Manual «strategieARBEIT»

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strategieARBEIT Vom gedanklichen Konstrukt zum Handeln im Unternehmensalltag Manual #1 zum Themenschwerpunkt ‚Strategieumsetzung›


Herausgeberin Ectaveo AG Riedtlistrasse 15a CH-8006 Zürich info@ectaveo.ch www.ectaveo.ch Autorinnen und Autoren Dr. Petra Hämmerle Lic. phil. Mirjam Häubi Dr. Monja Mariner Dr. Daniel Preckel Gestaltung und Satz dezember und juli gmbh www.dezemberundjuli.ch Auflage 3. Auflage, 2011 (1. Auflage, 2008)

Copyright © uneingeschränkt bei der Herausgeberin


inhaltsverzeichnis

1

Einführung

3

2

Für die schnellen Leserinnen und Leser

7

3

Herausforderungen in der Praxis

11

4

Allgemeine Erkenntnisse

15

4.1 Strategiearbeit in Theorie und Praxis

17

4.2 Strategiearbeit: Vom Denken zum Handeln…

23

4.3 Welche Wege führen vom Denken zum Handeln?

26

4.4 Strategiearbeit anders gedacht und gehandelt…

32

4.5 Das Unternehmen und seine Funktionsprinzipien

34

5

Weiterführende Fragestellungen

51

6

Literaturverzeichnis

55



1 einf端hrung

02 I 03


Liebe Leserin, Lieber Leser Die Strategiearbeit gilt seit jeher als Königsdisziplin der Unternehmensführung. Es werden externe und interne Analysen durchgeführt, Zukunftsszenarien entwickelt, Alternativen ausgearbeitet – eine Arbeit, die kreativgestalterisch ist und ein hohes Ansehen geniesst. Mit der Entwicklung und Formulierung der Strategie wird das Unternehmen von seinen Topmanagerinnen und Topmanagern auf den zukünftigen Erfolgskurs gebracht. Dies ist die eine – die glänzende – Seite der Medaille. Und die andere Seite, was zeigt uns diese? Empirische Studien belegen, dass Strategien oftmals wenig erfolgreich in den Arbeitsalltag des Unternehmens umgesetzt werden. All die ausgefeilten Pläne, die hochgesteckten Ziele, die Summe der angestrebten Veränderungen werden von den Unternehmen in vielen Fällen nicht erreicht. Wenden wir uns der ursprünglichen Bedeutung des Wortes Strategie zu, so setzt sich der Begriff aus den beiden griechischen Wörtern stratos (Heer) und agein (führen) zusammen. Im Sinne der Kriegsführung erinnern die beiden Seiten der Medaille an ausgeklügelte und gut durchdachte Schlachtpläne, an ein Heer, das in Stellung gebracht wird und von Kopf bis Fuss bewaffnet ist. Ertönen dann die Fanfaren zum Angriff, so setzen sich in diesem Augenblick nur einige wenige Krieger in Bewegung. Kehren wir zurück in die heutige Zeit: Was nützt eine mit Bedacht entwickelte und klug formulierte Strategie, wenn sie nicht zu einer nachhaltigen Veränderung im Unternehmen führt? Uns interessiert, wie Strategien in Unternehmen erfolgreich umgesetzt werden. Damit ist eine Vielzahl von Fragen verbunden: Wer trägt die Verantwortung für die Umsetzung? Wo liegen die Herausforderungen und Stolpersteine? Gibt es geeignete Instrumente, Methoden und Vorgehensmodelle? Wie können die Veränderungen wirkungsvoll initiiert werden?


In diesem ersten Manual legen wir zur Beantwortung all dieser Fragen den Grundstein. Dazu machen wir uns auf die Suche nach dem aktuellen Wissensstand zum Thema Strategieumsetzung und nach praxistauglichen Konzepten. Wir zeigen auf, dass gerade die Umsetzung eine der schwierigsten Phasen der Strategiearbeit ist, einfache Konzepte zu kurz greifen und diese Phase wesentlich mehr an Beachtung und sorgfältiger Bearbeitung verdient als ihr häufig beigemessen wird. Wenn es um die Frage geht, wie sich strategische Veränderungen wirkungsvoll und nachhaltig im Unternehmen umsetzen lassen, so beschäftigen wir uns in der Grundlagenarbeit mit den generellen Prinzipien, nach denen Unternehmen funktionieren. Dabei lassen wir uns von der Annahme leiten, dass das Bild, welches Führungspersonen vom Funktionieren ihres Unternehmens haben, den Fokus ihres Handelns bestimmt. Und je besser Führungspersonen wissen, wie das eigene Unternehmen «tickt» umso erfolgversprechender können sie Veränderungen initiieren. Wir skizzieren ein zeitgemässes Organisationsverständnis, das als Landkarte dient, um den gesamten Prozess der Strategieumsetzung zu verorten. Eines sei vorweggenommen: Der gesamte Prozess der Strategieumsetzung bedeutet eine grosses Stück Arbeit – ganz im Sinne von: strategieARBEIT.

Ihr Autorinnen- und Autorenteam

einführung

04 I 05



2 f端r die schnellen leserinnen und leser

06 I 07


Die wichtigsten Aussagen auf einen Blick? Diese Seite ermöglicht es Ihnen.

Die Entwicklung und Formulierung der Strategie ist immer eine gedankliche Konstruktion, in der sich die Managerinnen und Manager die erfolgreiche Zukunft des Unternehmens denken. Genau darin liegt die grosse Herausforderung der Strategieumsetzung. Es muss dem Unternehmen gelingen, von der Ebene der «Strategie-Vorsätze» auf die Ebene der Handlungen zu kommen. Es gilt die strategische Denkarbeit im gesamten Unternehmen – und somit im tagtäglichen Handeln aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – umzu­setzen. Auch wenn man den Eindruck hat, dass Strategien «umsetzungsreif» sind, so zeigt sich bei genauem Hinsehen, dass es noch viel Arbeit braucht, bis die strategische Ausrichtung für das Unternehmen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter handlungsleitend wird. Insbesondere geht es um die Konkretisierung der Strategie und um die Bereitschaft und die Kompetenz des Unternehmens und der Mitarbeiter/innen, die neuen Aufgaben auszuführen.


Theoretische, konzeptuelle Überlegungen geben wertvolle Anhaltspunkte für die Strategieumsetzung, wohingegen Best-Practice-Beispiele und pragmatische Handlungsempfehlungen in vielen Fällen zu kurz greifen, da sie der Komplexität der Strategieumsetzung nicht gerecht werden. Diverse Studien belegen gravierende Defizite in der Strategieumsetzung, das heisst, vielen Unternehmen gelingt es nicht, ihre strategischen Zielsetzungen auch tatsächlich zu erreichen. Bei der Strategieumsetzung geht es um substanzielle Veränderungen im Unternehmen (die weit über Routineveränderungen hinausgehen) und um die Frage, wie diese Veränderungen wirkungsvoll und nachhaltig umgesetzt werden können. Dazu ist es sinnvoll, sich an einem zeitgemässen Organisationsverständnis zu orientieren, das sich vom Prinzip der einfachen, linearen Steuerungsmechanismen im Unternehmen verabschiedet. Auf Basis eines zeitgemässen Organisationsverständnisses zeigen sich Ansatzpunkte für erfolgversprechende Veränderungen auf mehreren Ebenen: auf der Ebene der Personen beziehungsweise deren Rolle auf der Ebene der Organisationsstruktur auf der Ebene der Organisationskultur Zwischen diesen Ebenen bestehen vielfältige und keinesfalls offensichtliche Wechselwirkungen. Setzen Veränderungen «nur» auf einer Ebene an, so ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass die Wirkung durch die beiden anderen Ebenen geschwächt beziehungsweise vollkommen eingedämmt wird. Somit sind Massnahmen für substanzielle Veränderungen auf mehreren Ebenen anzusetzen und entsprechend abzustimmen. Dieser Prozess der Veränderungen liegt in der Verantwortung der Führungspersonen. Sie richten ihre Aufmerksamkeit auf die Strategieumsetzung und machen diese zum zentralen Thema in der Organisation.

für die schnellen leserinnen und leser

08 I 09



3 herausforderungen in der praxis

10 I 11


Wir haben Karl Kern befragt, welche Aspekte er aufgrund seiner praktischen Erfahrungen beim Prozess der Strategieumsetzung als bedeutend einsch채tzt. Karl Kern hatte die oberste Leitungsfunktion w채hrend der Umsetzung der Retailstrategie in einem grossen schweizerischen Dienstleistungsunternehmen inne. Er hat r체ckblickend folgende Punkte herausgearbeitet, die aus seiner Sicht f체r die Umsetzung als wichtig einzustufen sind:


Karl A. Kern Geschäftsführer der Remore-Potentials AG (Karl A. Kern war lange Jahre Mitglied des Verwaltungsrates und der Konzernleitung bei der Schweizerischen Post)

Identifikation mit der Strategie: Die Verantwortlichen – das heisst vor allem die obersten Führungspersonen – müssen von der Richtigkeit der Strategie überzeugt sein, sie sich zu eigen machen. Entschlossenheit: Die Verantwortlichen überprüfen in der Folge alle Entscheide und Zielsetzungen, ob sie im Sinne der beschlossenen Strategie sind. Sie befolgen die eingeschlagene Richtung mit einer gewissen Sturheit und sind entschlossen, das gesteckte Ziel zu erreichen. Persönliche Gespräche mit allen Beteiligten führen: Die Verantwortlichen stehen mit ihrer Person für die Strategie und die umzusetzenden Mass­ nahmen ein. Sie erklären deren Notwendigkeit und argumentieren in verständlicher Sprache, welche Konsequenzen zu erwarten sind. Sich der Auseinandersetzung stellen: Die Verantwortlichen sind bereit, mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu sprechen, sich den kritischen Stimmen zu stellen, Ängste und Fragen ernst zu nehmen und ihnen sachlich zu begegnen. Einen langen Atem haben: Die Verantwortlichen sind sich bewusst, dass eine grosse strategische Veränderung einen Prozess für die nächsten Jahre auslöst. Die Gestaltung der Zukunft des Unternehmens wird so zu einem langfristigen Engagement, das Kraft und Ausdauer benötigt. Ein Unternehmen zusammen mit allen Beteiligten in eine neue Richtung zu lenken, bedarf also Personen, die sich mit Feuer für die Sache und Liebe zu den Menschen auf den Weg in die Zukunft machen.

herausforderungen in der praxis

12 I 13



4 allgemeine erkenntnisse

14 I 15


In den weiteren Ausführungen beschäftigen wir uns mit dem aktuellen Wissensstand und den Ergebnissen empirischer Studien zum Thema Strategieumsetzung. Auf dieser Grundlage gehen wir den folgenden Fragen nach: Welche theoretischen und praktischen Konzepte gibt es für die Strategieumsetzung? Wo liegen die zentralen Herausforderungen, wenn man die Strategie im Unternehmen erfolgreich implementieren möchte? Nach welchen Prinzipien funktionieren Unternehmen und wie lassen sie sich mit der Strategieumsetzung verbinden? Welche Ansatzpunkte für eine wirkungsvolle Strategieumsetzung bietet ein zeitgemässes Organisationsverständnis?


