Interview René Schmidpeter / Langfassung

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„DAS LINEARE WIRTSCHAFTSSYSTEM STÖSST SCHON JETZT AN SEINE GRENZEN“

WIRTSCHAFTSPROFESSOR RENÉ SCHMIDPETER ist auf nachhaltiges Management spezialisiert. Für den Beiratsvorsitzenden der Innos GmbH ist Osttirol eine Herzensangelegenheit. Wir sprachen mit ihm über das Pilotprojekt und den notwendigen Paradigmenwechsel hin zur Kreislaufwirtschaft, den brachliegenden Hochschulstandort Lienz und warum in der zirkulären Wirtschaft der frühe Vogel den Wurm fängt.

INTERVIEW: MARIAN KRÖLL

ECO.NOVA: Sie sind Beiratsvorsitzender der Innos GmbH. Wie beurteilen Sie das Pilotprojekt zur Kreislaufwirtschaft, das in Osttirol stattfindet?

RENÉ SCHMIDPETER: Kreislaufwirtschaft wird in der Wissenschaft häufig aus einer technischen Perspektive diskutiert, gewinnt aber derzeit auch in der wirtschaftlichen Ausbildung immer mehr an Bedeutung. Einer breiten Öffentlichkeit ist sie jedoch noch kaum bekannt. Das gilt es zu ändern – denn die Kreislaufwirtschaft hat nicht nur technische Voraussetzungen, sondern braucht ganz wesentlich auch eine betriebswirtschaftliche und vor allem gesellschaftliche Basis. Mit dem Mangel an Bekanntheit geht derzeit oft ein Mangel an Akzeptanz und Wissen einher. Hier spielt das Bildungssystem eine wichtige Rolle. Zudem gilt: Kreislaufwirtschaft ist nichts für Einzelkämpfer. Unternehmen können sie meist nicht isoliert umsetzen. Sie muss vielmehr in einen wirtschaftlichen Kontext, in ein funktionierendes regionales Ökosystem – sozusagen in einen passenden gesellschaftlichen Kreislauf – eingebettet sein. Es ist daher sicher gut, dass Osttirol als Pilotregion ausgewählt wurde. So können wir damit beginnen, unterschiedliche Unternehmen und gesellschaftliche Akteure in die Transformation der regionalen

Kreislaufwirtschaft muss folglich auf einem möglichst breiten Fundament aufsetzen, weil sie alle ökonomischen und sozialen Bereiche durchdringt?

Ja. Das wird in Osttirol so umgesetzt und ist Chance und Herausforderung zugleich. Aber nur so kann es funktionieren. Die Herausforderung liegt darin, dass in einem Transformationsprozess jeder Einzelne seinen jeweiligen Fokus und seine Rolle findet. Damit nicht alles – wie in einem babylonischen Stimmengewirr – im Ungefähren bleibt. Die Schulen waren in das Projekt eingebunden. Es stellt sich die Frage, ob sie ihrerseits die Kreislaufwirtschaft zukünftig in ihren Lehrplänen entsprechend berücksichtigen und aus eigener Motivation vorantreiben. Die Unternehmen haben einander besser kennengelernt und erkannt, dass es neue Geschäftsmodelle braucht, um die Chancen der Kreislaufwirtschaft zu nutzen.

Werden sie aus eigenem Antrieb die nachhaltige Transformation weiter vorantreiben?

Die Gesellschaft hat gelernt, dass die Kreislaufwirtschaft eine Antwort auf die großen sozialen und ökologischen Herausforderungen unserer Zeit sein kann.

Die Kreislaufwirtschaft kann eine Antwort auf die großen sozialen und ökologischen Herausforderungen unserer Zeit sein.

