Interview Anton Rieder/ Langfassung

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BAUTENFLAUTEN und Zukunftsvisionen

Wir haben mit Unternehmer und Bauinnungsmeister Anton Rieder die Situation in der Bauwirtschaft eingehend besprochen und sind Hinweisen nachgegangen, wie es weitergehen könnte. Die neue Normalität am Bau wird eine andere sein als die bisher bekannte. Um bestehen zu können, brauche es höhere Produktivität, geringere Fehlerkosten und mehr Standardisierung und Integration, argumentiert der erfahrene Unternehmer. INTERVIEW: MARIAN KRÖLL


ECO.NOVA: Die Vorzeichen am Bau haben sich gewandelt, das hängt wesentlich, aber nicht ausschließlich mit der Zinswende der Europäischen Zentralbank/EZB zusammen. Müssen sich die „klassischen“, auf ihr Kerngebiet fokussierten Bauunternehmen neu erfinden, um unter geänderten Rahmenbedingungen langfristig profitabel bleiben zu können? ANTON RIEDER: Langfristig ist das richtige Wort. Kurzfristig sehen wir einen deutlichen Markteinbruch. Es gilt jetzt, diese Schwächephase zu bewältigen und halbwegs vernünftige Ergebnisse zu erzielen. Für einige könnte es existenzbedrohend werden. Wir erwarten, dass es in zwei, drei Jahren wieder einen normalisierten Markt geben wird,

Bauvolumen aus. Im Wohnbau findet ein Strukturwandel statt. Das ist das erste Segment. Ein weiteres ist der öffentliche Bau, der natürlich von den öffentlichen Budgets abhängt. Es wird etwa durch Maßnahmen wie die Kinderbetreuung ab dem ersten Lebensjahr einen gewissen Baubedarf geben, genauso wie für Wohn- und Pflegeheime oder betreute Wohnformen. Das hängt unter anderem von den Ressourcen der Gemeinden ab, für die es finanziell auch enger wird. Der Gewerbe- und Industriebau hängt stark an der Konjunktur, aber auch am Strukturwandel in Branchen. Das heißt, der Hochbau steht insgesamt unter Druck. Beim Tiefbau ist davon auszugehen, dass dieser dauerhaft auf höherem Niveau laufen wird. Alles, was

„Für einige könnte es existenzbedrohend werden.“

der allerdings nicht mehr so ausschauen wird wie der, den wir gekannt haben.

War der Markt rückblickend betrachtet in den vergangenen Jahren überhitzt? Das war er sicher. Die Nullzinspolitik hat den Immobilienund Baubereich überhitzt, interessanterweise nicht zu unserem Wohle. Von außen mag es scheinen, dass die Bauwirtschaft viel Geld verdient hat. Das war allerdings nicht so, ich kenne die Ergebnisse in der Branche sehr gut. Diese waren nicht schlecht, standen jedoch in keinem Verhältnis zur Dynamik am Markt. Wie immer im Handwerk gilt: Wenn man zu viel zu tun hat, geht auch einiges schief. Besser wäre es gewesen, wenn sich dieses Bauvolumen über einen längeren Zeitraum erstreckt hätte und den Unternehmen dieser massive Einbruch erspart geblieben wäre. Das haben wir uns aber nicht aussuchen können, zumal die Entwicklung durch die Nullzinspolitik befeuert wurde. Die wurde von Staatenlenkern befürwortet, damit sie keine Reformen machen müssen. Wie wird die neue Normalität in der Bauwirtschaft nach dieser Schwächephase aussehen? Anders als die alte. Im Hochbau ist dauerhaft von einem geringeren Volumen auszugehen, weil der Wohnbau massiv einbricht, sich zwar erholen, aber nicht auf das alte Niveau zurückkehren wird.

