Struktur und Natur. Holztragwerke

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HOLZTRAGWERKE

Struktur

Ed dition


Inhalt

004


FORSCHUNG UND TECHNIK 010 Multihalle Mannheim – die Macht des Temporären 016 Tragende Konstruktionen aus Laubholz 024 Experimentelle zweifach gekrümmte Gitterstrukturen

030 Praxisgerechte Holzbauplanung – gemeinsam mit Fachfirmen 036 Die integrale Stuttgarter Holzbrücke 042 60 Meter: Das höchste HolzhybridHochhaus der Schweiz

DÄCHER 052 060 066 076 084 090

Bogenschießhalle in Tokio Kapelle in Sayama Stadion in Nizza Sporthalle in Rillieux-la-Pape Werkhalle in Andelfingen Sport- und Freizeitbad in Surrey

100 108 116 124 134 142

Pfarrkirche St. Josef in Holzkirchen Delikatessengroßmarkt in Stuttgart Sportzentrum Heuried in Zürich Macallan-Destillerie in Aberlour Terminal 2 des Flughafens Mactan Halle 10 der Messe Stuttgart

HOCH- UND GESCHOSSBAUTEN 152 162 172 180

Wohnhochhaus in Heilbronn Konferenzsaal in Genf Theater bei Boulogne-sur-Mer International House in Sydney

190 Büro-Holzhochhaus in Risch-Rotkreuz 198 Holzhochhaus in Brumunddal 208 Schönbuchturm in Herrenberg

ANHANG 218 Autoren 220 Abbildungsnachweis

005

222 Projektbeteiligte 224 Impressum


Vorwort Jakob Schoof

Vorwärts ins Holzzeitalter

006


Zurück in die Zukunft – mit diesem Filmtitel aus den 1980er-Jahren ließe sich die Renaissance, die der Holzbau derzeit rund um den Globus erlebt, am ehesten beschreiben. Zukunftsträchtig machen den Holzbau vor allem ökologische Vorteile: Über seinen Lebenszyklus betrachtet, ist der Baustoff CO2-neutral. Holzkonstruktionen werden so zu einem Zwischenlager für ein Material, das sich nach dem Rückbau im Idealfall wiederverwenden und im schlechtesten Fall immer noch thermisch verwerten lässt. Stahl und Stahlbeton sind demgegenüber energieintensiv herzustellen; allein die Zementproduktion verursacht derzeit rund acht Prozent der weltweiten CO2Emissionen. In der Holzbau-Renaissance steckt aber auch ein gutes Stück „Zurück“. Der Technikhistoriker Joachim Radkau bezeichnet die Ära kurz vor der Industrialisierung in Deutschland als „hölzernes Zeitalter“. Für fast alles wurde der nachwachsende Rohstoff genutzt und gelegentlich auch übernutzt – für Gebrauchsgegenstände, Maschinen, den Haus-, Schiffs- und Wagenbau. Das führte zu einer erstaunlichen Kunstfertigkeit im Umgang mit Holz und einem hohen Wissensstand über seine Eigenschaften. Ähnliche Entwicklungen vollzogen sich in anderen waldreichen Regionen der Welt. Und selbst im 20. Jahrhundert, als Beton und Stahl das Holz mehr und mehr als Primärbaustoff ablösten, vollbrachten Ingenieure noch immer Meisterleistungen in der Holzbautechnik. 1908 entstand in Minneapolis das neungeschossige Lagergebäude Butler Square mit Tragskelett aus bis zu 60 cm dicken, massiven Douglasienholzbalken. 1934 errichtete die Deutsche Reichspost östlich von München den fast 160 m hohen „bayerischen Eiffelturm“, einen Rundfunk-Sendemast aus Holz. Knapp 40 Jahre später musste er wieder gesprengt werden, da er sich zu stark verformt hatte. Gemessen daran haben die heutigen Höhenrekordjäger noch ein Stück Weges vor sich: 85,4 m misst der Mjøstårnet, das derzeit weltweit höchste Holzhochhaus vom Sockel bis zur Oberkante seiner Pergola. Wir stellen das nördlich von Oslo gelegene Gebäude in diesem Buch ausführlich vor. Doch nicht die Sammlung von Superlativen hat uns bei der Zusammenstellung der Inhalte geleitet, sondern die Beobachtung, wie sich Holzkonstruktionen in immer mehr Bereichen des Bauens etablieren, und die Frage, mit welchen konstruktiven und regulatorischen Rahmenbedingungen der Holzbau dabei konfrontiert ist. Daneben werfen wir in diesem Buch einen Blick auf die Planungsprozesse im Holzbau und die technischen Entwicklungen, die den zeitgenössischen Holzbau möglich machen. Dazu zählt die Nutzung von Laubhölzern mit ihrer unübertroffenen Tragfähigkeit, aber auch die zunehmende Zahl von Verbundkonstruktionen, in denen Holz, Stahl und Beton ihren Materialeigenschaften gemäß optimal zusammenwirken. Denn auch das gehört zur Wahrheit im neuen Holzzeitalter: Holz ist nie das einzig verwendete Material. So gut wie immer sind Verbindungselemente, Zugseile, Stützen und Träger aus Stahl und oft auch massive Geschossdecken aus Beton erforderlich, um Holzkonstruktionen in puncto Spannweiten, Schall- und Brandschutz für heutige Aufgaben fit zu machen.