4.1 strategiearbeit in theorie und praxis

Strategische Führung wird in Unternehmen als ganzheitlicher Prozess betrachtet, der sich aus verschiedenen Phasen zusammensetzt. Für diesen ganzheitlichen Prozess kann man sich beispielhaft an folgender Übersicht orientieren:

Die fünf Phasen der «Methode der ganzheitlichen ­strategischen Führung» 1. Strategische Ausgangslage identifizieren 1.

Strategische Planungs­einheit Vision

2.

3.

Erfolgs­ positionen

5. Strategie umsetzen und prüfen

2. Komplexität und D ­ ynamik der Strategie­situation verstehen

1.

1.

Strategische Projekte 2.

Geschäftslogik 3.

Organisa­tionaler Wandel

2.

Strategisches Controlling

4. Strategie beurteilen und konkretisieren 1.

Lenkungszusam­ menhänge

3. Strategische Stoss­richtung erarbeiten 2.

Finanzwirtschaft­ liche Beurteilung

3.

Geschäfts­ dynamik

Strategie-Fit 3.

Strategisches Zielsystem

1.

2.

Externe Analyse

Interne Analyse 3.

Strategische Stossrichtung

Abbildung 1: In Anlehnung an Probst et al.1

Der hier aufgezeigte Prozess der strategischen Führung kann als typisch betrachtet werden. Er findet sich in ähnlicher Form in praktisch allen Fach­ büchern zu diesem Themenbereich.

1 Probst, G., Maerz, A. & Wiedemann, Ch. (2005): Strategieentwicklung. In: IO New Management, 12, S. 10–14.

allgemeine erkenntnisse

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Betrachtet man die Phasen 1 bis 4, so werden diese der Entwicklung und For­ mulierung der Strategie zugeordnet. In diese Phasen fallen die Teilschritte der strategischen Analyse (z.B. Umwelt- und Unternehmensanalyse) bis hin zur Konkretisierung und Verabschiedung der Strategie. Während die Phasen 1 bis 4 vor allem von der konzeptuellen Arbeit dominiert sind, geht es in der Phase 5 um die Umsetzung der Strategie. Das heisst um die daraus resultierenden Veränderungen im Alltag des Unternehmens und deren Überprüfung und Steuerung. Wirft man nun einen detaillierten Blick in die Fachliteratur, so fällt auf, dass die einzelnen Phasen der strategischen Führung eine unterschiedliche Gewichtung erfahren. Für diese Phasen 1 bis 4 gibt es eine sehr grosse Anzahl an elaborierten Ausarbeitungen. Dies zeigt sich in einer Vielzahl an wissenschaftlichen Erkenntnissen, Vorgehensmodellen, Konzepten, Instrumenten, Fallbeispielen, empirischen Studien, anwendungsorientierten Beraterkonzepten und dergleichen mehr. Im Vergleich dazu ist die theoretische Aufarbeitung der Phase 5 – der Um­ setzung der Strategie – weit weniger umfassend. In den Fachbüchern, finden sich oftmals nur wenige Seiten, die der Strategieumsetzung gewidmet sind, oder das Thema wird im «Ausblick» noch kurz erwähnt. Vorgehenskonzepte und Modelle für diesen Bereich sind rar, die wissenschaftliche und empirische Fundierung findet nur vereinzelt statt. Somit lassen sich kaum kritische Erfolgsfaktoren für die Strategieumsetzung ableiten. Der Überprüfung einer erfolgreichen Strategieumsetzung – dem strategischen Controlling – wird allerdings in den letzten Jahren vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt. Hier konzentriert sich die Diskussion im Wesentlichen auf den Einsatz der Balanced Score Card als zentrales Instrument für das strategische Controlling2. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass sich die Fachliteratur sehr stark auf die Entwicklung und Formulierung der Strategie konzentriert und der Umsetzung weit weniger Beachtung schenkt. Nun stellt sich die Frage, ob sich denn diese Lücke der theoretischen Aufarbeitung der Strategieumsetzung in der unternehmerischen Praxis wiederfindet. Oder ist die Praxis der Theorie voraus? 2 Die Erfinder der Balanced Score Card, Robert S. Kaplan und David P. Norton, erachten das Instrument als

­wichtig für die Umsetzung. Andere Autoren rechnen es vielmehr dem strategischen Controlling zu.


Betrachtet man den Markt, so sieht man, dass sich sowohl Unternehmen als auch vermehrt öffentliche Institutionen sehr stark auf die Entwicklung und Formulierung von Strategien konzentrieren. Strategieentwicklung gehört zu den «Trendsportarten» der Unternehmensführung. Unternehmen können es sich in der öffentlichen Wahrnehmung kaum leisten, sich nicht mit dem Thema zu beschäftigen – es ist unabdingbarer Bestandteil einer professionellen Führungsarbeit. Stellt man Führungspersonen die Frage, welche strategische Ausrichtung ihr Unternehmen verfolgt, so erhält man meist schnelle und griffige Antworten. Stellt man Führungspersonen hingegen die Frage, wie sie die Umsetzung der Strategie in ihrem Unternehmen vorantreiben, so fallen die Antworten weit bescheidener aus. Die Verantwortung wird gerne an die unteren Führungsebenen delegiert. Für eine bewusst gestaltete Strategieumsetzung mit einer geeigneten Vorgehenssystematik und passenden Instrumenten finden sich wenige Beispiele. Vielmehr scheint sich die Umsetzung auf eine – mehr oder weniger – grosse Reihe von Einzelmassnahmen zu konzentrieren, die kaum aufeinander abgestimmt sind. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, Rolle und Aufgaben der Strategie­ beratung zu betrachten, da sehr viele Unternehmen ihre Strategiearbeit mithilfe von Beratungsunternehmen durchführen, die darauf spezialisiert sind. Somit haben die Strategieberater/innen einen prägenden Einfluss auf die Art und Weise der Strategiearbeit. Wenig überraschend zeigt sich auch hier ein ähnliches Bild: Die beratenden Tätigkeiten konzentrieren sich klar auf Entwicklung und Formulierung der Strategie. Die Beratungsunternehmen werden vor allem in die Phasen 1 bis 4 einbezogen. Sie unterstützen insbesondere die Phase der strategischen Analyse mit Ideen, unbequemen Fragen, innovativen Zukunftsszenarien und ausgefeilten Instrumenten und verfolgen dabei den inhaltlichen Auftrag, einen kritisch-unabhängigen Blick von aussen einzunehmen. Zudem bringen sie ihr Know-how und ihre Erfahrung in der Prozess- und Methodengestaltung mit ein. Diese intensive Beratung in der Entwicklungsphase der Strategie zieht sich meist nicht bis zur Phase der Umsetzung durch. Geht es um die Umsetzung der Strategie in den Arbeitsalltag, so ist das Beratungsunternehmen in vielen Fällen bereits wieder ausser Haus.3 3 Diese Einschätzung gilt unabhängig von der zunehmenden Kritik, welcher die Strategieberatung in letzter Zeit

in der wissenschaftlichen Literatur und in der populären Presse ausgesetzt ist. Eine interessante Aufarbeitung des Themas findet sich in: Seidl, D., Kirsch, W. & Linder, M. (2005): Grenzen der Strategieberatung. Bern: Haupt.

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Die Beobachtungen zeigen es: Die Praxis ist der Theorie nicht voraus. Was sagen nun empirische Studien, die den Erfolg der Strategieumsetzung unter die Lupe nehmen? Auch hier gibt es keine Überraschungen. Die Erfolge der Strategieumsetzungsmassnahmen in Unternehmen sind oftmals bescheiden. In diesem Zusammenhang interessiert die Frage nach dem «Warum». Warum scheitern Strategieumsetzungsprozesse? Lassen Sie uns dazu auszugsweise ein paar Studien der vergangenen Jahre betrachten. «Strategien (endlich) umsetzen» beschreibt eine Untersuchung, die Robert S. Kaplan und David P. Norton im Jahr 2006 durchgeführt haben. Sie beziehen sich dabei auf eine Studie, welche für den Zeitraum zwischen 1988 und 1998 an über 1800 grossen, weltweit tätigen Unternehmen durchgeführt wurde. In dieser Untersuchung wird nachgewiesen, dass sieben von acht Konzernen ein profitables Wachstum verfehlt haben. Die Firmen waren nicht in der Lage, ein jährliches reales Wachstum von 5.5 Prozent bei Umsatz und Gewinn zu verwirklichen. Jedoch zeigen Kaplan und Norton, dass 90 Prozent der untersuchten Unternehmen detaillierte Strategiepläne mit sogar weitaus höheren Zielsetzungen hatten. Somit stellt sich die Frage, warum es einen so grossen Unterschied zwischen dem angestrebten Ziel und der tatsächlichen Leistung gibt?4 Dazu liefern sie folgende Antwort: «Die Ursache dafür liegt unserer Auffassung nach in der mangelnden Verbindung zwischen Strate­ gieplanung und Strategieumsetzung. Unsere Untersuchungen ergaben ein eindeutiges Bild: Rund 95 Prozent der Mitarbeiter kennen die Strategie ihres Unternehmens nicht oder verstehen sie nicht.»5

4 Sofern man nicht davon ausgeht, dass es sich bei den Zielsetzungen um überzogene Machbarkeits­

vorstellungen handelt.