Wirtschaft mit einzubeziehen. Im Rahmen des Projektes lernen sich die Unternehmen wechselseitig aus der Perspektive der Kreislaufwirtschaft besser kennen. Denn was für den einen Produktionsabfall ist, kann für den anderen ein Wertund Werkstoff sein. So beginnt man auch in der Region damit, in regionalen wirtschaftlichen Kreisläufen zu denken. Zudem wird durch den Einbezug der Schulen damit begonnen, den zukünftigen Fach- und Führungskräften frühzeitig ein neues Mindset zu vermitteln, welches für den Erfolg am zukünftigen Arbeitsmarkt wichtig ist. Die gegenwärtige Transformation erfordert neues Denken in mehrerlei Hinsicht. Wir brauchen eine kurzfristige Strategie – innovative technische Lösungen und nachhaltiges Design –, eine mittelfristige – die Definition nachhaltiger Wirtschaftskreisläufe –, und eine langfristige – die Bewusstseinsbildung bei den jüngeren Generationen –, um uns gemeinsam von der linearen zu einer zirkulären Wirtschaft zu entwickeln.

Werden die Politik und die gesellschaftlichen Institutionen ihre Förderprogramme und die politischen Rahmenbedingungen entsprechend anpassen?

Der erste Schritt ist getan, es gibt aber noch einige Fragezeichen, was die langfristigen Wirkungen betrifft. Wir werden sehen.

Die Kreislaufwirtschaft steckt noch in den Kinderschuhen, es gibt noch mehr Fragen als Antworten. Wird die lineare Durchflusswirtschaft, die immer neue Ressourcen verbraucht, langfristig an ihre Grenzen kommen und Kreislaufwirtschaft irgendwann alternativlos werden?

Das lineare Wirtschaftssystem stößt schon jetzt an seine Grenzen. Die weitere globale ökonomische Entwicklung steht vor großen Herausforderungen. Wir emittieren zu viel, verbrauchen zu viel an Ressourcen und belasten die Umwelt mit zu vielen Schadstoffen. Das Ganze ist zu-

Wir emittieren zu viel, verbrauchen zu viel an Ressourcen und belasten die Umwelt mit zu vielen Schadstoffen.

Wir sind weltweit nicht auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft, im Gegenteil steigen immer mehr neue, aufstrebende Wirtschaftsräume in unser lineares Wirtschaftsmodell ein.

dem ein exponentiell ansteigender Prozess, den wir noch nicht annähernd durchbrochen haben. Weniger als zehn Prozent der Rohstoffe werden in Kreisläufen geführt. Wir haben insbesondere in den Schwellenländern weiterhin wirtschaftliches Wachstum, deshalb sinkt dieser Wert tendenziell global sogar. Wir sind weltweit nicht auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft, im Gegenteil steigen immer mehr neue, aufstrebende Wirtschaftsräume in unser lineares Wirtschaftsmodell ein.

Die Wirtschaftsräume bewegen sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. In bevölkerungsreichen Ländern wie Indien oder China entsteht eine breite Mittelschicht, die den westlichen Lebensstil inklusive Überkonsum imitieren will. Das ist nachvollziehbar. Es gibt tatsächlich eine zeitliche Verzögerung. Es ist umso wichtiger, dass wir in unseren entwickelten Wirtschaftsräumen Pionierarbeit für andere leisten. Mittelfristig bleibt uns nichts anderes übrig, als gemeinsam ein neues Konzept, eine neue Vorstellung von einer globalen Wirtschaft zu entwickeln. Die Kreislaufwirtschaft liegt als ein Lösungsansatz am Tisch. Sie würde viele ökologische Pro-

