Der Herr der Sprossen
Ende der 80er-Jahrebeginnt der angehende Landwirt Frédéric Amstutz mit allerlei Saatgut im eigenen Badezimmer zu pröbeln. Mit Erfolg.1990 gründet er sein eigenes Sprossenunternehmen. Mittlerweile züchtet er Sprossen so natürlichwie kein anderer Anbieter.Ineinem umgebauten Sattelschlepperanhänger hochüber dem Thunersee.F&B hat den «Herrnder Sprossen» besucht.

Sanftwiegen sie sich im künstlich erzeugten Wind zu Chopins Klavierkompositionen. Hin und wieder wechselt das Programm und Frédéric Amstutz schaltet seinen CDPlayerauf Bienensummen oder auf das Tosen und Rauschen eines Wasserfalls.
Den jungen, zarten Sprossen von Frédéric Amstutz geht es wirklich gut. Ob die eingespielte Musik, das Summen und Plätscherndem Sprossenwachstum förderlich seien, weiss Frédéric Amstutz allerdings nicht. Ganz sicher ist er jedoch, dass seine nahezu naturidentische Produktion Topquali-
tätssprossen hervorbringt. Seit nunmehr 18 Jahren setzt der gelernte Landwirtauf Sprossen, Kräuter,Keimlinge, Pilze und essbare Blüten.
Die Produktion vonrund 15 Sprossensorten und vier Keimlingarten ist sein Hauptgeschäft. In Sigriswil, oberhalb des Thunersees, hat er neben
einer ehemaligen Scheune einen umgerüsteten, 15 Quadratmeter grossen Sattelschlepperanhänger platziert. Hier reihen sich auf Spannseilen unzählige, holzeingerahmte Keimunterlagen, auf denen innerhalb vonfünf Tagen die Sprossen heranwachsen. Rezente, würzige Sorten wie Alfaalfa, Rotkabis, Ra-
dies und Lauch, aber auch im Geschmack mildere wie Broccoli, Randen und Kohlrabi.
«Das Klima hier im Anhänger ist optimal», erzählt Frédéric Amstutz. Die Luftwird durch eine UV-Anlage gereinigt, die Feuchtigkeit ist exakt reguliert. Die Sprossen wachsen auf
einem natürlichen Nährboden heran und werden zwei- bis dreimal am Tag geduscht.
Frédéric Amstutz hat seine Sprossenproduktion bereits Anfang der 90er-Jahre patentieren lassen. «Andere Produzenten setzen auf das amerikanische System», so FredericAmstutz.

Warmdusche. Zwei- bis dreimal werden die Sprossen von Frédéric Amstutz in Sigriswil täglich von Hand gewässert.
Dabeiwerden Sprossen in Kunststoffzylindern oder Trommelnkultiviert. Eine elektronische Steuerung reguliert die Wasser-, Luft- und Wärmezufuhr und hält die Keimlinge in Bewegung. Bevordie Sprossenverkaufsfertig sind, werden sie gewaschen, trockengeschleudertund als Büschel verpackt.
Frédéric Amstutz hält vondiesem künstlichen System nichts. «Zu viele Nachteile. Die Sprossen sind mechanischen Belastungen ausgesetzt und sind nur drei bis fünf Tage lagerfähig. Statt in Büscheln abgepackt, liefere ich meine Sprossen in den holzeingefassten Keimschalen (2/3 GN-Norm) ab. Zudem wachsen meine Sprossen im Kühler langsam weiter und sind bis zu drei Wochen lagerfähig.»
Frédéric Amstutz gilt als Pionierder natürlichenSprossen-Grossproduktion. Noch während seiner LandwirtAusbildung Ende der 80er-Jahre pröbelt er im Badezimmer mit Gemüsesamen, ohne überhauptzuwissen, dass es so etwas wie Sprossen gibt. 1990 gründet er in Sigriswil «EsproSprossen» und investiertrund 250 000 Franken in eine klimatisierte Produktionsanlage. Optimistisch stimmte ihn damals eine Reise nach Dänemark.