Das hat aber mehrere Ursachen und liegt nicht nur an der Zinspolitik. Das liegt auch an der Demografie, am Bedarf, der nicht mehr ganz so hoch ist, am Bodenverbrauch und dem Trend zum Bauen im Bestand. Unsere Prognosen gehen dauerhaft von grob einem Viertel bis zu einem Drittel weniger

mit Energieinfrastruktur zu tun hat, wird zunehmen. Im Straßenbau gibt es große Unterschiede, im höherrangigen Straßennetz wird investiert, die Gemeinden werden vermutlich sparen. Eisenbahnbau und dergleichen sind Spezialdisziplinen, wo investiert wird. Dabei werden kleinere und mittlere Bauunternehmen vermutlich nicht zum Zug kommen. Kaum.

Auch nicht in Bietergemeinschaften? Nein. Dafür erfüllt man die Projektqualifikation meistens nicht. Da geht es höchstens um kleinere Begleitbauwerke, die allerdings üblicherweise mit den Hauptbauwerken ausgeschrieben werden. In diesem Bereich gibt es für die Tiroler Bauwirtschaft wenig zu tun. Das ist bei den Zulieferern, zum Beispiel Erdbewegern oder Gärtnern, besser. Das Baugewerbe bleibt dagegen außen vor.

Wir wollen der Politik nichts ausrichten, aber sehen Sie die Politik in Zeiten abgeschwächter Konjunktur in der Verantwortung, öffentliche Infrastrukturprojekte vorzuziehen oder zumindest nicht zu dilettieren, wie es zum Beispiel beim MCI-Neubau augenscheinlich passiert? Das MCI dürfte ein Spezialfall sein, wo mir keine Details bekannt sind. Die Optik ist tatsächlich eigenartig, die bekannt gewordene Kostenexplosion verwundert mich etwas. Insgesamt ist es gescheit, in konjunkturell schwächeren Phasen im öffentlichen Bereich Impulse zu setzen. Natürlich gibt es auch dort nicht unbeschränkte Mittel, aber wenn man beispielsweise ein Recht auf Kinderbetreuung einräumt, wäre es klug, die baulichen Ressourcen dafür zur Verfügung zu stellen. Dasselbe trifft auf den gemeinnützigen oder geförderten Wohnbau zu. Wir fordern, dass die Gelder aus den Rückflüs-


sen der Wohnbauförderungsdarlehen dafür genutzt werden sollen. In den letzten fünf Jahren wurden 300 Millionen Euro, die eigentlich dem Wohnbau zugutekommen sollten, für anderes verwendet. Diese Gelder hätten zweckgewidmet werden müssen, doch das hat man politisch verabsäumt.

Immerhin hat Tirol dieses Geld aus den Rückflüssen der Wohnbauförderung noch, anderswo in Österreich wurden diese verkauft, um nicht zu sagen verzockt. Wir haben in Österreich nach Vorarlberg die zweitbeste Wohnbauförderung und die Rückflüsse könnten uns helfen, die Konjunktur zu stützen und etwas mehr zu tun, nachdem gerade im geförderten Bereich durchaus Bedarf da ist und das Wohnen etwas leistbarer gemacht werden könnte. Nochmals zurück zur Einstiegsfrage: Sie gehen von einer vorübergehenden Delle aus. Heißt das, die Bauwirtschaft muss sich nichts einfallen lassen? Die Medien haben immer gerne schwarz und weiß. Ich mag die Graustufen. Natürlich gibt es Handlungsbedarf. Es wird eine Kapazitätsanpassung brauchen, weil das Bauvolumen

