modulbau. Planen und Bauen mit Raummodulen und vorgefertigten Elementen

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bau¾ modul

Planen und Bauen mit Raummodulen und vorgefertigten Elementen Erfahrungen aus der Praxis für die Praxis

corporate

1 EINFÜHRUNG

CONTAINER, MODUL, RAUMZELLE

Bauen mit vorgefertigten Raumsystemen 8

Günter Jösch

LEISTUNGSBILD UND HONORIERUNG

Planen und Bauen mit Raummodulen ist anders 20

David Meuer

MODULBAU UND BRANDSCHUTZ

Brandschutz im Raumzellenbau 26

Carl Richter, Andreas Plum, Georg Spennes, Benjamin Camps

2 WOHNUNGSBAU

FRITZ-KISSEL-SIEDLUNG IN FRANKFURT 130 Wohnungen im Bestand aufgestockt 40 Jakob Schoof

WOHNGEBÄUDE HELLO LENZBURG E izientes Hybrid-Modulsystem

48 für den Wohnungsbau

Jakob Schoof

PERSONALHAUS IN AMMERWALD Qualitätvoller Wohnraum

54 für Hotelangestellte

Jakob Schoof

STUDENTENDORF IN MALMESBURY Vertikal gesta elte Kuben

62 Sabine Drey

SPESSART-GÄRTEN IN ASCHAFFENBURG

Stadtvillen aus dem Modulbaukasten

68 Jakob Schoof

WOHN- UND GEWERBEBAU IN VALE DE CAMBRA Kostenoptimierte Mischnutzung

72 Jakob Schoof

WOHNANLAGE FÜR GEFLÜCHTETE IN GENF

Temporär für zehn Jahre

80 Sabine Drey

INHALT 2

3 BILDUNGSBAU

GYMNASIUM FRANKFURT NORD

Eine Übergangslösung mit Langzeitqualitäten 88

Alexandra Busch

KINDERTAGESSTÄTTE IN SPAICHINGEN

Neubau aus 63 Holzmodulen 96

Heike Kappelt

INTERVIEW

Das Prinzip Mehrweg: Schulen 102 in Holzmodulbauweise

Interview: Jakob Schoof

4 GESUNDHEITSBAU

MARIENHAUS KLINIKUM MAINZ

Aufstockung eines Krankenhauses 112

Thomas Jakob, Jakob Schoof

KRANKENHÄUSER IN KULMBACH, WINNENDEN UND STEINFORT

Aus eins mach zwei 120

Roland Pawlitschko

5 BÜRO- UND GEWERBEBAU

LUISENBLOCK IN BERLIN Vorzeigebauwerk in Rekordzeit

Julia Liese

SAP-BÜROGEBÄUDE IN WALLDORF

Bürogebäude in Stahl-Holz-Modulbauweise 138

Claudia Fuchs

HARZWASSERWERKE IN HILDESHEIM Mit Modulbauweise zum DGNB-Gold-Standard 146

Jakob Schoof

HOTEL JAKARTA IN AMSTERDAM

Ein Hotel als hybrider Holzmodulbau

152 Susanne Jacob-Freitag

INHALT 3
130
FAQ 160 Partner und Sponsoren 164 Autoren 166 Impressum 168

Modulbauweise neu entdeckt

Die Baubranche hat Nachholpotenzial: Im Vergleich der großen Wirtschaftszweige in Deutschland liegt ihr Industrialisierungsgrad deutlich unter dem Durchschnitt, die Rationalisierungsmöglichkeiten sind entsprechend groß. Nicht umsonst knüpfen sich große – auch politische – Ho nungen an die Vorfertigung und den Modulbau: „Wir werden durch serielles Bauen, Digitalisierung, Entbürokratisierung und Standardisierung die Kosten für den Wohnungsbau senken“, heißt es im Koalitionsvertrag der Bundesregierung von 2021. Das Vorhaben ist nachvollziehbar, will die Regierung doch künftig 400 000 Wohnungen pro Jahr neu errichten. Tatsächlich gescha t wurde 2023 ein Drittel weniger – rund 270 000 Wohneinheiten, Tendenz weiter fallend.