007


Text Eike Schling, Rainer Barthel

Experimentelle zweifach A

gekrümmte Gitterstrukturen A Gitterstruktur auf Basis asymptotischer Linien, gefügt in ausnahmslos rechten Winkeln aus geraden Buchenholzstreifen

B Multihalle in Mannheim Architekt: Frei Otto

024

ESSAY


Geschwungene Gebäudehüllen lassen sich heute leicht am Computer entwerfen. Gekrümmte Strukturen ermöglichen zudem eine räumliche und damit effiziente Lastabtragung nach dem Prinzip der Schalentragwirkung. Bei der Baurealisierung ist dann allerdings mit hohen Komplexitäten sowohl in der Planung, Herstellung und Konstruktion als auch in der Logistik zu rechnen. Im Forschungsprojek „Repetitive Gitterstrukturen“ an der TU München (TUM) befassen sich die Autoren mit der Geometrie und Konstruktion gekrümmter Flächen. Im Fokus stehen nicht die in ihrer Vielfalt und Beliebigkeit unbegrenzt erscheinenden, digital erzeugbaren Flächen, sondern spezielle geometrische Strukturen, die auf einfachen Elementen mit einer reduzierten Anzahl von Parametern beruhen. Es zeigt sich, dass diesen repetitiven Strukturen charakteristische Formgesetzmäßigkeiten zugrunde liegen, aus denen sich neue Möglichkeiten für das Entwerfen und Konstruieren ergeben. B

KONTINUIERLICH GEKRÜMMTE TRAGSTRUKTUREN Ansatzpunkt der hier beschriebenen Untersuchung waren die gebogenen Holzgitterschalen von Frei Otto (Abb. B). Diese nutzen die Elastizität der Bauteile, um eine kontinuierlich gekrümmte Gitterstruktur aus durchlaufenden, geraden Holzlatten zu schaffen. Es stellt sich die Frage, welche Abhängigkeiten zwischen der Krümmung und der Ausformung der Tragstruktur bestehen. Im Folgenden werden die geometrischen Eigenschaften von Kurven auf zweifach gekrümmten Flächen analysiert und daraus neue Potenziale für den Entwurf und die Herstellung gekrümmter Tragstrukturen mit durchlaufenden Elementen hergeleitet. KRÜMMUNG Der Begriff „Krümmung“ lässt sich am einfachsten anhand einer Kurve im Raum erläutern: Die Krümmung wird an einem bestimmten Punkt über den tangentialen Krümmungskreis bestimmt (Abb. C). Die Krümmung entspricht dem Kehrwert des Krümmungsradius (k = 1/r). Auch die Krümmung einer Fläche wird für alle Punkte einzeln bestimmt. Hierfür werden anhand senkrecht stehender Ebenen die Schnittkurven durch den Punkt erzeugt. Die beiden Schnittkurven mit der maximalen und minimalen Krümmung stehen senkrecht zueinander und legen die beiden Hauptkrümmungen k1 und k2 fest. Hieraus lassen sich die gaußsche Krümmung (K = k1 × k2) und die mittlere Krümmung (H = (k1 + k2) / 2) berechnen. Liegen die Krümmungsradien der beiden Hauptkrümmungen auf unterschiedlichen Seiten der Fläche, so ergibt sich eine negative gaußsche Krümmung. Man spricht dann von einer gegensinnig gekrümmten Fläche, wie zum Beispiel bei einem Pferdesattel. Liegen die beiden Krümmungsradien auf derselben Seite der Fläche, entsteht eine positive oder gleichsinnige Krümmung, wie sie etwa bei einem Fußball auftritt. Ist eine der beiden Hauptkrümmungen null, spricht man an dieser Stelle von einer einfachen Krümmung. Flächen mit konstanter einfacher Krümmung sind abwickelbar.1 Das bedeutet, sie lassen sich wie ein Stück Papier ohne Verzerrung oder Dehnung in die Ebene ausrollen. Bei einer Kurve auf einer Fläche kann an jedem Punkt ein Koordinatensystem aus Normalenvektor (z), Tangentialvektor (x) und Tangenten-Normal-Vektor (y) bestimmt werden. Verschiebt man dieses stets orthogonale Koordinatensystem (auch „Darboux Frame“ genannt) entlang der Kurve, so lassen sich dessen Rotationen um alle 025