5 Kaplan, R.S., Norton, D.P. (2006): Strategien (endlich) umsetzen. In: Harvard Businessmanager, 1, S. 22–35.


Ein zweites Beispiel liefert eine breite Befragung von Schweizer Unternehmen zu ihren Vorgehensweisen bei der Strategieumsetzung. Die Basisannahmen für die Studie beruhen ebenfalls auf der Überlegung, dass strategische Projekte immer wieder scheitern – allerdings nicht am Konzept, sondern an der Umsetzung.6 Auch in dieser Studie bestätigt sich die Aussage von Kaplan und Norton: Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist in sehr vielen Fällen unklar, welchen Beitrag sie zur Strategieumsetzung leisten können beziehungsweise müssen. Davon ausgenommen sind Mitarbeiter/innen in kleinen Unternehmen, die im Vergleich zu Mitarbeiter/innen mittlerer und grosser Unternehmen überdurchschnittlich gut darüber Bescheid wissen, was von ihnen bei der Strategieumsetzung erwartet wird. Mankins und Steele7 haben, neben dem fehlenden Einbezug der Mitarbeiter/innen, noch weitere Gründe für das Defizit in der Strategieumsetzung ausfindig gemacht. Ihre Untersuchung umfasst knapp 200 Unternehmen und zeigt folgende Gründe für das Scheitern von Strategieumsetzungsprozessen auf: Die Strategie wird den Mitarbeiter/innen schlecht kommuniziert. Die notwendigen Massnahmen zur Umsetzung werden nicht richtig heraus­ gearbeitet. Es ist nicht klar ersichtlich, wer die Verantwortung für die Umsetzung trägt. Es fehlt an den notwendigen Mitteln und Geldern. Unternehmenskultur und Abteilungsbarrieren blockieren die Umsetzung. Die Umsetzung wird zu wenig kontrolliert. Erfolge werden nicht angemessen honoriert, Misserfolge ziehen keine Konsequenzen nach sich. Es fehlt die Unterstützung durch die Führungspersonen.

6 Liebendörfer, L., Baumann, A.D., (2005): Strategieumsetzung: Ohne guten Willen geht gar nichts,

Handelszeitung, 31.05.2005.

7 Mankins, M.C., Steele, R. (2005): Turning Great Strategy into Great Performance. In: Harvard Business Review, 8.

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Betrachten wir die Unterstützung der Strategiearbeit durch die Führungspersonen, so haben sich Wehrli und Mountfield dem Thema Strategiearbeit aus einer anderen Perspektive genähert. Sie gingen der Frage nach, womit denn Schweizer Manager/innen nun wirklich ihre Zeit verbringen. In ihrer Untersuchung bestätigt sich das vermutete Missverhältnis zwischen dem zeitlichen Einsatz, der für die strategische Planung und demjenigen, der für die strategische Steuerung aufgewendet wird. Fragt man nach der Bedeutung der beiden Prozesse, so wird strategisches Controlling zwar als zweitwichtigster Führungsprozess kurz hinter der strategischen Planung eingeschätzt, er wird jedoch in der Praxis am zweitwenigsten angewendet.8 Das heisst Führungspersonen setzen sehr wenig Zeit für das strategische Controlling ein. Laut Studie steht fest, dass die oberste Geschäftsleitung von der generell wenigen Zeit, die sie für Strategiearbeit einsetzt, den grössten Teil in die Strategieentwicklung und die Formulierung der Strategien fliessen lässt und nur wenig Zeit für die Umsetzung und das Controlling aufwendet. Die exemplarisch ausgewählten empirischen Studien bestätigen das vorhandene Defizit in der Strategieumsetzung. Ausserdem zeigen sie mögliche Gründe für das Scheitern der Umsetzung auf. Doch gerade die Umsetzung der Strategie ist entscheidend für deren Erfolg.

Was nützt eine mit Bedacht entwickelte und klug formulierte Strategie, wenn sie nicht zu einer nachhaltigen Veränderung im Unternehmen führt? Allenfalls mögen strategische Neukonzeptionen kurzfristig betrachtet nützlich sein, denn sie haben nachweislich eine Aussenwirkung. Werden diese von potenziellen Anlegern als «treffsicher» wahrgenommen, so helfen sie, den Wert des Unternehmens auf dem Aktienmarkt zu steigern. Doch für den eigentlichen Sinn und Zweck der Strategiearbeit – jenen der langfristigen Unternehmenssicherung – ist das nur ein kleiner Puzzlestein. Liegt die mit Bedacht entwickelte und klug formulierte Strategie einmal vor, so beginnt eine komplett neue Herausforderung.

8 Wehrli, H.P., Mountfield, A. (2007): Damit verbringen Schweizer Manager wirklich ihre Zeit.

In: IO New Management, 3.


4.2 strategiearbeit: vom denken zum handeln…

Es ist davon auszugehen, dass die Phasen der Entwicklung und Formulie­ rung der Strategie in unterschiedlichen Unternehmen ähnlich verlaufen. Das methodische Vorgehen, die Instrumentarien zur Umwelt- und Unternehmensanalyse, die Prozessführung und dergleichen mehr haben durch die theoretische Fundierung und Erprobung in der Praxis zu einer starken Professionalisierung geführt. Dies erlaubt es, die Prozessgestaltung gleich einem roten Faden durchzuführen und somit gezielt zu einem Ergebnis zu gelangen. Explizit sei hier betont, dass sich die Ähnlichkeit auf die Prozessschritte im Unternehmen bezieht und nicht auf die inhaltliche Ausgestaltung. Selbstverständlich sollte sich die Strategie inhaltlich von anderen Unternehmen abheben. Bei all diesen Schritten im Rahmen der Strategieentwicklung muss man sich eine wichtige Tatsache bewusst machen: Es geht um die gedankliche Kon­ struktion der Zukunft des Unternehmens. Oder einfacher ausgedrückt: Die Manager/innen denken sich die erfolgreiche Zukunft des Unternehmens. Und genau darin liegt die grosse Herausforderung in der Phase der Umsetzung: Von der Ebene der gedanklichen Vorstellungen gilt es, auf die Ebene der Handlungen zu kommen. Die strategische Denkarbeit soll im gesamten Unternehmen – und somit im tagtäglichen Handeln aller Mitarbeiter/ innen – umgesetzt werden. Ganz ähnlich wie bei den guten Vorsätzen, die wir immer wieder fassen: mehr Bewegung, weniger rauchen, sich bewusster ernähren! Jede und jeder von uns weiss, wie schwer es ist, diese gedanklichen Vorstellungen im alltäglichen Handeln umzusetzen. Das ist für uns als einzelne Person schwierig, weil es gilt, unsere alltäglichen Routinen zu durchbrechen. Erhalten wir auch noch so viele Tipps und Tricks von unseren Freunden, so müssen wir doch immer unseren eigenen Weg finden, der zu uns passt und zum Erfolg führt. Übertragen wir diese Überlegungen nun auf Unternehmen, so nimmt die Komplexität um ein Vielfaches zu. Denn die guten «Strategie-Vorsätze» sind von einer Vielzahl an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu erfüllen und jede/r einzelne im Unternehmen sowie das Unternehmen als Ganzes hat einen eigenen Beitrag zu leisten. In diesem Sinne kann Strategieumsetzung als Transformationsprozess verstanden werden, der vom Denken zum Handeln führt. allgemeine erkenntnisse

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Auch wenn man den Eindruck hat, dass Strategien «umsetzungsreif» sind, so zeigt sich beim genauen Hinsehen, dass meistens noch viel Arbeit notwendig ist, damit die Ausrichtung für das Unternehmen und für die Mit­ arbeiter/innen handlungsleitend wird. Nehmen wir das Beispiel einer öffentlichen Verwaltung, welche sich im Rahmen der Strategieentwicklung vornimmt, zukünftig kundenfreundlicher und dienstleistungsorientierter zu agieren. Was genau ist darunter zu verstehen, wenn wir die tägliche Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betrachten? Das zeigt sich exemplarisch an kundenfreundlichen Öffnungszeiten, schnellen Bearbeitungszeiten, einem ansprechenden Internetauftritt, der den Kundinnen und Kunden zeitraubende Behördengänge erspart, einem Lächeln für die Kundin oder den Kunden und in vielem, vielem mehr. Somit gilt es, Antworten auf essenzielle Fragen zu finden, wie: Welche neuen Aufgaben entstehen? Welche konkreten Erwartungen werden dadurch an die Mitarbeiter/innen gestellt? Wie muss die Organisationsstruktur angepasst werden? Mit welchem finanziellen Aufwand ist zu rechnen?

In der Konkretisierung dieser Fragen – die den «Umsetzenden» immer auch einen gewissen Interpretationsspielraum lassen – liegt ein grosses Stück an «Umsetzungsarbeit». Es geht darum, die erdachte und somit bis zu einem gewissen Grad immer auch abstrakte Strategie in handlungsleitende Massnahmen zu fassen. Damit wird die Frage beantwortet, wie der neue ­Arbeitsalltag im Sinne der strategischen Eckpfeiler aussehen sollte. Doch auch wenn dieses erste grosse Stück an «Umsetzungsarbeit» getan ist, garantiert dies noch keinen erfolgreichen Verlauf. Eine hohe Konkretisierung der Strategie bedeutet, dass alle Beteiligten wissen, was genau zu tun ist – allerdings muss es auch tatsächlich getan werden.


«Es muss getan werden» – dahinter verbergen sich zwei weitere Dimensionen, die es mit der Strategieumsetzung zu bewältigen gilt. Auf der einen Seite müssen das Unternehmen und die Mitarbeiter/innen die Bereitschaft zeigen, ihr Handeln zu verändern. Das heisst, sie können sich nicht mehr auf Bekanntes und Routiniertes verlassen, sondern stellen sich auf geänderte Arbeitsinhalte und neues Verhalten ein. Auf der anderen Seite ist zusätzlich die Kompetenz vonnöten, die neuen beziehungsweise geänderten Auf­gaben und Verhaltensweisen professionell ausführen zu können. Rund um diese herausfordernden Fragen der Konkretisierung der Strategie sowie der Bereitschaft und der Kompetenz, die Veränderungen zu bewältigen, bewegt sich das Thema der Strategieumsetzung.

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4.3 welche wege führen vom denken zum handeln?

