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Buchtipps

Jan Costin Wagner Sommer bei Nacht

Reinhard Kleist Knock Out!

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Simon Beckett Die ewigen Toten

 Im sechsten Fall für den forensischen Anthropologen Dr. David Hunter geht es um drei mumifi zierte Leichen, die in einem verlassenen Krankenhaus entdeckt werden, das abgerissen werden soll. Bei der Bergung der ersten Leiche werden die beiden anderen zufällig entdeckt, weil eine Decke des morschen Dachbodens einstürzt. Die Toten liegen in einer versteckten Kammer, deren Zugang zugemauert ist. Was hat das zu bedeuten? Und besteht ein Zusammenhang mit Drogengeschäften, die auf dem verlassenen Gelände vermutlich stattfi nden? Hier ist nicht nur die Expertise des Forensikers gefragt, um die Todesursache, den Zeitpunkt des Todes und Hinweise auf die Identität der Toten herauszufi nden, sondern auch sein kriminalistischer Spürsinn. Diesmal ist Dr. Hunter aber nicht allein mit dem Fall betraut, sondern es wird ein weiterer junger und ehrgeiziger Forensiker herangezogen, was anfangs zu einer Rivalität zwischen den beiden führt. Auch sonst verläuft die Suche natürlich nicht geradlinig, sondern es ergeben sich zahlreiche Ereignisse, die scheinbar nichts mit dem eigentlichen Fall zu tun haben. Dr. David Hunter zieht Schwierigkeiten und gefährliche Situationen an wie ein Magnet, so dass es stets neue Wendungen gibt. Zusätzlich zieht sich eine persönliche Geschichte Dr. Hunters aus einem früheren Fall durch das Buch, die aber hinreichend erläutert wird für Leser, die den betreffenden Band nicht gelesen haben. Das Ende ist wie in den vorherigen Fällen überraschend und nicht vorhersehbar. Nicht nur für Fans von Dr. Hunter ist das Buch ein Muss! Ingrid Müller-Münch

Simon Beckett: Die ewigen Toten. Wunderlich-Verlag, 2019 ISBN-10: 3805250029, 22,95 €.  Jan Costin Wagner pendelt immer schon zwischen den Genres und manch einer fragt sich: schreibt er Krimis oder Literatur „at its best“? Sein fi nnischer Ermittler Kimmo Joentaa hat ihn berühmt gemacht, wurde verfi lmt und in 14 Sprachen übersetzt. Jetzt schwenkt Wagner um. Gerade erschien der erste Band einer neuen Reihe, die diesmal in und um Frankfurt am Main spielt. Jan Costin Wagner lässt nicht nach, wird immer besser, vor allem aber auch immer aktueller. Flohmarkt in der Grundschule. Die Mutter des fünfjährigen Jannis schleppt Trödelsachen aus dem Auto, ist abgelenkt. Nur kurz, doch es reicht für eine Katastrophe. Denn genau in dem Moment lässt Jannis sich von einem riesengroßen Teddybären becircen, folgt dem Mann, der ihm das Kuscheltier hinhält und ihn damit lockt. Seitdem ist Jannis verschwunden. Lakonisch, fast wie nebenbei beschreibt Jan Costin Wagner die sich dramatisch zuspitzenden Umstände, die inneren Widersprüche der Polizisten, die kaputten Leben eigentlich aller an diesem Drama Beteiligten. Da hat jeder seine Fantasien, seine Lebensträume, seine zerstörten Hoffnungen und dunklen Seiten. Wirklich jeder. Und bange wird einem bei dem Gedanken, dass das Leben des kleinen Jannis womöglich nicht mehr zu retten sein könnte. Kaum auszuhalten, wie Jan Costin Wagner die Spannung anheizt, ohne Hektik, ohne reißerisch zu sein. Wagner schafft dies durch eine traumwandlerisch treffend eingesetzte, geradezu poetische Sprache. Durch Andeutungen, Anspielungen und eine märchenhaft anmutende Fantasie. Ein Krimi von seltener Ruhe und Faszination. Dabei ist Wagner so nah dran wie nie zuvor an aktuellen tatsächlichen Geschehnissen. Und mischt sie mit leichter Hand zu einem ausgewachsenen Bestseller. Ingrid Müller-Münch

Jan Costin Wagner: „Sommer bei Nacht“. Galiani-Verlag, Berlin 2020, 312 Seiten, ISBN 978-3869712086, 20,60 €.  „Wie seltsam das ist… Ich töte einen Mann, und die meisten Leute verstehen das und verzeihen mir. Hingegen, ich liebe einen Mann, und so viele halten das für eine unverzeihliche Sünde.“ Emile Griffi th war ein begnadeter Boxer, mehrfacher Weltmeister im Welter-, Halbmittel- und Mittelgewicht. Mit 310 Runden hält er bis heute den Rekord in geboxten Runden in WM-Kämpfen. Und er war schwul. 1962 erlangte der Amerikaner traurige Berühmtheit, als er vor laufenden Fernsehkameras seinen Gegner Benny Paret derart hart traktierte, dass dieser ins Koma fi el und wenige Tage später verstarb. Im Vorfeld hatte dieser Griffi th mit homophoben Äußerungen verunglimpft. Die Geschichte des schwulen schwarzen Boxers, der während seiner Karriere Damenhüte entwarf und lieber Tischtennis-Profi geworden wäre, erzählt der Comic-Zeichner Reinhard Kleist nun in seiner neuen Graphic Novel „Knock Out!“. Einfühlsam lotst er den Betrachter durch die innere Zerrissenheit des Boxers, der keinem Macho-Klischee entsprach, indem er Griffi th einen Dialog mit dem getöteten Paret führen lässt. Sein Geist verfolgt ihn bis zu seinem eigenen Tod 2013. Reinhard Kleist, berühmt geworden durch seine Musikerbiografi en von Johnny Cash und Nick Cave, ist ein Meister der schwarz-weißen Tuschemalerei. Im Gegensatz zu den Musikerporträts sind in „Knock Out!“ die Zeichnungen fi ligraner. Eine klare Lichtdramaturgie und Kameraperspektive lassen die Boxkämpfe lebendig erscheinen. Man meint, bei einer Live-Aufzeichnung dabei zu sein. Der Stil erinnert an Comicstrips der 1950er und 1960er Jahre. Dabei zeigen die fein gesponnenen Gesichtszüge des Boxers seine Verzweifl ung, die mit jedem Jahr wächst. Am Ende, nach einem brutalen Überfall auf ihn, wirkt er wie ein depressives Monster. Diese Graphic Novel ist ein emotionales Ereignis, ein Schlag in die Magengrube. Spannend zu lesen wie ein guter Roman, bildmächtig und berührend. Jens Hüttenberger

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