Da muss ich etwas ausholen: Mein Vater konnte 1975 in ein bestehendes Unternehmen einsteigen, das er übernommen hat. Von seiner Herkunft her war der Vater Hilfsarbeiter, Maurer, Polier, dann Baumeister und damit stark am Rohbau orientiert. Alles andere, Planung und GU-Geschäft (Generalunternehmer, Anm.), war nicht sein Thema. Er hat aus einem maroden Betrieb ein gutgehendes Unternehmen gemacht. Ich habe das Thema nicht von der Pike auf gelernt, sondern den theoretischen Zugang gewählt, von der HTL über die Universität. In der Bauindustrie habe ich das GUGeschäft und die Projektentwicklung kennengelernt und unser Wettbewerbsumfeld analysiert. Als ich 1999 übernommen habe, gab es noch viel mehr Mitbewerber, heute ist der Markt schon stark konsolidiert. Es gab starke Mitbewerber, die große Vorteile gegenüber unserem Unternehmen gehabt haben, weil sie eigene Betonwerke hatten, Deponien, Schottergruben und Fertigteilwerke. Ich habe gesehen, dass wir da nicht mithalten können, weil uns wichtige Wertschöpfungsbestandteile fehlen. Daher haben wir beschlossen, unsere Stärken auszuspielen, und die liegen nun einmal in der Projektentwicklung und der Dienstleistung. In einem

„Es wird eine Kapazitätsanpassung brauchen, weil das Bauvolumen sinkt. Diese Anpassung passiert sowieso, weil wir schleichend an Arbeitskräftepotenzial am Bau verlieren.“

sinkt. Diese Anpassung passiert sowieso, weil wir schleichend an Arbeitskräftepotenzial am Bau verlieren. Aus der Branche wandern mehr Leute ab bzw. gehen in Pension als neue dazukommen. Deshalb wird es keine große Arbeitslosigkeit am Bau geben.

Die Branche schrumpft folglich aufgrund natürlicher Abläufe von allein. So ist es. Unser Arbeitskräftepotenzial wird kleiner und unsere Produktivität passt sich einem neuen, etwas geringeren Bauvolumen an. Das passiert ohne großes Aufhebens, ohne Massenkonkurse und -entlassungen. Wir glauben, dass es zu keinen ganz großen Verwerfungen in der Branche kommen wird. Sie haben Ihr Unternehmen vor längerer Zeit diversifiziert und breiter aufgestellt. Man könnte auch sagen, Riederbau ist heute mehr als ein reines Bauunternehmen. Wie haben Sie das strategisch angelegt?

ersten Schritt sind wir ins Generalunternehmer-Geschäft eingestiegen, in einem weiteren ins Immobilien- und Bauträgergeschäft und im Zuge der Digitalisierung ins Building Information Modeling (BIM). Da können wir uns von einem Teil der Wettbewerber abheben und haben eine USP. Im Wesentlichen ist das Design and Build, bei uns sagt man Totalunternehmer, der Planen und Bauen aus einer Hand anbietet.

Sie haben als einer der ersten Bauunternehmer voll auf die Digitalisierung gesetzt und sich für den BIM-Ansatz* stark gemacht. Das wurde lange Zeit in der Branche als Nice-to-have betrachtet und nicht als Muss. Hat sich das erstens geändert und zweitens, macht es sich bereits bezahlt, dass Sie so früh auf diesen Zug aufgesprungen sind? Zumindest das Verständnis dafür hat sich geändert und auch der Anteil an BIM-Projekten nimmt zu. Es geht aber wesentlich langsamer vor sich, als wir uns das ursprünglich

*) Building Information Modeling (BIM) ist eine Planungsmethode im Bauwesen, die die Erzeugung und die Verwaltung von digitalen virtuellen Darstellungen der physikalischen und funktionalen Eigenschaften eines Bauwerks beinhaltet. Die Bauwerksmodelle stellen dabei eine Informationsdatenbank rund um das Bauwerk dar, um eine verlässliche Quelle für Entscheidungen während des gesamten Lebenszyklus zu bieten; von der ersten Vorplanung bis zum Rückbau.