Wie in den vorhergehenden Abschnitten aufgezeigt wurde, darf für die Phasen der Entwicklung und Formulierung der Strategie von theoretisch fundierten und praktisch erprobten Vorgehensmodellen und Instrumentarien ausgegangen werden. Für die Phase der Umsetzung der Strategie trifft dies nur sehr bedingt zu. Dennoch oder gerade deshalb ist in den letzten Jahren eine erhöhte Sensibilität für die wertvolle Aufgabe der Strategieumsetzung erkennbar. Das zeigt sich beispielsweise in einer aktuellen Ausgabe des Harvard Business­ manager9, welcher der Phase der Strategieumsetzung etwas mehr Beachtung schenkt: «Wenn die Strategie dem Unternehmen eine dauerhaft verlässliche Orientierung geben soll, muss das Topmanagement sie formulieren und über ihre Umsetzung wachen. […] Egal ob es um die Formulierung einer neuen oder die Umsetzung einer bestehenden Strategie geht – es ist eine anstrengende Aufgabe, die nicht von der Leitung des Unternehmens zu trennen ist.» Die Sensibilität zeigt sich in zweierlei Hinsicht. Zum Einen geht es um die Verpflichtung des Topmanagements, denn eine erfolgreiche Strategiearbeit endet nicht bei der Formulierung, sondern umfasst auch die Verantwortung in der Umsetzung. Zum Zweiten erledigt sich die Strategieumsetzung nicht automatisch, sozusagen als erwünschte Nebenwirkung der Entwicklung, sondern die Umsetzung ist eine ebenfalls anstrengende Aufgabe. Das mag ein erster wichtiger und auf keinen Fall zu unterschätzender Schritt sein. Für Unternehmen gilt es, sich genügend «Energiereserven» (personelle Ressourcen, Zeit, finanzielle Mittel etc.) für den gesamten Prozess der Strategiearbeit anzulegen und nicht den Teil der Umsetzung sträflich zu vernachlässigen.

9 Montgomery, C.A. (2008): Die Rückkehr der strategischen Führung. In: Harvard Businessmanager, 5, S. 10–18.


Setzen wir dieses Bewusstsein voraus, so stellt sich die Frage wo sich nun Ideen für eine erfolgreiche Strategieumsetzung finden lassen: In theoretisch konzeptuellen Überlegungen? In Best-Practice Beispielen? In pragmatischen Handlungsempfehlungen?

Sind diese Überlegungen hilfreich, um im Rahmen der Strategieumsetzung vom Denken zum Handeln zu kommen? Theoretisch konzeptuelle Überlegungen Auf theoretisch konzeptueller Ebene sind es vor allem die Vertreter des strategischen Managements, die der Phase der Strategieumsetzung «gleichberechtigte» Aufmerksamkeit schenken. Dies zeigen Müller-Stewens und Lechner (Universität St. Gallen) in ihrem 2001 erstmals erschienenen Werk «Strategisches Management»10, in welchem sie ausführlich auf die Veränderung eingehen. Sie behandeln die Frage, wie strategische Initiativen operativ wirksam werden, und zeigen die Komplexität des Themas anschaulich auf. Neben einer breiten theoretischen Auslegeordnung finden sich Anhaltspunkte und Gestaltungsempfehlungen für die Veränderungsarbeit (z.B. «Drehbuch für einen Wandel») im Unternehmen. Auch Lombriser und Abplanalp zeigen in ihrem Buch zum strategischen Management11, dass der Teil der Strategieumsetzung bewusst zu gestalten ist. Die Schwierigkeiten und Hindernisse in der Phase der Umsetzung sind umfassend dargestellt. Es werden Fragen der Unternehmenskultur, der Führung, aber auch Fragen nach den Prinzipien des Change Managements und dem Einsatz der Balanced Score Card diskutiert. Die beiden Autoren weisen darauf hin, dass Umsetzungsprozesse äusserst unternehmensspezifisch und in gewissem Sinne einzigartig sind und immer auch als eine Art Sinngebungsprozess zu verstehen sind. Diese und weitere Besonderheiten machen den Umsetzungsprozess aus Sicht der Autoren zur schwierigsten Phase im strategischen Management. 10 Müller-Stewens, G., Lechner, C. (2005): Strategisches Management: Wie strategische Initiativen zum Wandel

führen: Der St.-Galler General Management Navigator. Stuttgart: Schäffer-Poeschel.

11 Lombriser, R., Abplanalp, P.A. (2005): Strategisches Management: Visionen entwickeln, Strategien umsetzen,

Erfolgspotenziale aufbauen. Zürich: Versus.

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In beiden Werken finden sich ein wichtiges und breites Grundlagenwissen sowie wertvolle Anhaltspunkte und Gestaltungsempfehlungen für die Umsetzung von Strategien. Neben diesen theoretisch konzeptuellen Überlegungen kann es sinnvoll sein, an Beispielen anderer Unternehmen nach Ideen und Impulsen für eine erfolgreiche Strategieumsetzung zu suchen. Best-Practice-Beispiele Generell ist es schwierig, im Bereich der Strategiearbeit Einblicke in die Vorgehensmethoden anderer Unternehmen zu erhalten. Weg und Ziel werden unter Verschluss gehalten, was nachvollziehbar im Thema begründet liegt. Sowohl Strategieberater/innen als auch deren Kundinnen und Kunden berichten vergleichsweise wenig über Probleme bei ihren Projekten. Stattdessen findet man fast ausschliesslich (meist anekdotische) «success stories». Tiefergehende Informationen und aussagekräftige Erfahrungsberichte sind hingegen kaum zugänglich.12 Es gibt allerdings ein Thema, das im Rahmen der Strategieumsetzung vermehrt nach aussen dringt und aktiv angesprochen wird. Es ist dies die Frage nach den Methoden, mit denen die Strategie eines Unternehmens den Mitarbeiter/innen näher gebracht werden kann. Eine mangelnde Kenntnis der Strategie durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wie oben bereits erwähnt, ist als Defizit in der Umsetzung bekannt. Nun scheint sich – zumindest auf dem schweizerischen Markt – eine Lösungslinie abzuzeichnen. Die HR-Abteilung eines international tätigen Schweizer Dienstleistungsunternehmens ist das Thema der Mitarbeiter/innen-Information spielerisch angegangen. Es wurde ein Spiel entwickelt, bei dem in Kleingruppen mit Plakaten und Karten die weltweiten Auswirkungen einer Strategie auf das persönliche Handeln diskutiert werden. Mit diesem spielerischen Ansatz hat die Ausbildungsabteilung einen Innovationspreis für die kreative Idee gewonnen. Dadurch hat das Spiel Vorbildcharakter für weitere Unternehmen erlangt.

12 Vgl. D. Seidl, W. Kirsch, M. Linder: Grenzen der Strategieberatung. Bern: Haupt, 2005, S.13


Auf einen weiteren spielerischen Ansatz weist die Handelszeitung hin: Ein internationaler Industriebetrieb veranstaltet Workshops, in denen mit spezifisch entwickelten spielerischen Aktivitäten Antworten rund um die Marktpositionierung und Identität vermittelt werden. Ein anderes Beispiel ist ein webbasiertes Training, das von einem national tätigen Konzern zur Vermittlung der Strategie an die Mitarbeiter/innen auf seinem Intranet geschaltet wurde. Diejenigen, die das Spiel am besten ­lösen, gewinnen eine Reise. Neben diesen spielerischen Tendenzen liegt es im Trend der Zeit, für die Vermittlung der Strategie an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Grossveranstaltungen mit Referaten der Topmanager/innen und moderierten Diskussionen abzuhalten. Selbstverständlich werden auch die modernen Medien genutzt, indem alle Aussagen zur Strategie auf dem Intranet dargestellt sind und diese teilweise auch zur Interaktion mit den Führungspersonen einladen. Im Normalfall wird die Aufgabe der Informationsvermittlung den HR- und Kommunikationsabteilungen übertragen. Besinnen wir uns nochmals auf den Transformationsprozess vom Denken zum Handeln, so kann diese spielerische Vorgehensweise höchstens einer Sensibilisierung dienen. In der Gesamtheit werden gerade solche Ansätze der Komplexität des Themas nicht gerecht. Die Aufgabe der Ausbildungsund Kommunikationsabteilung muss im Prozess der gesamten Strategieumsetzung eine gänzlich andere und wesentlich umfassendere sein.13 Natürlich lädt das Thema der strategischen Führung wie kaum ein anderes dazu ein, in spannenden Fallbeispielen erzählt zu werden, die die Erfolgs- und manchmal auch Misserfolgsfaktoren der Strategiearbeit in Unternehmen aufzeigen. Oftmals folgen aus diesen aufregenden Geschichten pragmatische Handlungsempfehlungen für Führungspersonen und Unternehmen.

13 Hinweise zu den Gestaltungsaufgaben der Personal- und Kommunikationsabteilung finden Sie in den

­weiteren Manualen zu unserem Themenschwerpunkt ‹Strategieumsetzung›.

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Pragmatische Handlungsempfehlungen Der Harvard Businessmanager titelt im Juni 2008 mit folgender Zeile: «Was Unternehmen von Jürgen Klinsmann lernen können». Jürgen Klinsmann hat sich bei der Fussball-Weltmeisterschaft 2006 als Meister der Veränderung erwiesen. Die Analyse seines Verhaltens zeigt, wie Manager/innen seine Methoden im Unternehmen nutzen können. Ohne Zweifel gelingt es den meisten Führungspersonen, aus diesem Beispiel Ideen für die Initiierung von Veränderungen in ihrem Unternehmen mitzunehmen. An dieser Stelle darf jedoch bezweifelt werden, ob solche Beispiele gesamthaft einen realistischen Lösungsansatz bieten. Wie das Beispiel Klinsmann zeigt, wird die «Königsdisziplin der Unternehmensführung» gerne in Casestudies verpackt. Abseits vom Fussballfeld finden sich unzählige Firmen, deren strategische Entwicklungen und Umsetzungen in der Managementliteratur und -lehre als beispielgebend für Erfolge und Misserfolge angesehen werden: UBS, Ciba, Star Alliance, Nike, Puma, Daimler Chrysler, Toyota, Coca Cola, Red Bull, Apple, Dell und viele weitere. Ein grosser Teil der Unternehmenslehre stützt sich auf diese Beispiele, analysiert rückblickend deren Verlauf, sucht nach Erfolgs- oder Misserfolgskriterien und die Expertinnen und Experten leiten aus diesen Beispielen Managementregeln ab. Auch wenn dies eine verbreitete, typische und erfolgversprechende Methode in der Managementlehre und -ausbildung ist, so muss es trotz allem erlaubt (oder gerade deshalb Pflicht) sein, dieses Vorgehen kritisch zu betrachten. Denn damit wird die «unternehmerische Wirklichkeit» in vielen Fällen nur ungenügend erfasst. Das zeigt sich darin, dass gute Resultate des Unternehmens den Folgen von guten Entscheidungen des Managements zugeschrieben werden. Als Basis dienen klare UrsachenWirkungszusammenhängen, wesentliche Faktoren werden dabei jedoch übersehen, unbewusst ausgeblendet oder unterschätzt.