Lässt sich dieser Trend mithilfe von mehr Vorfertigung umkehren? Das modulare Bauen spielt vor allem dort seine Stärken aus, wo es schnell gehen muss und Kostensicherheit gefragt ist – und das ist am Bau bekanntlich fast immer der Fall. Weitere Vorteile hat die Baukostensenkungskommission des Bündnisses für bezahlbares Wohnen und Bauen 2015 in ihrem Bericht dargelegt: Just-in-time-Lieferung der Bauteile minimiert die Lagerhaltung auf der Baustelle. Durch die Verlegung der Fertigung in Werkshallen lässt sich der Baubetrieb ganzjährig aufrechterhalten. Typengenehmigungen beschleunigen mittlerweile auch den Genehmigungsprozess. Hinzu kommen ökologische Vorteile: Die Hersteller werben mit rund einem Drittel weniger Ressourceneinsatz und zwei Dritteln weniger Abfall als bei traditionellen Bauweisen – Zahlen, die angesichts der Zustände auf heutigen Baustellen zumindest nicht unglaubwürdig erscheinen. Überdies lassen sich die Module nach Ende ihrer Standzeit zumeist sortenrein zerlegen und erreichen so eine hohe Recyclingquote. All dies sind Gründe, warum immer mehr Akteure die Modulbauweise für sich entdecken. Der Spitzenverband der deutschen Wohnungswirtschaft GdW hat 2023 mit 20 Anbietern eine neue Rahmenvereinbarung für den kostengüns-

tigen Wohnungsbau geschlossen. Die modularen Gebäudekonzepte, die Bauherren dadurch zur Verfügung stehen, liegen mit ihren Baukosten größtenteils deutlich unter dem Marktdurchschnitt. Auch kommunale Bauherren, Logistikunternehmen und selbst der Deutsche Bundestag decken mit Modulbauten ihren wachsenden Raumbedarf. Ende 2021 ging an prominenter Stelle mitten im Berliner Regierungsviertel der Luisenblock in Betrieb – ein siebengeschossiger Neubau mit Abgeordnetenbüros, pünktlich fertiggestellt nach nur 20 Monaten Planungs- und Bauzeit und im Kostenrahmen von 70 Millionen Euro.

Der Luisenblock und zahlreiche weitere herausragende Bauten in diesem Buch zeigen, dass das Bauen mit Modulen keinen Verlust an Baukultur bedeuten muss. Vorausgesetzt, Architekten und Modulbauunternehmen arbeiten auf Augenhöhe zusammen und berücksichtigen gewisse Spielregeln. Welche das sind, verdeutlichen die Beiträge in diesem Buch: Detailliert erläutern unsere Autoren darin die Techniken und Planungsprozesse im Modulbau und geben Hinweise zu Zulassungsverfahren und Brandschutz. In den Projektberichten und Interviews beleuchten wir einzelne, außergewöhnliche Modulbauten näher, fragen Architekten nach ihren Erfahrungen mit der Bauweise und zeigen die gestalterische Vielfalt, die im Bauen mit Raummodulen heute möglich ist. Dabei liegt unser Fokus auf individuell geplanten, dauerhaften Modulbauten und nicht auf temporären Lösungen aus Mietcontainern. Denn obwohl Letztere sicher ihre Berechtigung haben, sind die konstruktiven und bauphysikalischen Unterschiede gravierend. Und trotz der Eile, die bei Bauvorhaben bisweilen herrscht: Allein mit fliegenden Bauten wird sich der Bedarf an Wohnungen, Büros, Gesundheits- und Schulbauten in Deutschland in den kommenden Jahren gewiss nicht decken lassen.

