einführung
Das Fachgespräch ist eine Prüfungsform, bei der sich die Kandidat/innen mit einem Experten/einer Expertin zu einem fachlichen Thema unterhalten. Je nach Prüfungskonzept knüpft das Fachgespräch auch an eine vorausgehende Praxisoder Projektarbeit, Präsentation oder Praxisprüfung an. Die Kandidat/innen zeigen in diesem Gespräch, dass sie über ein vertieftes Verständnis des Fachgebiets verfügen und in der Lage sind zu argumentieren, zu reflektieren und in Alternativen zu denken. Diese Prüfungsform bietet zudem eine gute Möglichkeit, die Stärken und Schwächen der Kandidat/innen zu thematisieren.
Das Fachgespräch dient der Überprüfung, ob komplexe fachliche Zusammenhänge verstanden wurden und ob darüber in einer arbeitstypischen Weise kommuniziert werden kann. Im Vordergrund steht also das Reflektieren, Begründen und Argumentieren.
Gemäss Bössenroth und Reibolt (2009) ist das Fachgespräch in der Weiterbildung eine sehr verbreitete Prüfungsmethode, da auf diesem Berufsniveau kommunikative Kompetenzen meist ein beträchtliches Gewicht haben. Ebbinghaus et al. (2002, S. 29) weisen zudem darauf hin, dass sich das Fachgespräch für Prüfungen in Berufen eignet, in denen «zur beruflichen Handlungskompetenz nicht nur die Ausführung von Arbeiten, sondern auch ein tiefes Verständnis der Abläufe gehört sowie die Fähigkeit, mit anderen über fachliche Fragen zu kommunizieren».
Oft werden die Herausforderungen eines Fachgesprächs jedoch unterschätzt. So geben Frey und Frey-Eiling (2010) zu bedenken, dass es sich bei spontan formulierten Fragen in mündlichen Prüfungen häufig um reine Wissensfragen handelt. Sie verweisen deshalb darauf, dass ein Fachgespräch eine gute Vorbereitung verlangt.
Einen theoretischen Einblick in die Grundlagen des Fachgesprächs ermöglichen die folgenden Werke:
Ebbighaus, M. & Schmidt, J.U. (2002): Prüfungsmethoden und Aufgabenarten. Bonn: Bundesinstitut für Berufsbildung.
Bössenroth, W. & Reibolt, D.K. (2009): Die mündliche Prüfung in der Erwachsenenbildung. Renningen: expert verlag.
Frey, K. & Frey-Eiling, A. (2010): Ausgewählte Methoden der Didaktik. Zürich: vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich.
Der Erfolg der Prüfungsmethode hängt wesentlich von der Struktur, den Fragestellungen und der klaren Definition der Beurteilungskriterien ab. Dabei sind folgende Überlegungen zu beachten:
Anforderungen an die Struktur
Ein Fachgespräch orientiert sich jeweils an einer festgelegten Struktur, welche mit der Zielsetzung des Fachgesprächs zusammenhängt. Auf der Basis der Struktur können die Themen eingegrenzt werden, welche besprochen werden sollen. Dabei können drei Varianten von Fachgesprächen unterschieden werden.
Variante 1: Diskussion von Handlungsabläufen
Mit dieser Strukturierungsmöglichkeit wird die Diskussion auf Handlungsabläufe fokussiert. Daraus ergeben sich Fragestellungen, in welchen die Kandidat/innen bestimmte berufliche Situationen beschreiben, ihr Vorgehen begründen, alternative Handlungsmöglichkeiten reflektieren und auch beurteilen.
Variante 2: Verteidigen von erarbeiteten Inhalten
In dieser Variante bezieht sich das Fachgespräch auf von den Kandidat/innen erarbeitete Inhalte, wie z. B. einer Projektoder Praxisarbeit oder einer Präsentation. Das Fachgespräch wird dabei individuell auf die erarbeiteten Inhalte abgestimmt. Die Kandidat/innen können ihre Ausführungen begründen, das erforderliche Fachwissen aufzeigen oder alternative Vorgehensweisen darlegen.
Variante 3: Debriefing in Folge einer praktischen Arbeit/Ausführung
Mit Hilfe dieser Variante liegt der Fokus auf der Reflexionsfähigkeit der Kandidat/innen. Sie wird vorwiegend im Anschluss an eine Praxisprüfung angewendet und soll sowohl das Vorgehen wie auch die Optimierungsmöglichkeiten der Herangehensweise ermitteln.
Anforderungen an die Fragestellungen
Entscheidend für ein gutes Fachgespräch ist die Qualität der Fragestellungen. Diese sollen sich an Fragetypen orientieren, die sich nicht auf die reine Wissensabfrage konzentrieren. Vielmehr gilt es, Fragen zu entwickeln, welche es den Kandidat/innen ermöglichen zu reflektieren, zu argumentieren und zu begründen. Je vielfältiger und gezielter die verschiedenen Fragetechniken eingesetzt werden, desto lebendiger wird der Dialog zwischen den Kandidat/innen und den Expert/innen. Für die Gestaltung der Fragen bieten sich 5 Fragetypen an:
Fragetyp 1: Konkretisierende Fragen
Manche Gespräche oder Schilderungen sind zu allgemein bzw. sollten fachlich mehr in die Tiefe gehen. Durch präzises und gezieltes Nachfragen erhalten die Antworten immer höheren Informationsgehalt.
