eco.nova SPEZIAL Lifestyle Winter 2020

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PETERSBURGER HÄNGUNG Wer mit ein paar Kunstwerken nicht das Auslangen findet und mit wenig „Weißraum“ an den Wänden leben kann, dem sei die sogenannte Petersburger Hängung – oft auch Salonhängung genannt – anempfohlen. Diese opulente Art, Bilder aufzuhängen, rührt von der Sankt Petersburger Eremitage her, dem ehemaligen Sitz der russischen Zaren. Die dort aufgehängten Kunstwerke sind deckenhoch und eng aneinandergereiht. Die derart in Szene gesetzten Bilder entfalten miteinander eine besondere Wirkung, die sie für sich genommen wohl nicht hätten. Diese Art der Hängung kommt am besten bei großflächigen, weißen Wänden und hohen Räumen zur Geltung. Die eng aneinandergereihten Bilder sollten nicht zu symmetrisch sein, damit eine gewisse Leichtigkeit, ein Moment des Unperfekten im Perfekten, erhalten bleibt und das Gesamtkunstwerk nicht zu streng wirkt. Es empfiehlt sich zudem, eine Unter- und Oberlinie zu definieren, an der sich alle Kunstwerke orientieren. Das verhindert, dass die Aufhängung chaotisch wirkt. Was die Motive betrifft, sind dem eigenen Geschmack grundsätzlich keine Grenzen gesetzt. Auf die richtige Mischung zwischen Farben, Mustern und Rahmen kommt es an. Man sollte dennoch zu Rahmen greifen, die miteinander harmonieren. Prinzipiell gilt wieder einmal: Erlaubt ist, was gefällt!

Bilderfluten, die in immer höherer Auflösung und Bildwiederholfrequenz über unsere omnipräsenten TV-, Tablet- und Smartphone-Bildschirme huschen und dabei beim Betrachter nolens volens Stress erzeugen. „Wer im Museum vor einem Gemälde steht, ist froh, dass endlich einmal ein Bild still steht, auf dem sich der gehetzte Blick ausruhen darf“, bemerkte der österreichische Kunst- und Medientheoretiker Peter Weibel vor Jahren einmal. Auch zu den bisweilen obszönen Preisen, die am Kunstmarkt aufgerufen werden, hat er eine Theorie parat: Oligarchen wollten sich mit der Kunst Status kaufen. Es handle sich um Potenzgesten, wie es früher beim Kauf toller Autos der Fall gewesen sei. „Gelangweilte Milliardäre sammeln Kunst, um sich von ihren Ehe- und Midlife-Krisen abzulenken“, sagt Weibel. Und: „Die Milliardäre konkurrieren untereinander um die Bacons, Hirsts, Warhols, Richters, Koons.“ Diese Werke bleiben selbstredend dem Zugriff der ebenso breiten wie vergleichsweise armen Masse verschlossen, aber die Ablenkung an sich ist kein exklusives Vorrecht der Elite, darf sich doch der gelangweilte Mittelstandsmensch auch Kunst kaufen, die demselben Zweck dient. Nur eben um sehr viel weniger Geld. Der verbreitete Wunsch, ein Original, ein Einzelstück sein Eigen nennen zu dürfen, ist nachvollziehbar, und dass das auserkorene und angeschaffte Werk zum jeweiligen Raum passen darf, ja soll, ebenso naheliegend. Kunst schafft jedenfalls Atmosphäre, kann zum Nachdenken einladen, auch einmal provozieren, nur sollte sie, wenn man sich ihr täglich in den eigenen vier Wänden aussetzt, prinzipiell schon gefallen. Nachvollziehbar ist auch, dass für die Position „Kunstwerke“ in den Budgets der allermeisten Bauherren nur noch ein sehr geringer finanzieller Spielraum zur Verfügung steht, weil die Antworten auf hypothetische Fragen wie „Fenster oder Ölgemälde?“ oder „Waschbecken oder Aquarell?“ wohl immer zuungunsten Letzterer ausgehen würden. Bedürfnishierarchie, eh schon wissen.

SCHÖNE DEKOKUNST

Natürlich kann man, wenn man es sich leisten kann oder will, den Primat der Kunst vor der Einrichtung betonen und Zweitere an Ersterer orientieren. Das kann derart argumentiert werden, dass ein Kunstwerk langlebiger ist als ein Möbelstück und es zu dekorativ wirkt, die Kunst am Interieur auszurichten. Eine trennscharfe Abgrenzung zwischen Dekoration und Kunst vorzunehmen, gestaltet sich als unmögliches Unterfangen. Das Wichtigste, ja letztlich allein Ausschlaggebende ist, sich etwas an die Wand zu hängen, das einem auch gefällt, und nicht etwas, das nur dazu dient, bei Gästen Eindruck zu machen. In den eigenen vier Wänden gibt es zudem die Freiheit, sich in erster Linie nach dem eigenen Kunstempfinden einzurichten und nicht nach dem, was Experten als Kunst definiert haben. Und wenn jemand etwas zum hauptsächlich dekorativen Zweck aufhängt und nichts hineingeheimnissen, der Umgebung mittels Kunst etwas über sich selbst mitteilen oder den Wohnraum zum Darstellungsort der eigenen Psyche machen möchte, ist das auch völlig legitim. Und schön.


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