erwartet haben. Das hat verschiedene Gründe, angefangen bei der kleinteiligen, fragmentierten Branche, unseren Zusammenarbeitsmodellen – bei jedem Projekt wird ein neues Team zusammengestellt –, der Komplexität der Software und Problemen beim Datenaustausch. Es entwickelt sich, allerdings unheimlich langsam. Vielleicht kommt irgendwann der Kippmoment, der der Technologie zu einem plötzlichen Durchbruch verhilft, den sehe ich aber momentan nicht. Es gibt vielleicht, um mit einer Analogie aus dem Softwarebereich zu sprechen, noch nicht die eine Killerapplikation, die mit BIM einen großen Produktivitätssprung ermöglicht, den man als Unternehmen nicht verpassen darf. Nein. Hat es sich für uns rentiert? Im Planungsbereich hat es sich sehr wohl rentiert, mit unserem System und unserem Planungsteam aus allen Fachdisziplinen – Architekten, Gebäudetechniker, Elektrotechniker, Tragwerksplaner und so weiter – sind wir sicher produktiver als andere, die mit konventionellen Planungsmethoden arbeiten. Dort haben wir einen gewissen Wettbewerbsvorteil.

Lässt sich dieser durch BIM-Methoden realisierte Produktivitätsvorsprung beziffern? Vorausgesetzt, dass es sich um dasselbe Planungslevel handelt, würde ich von einem guten Drittel ausgehen, um das wir Planungen günstiger anbieten können. Das war ein echter Vorteil. Ob wir vielleicht zu früh eingestiegen sind, kann man rückblickend sicher diskutieren, es ist uns jedenfalls kein Schaden daraus entstanden. Heute bauen wir als Dienstleister auch digitale Modelle bestehender Gebäude, bei Bedarf bauen wir auch CAFM-Systeme auf (Computer Aided Facility Management, Anm.), mit denen sich aus dem digitalen Zwilling noch mehr machen lässt. Außerdem können wir seit kurzem eine modellbasierte Ökobilanzierung machen, den CO2-Fußabdruck eines Gebäudes mittels Software genau berechnen. Wird dieser ökologische Fußabdruck bei öffentlichen Bauten zukünftig ausschreibungsrelevant? Derzeit ist man formal noch auf Ebene des Energieausweises unterwegs, aber mit der OIB 7 wird es ab 2027 etwas in diese Richtung geben. Eine Art Gebäudepass, der nicht nur den Verbrauch während des Betriebs, sondern auch die Errichtung mit einbezieht. Soll dann der gesamte Lebenszyklus eines Gebäudes samt Rückbau berücksichtigt werden?

In den ISO-Normen ist der gesamte Lebenszyklus abgebildet, in der Praxis nähern wir uns Phase für Phase an. Momentan ist die Errichtungsphase im Visier, die Betriebsphase ist mit dem Energieausweis bereits gut abgebildet, der Rückbau wird im Zusammenhang mit dem Thema Kreislaufwirtschaft interessant. Wir befassen uns bereits intensiv damit, aber der praktische Umgang damit liegt noch in einiger Ferne.