Fragetyp 2: Hypothetische Fragen
Hypothetische Fragen sind ein hilfreiches Mittel, um die Kompetenz «in Alternativen denken» zu überprüfen. Sie bedingen ein vertieftes Nachdenken und eine Reflexionsleistung.
Fragetyp 3: Beurteilungsfragen
Mit Beurteilungsfragen kann überprüft werden, ob der/die Kandidat/in der Lage ist, eine Situation umfassend einzuschätzen und begründet darzulegen. Die Antworten geben ausserdem Hinweise zur Analysefähigkeit und der Fähigkeit der Kandidat/innen zu vernetztem Denken.
Fragetyp 4: Reflexionsfragen
Eine wichtige Funktion des Fachgesprächs ist die Überprüfung der reflektierten Praxiserfahrung und der Fähigkeit der Selbstbeurteilung. Mit Hilfe dieser Fragetechnik erhält man beispielsweise Antworten in Bezug auf Optimierungspotentiale, Erfolgsfaktoren, typische Fehlerquellen oder persönliche Herausforderungen oder Schwächen, die sich in der Ausübung der Praxissituation ergeben haben.
Anforderungen an die Beurteilungskriterien
Die Beurteilungskriterien müssen dahingehend festgelegt werden, dass nicht nur das Fachwissen, sondern vor allem das Argumentieren, Begründen und Reflektieren bewertet werden kann.
tipps für die entwicklung der prüfungsaufgaben
Ein Fachgespräch wird mündlich durchgeführt und dauert zwischen 15 und 60 Minuten. Um Fachgespräche durchzuführen, welche die oben erwähnten Ziele verfolgen, müssen die Gespräche von den Expert/innen vorbereitet werden. Das heisst, sie legen im Vorfeld die Struktur des Fachgesprächs mit den möglichen Fragen und Musterlösungen und darauf abgestimmte Beurteilungskriterien fest.
Struktur eines Fachgesprächs
> Die Zielsetzung des Fachgesprächs und die grundlegende Struktur werden festgelegt.
> Die Struktur wird mit einem Gesprächsleitfaden konkretisiert, der mögliche Themen sowie gegebenenfalls die ungefähre Zeit pro Thema umfasst.
> Es ist darauf zu achten, dass eine einheitliche Gewichtung der Inhalte sichergestellt ist.
Fragestellungen entwickeln
> Die Fragestellungen werden pro Thema bzw. Teil schriftlich formuliert.
> Die formulierten Fragen sollen ein Reflektieren, Argumentieren oder Begründen ermöglichen.
> Mit fachlichen Fragen wird der theoretische Rucksack geprüft. Die Kandidat/innen sollen die theoretischen Grundlagen auf einen konkreten Kontext anwenden können.
> Wissensfragen und geschlossene Fragen gilt es zu vermeiden.
> Die unterschiedlichen Fragetypen sollen wirkungsvoll eingesetzt werden.
> Es muss ersichtlich sein, ob es sich bei den Fragen um Vorschläge handelt oder ob diese bei jeder Durchführung einzusetzen sind.
> Fragen und Musterantworten müssen übereinstimmen.
Festlegen der Beurteilungskriterien
Mit den festgelegten Kriterien soll bewertet werden können, ob der/die Kandidat/in
> Verständnis für Hintergründe und Zusammenhänge besitzt
> argumentieren, begründen und reflektieren kann
> plausible alternative Szenarien aufzeigen kann
> die Ausführungen im Allgemeinen verständlich darlegen kann.
Beim Definieren der Beurteilungskriterien ist darauf zu achten, dass diese mit den Fragetypen übereinstimmen und so allgemein gehalten werden, dass sie für jede Durchführung einsetzbar sind.
In der Umsetzung orientiert sich die Gesprächsführung an der definierten Gesprächsstruktur. Besonders zu beachten ist, dass ein Fachgespräch nicht den Ping-Pong-Charakter von «Frage-Antwort» annimmt oder zu einem Bombardement mit Wissensfragen wird. Die gestellten Fragen sollen auf den Antworten der Kandidat/innen natürlich aufbauen, sodass ein angeregter Dialog entsteht. Der Gesprächsleitfaden soll eine Strukturierung gewährleisten, aber dennoch die Gestaltung eines interaktiven Dialogs ermöglichen.
Neben der umfassenden Vorbereitung der Expert/innen erfordert auch die Auswertung einen hohen Abstimmungsaufwand. Klar definierte Kriterien und eine umfassende Schulung der Expert/innen sind unumgänglich.
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Herausgeberin
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Autorin
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Auflage 3. Auflage, Oktober 2020
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