Phil Rosenzweig14 zeigt am Beispiel von Dell, dass sich Expertinnen und Experten gerne vom Erfolg eines Unternehmens blenden lassen und aus den Erklärungen für diesen Erfolg spezifische Managementregeln ableiten. Solche Managementregeln sind zwar attraktiv, beruhen aber meist auf einem fehlerhaften Untersuchungsdesign, auf schlechtem Datenmaterial oder auf einer Kombination von beidem. Bei all der Kritik darf natürlich nicht übersehen werden, dass die Offenheit beim Zielpublikum für klare, einfache und verständliche Praktikerkonzepte zur Beliebtheit und zu einer fast schon inflationären Erarbeitung solcher Managementregeln beiträgt. Vielleicht bleibt deshalb nicht mehr genügend Zeit und Raum, uns mit der «Geschichte» des eigenen Unternehmens zu befassen, weil wir uns so sehr in die Erfolgs- und Misserfolgsgeschichten anderer Unternehmen ­vertiefen? Die Ausführungen zeigen es: Es ist herausfordernd, einen passenden Rahmen zu finden, der dem vielfältigen Thema der Strategieumsetzung gerecht wird.

14 Rosenzweig, P. (2008): Manager lassen sich über das Geheimnis des Erfolgs systematisch täuschen.

In: GDI Impuls, 2, S. 58-67.

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4.4 strategiearbeit anders gedacht und gehandelt…

Knüpfen wir nochmals an die grosse Herausforderung bei der Implementierung einer Strategie an: Will man Erfolg haben, so muss es gelingen, die gedanklichen Konstruktionen der Strategieentwicklung im alltäglichen Handeln des Unternehmens und seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu verankern. Eine erfolgreiche Umsetzung ist zwangsläufig mit Veränderungen im Arbeitsalltag der einzelnen Mitarbeiter/innen verbunden. Eine strategische Neuausrichtung bricht mit Bestehendem und meist sind die Änderungen gewichtig und greifen in die Einstellungen und das Verhalten der Unternehmensmitglieder und in gefestigte Strukturen und Prozesse des Unternehmens ein. Betrachten wir die Strategieumsetzung als Transformationsprozess – vom Denken zum Handeln – so können wir uns für die weitere Bearbeitung des Themas an folgender Leitfrage orientieren: Wie können beabsichtigte, strategische Veränderungen in (m)einem Unternehmen wirkungsvoll und nachhaltig umgesetzt werden? Hierzu wurde aufgezeigt, dass bereits in der Konkretisierung der Strategie ein wichtiger Teil der Umsetzungsarbeit liegt. Doch auch wenn ganz konkrete Vorstellungen darüber bestehen, wie sich die Veränderungen im tagtäglichen Handeln zeigen sollen, so besteht immer noch die Frage nach der Kompetenz und der Bereitschaft der Mitarbeiter/innen, all dies im täglichen Handeln umzusetzen. Umfassende Veränderungen in Unternehmen lassen sich nicht einfach nach einem bestimmten Schema durchführen. Es braucht Zeit dafür, weil Veränderungen zu Widerständen bei den Mitarbeiter/innen führen, diese die neuen Organisationsstrukturen und Verantwortlichkeiten nicht einfach per Anordnung aufnehmen, oft an Bestehendem festhalten und mikropolitische Interessenskämpfe ausgetragen werden. Die meisten Menschen nähern sich Unternehmen mit ihrem Alltagsverständnis. Hinter diesem Alltagsverständnis verbergen sich mehr oder weniger bewusste Vorstellungen und Grundannahmen über das Funktionieren eines Unternehmens. Das mag ausreichen, um sich als Kundin oder Kunde in einem Unternehmen angemessen zu verhalten, das mag ebenfalls ausreichen, um sich als Mitarbeiter/in in einem Unternehmen zu bewegen. Wenn es jedoch um Fragen der Strategiearbeit geht und somit um die


­ erantwortung von Führungspersonen für die erfolgreiche Ausrichtung des V ­Unternehmens, um die bewusste Initiierung von Veränderungen im Unternehmen, um den Beitrag der Mitarbeiter/innen, um Fragen der Existenz, so braucht man einen angemessenen theoretischen Rahmen. In der Organisationstheorie und ihrer wissenschaftsgeschichtlichen Entwicklung gibt es einen weit reichenden Spannungsbogen: beginnend bei traditionellen Theorien, die das Funktionieren von Organisationen mit gut laufenden Maschinen vergleichen, die nach klaren Ursache-Wirkungs­Beziehungen ablaufen, bis hin zu zeitgemässen Theorien, die das Funktionieren von Organisationen mit komplexen, lebenden Systemen vergleichen.15 Eng mit dem Organisationsverständnis ist die Frage verknüpft, inwieweit Führungspersonen Unternehmen gezielt steuern können. Auch hier bewegen sich die theoriegeschichtlichen Vorstellungen zwischen zwei weit entfernten Polen. Das eine Extrem zeigt sich in einem fast beliebigen Gestaltungsspielraum des Managements, welcher mit hohen Machbarkeitsvorstellungen verbunden ist. Das andere Extrem geht von einer äusserst hohen Selbstorganisation des Unternehmens aus, das sich der Gestaltung durch die Führungspersonen weitestgehend entzieht. In den folgenden Abschnitten zeigen wir anhand des systemischen Organisationsverständnisses16 auf, nach welchen Prinzipien Unternehmen funktionieren und welche Einflussmöglichkeiten Führungspersonen haben. Wir skizzieren damit ein Organisationsverständnis, das Führungspersonen einen angemessenen Gestaltungsspielraum sowie eine Einflussnahme auf das Unternehmen einräumt. Gleichzeitig wird der «Eigenlogik» der Organisation, welche aus der geschichtlichen Entwicklung und den Rahmenbedingungen resultiert, entsprechende Aufmerksamkeit geschenkt – dies mit dem Fokus, wirksame Vorgehensschritte für die Strategieumsetzung ausfindig zu machen.

15 Einen Überblick zur historischen Entwicklung der Organisationsbetrachtung liefern:

Steiger, T., Lippmann, E. (2004): Handbuch angewandte Psychologie für Führungskräfte: Führungskompetenz und Führungswissen. Bd. 1. Heidelberg: Springer-Verlag, S. 27–42. 16 Die Ausführungen im folgenden Abschnitt stützen sich auf die Werke von: Simon, F.B. (2007): Einführung in die systemische Organisationstheorie. Heidelberg: Carl-Auer-Systeme. Und: Wimmer, R., Gebauer, A. (2006): Strategieentwicklung, Lernen und Wissensmanagement in Organisa­ tionen. In: Studienbriefe zum systemischen Management, SYM 0600, Kaiserslautern: Technische Universität Kaiserlautern.

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4.5 das unternehmen und seine funktionsprinzipien

Auf der Basis des systemischen Organisationsverständnisses werden Organisationen als soziale Systeme betrachtet. Ein System ist als eine Einheit zu verstehen, die als Ganzes existiert und funktioniert, indem ihre Teile zusammenwirken. Das Zusammenwirken der Teile folgt einer inneren Struktur, die sich in einer gewissen Eigenlogik ausdrückt. Diese Eigenlogik, oder auch Identität, ist im Laufe der Zeit entstanden und kann sich durch Lernprozesse verändern. Die Eigenlogik ist auf die Unterscheidung zwischen System und Umwelt ausgerichtet, mit dem Ziel zu überleben. Ob und welche Impulse Systeme von ihrer Umwelt aufnehmen und wie sie diese verarbeiten, hängt immer von ihrer inneren Struktur und somit stark von ihrem Lebensweg und ihren Erfahrungen ab. Lassen Sie uns beispielhaft das Funktionieren sozialer Systeme (= Organisationen) mit dem psychischen System des Menschen vergleichen. Auch Menschen folgen ihrer eigenen, inneren Struktur und zeichnen sich durch ihre Identität aus. So wie Menschen das Ziel zu überleben haben, so haben auch Organisationen das Ziel zu überleben. Menschen machen das aus einer inneren Kraft heraus und sie brauchen nicht ständig jemanden, der neben ihnen steht und befiehlt: Überlebe! Genausowenig brauchen Organisationen jemanden, der ihnen befiehlt zu überleben – sie machen das aus eigenem Antrieb heraus. Wenn Menschen nun Impulse von ihrer Umwelt erhalten – z.B. eine Rückmeldung auf ihr Verhalten in einer bestimmten Situation – dann gibt es verschiedene Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Sie können die Rückmeldung als Anregung aufnehmen und ihr Verhalten ändern. Sie können die Rückmeldung aber auch als nichtssagend stehen lassen und ihr bisheriges Verhalten beibehalten. Wie einzelne Personen darauf reagieren, ist nicht vorhersagbar, sondern individuell und abhängig von ihren inneren Strukturen. Dabei spielen viele Aspekte eine Rolle: Erleben sie die Rückmeldung als Mehrwert? Trauen sie sich zu, ihr Verhalten zu ändern? Welche Erfahrungen haben sie mit Rückmeldungen in der Vergangenheit gemacht?


Welche Impulse nun Organisationen von ihrer Umwelt (Kundinnen und Kunden, Staat, Kapitalgeber/innen, Lieferantinnen und Lieferanten, Mitbewerber/innen etc.) aufnehmen, kann ebenfalls nie exakt vorherbestimmt werden. Wenn sich beispielsweise die gesellschaftlichen Erwartungen in Bezug auf das ökologische Verhalten verändern, muss die Organisation entscheiden, ob dies von Bedeutung ist. Ob und wie diese Impulse intern verarbeitet werden, das heisst welche Lösungen und Ergebnisse daraus entstehen, ist immer sehr organisationsspezifisch. Wenn wir Organisationen unter diesem Blickwinkel betrachten, wird deutlich, dass wir es mit hochkomplexen Systemen zu tun haben, die schwer durchschaubar sind und deren Verhalten in keiner Weise exakt bestimmt werden kann, geschweige denn exakt steuerbar ist. Sie folgen ihren inneren Strukturen oder einfacher ausgedrückt: Organisationen sind eigensinnig! Hinter dem systemischen Organisationsverständnis verbirgt sich ein umfassendes Theoriegebäude, das wir im Rahmen dieses Manuals nur in den Grundzügen darstellen können. Wir werden im Folgenden einige ausgewählte Funktionsprinzipien aufgreifen und diese mit den Herausforderungen der Strategieumsetzung verbinden.