Bauen ist teurer geworden, für viele mittlerweile zu teuer. Das hängt einerseits mit den Zinsen, Material- und Arbeitskosten zusammen, aber auch mit den strengeren Finanzierungskriterien, wie sie etwa in der KIM-Verordnung festgelegt sind. Die Kredite sitzen nicht mehr allzu locker. Halten Sie die neuen Regeln für überschießend? Wir verstehen diese KIM-Verordnung überhaupt nicht. Der rasante Zinsanstieg in Verbindung mit den hohen Baukosten hat das ohnehin erledigt. Jetzt will die Finanzmarktaufsicht (FMA, Anm.) nicht das Gesicht verlieren, weshalb diese Verordnung noch eine Zeit lang bestehen bleiben soll. Die Verordnung ist sicher zu streng, sie trifft außerdem nur den Wohnungskäufer, den Mieter aber nicht, der theoretisch auch 70 Prozent seines Einkommens für das Wohnen aufwenden kann. Der Mieter ist ungeschützt, der Käufer wird dagegen vom Staat geschützt. Ich gehe davon aus, dass ein vollrechtsfähiger Staatsbürger imstande sein wird, die Risiken, die mit dem Kauf einer Immobilie einhergehen, richtig abzuschätzen. Außerdem verwahre ich mich dagegen, dass Institutionen, die dem demokratischen Zugang und der Kontrolle entzogen sind – nichts anderes ist die FMA – so weitreichende Entscheidungen ohne Verantwortlichkeit treffen können. Derartige Institutionen höhlen die Demokratie aus. Der Finanzminister lehnt sich zurück und sagt, er habe auf das Handeln der FMA keinen Einfluss. Das kann es ja wohl nicht sein! Da könnte man auch die Tiwag als Beispiel nennen. Inwiefern? Einerseits sagt man, es sei wichtig, dass wir als Tiroler den Landesenergieversorger selbst besitzen, andererseits sagt die Politik, sie könne der als Aktiengesellschaft organisierten Tiwag nichts anschaffen. Was wollen wir denn eigentlich? Wir sind Pharisäer, wenn wir Turbokapitalist und Staatsmonopolist zugleich sein wollen. Das ist das chinesische Modell. Das stört mich. Die Politik ist – das haben wir bei der Verstaatlichten Industrie in Österreich gesehen – kein besonders guter Unternehmer. Aber wenn

„Wir sind Pharisäer, wenn wir Turbokapitalist und Staatsmonopolist zugleich sein wollen. Das ist das chinesische Modell.“


wir schon einen Energieversorger im Landeseigentum haben, sollte in einer Präambel festgelegt werden, was der Hauptzweck dieses Landesunternehmens sein soll. Ist der Hauptzweck, die Bevölkerung mit günstiger Energie zu versorgen, ist dieser zu erfüllen. Das wurde aber nicht festgelegt. Außerdem haben wir eine Landesbank. Was ist der Daseinszweck dieser Landesbank? Man weiß es nicht. Dieser Rahmen gehört einmal sauber abgesteckt.

Bauen wird nicht billiger werden. Was kann Ihre Branche tun, um die Kostensteigerungskurve zumindest ein wenig abzuflachen? Bleiben wir zunächst beim Wohnbau, bei dem es drei große Kostenfaktoren gibt: Grund und Boden, Steuern und Abgaben und zuletzt die eigentlichen Baukosten. Bei den Steuern und Abgaben ist es eine gesellschaftliche Entscheidung, ob die Errichtung von Wohnraum gleich besteuert werden soll wie alles andere. Durchgerechnet haben wir dort eine Steuer- und Abgabenquote von 41 Prozent. Es stellt sich die Frage, ob das Grundrecht Wohnen nicht niedriger besteuert sein soll. Dafür gibt es Ideen. Der Skeptiker wird sich bei diesen Ideen die Frage stellen, ob die Bauwirtschaft steuerliche Vorteile in annähernd dem Umfang, in dem sie eingeräumt werden, auch weitergibt oder als netten Zusatzgewinn einbehält. Diese Befürchtung wurde in der Diskussion um die steuerliche Entlastung von Lebensmitteln für den Lebensmittelhandel artikuliert.

gesicherten Rechtsrahmen. Dadurch könnte die Bauwirtschaft mit ihren Kunden von der Norm abweichende Vereinbarungen treffen, ohne dafür haftbar gemacht werden zu können. Bei den Normen waren wir trotz unzähliger Inputs aus unserer Branche in den letzten zwei Jahrzehnten unglaublich unbeweglich. Wir sind auf taube Ohren gestoßen, weil man mit einer Aufweichung gewisser Normen immer irgendwem auf die Zehen steigt. Weniger Wärmeschutz, dann schreien die Grünen auf, weniger Barrierefreiheit bringt die Behindertenverbände auf die Barrikaden, weniger Brandschutz verursacht einen Aufschrei der Feuerwehren. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir uns etwas zurücknehmen müssen, sonst werden wir die Baukosten nicht auf ein normaleres Niveau bekommen. Die Bauwirtschaft ist doch in die Erstellung der OIBRichtlinien eingebunden. Zu wenig. Die Norm gibt nur den Stand der Technik wieder und ist an sich nicht verpflichtend. In der OIB wird auf gewisse Normen verwiesen, die dadurch verpflichtenden Charakter bekommen. Es gibt Normen, von denen wir abweichen können, die aber quasi Gesetz sind, weil sie mit Haftungsfragen verbunden sind.