Sprossenwald. Der Rezentamix (Alfaalfa, Rotkabis, Radies) wächst wie die anderen Sorten auf holzeingerahmten Unterlagen. Auf einem Rahmen wachsen rund 15 000 Sprossen (ergibt 1,5 kg Gewicht).
Dortzüchtet man seit 30 JahrenSprossen. Die Produzenten erzielen hohe Preise. Schlechtes Saatgut und Pilzerkrankungenmachen Frédéric Amstutz in den ersten Jahren einen Strich durch die Rechnung. «Die erste Zeit warzermürbend, manchmal dachte ich ans Aufgeben», erinnertersich heute. Sogar die landwirtschaftliche Forschungsanstalt der ETH Zürich warnte den Jungunternehmer: «Sprossen auf so engem Raum zu kultivieren, funktioniertnicht.» Mitte der 90erJahre dann der Durchbruch. «Ich be-

Beliebt bei «Dampfschiff»-Gästen in Thun. Zander mit Zwiebelsprossennudeln, Frühlingszwiebeln, Kapern, Senfkeimlingen und Red Power (Radies rot) sowie Green Power (Radies grün).
Gesamtumsatzes erwirtschaftet er in dieser Branche. Trotz wachsender Konkurrenz und Dumpingpreisen,mit denen Billiganbieter Kunden ködern, steigtder Umsatz des Sigriswiler Qualitätsunternehmens seit Jahren kontinuierlich. Nicht nur der einzigartige Geschmack, auch die gesundheitlichen Vorteile vonSprossen haben sich mittlerweile herumgesprochen.
In den jung keimenden Pflanzen vereinen sich viele Vitalstoffe:

Kalte Vorspeise. Schweinefilet mit Rezenta-Mix (Alfaalfa, Rotkabis und Radies) und ein Sojadressing. Laut Michael Schürch lassen sich Dressing und Sprossen auch mit Crevetten kombinieren.


kam besseres Saatgut und optimierte meine Anlage, sodass ich endlich TopSprossen produzieren konnte», so Frédéric Amstutz. In dieser Zeit begannen er und seine vier Mitarbeiter in der Gastronomie für Sprossen zu werben. Alfaalfa, eine besonders eiweisshaltige Luzerne, sowie Radies und Rettich verkauften sich am Anfang vorallem in der Gourmet-Restauration am besten
Heute, gut dreizehn Jahre später, zählt FrédéricAmstutz schweizweit 350 Gastrokunden. 70 Prozent seines
Enzyme, Aminosäuren, Vitamine,ätherische Öle und Chlorophyll. Für jedermann ein natürlicher Zuwachs an Kraftund Energie.
Grossabnehmer bei Frédéric Amstutz ist Vegi-König Rolf Hiltl. ZehnKilogramm Sprossen werden wöchentlich vonSigriswil an die Hiltl-Betriebe in Zürich und Winterthur geliefert. Pro Gastrobetriebsind es ansonsten im Schnitt eineinhalb Kilogramm Radiessprossen,Broccoli-, Alfaalfa- oderViolettasprossen.
Einer seiner treusten und laut Amstutz «kreativsten» Sprossenköche ist Michael Schürch. Zusammen mit seiner Frau führterdas beschauliche
Essbare Blüten. Das Sortiment will Frédéric Amstutz in Sigriswil in den nächsten Jahren ausbauen.
Biedermeier-Restaurant Dampfschiff an der Schifflände in Thun. Seit Jahren setzt Michael Schürch seinen kulinarischen Schwerpunkt auf Gerichte aus regionalen Produkten. Pilze, frische Kräuter,essbare Blumen und vorallem Sprossen vonEspro aus Sigriswil gehören dazu. «Für mich sind Sprossen nicht nur wunderbare Garnituren, sondernauch herrliche Gewürze», erklärt Michael Schürch (siehe Bilder oben). Für Frédéric Amstutz ist Michael Schürch ein Glücksfall. «Er zeigtend-
Gastronomen Schürchµ. Ruth und Michael Schürch vom «Dampfschiff» in Thun verwenden Sprossen nicht nur als Garnitur
lich, wie man Sprossen unter warme Beilagen wie Reis, Teigwaren, Kartoffelstock oder auch Käsekuchen mischt und wie dabei die Sprossen ihren eigenen Geschmack noch intensivieren.»
joerg.ruppelt@gastronews.ch
Fotos: Christoph Läser
Espro Sprossen
3655 Sigriswil Tel. 033 251 36 65 www.espro-sprossen.ch