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Unternehmen sind eigensinnig – unabhängig von den Personen, die darin arbeiten. Wie einleitend aufgezeigt wurde, funktionieren Organisationen nach ihrer eigenen inneren Struktur. Dies lässt sich gut veranschaulichen, indem man unterschiedlichen Organisationen die gleiche Aufgabe stellt. Die einzelnen Organisationen werden diese Aufgabe gemäss ihrer inneren Eigenlogik bewältigen und zu jeweils unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Als Beispiel zur Verdeutlichung dieser inneren Struktur von Unternehmen kann man das von vielen so heiss ersehnte iPhone nehmen: ein unverwechselbares Apple-Produkt, ein Stück Identität des Unternehmens. Stellt man sich nun vor, man hätte den Auftrag zur Entwicklung eines solchen Gerätes gleichzeitig einer Mitbewerberin oder einem Mitbewerber gegeben und die Funktionen klar definiert: Das Gerät ist über Touchscreen bedienbar, man kann damit Musik und Videos auf dem Display geniessen, im Web surfen, E-Mails empfangen, seine Positionen per GPS bestimmen, Telefonieren, SMS schreiben etc. Ein/e Mitbewerber/in hätte bei der identischen Aufgabenstellung ein völlig anderes Produkt entwickelt mit einem anderen Design, einer anderen Technologie, anderen Lösungs- und Produktionswegen, einer anderen Vermarktung, aber immer noch die geforderten Funktionen abgebildet. Betrachtet man Organisationen mit unserem Alltagsverständnis, so könnte man versucht sein, zu folgendem Schluss zu gelangen: Diese innere Eigenlogik setzt sich in irgendeiner Form aus all den Personen zusammen, die in dieser Organisation arbeiten. Diese Aussage ist im Sinne des systemischen Organisationsverständnisses jedoch nur teilweise zulässig, denn die Identität der Organisation besteht zu einem grossen Teil unabhängig von den Personen die darin tätig sind. Es ist wichtig zu sehen, dass Apple – auch mit einer anderen Zusammensetzung an Mitarbeiter/innen – ein dem iPhone sehr ähnliches Produkt entwickelt hätte. Das spezifische Muster oder die innere Eigenlogik der Organisation kann einem Wechsel des Personals standhalten und auch dem individuellen Verhalten, das Personen in Organisationen beisteuern – zumindest in einem gewissen Ausmass. In diesem Sinne bewegen sich Personen in die spezifischen Muster der Organisation hinein und wieder heraus; die Ergebnisse, welche die Organisation dabei produziert, bleiben aber recht stabil.


Das spezifische Muster der Organisation wird im Wesentlichen durch die Organisationsstruktur und -kultur bestimmt. Zur Struktur zählen Aspekte wie die Organisationsform, die Kommunikationswege, finanzielle Führungssysteme, Programme, Prozessdefinitionen oder Führungsstrukturen. Die Kultur umfasst die «gemeinsam geteilten Werte» beziehungsweise eine «Menge kohärenter Glaubenssätze».17 Die Kultur drückt sich beispielsweise im Kommunikationsverhalten aus, zeigt sich in der Gestaltung der Büro­ räumlichkeiten oder auch in Werthaltungen, wie «Technik-Verliebtheit» oder dem Beibehalten von «Altbewährtem». Beide Konstrukte – Struktur und Kultur – «regeln» die Zusammenarbeit innerhalb der Organisation. Einfach ausgedrückt kann man die strukturellen Aspekte als «technische Regeln» bezeichnen, die vor allem sachlichen Zielen und Zwecken der Organisation dienen. Die kulturellen Aspekte kann man als «soziale Regeln, Normen und Werte» einer Organisation bezeichnen, welche nicht unmittelbar ziel- und zweckbezogen sind. Das spezifische Muster der Organisation in seiner Gesamtheit ist dabei nur schwer fassbar und lässt sich nicht leicht erkennen und beschreiben. Vielmehr wirkt es sehr oft informell und zeigt sich im Verborgenen – somit bleibt es schwer durchschaubar. Aber auch wenn es nur schwer fassbar ist, so bestimmt das Muster permanent die Handlungen der Personen in Organisationen. Die Personen orientieren sich in ihren organisatorischen Handlungen zu einem grossen Teil unbewusst an diesem «Set an Regeln».18 Ausserdem darf man davon ausgehen, dass dieses Muster überwiegend zufällig entsteht, ohne dass ständig die Frage nach dem Sinn und Zweck gestellt wird. Dieses «Set an Regeln» bewirkt also, dass Apple dieses ganz spezielle iPhone auf den Markt bringt, seine Mitbewerber/innen hingegen ganz andere ­Produkte.

17 Vgl. Schein, E.H. (2003): Organisationskultur: The Ed Schein Corporate Culture Survival Guide.

Bergisch-Gladbach: EHP.

18 Vgl. Giddens, A. (1997): Die Konstruktion der Gesellschaft: Grundzüge der Theorie einer Strukturierung.

Frankfurt: Campus-Verlag.

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Die Eigenlogik der Organisation bleibt über einen längeren Zeitraum recht stabil. Das Muster der Organisation kann nicht einfach von heute auf morgen verändert werden – denn es ist schwer durchschaubar und die Personen orientieren sich in ihren Handlungen grossteils unbewusst daran. Organisationen verändern sich vielmehr nach evolutionären (das heisst sich allmählich, kontinuierlich entwickelnden) Prinzipien. Dies geschieht, indem Personen neue Denk- und Handlungsweisen einbringen, diese von der Organisation aufgenommen werden, sich in einem nächsten Schritt verfestigen und wie selbstverständlich werden und somit im Laufe der Zeit ein neues «Set an Regeln» entstehen lassen. Es besteht eine Wechselwirkung – das ­Mus­ter entsteht durch Handlungen der Personen und gleichzeitig richtet sich das Handeln der Personen nach diesem Muster aus.19 Konsequenzen für die Strategieumsetzung Generell gilt es die Eigenlogik des Unternehmens bewusst zur Kenntnis zu nehmen und zu akzeptieren, dass sie sich nicht auf Anordnung von heute auf morgen ändert. Insbesondere sollen sich Führungspersonen mit den Besonderheiten ihres Unternehmens beschäftigen. Denn in dieser Eigen­ logik sind immer Stärken zu finden, die bis zu einem gewissen Zeitpunkt das Überleben des Unternehmens gesichert haben. Geht es nun um die Definition von Massnahmen, die der Strategieumsetzung dienen, so müssen diese entsprechend auf die Eigenlogik abgestimmt sein. Das heisst, sie müssen zum Unternehmen passen, dürfen das Unternehmen nicht über- oder unterfordern oder völlig unverträglich beziehungsweise andersartig sein. Wenn dies gelingt, so erweisen sich die Massnahmen, systemtheoretisch gesprochen, als «anschlussfähig» und die Wahrscheinlichkeit, dass sie vom Unternehmen beziehungsweise der ­Eigenlogik des Unternehmens akzeptiert werden, steigt um ein Vielfaches.

19 Vgl. Mariner, M. (2001): Eine strukturationstheoretische Analyse im Rahmen einer Einführung und Umsetzung

der ISO 14001.


Das Unternehmen – eine Bühne! Die Eigenlogik der Organisation trägt wesentlich dazu bei, dass die Ergebnisse, welche die Organisation produziert – unabhängig von den Personen, die darin arbeiten – stabil sind. Gehen wir nochmals zur prinzipiellen Austauschbarkeit von Personen in Organisationen zurück, so gibt es eine weitere Facette, die wesentlich zur Konstanz in den Handlungen der Personen beiträgt. Diese weitere Facette kann mit dem Rollenkonzept erklärt werden, welches den Vergleich zum Theater zieht. Wie die Schauspieler, die auf der Bühne stehen, so nehmen Personen innerhalb der Organisation – und innerhalb der Muster der Organisation – ihre Rolle ein. Eine Rolle wird dabei im soziologischen Sinne als ein Bündel von charakteristischen Verhaltenserwartungen verstanden. Durch die Konstanz der Rollen bleiben die Handlungsmuster in einer Organisation über die Zeit stabil. Eine Person, die sich für eine Mitgliedschaft in einer Organisation entscheidet, verpflichtet sich mit der Übernahme dieser Rolle, bestimmten Verhaltenserwartungen gerecht zu werden. Diese Erwartungen zeigen sich in der fachlichen Ausführung der Arbeit, im Umgang mit Mitarbeiter/innen und Kolleg/innen, im Einsatz von unternehmensspezifischen Arbeitsinstrumenten, in der Art und Weise der Betreuung der Kundinnen und Kunden und in vielem mehr.20 Die Übermittlung der Erwartungen an die Rollenträger erleichtert das Zusammenspiel der Handlungen vieler Personen schon allein deshalb, weil dadurch die Komplexität der zu erwartenden Handlungen einzelner Personen enorm eingeschränkt wird. Durch die Gesamtheit der «kanalisierten» Erwartungen können wiederum die typischen Handlungsmuster einer Organisation entstehen.

20 Ein Teil dieser Erwartungen kommt typischerweise in schriftlicher Form in den «Stellenbeschreibungen»

zum Ausdruck.

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Selbstverständlich gibt es innerhalb dieses Bündels von Erwartungen immer noch Handlungsspielräume für die einzelnen Personen. Aber auch wenn man so und anders auf gewisse Dinge im Unternehmen reagieren kann: Solange man sich in der Bandbreite der Erwartungen bewegt, braucht man sich nicht zu rechtfertigen. Das Handeln scheint selbstverständlich und sinnvoll und ist somit «anschlussfähig», das heisst alle anderen wissen auch, was sie zu tun haben.21 Betrachten wir nochmals die Eigenlogik der Organisation, so stecken hinter diesem Muster in seiner Gesamtheit vielfältige Wechselwirkungen. Die Rollen (mit den damit verbundenen Erwartungen) innerhalb der Organisation sind nicht unabhängig von der Organisationsstruktur (z.B. Führungsstruktur) zu denken. Gleichzeitig ist das Bündel an Erwartungen, welches in der Rolle festgeschrieben ist, stark von der Organisationskultur mit ihren Werthaltungen geprägt. Und dann wiederum finden sich gerade die kulturellen Werthaltungen in der Struktur (z. B. Organisationsform) der Organisation wieder. Konsequenzen für die Strategieumsetzung Im Rahmen der Strategieumsetzung ist es wichtig, dass die Veränderungen bis auf die Ebene des Rollenverständnisses durchdacht werden. Dazu muss definiert werden, welche zusätzlichen oder neuen Erwartungen durch die strategische Ausrichtung zu erfüllen sind. Dies kann in den einzelnen Rollen sowohl die Arbeitsinhalte als auch das Verhalten betreffen. Dabei kommt ein wichtiger Punkt hinzu: Es gilt zu berücksichtigen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fähig beziehungsweise zu befähigen sind, ihre neue oder adaptierte Rolle kompetent auszufüllen.