Können Sie ein konkretes Beispiel für ein solches Bauen außerhalb der Norm nennen? Irgendwann ist es zur Norm geworden, unter der Duschtasse eine zweite Abdichtungsebene zu machen, weil es zu ein paar wenigen Schäden gekommen ist. Das ist das Prinzip Hosenträger und Gürtel. Man sollte mit dem Kunden verein-

„Wir sind auf taube Ohren gestoßen, weil man mit einer Aufweichung gewisser Normen immer irgendwem auf die Zehen steigt.“

Das ist schwer vorherzusagen. Man könnte auch nur jene Komponenten hernehmen, die der Kunde ausschließlich selbst an den Staat bezahlt, und dort gezielt entlasten. Zum Beispiel bei den Erschließungskosten oder der Grunderwerbsteuer. Die Bauwirtschaft bliebe dabei außen vor.

Der dritte Kostenfaktor, das eigentliche Bauen, liegt dagegen in der Hand Ihrer Branche. Da gibt es wiederum Komponenten, die wir beeinflussen können, und solche, bei denen wir keine direkte Handhabe haben. Das hat mit Vorschriften, Normen und Vorgaben zu tun. Darüber können wir nicht entscheiden, das ist eine gesellschaftliche Entscheidung. Wir machen mit Partnern derzeit ein Projekt „Bauen außerhalb der Norm“. Dabei geht es darum, herauszufinden, wo man von gängigen Normen abweichen könnte, um das Bauen günstiger zu machen. Dafür braucht es aber einen

baren können, auf diese Abdichtung verzichten zu können, weil sie im Massivbau nicht unbedingt notwendig ist. Durch den Verzicht auf den Hosenträger bleibt immer noch der Gürtel übrig, und man spart bares Geld. Kunden sollten Derartiges selbst entscheiden können. Ähnliches gibt es im Feuchteschutz und in der Dachabdichtung. Man könnte damit im Unternehmergeschäft starten, unter Profis. Das würde auch wieder mehr Konkurrenz und Kreativität bringen, gewisse Dinge zu tun oder nicht. Noch ein Beispiel ist der Bewehrungsgrad einer Betonwand. Der hat aufgrund verschiedener Normen in den letzten Jahrzehnten massiv zugenommen und sich binnen dreißig Jahren verdoppelt. Früher wurde nach Traglast bemessen, heute bemisst man so, dass es keine Durchbiegungen und Risse gibt. Wer aber etwas größere Risse in Kauf nehmen kann, kommt mit weniger Bewehrung aus. Das ist letztlich nicht nur eine Kosten-, son-


dern auch eine Ressourcenfrage. Das macht es spannend, über das Bauen außerhalb der Norm zu reden.

Hat man die Bewehrung allein aus ästhetischen Gründen verdoppelt oder hatte die Industrie auch ihre Hände im Spiel? Mehr Eisen bedeutet mehr Umsatz. Natürlich. Die Industrie ist da immer mit dabei. Aber letztlich will ich nicht auf die Industrie oder die Politik zeigen, weil die Frage, wie wir bauen wollen, eine ist, der sich die ganze Gesellschaft zu stellen hat. In einem demokratischen System haben alle eine Mitsprache. Wir müssen uns überlegen, ob wir aus Kosten- und Ressourcenüberlegungen heraus nicht ein, zwei Stufen von diesem Level hinuntergehen, wie es anderswo üblich ist. Wir waren vor kurzem in Schweden. Dort sieht man das Bauen wesentlich lockerer als bei uns, und man lebt dort auch nicht schlecht.