EDITORIAL 4
EDITORIAL 5 Jakob Schoof

Temporär für zehn Jahre

SabineDrey

Im kosmopolitischen Viertel rund um den Völkerbundpalast in Genf fällt die Flüchtlingsunterkunft im Rigot-Park als modularer Holzbau sofort ins Auge. Die ö entlichen Flächen um die beiden Gebäude nutzen sowohl die Schüler des benachbarten Collège Sismondi als auch die Migranten . Die Bauten sind aus der Not geboren, 370 Flüchtlingen möglichst rasch ein Dach über dem Kopf zu verscha en. Ein vorgefertigter Modulbau lag nahe, da sich nicht nur durch die schnelle Montage Zeit sparen ließ, sondern auch die Erstellung der Fundamente vor Ort und die Vorfertigung der Module zeitgleich stattfinden konnte. Es entstanden zwei parallele Riegel mit fünf Stockwerken aus 230 vorgefertigten Holzmodulen, die über Laubengänge erschlossen werden. Das Team von Acau Architecture entwickelte eine Konstruktion, die nach zehn Jahren demontiert und andernorts wieder aufgebaut werden kann. Lediglich

WOHNUNGSBAU / WOHNANLAGE FÜR GEFLÜCHTETE IN GENF 80
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Marcel Kultscher

1 Die Wohnanlage besteht aus zwei parallelen Riegeln mit 230 vorgefertigten Holzmodulen, die über Laubengänge erschlossen werden.

2 Lageplan, M 1:8000

3 Schnitt, M 1:750

4 Grundriss 1. Obergeschoss, M 1:750

5 Grundriss Erdgeschoss, M 1:750 4

1Hauswart 2Wartezimmer

3Besprechungsraum 4Teeküche

5Technik 6Kinderwagen

7Waschküche

8Lager 9 Büro 10Kinderzimmer

11 Mehrzwecksaal

12 Fitnessraum

13 Atelier

14 Unterrichtsraum

15Wohneinheit barrierefrei

16 Heizungsraum

17 Laden

18 Laubengang

19 Zimmer

20 Küche / Essen

1 3 2 6 4 5 78 3 9 9 10 12 13 1716 78 15 15 15 14 14 19 20 18 18 19 20 11 a a WOHNUNGSBAU 81
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die hölzerne Pfahlgründung wird im Boden verbleiben. Die Verwendung lokaler Holzressourcen war Bedingung für die Umsetzung. Gleich zu Beginn berechneten Förster und Sägewerke der Umgebung die verfügbare Menge von Eichenholz, das für die Fassade verwendet werden konnte. Das Planungsteam optimierte die Konstruktionsdetails, um den Holzverschnitt zu minimieren. So vereinheitlichte es die Dimension der sägerauen Holzbretter auf einen einzigen Querschnitt von 25 × 130 mm und entwickelte zwei Leitdetails für Geländer, Verkleidungen und die Schiebeläden.

Die rund 11,3 × 3 m großen Module mussten zudem sehr flexibel nutzbar sein, da die Bewohnerschaft sich ständig ändert und sich aus sehr unterschiedlich großen Gruppen zusammensetzt. Durch die Verbindung der Module mit Brandschutztüren entstanden Wohnungen mit einem bis sieben Zimmern, Küche und Bad, die sich nach Bedarf erweitern und verkleinern lassen. Die Küche kann in wenigen Stunden in ein Schlafzimmer umgewandelt werden, die Küchenzeile wird dafür ausgebaut und zwischengelagert. Für eine zukünftige Nutzung an anderer Stelle können die Module neu kombiniert werden.

