DETAIL 09/2014 KONZEPT Versammlungsräume · Assembly Spaces · Salles de réunion

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2014 ¥ 9   Konzept   ∂

Versammlungsräume – von den Ursprüngen zur Multifunktionalität Places of Public Assembly – From the Origins to Multifunctionality Andreas Gabriel

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Wie Höhlenmalereien aus prähistorischer Zeit belegen, waren bereits die ersten Schutzräume der Menschen Versammlungsräume, die auch dem Informationsaustausch dienten und frühen Kulturleistungen Raum boten. Nach der Sesshaftwerdung seit Beginn des Ackerbaus entstand mit zunehmender Verfeinerung der Siedlungsstrukturen bald das Bedürfnis nach besonderen Räumen für größere Versammlungen. Seither finden sich in so gut wie allen Kulturen besonders ausgewiesene Orte und Bauten für die Zusammenkunft. Versammlungshäuser traditioneller Kulturen geben bis heute Aufschluss über grundlegende räumliche Zuweisungen innerhalb einer sozialen Gemeinschaft. Manche der einfachsten Formen haben sich bis heute erhalten. In einigen Regionen Afrikas etwa werden bis in unsere Zeit niedrige strohgedeckte Schattendächer als Versammlungsorte genutzt. Versammlungshäuser traditioneller Gesellschaften stärken die Gemeinschaft und ­können soziale Schranken überwinden, ­definieren aber andererseits die Menschen im Inneren gegenüber den »Außenstehenden«. Fast immer sind sie einzigartige Räume, sei es durch ihre Lage oder ihre formale Gestaltung. Das Versammlungshaus der

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­ ikrin in Amazonien steht auf »neutralem« X Boden in Dorfmitte, umringt von den Wohnhäusern der einzelnen Clans (Abb. 1). Aller symbolischer und materieller Austausch findet über das Versammlungshaus statt, das die sozialen Vorgänge innerhalb des Dorfkreises vereint. Unter den traditionellen Männerhäusern der Dorfgemeinschaften auf Papua-Neuguinea finden sich bis zu 30 Meter hohe Gebäude, deren außerordentliche Konstruktion den besonderen Stellenwert verkörpert, der dem gemeinschaftlichen Handeln und der Zusammenkunft zugewiesen wurde (Abb. 2). Versammlungsräume als Stadtbausteine Auch wenn es ein langer Weg war von den Ursprüngen der städtischen Zivilsation im vorderen Orient vor mehr als 5000 Jahren über die freien Städte Griechenlands, das antike Rom als Zentrum eines Weltreichs und die mittelalterlichen Städte bis hin zur Neuzeit und unseren heutigen, pluralistisch geprägten Städten – zu allen Zeiten treten innerhalb der Stadtstrukturen Orte und Gebäude hervor, die der Versammlung von Menschen dienen. Deren gesellschaftliche Bedeutung drückt sich meist durch ihre besondere Lage im Stadtgefüge und durch eine besondere Gestaltung aus. Eine schematische Darstellung des Grundrisses der ionischen Stadt Priene in Kleinasien zeigt, wie die Bauten für gemeinschaftliche Zwecke aus der Gleichförmigkeit der übrigen Struktur ausbrechen (Abb. 3). Giambattista Nollis Plan von Rom von 1748 bringt die Verflechtung öffentlicher Plätze mit den Innenräumen von Kirchen und Theatern und anderen öffentlichen Gebäuden besonders gut zum Ausdruck – ein Verständnis öffentlicher Räume, auf das aktuell wieder Bezug genommen werden kann (Abb. 4). Die heute verbreitete multifunktionale Nutzung von Versammlungsgebäuden findet sich bereits in frühen Epochen. So dienten die einseitig offenen Säulenhallen (Stoa), die vom 2. bis 4. Jahrhundert v. Chr. prägende Bestandteile der Heiligtümer und Agoren griechischer Städte waren, zunächst lediglich als Treffpunkt und Witterungsschutz, bis

auch Läden und Schreibstuben integriert wurden, etwa bei der Stoa des Attalos in Athen als zweigeschossige rückwärtige Ladenzeile (Abb. 5). Als eigenständiger, freistehender Baukörper war die Stoa fast immer zu einem Platz orientiert und so in ihrer Lage und Orientierung nicht autonom, sondern vom Umfeld bestimmt. Versammlungsgebäude gehörten in den freien Städten Griechenlands zu den inmitten der Wohnhäuser weithin sichtbaren Monumenten. Als unübersehbare Symbole entsprachen sie der hohen Bedeutung des öffentlichen Lebens gegenüber Privatem und drückten aus, dass die Stadt allen gehört. Auch wenn heute weniger Monumentalität als einladende Gesten wie großflächige Verglasungen zum angrenzenden Stadtraum dazu beitragen können, dass sich die Nutzer mit »ihren« Versammlungsgebäuden identifizieren, bleibt vor allem die schlüssige Verzahnung im Gefüge der umliegenden Bebauung sichtbares Zeichen, dass Versammlungs­ gebäude den Anwohnern dienen. Die Basiliken der Antike entstanden als große Prachtgebäude für Gerichtssitzungen, Handelsgeschäfte und Märkte. Die Ausformung des Bautyps erfolgte in römischer Zeit als mehrschiffige Anlage mit Umgängen und Apsiden. Nachdem Märkte immer ein wesentlicher Beweggrund für Versammlungen waren, oft auch Anlass von Stadtgründungen, verwundert es nicht, dass Markthallen die Epochen hindurch Pate standen für andere Gebäudetypen. So ist die Markthalle auch ein wesentlicher Vorläufer moderner Versammlungsstätten. Ein aktuelles Beispiel für die Einfügung eines Versammlungsraums in die Stadt, der ohne festgelegtes Programm sowohl für Märkte als auch für andere Veranstaltungen genutzt werden kann, stellt die Stadthalle in Gent von Robbrecht en Daem und MarieJosé Van Hee dar (Abb. 8). Ein mächtiges Dach bietet Witterungsschutz und fasst ­einen bevorzugten Raum, der ohne Wände größtmögliche Offenheit gegenüber dem ­öffentlichen Leben der Stadt bietet. Die Kerne der mittelalterlichen Städte Europas waren neben den großen Sakralbauten


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