EXPERIMENTELLE ZWEIFACH GEKRÜMMTE GITTERSTRUKTUREN


1

2

3

4

5

1365

1365

7280

306030

਽অ५‫ؙ‬4-M6‫ق‬L=165‫ك‬ 103 103

36 30 30 36 24 156

਽অ५‫ؙ‬2-M6 ५ঌ‫ش‬१‫ؙش‬12×50×120

র঎ঝॺ‫ؙ‬2-M10 b-b‫ؙ‬൰ં௕ ਽অ५‫ؙ‬2-M6 25 40

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60

਽অ५‫ؙ‬2-M6

1365

Axonometrie 1 Längsstab Zypressenholz 50/12 mm 2 Vertikalstab Zypressenholz 36/36 mm

3

056

BOGEN SCHIESSHALLE

4 5

Querstab Zypressenholz 50/24 mm Auskantung 50/36/6 mm Holzschraube M6

Schnitt Maßstab 1:100 Details Maßstab 1:20

ฮ‫ؙ‬24×50

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057

TOKIO (JP)


A

C

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BOGEN SCHIESSHALLE


059

TOKIO (JP)


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L) ique (H acoust ection de corr Zone

F

G

H

074

STADION

Appui néopréne Détail 8


PARAMETRISIERUNG Zur Bewältigung der geometrischen Herausforderungen setzten wir die Programme Rhino und Grasshopper ein. Gleichzeitig definierten wir zahlreiche Parameter, die es uns ermöglichten, die Dachform auch im weiteren Planungsverlauf präzise zu kontrollieren – zum Beispiel verglichen wir die Dimensionierung des Haupttragwerks und die Dachneigungen mithilfe des neuen parametrischen Modells mit den Dimensionierungskriterien der Sekundärstruktur und der Membranhülle. Großmaßstäblich betrachtet entsteht die Form der auskragenden Innenbögen aus der Lage der

Kurvenlinien und der auf ihr definierten Anzahl an Teilungen. Die Lage der Kurvenlinien gab auch jene Punkte vor, an denen das Dachtragwerk auf der Tribüne aufgelagert ist. Diese Parameter definierten somit die Anzahl der sich wiederholenden Elemente wie auch die Dachform und die Schnittstellen zwischen Dach und Auflagern. Auf kleiner Maßstabsebene wurden Parameter zur Bestimmung der Schnittfigur esetzt. Sie hatten Einfluss auf die statische Effizienz der Fachwerkträger, die Bezüge zwischen Primär- und Sekundärtragwerk sowie die Dachneigungen der Membranhülle.

MEMBRANHÜLLE Das Stadion zählt zu den ersten Bauwerken, die auf so großer Fläche (25 000 m2) mit einer dünnen einlagigen ETFE-Membran bedeckt sind. Da ETFE-Strukturen in Frankreich erst seit relativ kurzer Zeit angewendet werden, gibt es bisher keine Regelwerke, und auch die bestehenden Normen für textile Strukturen sind nur

E axonometrische Darstellung eines gewölbten Halbrahmens

F Stahlbauteile des Verbindungsknotens für die durchgesteckten Balken mit schlankerem Querschnitt

075

NIZZA (FR)

G Stahlbauteile des Verbindungsknotens für die Holzbalken mit größerem Querschnitt

eingeschränkt anwendbar. Stattdessen sind sie als Fassadensystem eingestuft und bedürfen der Zustimmung im Einzelfall. Für die hierfür erforderlichen Tests entwickelten wir eine Untersuchungsmethode zur Ermittlung der zulässigen Beanspruchung der ETFE-Membran bei zweiachsiger Verspannung.

