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Spuren der Armut
Das Haus Im Ferkulum 29 (früher 15) in der Kölner Südstadt heute. An dieser Stelle befand sich einst das Marthastift.
Marthastift Köln –vom Mädchen zur Magd
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„Wir wollen stellenlosen und dienstsuchenden Mägden einen zeitweiligen, billigen, vor den Versuchungen der Großstadt schützenden Aufenthalt gewähren und sodann heranwachsenden Mädchen in den praktischen Arbeiten des häuslichen Lebens unterrichten und also zu einem selbständigen Broderwerb (sic) befähigen.“ (Aus dem Jahresbericht des Marthastifts/1888)
VON IRENE FRANKEN
Ende des 19. Jahrhunderts bildeten Dienstmädchen die größte Migrationsgruppe Deutschlands überhaupt! Immer mehr Mädchen und junge Frauen vom Land waren aus Armut gezwungen, sich einen Arbeitsplatz als Magd oder Köchin in der Stadt zu suchen. Hier arbeiteten sie für ihre Aussteuer und hatten in der Regel vor, in die Heimat zurückzukehren. Unzählige Mädchen kamen zunächst ohne Perspektive im Bahnhof an – viele Kölner Fabriken warben die billigen, weil ungelernten Arbeitskräfte sofort an und machten den Haushalten Konkurrenz, denn in der Industrie war zumindest am Sonntag und nachts arbeitsfrei. 1863 entwickelten rund 30 begüterte Kölnerinnen des Evangelischen Frauenvereins die Idee, ein Heim zu gründen, in dem die neu Zugezogenen den Umgang mit kostbaren Textilien erlernen konnten. Viele evangelische Damen hatten geklagt, die Provinzmädchen hätten nur sehr geringe Kenntnisse in Hausarbeit, auch fehle es ihnen an einer positiven Haltung zum Dienen. Da großbürgerliche Frauen wie sie keine juristischen Ämter annehmen konnten und kaum Fähigkeiten hatten, mit größeren Summen umzugehen, übernahm ein Komitee aus Unternehmern und Juristen die Verwaltung und später die Vereins Gründung.
Wurde anfangs nur ein kleines Heim für 10-12 Mädchen intendiert, wurde dann doch für 24.000 Mark ein großes Haus erworben. Das Kölner Marthastift – benannt nach einer Zeitgenossin von Jesus, die ihn in ihrem Haushalt bewirtete - eröffnete 1865 seine Pforten. Standort war ein Viertel mit vielen Fabriken mit Frauenarbeitsplätzen, die Südstadt. Im Ferkulum 15 (später war es Hausnummer 29) lautete die Adresse.
Das Heim diente einerseits als sogenannte Mägdeausbildungsstätte, dazu nahm man Aufträge an, an denen die jungen Frauen im Haus Waschen, Bügeln und Nähen übten – ein Bleichplatz war ja vorhanden. Zudem bestand die Möglichkeit, Lesen, Schreiben und Rechnen zu lernen. Dem Heim wurde schließlich eine Stellenvermittlung angedockt durch die zahlreiche junge Frauen in den Kölner Arbeitsmarkt vermittelt werden konnten. Man weiß, dass 1889 schon insgesamt 4.230 Frauen vorübergehend oder über einen längeren Zeitraum das Marthastift als Sprungbrett zu nutzen wussten.
Irene Franken, geboren 1952 in Düsseldorf, ist Historikerin, Publizistin und Mitbegründerin des Kölner Frauengeschichtsvereins. Im Jahre 2017 wurde sie mit der Alternativen Ehrenbürgerschaft in Köln ausgezeichnet.