Für Fundamente und Gebäudehülle wurden rund 3200 m3 zertifiziertes Holz verbaut. Da möglichst wenig Beton verwendet werden sollte, gibt es keinen massiven Kern und das Gebäude steht auf Holzpfählen. Wände und Decken, die innen sichtbar bleiben, bestehen aus tragenden Brettstapelelementen und die Bodenplatten aus Brettsperrholz. Die gedämmte Ständerkonstruktion der Fassade wurde innen mit Brettstapelplatten und außen mit Eichenholzlamellen verblendet. Die Raummodule selbst sind über verschraubte Bolzen miteinander verbunden. Im Untergrund verläuft zwischen den Pfählen eine hölzerne Techniktrasse als Fundament und horizontaler Verteiler für Heizungs- und Sanitärleitungen, die eine Polypropylen-Membran vor Feuchtigkeit schützt.

6, 7 Das Gebäude wurde fast gänzlich aus Holz errichtet. Die Bodenplatten der Balkone sind eine der wenigen Ausnahmen. Sie wurden aus Feuerschutzgründen als Betonfertigteile ausgeführt.

8 Schnitt und Grundriss Modul, M 1:100

WOHNUNGSBAU / WOHNANLAGE FÜR GEFLÜCHTETE IN GENF 82
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Enric Rovira (6), Marcel Kultscher (7)

1 Fassadenaufbau:

Stulpschalung Eiche 130/25 mm

Lattung 40/50 mm/Hinterlüftung 40 mm

PE-Folie schwarz

Wärmedämmung Holzfaserplatte 60 mm

Holzständer 100/180 mm dazwischen

Wärmedämmung Mineralwolle 180 mm

Brettstapelholz weiß gestrichen 100 mm

2 Wohnungstrennwand:

Brettstapelholz Lärche 120 mm

Gipsfaserplatte 2× 15 mm

Wärmedämmung Mineralwolle 50 mm

Gipsfaserplatte 2× 15 mm

Brettstapelholz Lärche 120 mm

3 Fußbodenaufbau:

Linoleumbelag

Brettsperrholz 120 mm

Gipsfaserplatte 2× 15 mm

Dämmung Mineralwolle 40 mm

Gipsfaserplatte 2× 15 mm

Brettstapelholz 100 mm

4 Sanitärmodul: Sandwichpaneel

PU-Kern mit PVC-Verkleidung

1 2 3 1 1 2 4 WOHNUNGSBAU 83 8

Eine Übergangslösung mit Langzeitqualitäten

AlexandraBusch

Im Schulbau setzt sich mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass Holz als Bausto gut geeignet ist, architektonisch ansprechende und inspirierende Lern- und Lebensräume zu schaffen. Solche attraktiven Schulhäuser müssen in deutschen Großstädten schnell realisiert werden, denn ein anhaltend hohes Bevölkerungswachstum in den Ballungszentren sorgt für deutlich gestiegene Schülerzahlen bei aktuell zu wenigen Schulgebäuden und einem gleichzeitig hohen Sanierungsrückstand. Eine mögliche Lösung für dieses Dilemma sehen städtische Bauämter seit einiger Zeit im Modulbau, genauer: im Holzmodulbau, denn dieser verspricht eine hochwertige Architektur, kurze Bauzeiten und eine gute Energiebilanz. Wenn schnell ein Schulhaus errichtet werden muss, weil das alte gerade saniert oder ein neues im Bau ist, entstehen daher in ganz Deutsch-

BILDUNGSBAU / GYMNASIUM FRANKFURT NORD 88
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1 Schmale raumhohe Fenster erzeugen eine ruhige Gebäudehülle, die zur einfachen Gebäudestruktur passt.

2 Lageplan, M 1:3000

3 Grundriss Erdgeschoss mit 3. Bauabschnitt, M 1:1000

BILDUNGSBAU 89
3
Brigida González

1 tragendes Deckenelement

2Bodenelement

3Stützen

4Stirnwandelement geschlossen

5Stirnwandelement mit Tür 6gedämmtes Außenwandelement

7Seitenwandelement

8gedämmtes Außenwandelement

land derzeit Ausweichquartiere aus im Werk vorgefertigten Raummodulen aus Holz. Solch ein Interimsbau befindet sich auch im Frankfurter Stadtteil Westhausen. 2018 bezog das Gymnasium Nord dort sein temporäres Zuhause, das Lernende wie Lehrende aufgrund seiner vielfältigen Qualitäten aber alles andere als ein Provisorium empfinden.