nach dem Greenhouse-Gas (GHG)-Protokoll, so wichtig. Diese Kategorie umfasst alle indirekten Treibhausgas-Emissionen aus Quellen, die das bilanzierende Unternehmen nicht besitzt oder direkt kontrolliert. Das ist eine ehrlichere und transparente Betrachtungsweise von CO2-Emissionen. Wir können nicht mehr einfach alle Emissionen ins Ausland verlagern und uns zu unserem vermeintlich niedrigeren CO2-Ausstoß gratulieren. Als Wirtschaftsprofessor bin ich sicher kein Globalisierungsgegner, aber die derzeitig einseitigen Wertschöpfungsketten schaffen hohe, asymmetrische Abhängigkeiten. Dadurch haben wir hohe Risiken und eine hohe Volatilität in unseren Geschäftsmodellen, die meist in der Unternehmensbewertung nicht eingepreist wird. Zudem gilt: Solange wir noch Güter produzieren, die nicht kreislauffähig sind, stellen wir heute den Müll von morgen her. Wir verlagern nur die Probleme in die Zukunft, auch wenn wir heute davon vermeintlich profitieren. Daher müssen wir schnellstmöglich damit beginnen, kreislauffähige Produkte zu entwickeln. Recycling alleine ist noch keine Kreislaufwirtschaft, aber bis eine funktionierende Kreislaufwirtschaft geschaffen wurde, müssen wir den Recyclinganteil wesentlich steigern.

Unser Wirtschaftssystem ist sehr stark auf den Wohlstand von zu Wenigen ausgerichtet.

bleme lösen und wirtschaftliche Effizienzgewinne ermöglichen. Wir wirtschaften derzeit alle noch sehr ineffizient, indem wir einen großen Teil der Ressourcen, die eigentlich Wertstoffe wären, heute einfach sorglos wegwerfen. Unser Wirtschaftssystem ist zudem sehr stark auf den Wohlstand von zu Wenigen ausgerichtet. Die stehen meist am Ende der Wertschöpfungskette und haben dadurch den größten Profit vom globalen Wirtschaftssystem. So ist es nicht fair, China den global größten CO2-Ausstoß anzulasten. Denn ein großer Teil davon wäre uns als Konsumenten zuzurechnen.

China ist unsere „verlängerte Werkbank“ geworden, wir haben den CO2-Ausstoß gewissermaßen delegiert. Ja. Deshalb sind auch in der Nachhaltigkeitsdiskussion die sogenannten „Scope 3“-Emissionen, der dritte und umfangreichste Geltungsbereich für die Emissionsbilanzierung

Würden Sie die Transformation hin zu einer Kreislaufwirtschaft als tatsächlichen Paradigmenwechsel sehen?

Vom sozialen Mindset her auf alle Fälle. Denn Konsument*innen müssen diese Produkte annehmen. Dafür gibt es aber immer mehr gute Gründe, die nicht nur, aber auch mit den Kosten zusammenhängen. Materialien, die teuer gekauft bzw. importiert wurden, wiederzuverwenden, ist nicht nur ökologisch, sondern vor allem auch ökonomisch sinnvoll. So werden aus früheren Abfällen plötzlich Wertstoffe, die dann auch bilanziell positiv zu Buche schlagen. Unabhängig von technologischen Innovationen wird es vor allem auch innovative Geschäftsmodelle brauchen. Dabei helfen auch neue Pricing-und Leasing-Modelle. Zudem darf die Kreislaufwirtschaft nicht nur auf ihre technischen Herausforderungen reduziert werden. Es braucht die stärkere Berücksichtigung sozialer und betriebswirtschaftlicher

Es hilft wenig, wenn wir in Osttirol Trostpflaster verteilen, man muss das Thema Bildung, Innovation und Unternehmertum immer mehr systemisch sehen.

Perspektiven, sonst wird die Umstellung mangels Akzeptanz und wirtschaftlicher Kompetenz nicht funktionieren. Verkaufe ich als Unternehmen das Produkt Auto, brauche ich anderes betriebswirtschaftliches Know-how, als wenn ich Mobilität als Service vermiete.

Ist es mit Gefahren verbunden, wenn man – gewissermaßen als First Mover – zu forsch in die Kreislaufwirtschaft drängt?