21 Spannend dabei ist, dass die psychologische Frage, warum ein konkretes Mitglied einer Organisation sich

seinen Vorgesetzten unterordnet, für die Organisationstheorie nicht wichtig ist. Hauptsache ist, dass es gute Gründe (= Motive) hat, die Regeln der Organisation zu akzeptieren.


Kommunikative Unternehmen Wie einleitend bereits erwähnt wurde, kann ein System als Einheit bezeichnet werden, das als Ganzes existiert und funktioniert, indem seine Teile zusammenwirken. Wenn man nun den Blick auf Organisationen als soziale (lebende) Systeme wirft, stellt sich die Frage, aus welchen Teilen sich das ­System zusammensetzt. Unsere alltägliche und intuitiv durchaus nahe liegende Anschauung ist, dass Menschen, das heisst Mitarbeiter/innen, als bestimmende Bestandteile einer Organisation betrachtet werden können. Allerdings haben die beiden vorhergehenden Abschnitte gezeigt, dass Organisationen – unabhängig von den Personen, die darin arbeiten – ihre ganz spezifischen Muster aufweisen. Mit der Grundüberlegung, dass die einzelnen Menschen in Organisationen austauschbar sind, beschäftigen sich die Organisationstheoretiker schon seit längerer Zeit und haben sich aus diesem Grund einzelne Personen aus der Organisation «weggedacht». Wenn jedoch Menschen aus Organisationen weggedacht werden, oder anders ausgedrückt: wenn Menschen von der Organisation abstrahiert werden, stellt sich die Frage, was abgesehen von den darin arbeitenden Personen als bestimmender Bestandteil einer Organisation betrachtet werden kann? Blicken wir auf Organisationen, so gehen wir oft davon aus, dass Organisationen handeln. Nehmen wir nochmals das iPhone. Wir schreiben diese Handlung (Produktentwicklung und -vermarktung) der Organisation zu. Doch wenn wir genauer hinblicken, so kann jede Behauptung über das Handeln von Organisationen in viele Interaktionen einzelner Personen – mit all ihren vielfältigen Vernetzungen – innerhalb einer Organisation zerlegt werden. Hinter der Produktentwicklung und -vermarktung des iPhone steht eine Vielzahl von Handlungen verschiedener Personen, die aufeinander folgen, vernetzt und voneinander abhängig sind. Wenn wir diese Handlungen betrachten, so geht es nicht um die «autistische» Aktivität der jeweils einzelnen Person, sondern um die sozialen Aktivitäten aller Personen. In ihrer Zusammenarbeit sind die Personen gefordert sich auszutauschen, Absprachen zu treffen, gemeinsam kreative Lösungen zu entwickeln und dergleichen mehr. Selbstverständlich handeln die Personen dabei in dem von der Organisation vorgegebenen Rahmen. allgemeine erkenntnisse

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Auf der Basis dieser Überlegungen schliesst nun die Definition von Niklas Luhmann22 an, der als kleinste Einheit sozialer Systeme die (einzelne) Kommunikation betrachtet. Auch wenn seine Vorstellungen von sozialen Systemen unseren gewohnten Denkmustern nicht wirklich geläufig sind, Kommunikation ist in diesem Sinne das Basiselement von Organisationen und wird dabei nicht als Handlung eines einzelnen Menschen definiert. Vielmehr geht es darum, wie die Mitteilungen der anderen Personen verstanden werden, welcher Sinn ihnen zugeschrieben wird und welches Verhalten sie auslösen. Das Umschalten von der Handlungs- zur Kommunikationstheorie hat den Vorteil, dass nun erklärt werden kann, wie die Verhaltensweisen und Handlungen unterschiedlicher Akteure gekoppelt werden. Denken Sie dabei an einen weltweit tätigen Konzern. Wie ist es möglich, die Handlungen (Aktivitäten) der zigtausend Mitarbeiter/innen zu koordinieren? Allein durch Kommunikation! Es geht also immer darum, dass Mitglieder in Organisationen Verhalten wahrnehmen, dem eigenen und fremden Verhalten Sinn zuschreiben – all dies über Kommunikation zum Ausdruck bringen und somit ihre Handlungen koordinieren. Nicht zu vergessen: Sie machen das im Rahmen ihrer Rollenerwartungen und in den spezifischen Mustern der Organisation. Konsequenzen für den Prozess der Strategieumsetzung Der Kommunikation im Unternehmen kommt dadurch ein zentraler Stellenwert zu. Neuerungen im Rahmen der Strategieumsetzung können ausschliesslich über das Kommunikationssystem in die Organisation einfliessen. Wichtig dabei ist, dass dies nicht als technischer Vorgang verstanden wird, sondern dass die verschiedenen Massnahmen im Rahmen der Strategieumsetzung sinnhaft erscheinen. Strategieumsetzung muss zum zentralen Thema im Unternehmen werden.

22 Luhmann, N. (1984): Soziale Systeme: Grundriss einer allgemeinen Theorie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.


Irritierte Unternehmen Da Organisationen mit ihrem spezifischen Muster auf die Impulse reagieren, welche sie von der Umwelt erhalten beziehungsweise wahrnehmen, ist die genaue Wirkung nicht vorhersehbar. Beispielhaft kann man sich das folgendermassen vorstellen: Apple reagiert auf veränderte Kundenbedürfnisse mit ganz anderen Produkten als seine Mitbewerber/innen – eben weil beide von ihren inneren Strukturen und nicht von aussen bestimmt werden. Ausserdem kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden, dass die Organisation überhaupt reagiert. Apple mag die veränderten Kundenbedürfnisse erkennen, für seine Mitbewerber/innen mögen diese nicht wahrnehmbar sein oder als nicht relevant eingestuft werden. Diese Art des Wirksamwerdens, ohne dass die Wirkung genau vorhersagbar ist, wird in der Systemtheorie als Irritation bezeichnet – Organisationen werden durch Impulse von ihrer Umwelt irritiert. Wenn Irritationen positiver Art sind, spricht man von Anregung, wenn sie negativer Art sind, spricht man von Störung. Diese Erkenntnis wirft, gerade was die Steuerung von Organisationen betrifft, sehr weitreichende Fragen auf. Wie können Führungspersonen in diesen komplexen Organisationszusammenhängen Wirkungen erzeugen, wo doch diese Systeme – eigensinnig wie sie sind – ihrer eigenen Logik folgen? Gesucht wird nach brauchbaren Formen der Einflussnahme auf organisatorische Veränderungsprozesse, ohne dem Fehlschluss nach einer zentralen Steuer- und Beherrschbarkeit zu unterliegen. Personen, die in Leitungsfunktionen stehen, bewegen sich deshalb – aus systemtheoretischer Sicht – in einem gewissen Paradoxon. Sie bekommen die Verantwortung für die Steuerung der Organisation zugeschrieben und gleichzeitig können sie diese, zumindest im Sinne eines geradlinigen Ursachen-Wirkungs-Zusammenhangs, gar nicht steuern. Welche Steuerungsmöglichkeiten bestehen dann in der Praxis? Führungspersonen können sehr wohl als «Gestalter/innen» in Organisationen wirken. Ihre Aufgabe dabei ist, zielgerichtet im Kommunikationssystem zu intervenieren.

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Aber halten wir an einer wichtigen Erkenntnis fest: Menschen können nur dann miteinander kommunizieren, wenn sie einen gemeinsamen Fokus der Aufmerksamkeit teilen. Es geht also darum, in der Fülle der Informationen der Organisation nichts zu übersehen und zu überhören. Auf der Ebene der formalen Strukturen (Führungsstrukturen) ist dabei vorgegeben, wer wem Aufmerksamkeit schuldet. Über die Organisationsstruktur ist definiert, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren vorgesetzten Personen Aufmerksamkeit schulden, aber natürlich auch den Kolleg/innen mit denen sie fachlich zusammenarbeiten. Personen gewinnen dadurch an Bedeutung füreinander, unabhängig davon, ob sie sich auch ausserhalb der Organisation füreinander interessieren. Neben dieser formalen Ebene gibt es noch die inhaltliche und informelle Ebene. Auch wenn aufgrund der Führungsstrukturen klar ist, wer wem Aufmerksamkeit zu widmen hat, ist noch nicht festgelegt, um welche Themen und Inhalte es dabei geht. Hier bestehen weitere Möglichkeiten, um ziel­ gerichtet im Kommunikationssystem zu intervenieren. Das bedeutet, was eine vorgesetzte Person als wichtig erachtet, wird dadurch für alle automatisch wichtig, die ihr untergeordnet sind. Führungspersonen werden von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern daraufhin beobachtet, welchen Personen, Themen, Fragen, Zielen, Zwecken etc. sie ihre Aufmerksamkeit schenken. Sie übernehmen damit die «Themenführerschaft», ob ihnen das bewusst ist oder nicht. Hieraus ergibt sich eines der wichtigsten – manchmal allerdings nur unbewusst wahrgenommenen – Steuerungs- und Führungsinstrumente innerhalb von Organisationen: die Fokussierung auf bestimmte Themen und Inhalte. Das Thema, dem die Aufmerksamkeit geschenkt wird, bestimmt die Kommunikation im Unternehmen und hat somit auch entscheidenden Einfluss auf die Muster der Organisation. Die Herausforderung für die Führungspersonen besteht darin, einzelnen zentralen Themen Aufmerksamkeit zu leihen. Diese müssen bei der Fülle an Themen, die eine Organisation beschäftigen, einen besonderen Stellenwert erhalten, sonst besteht die Gefahr, dass sie sich im «Kommunikationsrauschen» der Organisation verlieren.