Schulcampus ganz in Holz

2016 führte die Stadt Frankfurt, vertreten durch das Amt für Bau und Immobilien, ein Vergabeverfahren mit integriertem Plangutachten für den neu zu scha enden Campus des Gymnasiums Nord durch. Die Schule war erst kurz zuvor für die nördlichen Stadtteile gegründet worden – als Antwort auf den auch in der Mainmetropole wachsenden Bedarf an hochwertigen Bildungseinrichtungen. Da der endgültige Standort des Gymnasiums damals nicht feststand, bestimmte die Stadt eine ehemalige Friedhofserweiterungsfläche im Bezirk West-

hausen als Grundstück. Ausgeschrieben wurden ein Schulgebäude, eine Mensa sowie eine Dreifeldsporthalle – jeweils zu errichten als Holzkonstruktion mit hohem Vorfertigungsanteil.

Vernetzt mit den umliegenden Stadtvierteln

Die Arbeitsgemeinschaft raumwerk & Spreen Architekten, bestehend aus dem Büro raumwerk Gesellschaft für Architektur und Stadtplanung aus Frankfurt und Spreen Architekten aus München, ging siegreich aus dem Verfahren hervor. Ihr Konzept fußt auf zwei wesentlichen Aspekten: „Wir haben einen Campus ganz in Holz, der städtebaulich entwickelt ist“, sagt Jon Prengel, Architekt und geschäftsführender Gesellschafter bei raumwerk. „Das bedeutet: In unserem Entwurf ist uns gleichermaßen wichtig, wie das Schulgelände mit den umliegenden Stadtvierteln verknüpft ist und wie wir Holz als vorgegebenen Bausto für die Konstruktion der drei Gebäude einsetzen.“ Eine breite Querachse verbindet die drei neuen Baukörper, ein

2 1 3 6 7 8 4 5 BILDUNGSBAU / GYMNASIUM FRANKFURT NORD 90 4 5

4 Montageprinzip

5 Modulaufbau

6 Isometrie der Gesamtkonstruktion

7 Die versetzt angeordneten Baukörper scha en klar strukturierte Außenräume für die Schulgemeinschaft.

BILDUNGSBAU 91
7
Brigida González
6

Aufstockung eines Krankenhauses

ThomasJakob,JakobSchoof

Ende 2017 schloss das damalige Katholische Klinikum Mainz (heute Marienhaus Klinikum) seine Dependance im historischen Hildegardis-Krankenhaus, um den Klinikbetrieb komplett am Standort An der Goldgrube zusammenzuführen. Dadurch entstand dort zusätzlicher Platzbedarf, der sich aufgrund der beengten Lage nur durch die Aufstockung zweier Bestandsgebäude beheben ließ. Da das zusätzliche Bauvolumen überwiegend Bettenstationen umfassen sollte, war auch die Nähe zum Hauptgebäude des Krankenhauses wichtig. Um die Erweiterung schnell und geräuschlos zu realisieren, entschieden sich das Klinikum und Sander Hofrichter Architekten aus Ludwigshafen für die Modulbauweise. „Wir

brauchten die zusätzlichen Flächen, die durch die Aufstockung entstehen, sehr schnell“, erklärt Jörg Eikamp, Leiter der Abteilung Organisationsentwicklung im Marienhaus Klinikum. „Dank der Modulbauweise konnten wir jeden Tag einen Baufortschritt sehen, der in konventioneller Bauweise nicht so schnell machbar gewesen wäre.“

Sander Hofrichter Architekten arbeiten schon seit 2006 für das Klinikum, bislang aber in konventioneller Bauweise. Erfahrung mit dem Modulbau hatten die Architekten schon bei anderen Projekten gesammelt. „Mit Raummodulen zu planen und zu bauen war für uns zwar nicht neu, doch mit Modulbauprojekten in dieser Komplexität