Es stellt sich die Frage, ob man tatsächlich als First Mover, sozusagen als Pionier vorne mit dabei sein sollte oder eher als Fast Follower, der andere machen lässt und dann aus den Fehlern lernt. Momentan nimmt die Transformation weltweit so rasant an Fahrt auf, dass man jedoch den Anschluss zu verlieren droht, wenn man nicht gleich mitmacht. Die Welt ist – auch dank KI – so schnelllebig geworden, dass man selbst als Fast Follower oft nicht mehr schnell genug ist, um seine Wettbewerbsfähigkeit zu halten. Osttirol hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten kontinuierlich nach vorne gearbeitet. Aber die nächsten Krisen stehen vor der Tür, daher kann man sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen. Erstes Ziel muss es daher sein, bei den großen Themen Digitalisierung, KI, Kreislaufwirtschaft und Design nicht von anderen Regionen abgehängt zu werden. In bestimmten Bereichen, in denen wir besondere Potenziale haben, sollten wir zudem versuchen, Pioniere zu sein. Es gilt dafür Cluster aus gleichgesinnten Unternehmen und Akteur*innen zu bauen, in denen eine positive Dynamik entstehen kann. Es gibt bereits einige Unternehmen, die sich in ihren jeweiligen Nischen und Märkten sehr gut behaupten. An der Stelle muss ich auch auf die Diskussion um den brachliegenden Campus Lienz zu sprechen kommen. Hier hätte man jetzt die Chance, mit der richtigen Themensetzung stark auf die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit der Region einzuzahlen. Mir geht es dabei darum, dass die Region das bekommt, was sie braucht, um die aktuellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen zu meistern. Es hilft wenig, wenn wir in Osttirol Trostpflaster verteilen, man muss das Thema Bildung, Innovation und Unternehmertum immer mehr systemisch sehen. Es gilt die universitäre Forschung und Lehre näher an die Unternehmen in der Region zu rücken. Es

gibt mittlerweile ein breit unterstütztes Positionspapier der Wirtschaftskammer und ich bin mir sicher, dass sich auch andere Entscheidungsträger*innen im Land und Bezirk für einen zukunftsfähigen Hochschulstandort in Osttirol aussprechen.

Was versprechen Sie sich von einem Campus Lienz, der ein maßgeschneidertes tertiäres Bildungsangebot für die Region und darüber hinaus anbieten könnte?

Ein solcher Campus könnte ein entscheidender Faktor im Gesamtkonzert sein, der dabei hilft, aus innovativen Einzelspielern ein Orchester zu formen, das im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gleichklang spielt.

Es gibt eine zunehmende Fülle von Regularien, welche die Wirtschaft nachhaltiger machen können. Fängt in der Kreislaufwirtschaft der frühe Vogel den Wurm?

Die Politik ist entschlossen, das Thema voranzutreiben. Wer vorne dabei ist, wird für notwendige Investitionen auch von politischer Seite die notwendige Unterstützung bekommen – nicht nur ideell, sondern auch finanziell. Das kann Unternehmen dabei helfen, Investitionen zu tätigen, die sonst aus den eigenen Cashflows so nicht darstellbar wären. Osttirol wird wahrscheinlich durch die Kreislaufwirtschaft nicht zur führenden Wirtschaftsregion der Welt werden – so viel Bescheidenheit muss sein. Aber Osttirol kann für Tirol und vielleicht sogar darüber hinaus als Pilotregion einen wichtigen Vorbildcharakter entwickeln. Im vielversprechenden Pilotprojekt zur Kreislaufwirtschaft hat man alle wesentlichen Stakeholder integrieren können. Die ersten Ergebnisse auf der Ideenebene sind vielversprechend, für die unternehmerische Ebene kann man das noch nicht abschließend beurteilen. Jedoch ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um zu überlegen, wie man diesen Prozess erfolgreich weiterführen kann. Die am Prozess Beteiligten haben A gesagt, jetzt heißt es auch B zu sagen. So könnte die Kreislaufwirtschaft in Osttirol langfristig gesehen einen regionalen Leitbildcharakter bekommen. Der Begriff ist dabei für viele Unternehmen aus wirtschaftlicher Perspektive konkreter als die oft unübersichtliche Nachhaltigkeitsdiskussion, unter der jeder gerne etwas anderes zu verstehen scheint.

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