H Verbindungsknoten für die Holzbalken mit größerem Querschnitt nach Montage der Holzbalken


1

2

3

4

1

5

6

7

Vertikalschnitt Dach und Fassade, Maßstab 1:20 1 Dachdichtung Kunststoffbahn PVC Wärmedämmung 160 mm Dampfsperre

Furniersperrholzplatte 22 mm; Dachsparren 170/70 mm dazwischen Akustikpaneel Holzwolle 25 mm 2 Fachwerkträger Obergurt 200/450 mm

082

SPORTHALLE

3 Querstrebe Massivholz 170/70 mm 4 Diagonalstrebe Brettschichtholz 180 mm 5 Fachwerkträger Untergurt

2× 90/720 mm 6 Schalung Douglasie 63 mm; Dreischichtplatte 19 mm Lattung horizontal 27/38 mm Lattung vertikal 38/38 mm

Abdichtung Holzwolle-Leichtbauplatte 35 mm Querbalken 360/140 mm dazwischen Wärmedämmung Strohballen in Holzrahmen

360 mm; OSB 18 mm Dampfsperre; Lattung vertikal 120 mm Dreischichtplatte Fichte 19 mm 7 Wärmedämmung PU 160 mm; Abdichtung Stahlbeton 360 mm


AUSSTEIFUNG Die horizontale Aussteifung der großen Halle wird durch diagonale Querstreben aus Massivholz erreicht, die zwischen den Sparren jeder Dachebene spannen. In der Vertikalen sind die Fassaden samt der inneren Rahmenkonstruktion durch stählerne Auskreuzungen mit Spann-

schrauben ausgesteift, um die Horizontallasten in den Stahlbetonsockel abzutragen. Die Fachwerktträger werden in Querrichtung durch Holzrahmen ausgesteift, die mit den Doppelstützen der Ostfassade verbunden sind. Die Stützenfußpunkte sind fest im Betonsockel eingespannt.

AUSSENWÄNDE Die insgesamt 2000 m2 opaker Fassade bestehen aus nichttragenden, 36 cm starken OSB-Kastenelementen. Diese wurden vorgefertigt und anschließend mit Strohballen gefüllt. F

G

F Verbindungsprinzip des in zwei Teilen gefertigten Fachwerkträgers Ansichten Träger Maßstab 1:50 Axonometrien

G Montage Doppelstütze auf Stahlkonsole Axonometrie Ansicht, Grundriss Maßstab 1:50

083

RILLIEUX- LA-PAPE (FR)

Beplankt sind die Wände beidseitig mit Dreischichtplatten – innen aus Fichte und außen aus Douglasie. Die vertikalen, 38 × 73 mm starken Leisten aus Douglasienholz verleihen den äußeren Wandoberflächen ein feines Relief.


Text

Paul Fast, Derek Ratzlaff

C

A

innere Kräfte nur in Fassadenebene

Auflagerreaktionen

45 m

55 m

B

2 1

094

SPORT- UND FREIZEITBAD


EIN UNKONVENTIONELLES TRAGWERKSKONZEPT Das weitgespannte hölzerne Hängedach des Grandview Height Aquatic Centre (GHAC) demonstriert das Potenzial von Holz als kostengünstigem, statisch leistungsfähigem und ästhetisch ansprechendem Material für den Bau von Schwimmhallen. Die Architekten regten an, eine Spannrichtung in Längsrichtung zu untersuchen, und wir waren diesbezüglich zuversichtlich, nachdem ein ähnlicher Ansatz bei einem früheren Projekt von Fast+Epp zu einer kostengünstigen Lösung geführt hatte. Für das GHAC schlugen wir ein schlankes und leichtes Hängedach mit „Seilen“ aus Leimholz vor. Nach anfänglicher Skepsis schlossen sich die Architekten diesem unkonventionellen Ansatz an, nachdem wir die Vorzüge von Holz unter Einfluss der hohen Luftfeuchtigkeit und der eingesetzten Chemikalien in Schwimmbädern aufgezeigt hatten. Die schlanke Hängekonstruktion umhüllt das Gebäudevolumen mit einer statischen Höhe von lediglich 300 mm. Erste Analysen führten rasch zur Einführung V-förmiger Mittelstützen zwischen den großen Becken, um Komplexität und Kosten der Gesamtstruktur zu minimieren. Zwischen diesen und je einer Reihe von sieben Stahlbetonpfeilern an den Gebäudeenden überspannen Paare von Leimholzprofilen mit einem Querschnitt von 13,0 × 26,6 cm (B × H) und 80,0 cm Achsabstand eine Weite von 55 D