GESUNDHEITSBAU / MARIENHAUS KLINIKUM MAINZ 112
Lässig Film & Foto
1

1–3 Der zusätzliche Platzbedarf des Marienhaus Klinikums ließ sich aufgrund der beengten Lage nur durch die Aufstockung zweier Bestandsgebäude beheben. Der

und Größe hatten wir noch wenig Erfahrung“, sagt Martin Rieger, Mitglied der Geschäftsführung bei Sander Hofrichter Architekten. „Eine Aufstockung über zwei Bestandsgebäuden in nur eineinhalb Jahren von der Planung bis zur Übergabe des ersten Bauabschnitts zu realisieren, war eine sehr ambitionierte Herausforderung.“ Die Architekten hatten sich dabei hohe Ziele gesetzt – städtebaulich wie architektonisch. So realisierten sie das Gesamtgebäude im Energieeffizienzstandard KfW 70.

26 Millionen Euro investiert das Klinikum in die Aufstockung der beiden Bestandsgebäude, die jeweils drei zusätzliche Etagen erhalten haben. 95 m lang und 20 m breit ist der

Bereich dazwischen ruht auf schräg gestellten Stahlverbundstützen.

4 Lageplan, M 1:4000

GESUNDHEITSBAU 113
Lässig Film & Foto 4
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neue Gebäuderiegel, der sich aus 69 Stahlmodulen zusammensetzt. Die Gesamtfläche des Krankenhauses wächst dadurch um 10  % beziehungsweise 5600 m2

Modulbau mit komplexer Unterkonstruktion

Die gesamte Baumaßnahme war in zwei Bauabschnitte unterteilt. Im ersten Abschnitt kamen auf dem Dach des Bauteils 204 drei neue Etagen hinzu. Dieses Gebäude hatten Sander Hofrichter Architekten 2009 bereits mit der Absicht einer späteren Aufstockung errichtet. Sein Stahlbetonskelett war von vornherein auf die zusätzliche Traglast ausgelegt und auch das Treppenhaus ragte bereits auf die spätere Gebäudehöhe knapp unter der Hochhausgrenze empor. Auf dem Dach des Bestandsgebäudes nimmt nun ein 50 cm hoher Stahlträgerrost die Last aus den Stahlmodulen auf und leitet sie in die Bestandsstützen um. Ganze acht Monate dauerte es nach der Zusammenlegung der beiden Krankenhausstandorte, bis die Aufstockung dieses Bauteils in Betrieb genommen werden konnte.

Schwieriger gestaltete sich die Überbauung des Bauteils 400, das bereits aus den 1970er-Jahren datiert und unter anderem das zentrale Krankenhauslabor beherbergt.

Weil dieses keine Betriebsunterbrechung verträgt, schied ein Rückbau des Bestandsgebäudes aus. Die Architekten entschieden daher, den Bauteil 400 mit einer aufwendigen Konstruktion aus Stahlverbundstützen und -trägern sowie Stahlfachwerkträgern zu überbrücken. Dieser „Stahltisch“ trägt eine 35 cm starke Stahlbetonplatte, auf der die Module aufliegen. Der Zwischenraum zwischen den Fachwerkträgern dient darüber hinaus als Technikgeschoss. Hier ist die zentrale Lüftungsanlage für die Aufstockung untergebracht, hier und in der Ebene des Trägerrosts auf dem Bauteil 204 konnten auch die Haustechnikleitungen horizontal verzogen werden. Der Vorteil dieses Konzepts: In den Modulgeschossen reduziert sich die Leitungsführung überwiegend auf die vertikalen Steigstränge. Im Mai 2019 konnte schließlich auch der zweite Bauabschnitt seiner Bestimmung übergeben werden. Ein neuer, weithin sichtbarer Treppen- und Aufzugsturm vor dem Südende des Gebäudes bildet nun den baurechtlich vorgeschriebenen zweiten Fluchtweg für die Aufstockung.