Konsequenzen für die Strategieumsetzung Es gibt viele wichtige Themen, die in einem Unternehmen Relevanz haben. Aus diesem Grund gilt es, die Aufmerksamkeit auf das Thema der Strategieumsetzung zu legen. Strategieumsetzung darf im Alltag des Unternehmens nicht untergehen, sondern muss über längere Zeit im Zentrum stehen und das heisst konkret, im Zentrum der Kommunikation stehen. Die Verpflichtung dafür liegt wesentlich bei den Führungspersonen, einschliesslich und insbesondere auch beim Topmanagement.

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Und sie bewegen sich doch… Gesamthaft betrachtet, kann man sich vom Eigensinn des Unternehmens, im Sinne einer unmöglichen linearen Steuerung, abschrecken lassen oder man kann dieser Herausforderung mit einem zeitgemässen Führungsverständnis begegnen. Denn gerade in diesem «Eigensinn» stecken Stärken, welche das bisherige Überleben des Unternehmens gesichert haben. Und der «Eigensinn» sorgt dafür, dass sich das Unternehmen seiner Umwelt aus eigenem Antrieb heraus anpasst. Geht es nun aber um die Strategieumsetzung und somit um substanzielle Veränderungen, die weit über Routineveränderungen hinausgehen, so steht die Frage im Raum, wie und an welchen Stellen wirkungsvolle und nachhaltige Impulse gesetzt werden können. Wirkungsvoll und nachhaltig im Sinne eines zeitgemässen Organisationsverständnisses ist immer nur, was vom Unternehmen akzeptiert und angenommen wird, sich folglich als «brauchbar» und «anschlussfähig» erweist. Die Eigenlogik des Unternehmens kann sich dabei nur bewegen, wenn sich die Denkweisen und Handlungen vieler Personen im Zeitablauf verändern. Denkweisen und Handlungen ändern sich dann, wenn sie thematisiert werden. Somit ist der zentrale und wirkungsvollste Ansatzpunkt das Kommunikationssystem des Unternehmens. Der Prozess der Strategieumsetzung muss Eingang in das Kommunikationssystem des Unternehmens finden. Systemtheoretisch betrachtet heisst das: Wenn alle Mitarbeiter/innen einer Organisation persönlich wahrnehmen, dass Veränderung notwendig ist, aber keiner dies zum Thema macht, so wird es keine Veränderung geben. Strategieumsetzung muss zum Thema werden! Und Führungspersonen haben die Aufgabe, diesen Prozess ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Nicht für einen Tag und nicht mit einem grossartigen Anlass, sondern permanent über einen längeren Zeitraum. Dabei ist das ganze Potenzial der Kommunikationswege, also formell und informell, mit «anschlussfähigen» Botschaften auszuschöpfen.


Sucht man nach Prozessen in Organisationen, die zur Veränderung der ­(Kommunikations-) Muster geführt haben, so kann man diese auf verschiedenen Ebenen ausfindig machen: Veränderungen auf der Ebene der Personen beziehungsweise der Rolle Veränderungen auf der Ebene der Organisationsstruktur Veränderungen auf der Ebene der Organisationskultur

All das sind grundsätzlich wirkungsvolle Ansatzpunkte für nachhaltige Veränderungen des Unternehmens oder treffender: für Veränderungen in der Eigenlogik des Unternehmens. Allerdings – und darin liegt die eigentliche Komplexität – weisen diese drei Ebenen vielfältige Wechselwirkungen auf. Sie ermöglichen immer das Handeln der Personen im Unternehmen, indem sie eine starke Orientierung vorgeben, und schränken es somit gleichzeitig ein. Gehen wir zur Veranschaulichung nochmals zum Rollenkonzept zurück: Auch wenn das Bündel an Verhaltenserwartungen sehr exakt definiert ist, gibt es für die Personen im Unternehmen immer Denk- und Handlungsspielräume. Wenn Personen diese Spielräume nutzen, zeigen sie zu einem Teil ihre individuellen Präferenzen, orientieren sich aber gleichzeitig an den Normen und Werten des Unternehmens, das heisst an der Unternehmenskultur. Und natürlich findet auch die Unternehmensstruktur (Vorgaben, Programme, Führungsstruktur etc.) entsprechende Berücksichtigung. Dieser Rahmen von Rolle, Struktur und Kultur gibt Sicherheit in der Handlung und macht das Handeln der Einzelnen «anschlussfähig». Wenn jedoch Veränderungen «nur» auf einer Ebene ansetzen, dann birgt das die Gefahr, dass diese Veränderungen durch die beiden anderen Ebenen geschwächt beziehungsweise vollkommen eingedämmt werden. Wenn beispielsweise eine neue Organisationsstruktur (z. B. Matrix-Organisation) eingeführt wird, die Rollenerwartungen an die einzelnen Stellen aber nicht ausreichend geklärt sind, nicht entsprechend kommuniziert wurden, dann wird sich das «alte Muster» weiterhin durchsetzen, auch wenn auf dem ­Papier eine neue Organisationsstruktur abgebildet ist.

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So betrachtet lässt sich aus dem systemischen Organisationsverständnis eine grundlegende Erkenntnis ableiten: Impulse sind bei substanziellen Veränderungen auf mehreren Ebenen anzusetzen und entsprechend abzustimmen. Eingebettet ist dieser Prozess der Veränderung in die Verantwortung der Führungspersonen, die den Fokus der Aufmerksamkeit auf die Strategieumsetzung legen und diesen aktiv in das Kommunikationssystem einbringen. Was genau die Organisation aus diesen «Strategieumsetzungsimpulsen» macht, ist nicht konkret vorhersagbar – das soll jedoch nicht Resignation auslösen, sondern bedingt viel eher ein gewisses Vertrauen in die Eigenlogik des Unternehmens. Denn gerade das systemische Organisationsverständnis bietet einen eleganten Ausweg aus diesem scheinbaren Dilemma: Die Aushandlungsprozesse zwischen System und Umwelt bieten viele verschiedene Lösungsmöglichkeiten, die für das Unternehmen «brauchbar» sind, das ­heisst, es gibt nicht nur einen richtigen Weg, der zum Erfolg führt. Vielleicht heisst das an manchen Stellen, dass nicht das Unternehmen sich an die Eigenheiten des (ständig wechselnden) Topmanagements gewöhnt, sondern dass das Topmanagement versucht, sich an die Eigenheiten des Unternehmens zu gewöhnen.23 An dieser Stelle sei noch auf einen Punkt hingewiesen, der aus Sicht von Führungspersonen bei Veränderungsvorhaben von Bedeutung ist. Die Notwendigkeit und der Nutzen, Veränderungsvorhaben professionell zu steuern, ist unbestritten. Allerdings sehen Führungspersonen eine Gefahr darin, dass bei Change-Programmen ein ausschliesslicher Fokus auf Psychologie und Softfaktoren gelegt wird. Das systemische Organisationsverständnis beugt dieser Gefahr vor. Denn indem Impulse für Veränderungen auf mehreren Ebenen stattfinden, werden gerade über diese Dimensionen der Rolle, Struktur und Kultur weiche und harte Faktoren angemessen berücksichtigt.24

23 Platak, M., Schönleitner, E. (2008): Das Konzept der Selbststeuerung in der Praxis. In: GDI Impuls, 2, S. 105–109. 24 Stöger, R. (2008): Strategiekompetenz heisst Methodenkompetenz. In: GDI Impuls, 3, S. 100–104.


In Abschnitt 4.2 wurde die Vermutung aufgestellt, dass man aufgrund der vorherrschenden Praxis in der Managementliteratur versucht ist, sich zu sehr in die Erfolgs- und Misserfolgsgeschichten anderer Unternehmen zu verstricken und sich vielleicht zu wenig mit der «Geschichte» des eigenen Unternehmens zu beschäftigen. Genau dazu fordert ein zeitgemässes Organisationsverständnis auf – sich mit der «Geschichte» des eigenen Unternehmens auseinander zu setzen, Hypothesen über deren «eigensinniges Funktionieren» zu bilden und darin Impulse zu setzen, die zu wirkungsvollen Veränderungen führen.

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5 weiterf端hrende fragestellungen

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Wie in den vorhergehenden Kapiteln dargestellt wurde, betrachten wir Strategieumsetzung als Transformationsprozess – der vom Denken zum Handeln führt – und orientieren uns für die weitere Bearbeitung an folgender Fragestellung: Wie können beabsichtigte, strategische Veränderungen in (m)einem Unternehmen wirkungsvoll und nachhaltig umgesetzt werden? Ein zeitgemässes Organisationsverständnis liefert dazu erste, wichtige Anhaltspunkte und stellt die theoretische Fundierung dar. Allein damit können die herausfordernden Fragen rund um die Konkreti­ sierung der Strategie sowie rund um die Bereitschaft und Kompetenz des Unternehmens und seiner Mitarbeiter/innen, diese Veränderungen umzusetzen, nicht hinreichend beantwortet werden. Vielmehr braucht man einen angemessenen Rahmen, welcher der Ganzheit des Themas gerecht wird und trotz der Komplexität zu wirkungsvollen Schritten im Strategieumsetzungsprozess führt.

Strategieentwicklung «Soll»

Im Überblick wählen wir dazu folgenden Rahmen:

Strategieentwicklung

Strategie überprüfen «Soll–Ist»

Strategisches Controlling

Strategieumsetzung = Aktive Kulturarbeit Strategieumsetzung = Veränderungsmanagement Strategieumsetzung = Konsequente Führungsarbeit

Baustein Strukturen, Ressourcen, Prozesse…

Baustein Personal­ management

Baustein Information, Kommunikation

Strategieumsetzung «Ist»

Umsetzungsplanung und Gestaltung des Veränderungsprozesses


Innerhalb dieses Rahmens gibt es noch viele Fragen zu beantworten: Wie nun können die Umsetzungsplanung und der Veränderungsprozess gestaltet werden? Welche Methoden, Instrumente und Verfahren können in diesen Bausteinen eingesetzt werden? Im Sinne von: >> Wie stellt man das Thema der Strategieumsetzung ins Zentrum der ­Unternehmenskommunikation und löst einen Dialog zwischen den Beteiligten aus? >> Wie erfolgt eine systematische Abbildung der strategischen Überlegungen in den diversen Massnahmen des Personalmanagements? >> Wie fliessen die strategischen Konstrukte in die Strukturen, Ressourcen, Prozesse etc. des Unternehmens ein.

All das ist Inhalt der weiteren Manuale. Auch wenn wir nicht auf jede Frage die perfekten Antworten liefern können, so denken wir gerne mit Ihnen gemeinsam nach.

weiterführende fragestellungen

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6 literaturverzeichnis

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