Es gibt recht ehrgeizige Klimaziele, für deren Erreichung die energetische Sanierung des Gebäudebestandes eine große Rolle spielt. Hat die Bauwirtschaft erstens Interesse an diesem Geschäftsfeld und zweitens innovative Lösungen dafür parat? In der Vergangenheit wurde das Thema allgemein eher stiefmütterlich behandelt. Die Sanierung war bisher eher ein Stiefkind, weil wir im Neubau große Volumina zu bewältigen hatten. Der Neubau ist offen gesagt lukrativer. Wir wissen aber, dass sich die Situation ändert. Wir sind froh, wenn wir verstärkt in der Sanierung tätig werden können. Diese bietet vor allem für kleinere Unternehmen Chancen. Es braucht aber passende Rahmenbedingungen, vor allem im Hinblick auf Förderun-

Sinkende Produktivität wäre langfristig für jede andere Branche tödlich. Was ist die Ursache dafür? Ich kann nur mutmaßen. Einer der Gründe ist, dass es leider relativ wenig Forschung gibt. Uns sind die Leute verloren gegangen, die sich wissenschaftlich mit der Bauproduktivität auseinandersetzen. Man hat sich auf den Hochschulen eher mit Juristerei und Nachhaltigkeit beschäftigt und darüber auf das ureigenste Thema vergessen, die Produktivität. Es gibt kaum mehr Baubetriebsprofessuren. Ein anderer Grund ist der Faktor Mensch. Bei der Arbeitsproduktivität haben wir das Thema, dass wir andere Menschen nachbekommen als die, die jetzt in Pension gehen. Einsatzwille, Resilienz und so weiter waren offen gesagt in früheren Generationen stärker ausgeprägt als heute. Es ist am Bau letztlich immer noch der Hände Arbeit, die Produktivität schafft. Die Jugend ist im Schnitt außerdem weniger handwerksaffin als früher. Sie kraxelt nicht mehr auf Bäume, sondern wächst mit dem Touchscreen auf. Das tut gerade uns im Handwerk weh. Außerdem sind die heutigen Gebäude ungleich komplexer als noch vor wenigen Jahrzehnten. Wir müssen heute viel höheren Aufwand betreiben. Die Rahmenbedingungen, unter denen wir bauen, sind viel aufwendiger geworden. Nehmen wir das Thema Arbeitssicherheit auf der Baustelle. Das hat einen hohen Wert, ist hingegen produktivitätshemmend. Das Hauptproblem ist aber, dass wir immer noch dem Individualbau frönen. Heißt das, dass der Grad der Standardisierung am Bau zu gering ist? Das gibt es noch kaum. Jeder Architekt plant sein individuelles Wunderding, um damit Wettbewerbe zu gewinnen. Die

„Jeder Architekt plant sein individuelles Wunderding, um damit Wettbewerbe zu gewinnen. Die Handwerker dürfen das dann umsetzen, ohne dass in der Planung ein Gedanke daran verschwendet worden wäre, wie man optimal produzieren kann. Wir denken die Planung nicht von der Produktion her.“

gen. Es macht zwar derzeit den Eindruck, dass das Förderumfeld attraktiver wird. Man soll aber den Tag nicht vor dem Abend loben.

Sie haben die Normen als Kostentreiber identifiziert, für den Ihre Branche nichts kann. Was kann die Bauwirtschaft schließlich tun, um ihrerseits ein weiteres Ausufern der Baukosten einzudämmen? Wir können bei der Produktivität und den hohen Fehlerkosten ansetzen. Das sind unsere zwei großen Probleme. Die Produktivität ist meines Erachtens sogar rückläufig.

Handwerker dürfen das dann umsetzen, ohne dass in der Planung ein Gedanke daran verschwendet worden wäre, wie man optimal produzieren kann. Wir denken die Planung nicht von der Produktion her.