Alle Innenräume erhielten eine moderne, freundlich helle und hochwertige Gestaltung: Im 3.Obergeschoss entstanden eine neue Palliativstation mit 11 Betten sowie die Geriatrie mit 42 Betten. Im 4.Obergeschoss wurden eine geriatrische Wahlleistungsstation mit 11 Betten sowie die zweite

GESUNDHEITSBAU / MARIENHAUS KLINIKUM MAINZ 114 5 6

5, 6 Schnitt und Grundriss, M 1:750

7 Baufortschritt: Gegenüber dem Bettenhaus wurden zwei bestehende Häuser der Klinik gebäudeübergreifend um drei Geschosse in Modulbauweise aufgestockt. Ein Bestandsgebäude erhielt eine Stahlbetontragkonstruktion mit aufwendiger Pfahlgründung, um die Statik sicherzustellen, das andere Gebäude einen 50 cm hohen Stahlträgerrost für die Lastverteilung der aufgesetzten Geschosse.

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Vorzeigebauwerk in Rekordzeit

Dass der Verwaltungsbau für den Deutschen Bundestag zum großen Teil aus gestapelten Holzmodulen besteht, sieht man ihm von außen nicht an. Hinter der spielerisch gestalteten Fassade aus Aluminium- und Glasfeldern könnte sich genauso gut ein gewöhnlicher Massivbau aus Stahlbeton verbergen. Auch für den Standort in Berlin-Mitte scheint ein vorgefertigter Leichtbau höchst ungewöhnlich, denn Beton und Stein sind dort die vorherrschenden Materialien. Vor dem Hintergrund, dass das Parlament nach der Bundestagswahl 2021 sehr schnell weitere Büroräume für Abgeordnete und deren Mitarbeiter benötigte, ist die Entscheidung für eine Holzmodulbauweise jedoch schlüssig. Diese fiel in einem Vergabeverfahren, bei dem die Bietergemeinschaft aus dem Projektentwickler Primus developments und dem Holzmodulhersteller Kaufmann Bausysteme mit einem Entwurf von Sauerbruch Hutton den Zuschlag erhielt. In dieser Konstellation hatten die drei Partner bereits 2018 das Studentenwohnheim Woodie in Hamburg als modularen Holzbau realisiert. Durch die vorgefertigte Bauweise konnte die Planungs- und Bauzeit extrem verkürzt werden. Nur fünf Monate nach dem Vergabeverfahren begannen die Arbeiten auf der Baustelle, weitere 15 Monate später war das Gebäude bezugsfertig. Die Baukosten betrug 70 Millionen Euro.

BÜRO- UND GEWERBEBAU / LUISENBLOCK IN BERLIN 130
Jan Bitter 1

1 Lageplan, M 1:10 000

2 Äußerlich weist nichts auf die ungewöhnliche Konstruktion des Luisenblocks hin. Die Holzmodulbauweise ist nur im Inneren der Büroflügel sichtbar.

BÜRO- UND GEWERBEBAU 131
2

Das neue Bürogebäude liegt im Regierungsviertel zwischen Spree und Stadtbahnviadukt neben dem Marie-ElisabethLüders-Haus, das ebenfalls als Verwaltungsbau des Bundestags dient. Angelehnt an dessen Kammstruktur haben die Architekten einen H-förmigen Baukörper mit sieben Geschossen entworfen, dessen Grundrissfigur zwei Höfe bildet. Während der südliche Hof als Zugang dient, ist der nördliche als Pausenbereich für die Mitarbeitenden konzipiert. Er wird durch eine gebäudehohe Glaswand von der angrenzenden Bahntrasse geschützt, die gleichzeitig den seitlichen Abschluss eines o enes Stahltreppenhauses bildet.

