowie durch eine ruhige und deutliche Sprache. Weiter signalisieren die Prüfungsexpert/innen den Kandidierenden, dass sie ihnen eine Chance geben möchten, das Beste zu zeigen.

Hinweise zur Nachbereitung

Auch nach der Prüfung gilt es verschiedene Aspekte zu beachten.

In dieser Phase steht insbesondere die Diskretion der Prüfungsexpert/innen im Zentrum. Bei der Verabschiedung der Kandidierenden ist davon abzusehen, ein Feedback zu geben. Oft versuchen Kandidierende Hinweise zu ihrer erbrachten Leistung zu erhalten. Auch wenn es manchmal schwerfällt, dürfen Prüfungsexpert/innen hier keine Auskunft geben –weder im positiven noch im negativen Sinn. Hintergrund dieser strengen Regelung ist, dass die Resultate erst definitiv sind, wenn die Prüfungskommission diese in einer Notensitzung erwahrt hat.

Um zu verhindern, dass vertrauliche Informationen frühzeitig zu den Kandidierenden gelangen, sehen viele Prüfungskommissionen spezielle Pausenräume für die Prüfungsexpert/ innen vor, in denen sie sich austauschen können, und sensibilisieren die Prüfungsexpert/innen, auch in den Gängen und auf dem Heimweg nicht über die Prüfungen zu sprechen.

Eine objektive Bewertung, welche sich auf die vorgegebenen Beurteilungskriterien stützt, ist ein weiterer Faktor. Bei mündlichen Prüfungen ist die Gefahr von Beurteilungsfehlern durch den persönlichen Kontakt besonders gross. Wichtig ist, dass die Bewertung bewusst vorgenommen wird, die Diskussion mit dem zweiten Experten / der zweiten Expertin auf Basis der Kriterien erfolgt und die eigenen Beurteilungsleistungen immer wieder kritisch hinterfragt werden.

Fazit

In mündlichen Prüfungen ist es die Aufgabe der Prüfungsexpert/innen, den Kandidierenden das Beweisen einer guten Leistung zu ermöglichen. Dabei beachten sie die Qualitätsanforderungen an die Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der mündlichen Prüfung, die oftmals mit einfachen Massnahmen erfüllt werden können.

Dies kann durch Massnahmen der Prüfungskommission unterstützt werden. Die Investition in die Formulierung von Verhaltensregeln, das Bereitstellen von Hilfsmitteln sowie die Durchführung von Schulungen lohnt sich in jedem Fall.

Denken Sie bitte kurz an die Prüfungen zurück, die Sie in Ihrer Bildungsbiographie absolviert haben. Welche Situationen kommen Ihnen in den Sinn? Welche Gefühle entstehen bei Ihnen?

Prüfungen stellen eine Ausnahmesituation im Leben vieler Kandidat/innen dar und sind oftmals Schlüsselsituationen für die Gestaltung des beruflichen Fortkommens. Indem die Prüfungsexpert/innen die Prüfungen fair durchführen und die Prüfungskommissionen ihren Beitrag dazu leisten, zeigen sich die Prüfungssituationen als bewältigbar und fair!

In unserer Reihe «Umsetzungstipps» unterstützen wir Sie bei der Ausgestaltung kompetenzorientierter Prüfungen. Wir zeigen Ihnen, wie Sie kompetenzorientierte Prüfungsmethoden punktgenau im Prüfungsalltag umsetzen können.

Unsere Publikationsreihe «Umsetzungstipps» umfasst folgende Prüfungsmethoden:

Prüfungsmethode «Critical Incidents»

Prüfungsmethode «Praxisprüfungen»

Sozialkompetenz prüfen – Utopie oder Realität?

Prüfungsmethode «Postkorb»

Prüfungsmethode «Mini­Cases»

Prüfungsmethode «Geleitete Fallarbeit»

Prüfungsmethode «Fallstudie»

Prüfungsmethode «Wissensfragen»

Prüfungsmethode «Gesprächsanalyse»

Prüfungsmethode «Fachgespräch»

Mündliche Prüfungen

Prüfungsmethode «Rollenspiel»

Prüfungsmethode «Handlungssimulation»

Prüfungsmethode «Präsentation»

Bewerten mit Kriterien

Prüfungsmethode «Gruppendiskussion»

Prüfungsmethode «Projektarbeit»

Prüfungsmethode «Praxisarbeit»

Prüfungsmethode «Werkschau»

Prüfungsmethode «Kompetenzstatus»

Prüfungsmethode «Statusgespräch»

Sie finden unsere Umsetzungstipps jeweils nach Erscheinen auf unserer Homepage unter www.ectaveo.ch/publikationen

Dort können Sie die Publikationen online lesen, oder gedruckt zu sich nach Hause bestellen.

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