Das Modell „Plattenbau“ war aber schon sehr stark von der Produktion her gedacht und gilt heute nicht als erstrebenswert, ja sogar als hässlich. Der Plattenbau wird in diesen Debatten um industrielle Vorfertigung immer gerne angeführt, um Diskussionen darüber abzuwürgen.


Wie hoch sind die Fehlerkosten? Dazu gibt es gute deutsche Studien, die besagen, dass die Fehlerkosten bei 12, 13 Prozent des Bauvolumens liegen. Das ist Wahnsinn. Hauptursachen sind fehlerhafte Planung, fehlerhafte Bauleitung und fehlende Kommunikation. Genau diese vorbereitenden Dinge funktionieren nicht und führen zu teuren Problemen. Was ist der Ausweg? Die Produktion sollte in höherem Ausmaß in ein Werk verlagert werden, wo man unter industriellen Bedingungen Bauteile produzieren kann. Das macht aber nur Sinn, wenn man eine gewisse Standardisierung erreicht. Der zweite Zugang ist, die Ablaufprozesse zu standardisieren und über die Gewerke hinweg zu optimieren. Das kann man auch tun, wenn man individuelle Gebäude baut. Unterstelle ich, dass die Branche in der Struktur bleibt, wie sie ist, geht das vor allem über größere Integration. Bestes Beispiel dafür ist das hochintegrierte deutsche Bauunternehmen Goldbeck. Von den Architekten kommt dann häufig der Vorwurf, das sei „Plattenbau 2.0“. Das ist aber Polemik ohne viel Substanz. Im selbst erträumten Eigenheim wird’s mit der Standardisierung schwer. Damit könnte die Bauwirtschaft vor allem im Objekt- und Wohnungsbau punkten. Ja. Aus diesem Grund haben wir für uns ein Holzbausystem entwickelt, das eine Synergie aus Beton- und moderner Holztechnik darstellt. In St. Jakob in Haus können wir

Wand- und Dachelemente vorfertigen. Wir arbeiten mit einem Hybridbausystem, stellen ein Stahlbetonskelett mit Stützen und Decken aus Beton auf, schieben vorgefertigte Badmodule ein und montieren die fertigen Wandelemente. Dieses System ist hochflexibel und verbindet den Beton- mit dem Holzbau. Wir können damit Häuser im Niedrigstenergiestandard bauen und geben unsere Produktivitätsvorteile in der Planung an die Kunden weiter. Wir können im Unternehmen den Rohbau, den Holzbau, den Trockenbau, Malerarbeiten und Putzfassaden selbst herstellen, und ich würde noch gerne zwei, drei weitere Gewerke integrieren, vor allem Gebäudetechnik und Dachabdichtung.

Wann ist Ihnen klar geworden, dass eine Holzbausparte gut ins Unternehmen passen würde? Ich war immer ein wenig zurückhaltend, weil ich ganz offen gesagt kein Holzwurm bin. Zu mir sagen sie lieber Betoni. Ich bin nicht über den ökologischen Aspekt zum Holz gekommen, sondern über die Produktivität, über die Möglichkeiten in der Vorfertigung. Eine massive Wand kann ich nicht vorfertigen und transportieren, eine Holzwand sehr wohl. Wir können industriell vorfertigen, beherrschen aber auch den klassischen Holzbau. Wenn wir gleich von Beginn an im Planungsprozess ansetzen, können wir unsere Stärken und Produktivitätsvorteile am besten ausspielen.

ZUR PERSON: Als erfahrener Bauunternehmer weiß DI Anton Rieder Leidenschaft und strategischen Weitblick miteinander zu verbinden. Das spiegelt sich in der Entwicklung seines Unternehmens wider, in dem die Integration verschiedener Gewerke und die Digitalisierung als Weg zur Produktivitätssteigerung erkannt wurden. Rieder fungiert auch als Innungsmeister der Landesinnung Bau in der Wirtschaftskammer Tirol sowie als deren Vizepräsident.


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