Massivholzmodule aus der Feldfabrik

Bis auf das Erdgeschoss und den mittleren Erschließungstrakt besteht das neue Gebäude vollständig aus aufeinandergestapelten Brettsperrholzmodulen, die die einzelnen Büroeinheiten bilden. Teilweise wurde je eine Seitenwand weggelassen, sodass auch doppelt so große Räume entstanden sind, die für Besprechungen und Gruppenbüros genutzt

werden. Die einzelnen Module wurden in einer eigens für dieses Projekt angemieteten Industriehalle in Berlin-Köpenick vorfabriziert – inklusive Fenster, Bodenaufbauten, Elektrik und Deckensegel. Nur die Sondermodule, die Sanitäranlagen und andere Spezialfunktionen aufnehmen, stammen aus dem österreichischen Hauptwerk von Kaufmann Bausysteme und wurden von dort nach Berlin transportiert. Für die mit einem Ausbaugrad von 85 % gefertigten Raummodule war eine extrem genaue Vorplanung nötig. Schon in einer sehr frühen Phase beschäftigten sich die Planer mit den Ausbaudetails: Mithilfe eines Prototyps im Maßstab 1:1 legten sie alle Materialien fest und stimmten die ausgewählten Produkte mit den beteiligten Herstellern ab. Dafür entfielen Umplanungen und Nachträge in der Ausführungsphase.

Innen bleibt das Holz der Module an den Wänden in Büros und Fluren sichtbar und verleiht den Räumen zusammen mit dem dunkelroten Teppichboden eine warme, freundliche Atmosphäre. Die farbigen Gläser vor den Ö nungsflügeln der Fenster geben den einzelnen Büros eine individuelle Note und tauchen die Innenräume je nach Farbe in ein gelbes, rötliches oder grünes Licht.

BÜRO- UND GEWERBEBAU / LUISENBLOCK IN BERLIN 132
Jakob Schoof
3

3 Blick in den südlichen Vorhof des Gebäudes. Horizontallamellen schützen die verglaste Eingangsfront vor direkter Sonne.

4, 5 Schnitte, M 1:750

6 Grundriss Erdgeschoss, M 1:750

7 Grundriss 1. Obergeschoss, M 1:750

1 Archiv 2 Büro

3 Besprechung /Gruppenbüro

4 Umkleide

5 Teeküche /Kopierraum

BÜRO- UND GEWERBEBAU 133 a a bb 2 1 4 5 2 3 33 3 2 1 1 4 4 5 55 3 2 2 2 2 3 2 2 3 3 2 33 6 55 3 2 2 2 2 3 2 2 3 3 2 33 7 aa 4 bb 5

Vorfertigung und Modulbau zählen zu den großen Ho nungsträgern im Bauwesen: Eine bessere Termin- und Kostentreue, eine höhere Ausführungsqualität und ein schnellerer Bauablauf sind nur einige ihrer Vorteile. Die Gestaltungsfreiheit moderner Systembauweisen steht konventionellen Baumethoden praktisch in nichts nach. Gleichzeitig unterscheiden sich die Planungs- und Bauabläufe im Modulbau deutlich von konventionellen Bauvorhaben. Das Buch „modulbau“ dokumentiert die aktuellen Entwicklungen im Bauen mit Raummodulen. Anhand von mehr als 15 Projekten aus den Bereichen Wohnen, Bildung, Gewerbe und Gesundheitswesen zeigt es, wie Modulbauten entstehen, welche Gestaltungsspielräume dabei bestehen und wie die Zusammenarbeit zwischen Bauherren, Architekten und Modulbauunternehmen funktioniert. Fotos, Grafiken und Gebäudepläne illustrieren die schrittweise Umsetzung der Entwurfsidee in die gebaute Realität. Einleitende Expertenbeiträge zu den Besonderheiten bei Planung, Ausschreibung und Vergabe sowie zum Brandschutz komplettieren das Praxishandbuch und machen es zu einer wertvollen Informationsquelle für Architekten sowie ö entliche und private Bauherren.

978-3-95553-595-7

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