A statisches System

E

B Stahlbetonstützen mit Fundamenten und Vorspannelementen Maßstab 1:400 1 Betonquerschnitt 675 × 1000 mm mit

095

bzw. 45 m. Auf diese „Hängeseile“ aus Leimholz ist eine doppelte Lage aus 12 + 16 mm dicken Sperrholzplatten befestigt. Randstreifen aus Stahlbeton fassen die Zugkräfte aus den Hängegliedern zusammen und übertragen sie in die Mittelstützen und äußeren Stützpfeiler. Plattenfundamente auf Höhe des Beckenbodens mit Auffüllung sichern die Pfeiler gegen Kippen. Ursprünglich hätte die in Querrichtung unterschiedlich geneigte Dachgeometrie zu 14 unterschiedlichen Radien der Leimholzprofile mit entsprechend hohen Produktionskosten geführt. Wir verfeinerten diese daher durch Anpassung der Längen der Leimhölzer so, dass derselbe Krümmungsradius für alle Profile eingesetzt werden konnte. Die tatsächlichen Hängelinien nach der Montage weichen etwas vom Kreisbogen ab und es entstehen geringe Biegemomente in den hölzernen Seilen. Differenzen von bis zu 10° zwischen der Sperrholzschalung und der waagerechten Oberseite der Leimhölzer in Querrichtung werden mit Passleisten ausgeglichen. Die Stahlrohrstützen der an das Dach anschließenden, bis zu 20 m hohen Fassadenstruktur sind perforiert und besitzen eine Doppelfunktion: Sie nehmen Windlasten auf und dienen zugleich als integrierte Zuluftverteiler. Hierdurch konnte der Innenraum weitgehend von Lüftungsrohren frei gehalten werden.

SURREY (CA)

Stabspanngliedern 6× Ø 46 mm 2 Betonquerschnitt 700 × 1200 mm mit Stabspanngliedern 6× Ø 66 mm

F

C Verformung bei ungleicher Lastverteilung

D–F Prinzip Dachtragwerk


G

H

3

≤10°

1

2

28

I

61

263

266

162

7

340

8

1 130 130

61 50 61

9

225

J

220

4

120

1

096

2075

280

280

5

120

6

SPORT- UND FREIZEITBAD


VERFORMUNGEN Hängestrukturen verändern ihre Form lastabhängig und sind besonders empfindlich gegenüber wechselnden, ungleich verteilten Lasten. Erste Berechnungen für ungleiche Schneelast ergaben bis zu 1200 mm vertikale Verformung. Zur Begrenzung wurden horizontale Verschiebungen des Stahlbetonstreifens über den mittleren V-Stützen in Spannrichtung durch aussteiffende Stahlprofilstreben in Fassadenebene und Kopplung mit einer inneren

Wandscheibe verhindert. Dadurch konnten die vertikalen Verformungen des Dachs auf 300 bis 400 mm verringert werden. Ziel war jedoch, diese bis auf die von einem erprobten gleitenden Fassadenanschluss zu bewältigende Größe von 200 mm begrenzen. Dies gelang durch die Reduzierung möglicher ungleichmäßig verteilter Lasten aus abrutschendem Schnee mit einem auf die Dachhaut aufgebrachten System aus Schneerückhalteschwellen.

WINDAUFTRIEB Die relativ leichte Holzstruktur besitzt nicht genügend Eigengewicht, um ein Abheben durch Wind zu verhindern. Zusätzliche Auflast wäre jedoch teuer und strukturell widersprüchlich, Abspannungen im Inneren mit Stahlseilen dagegen sehr unschön. Als Lösung dimensionierten wir die Leimholzelemente schließlich so, dass sie als flache, umgedrehte Druckbögen

auch möglichen Windauftriebskräften standhalten. Sie sind zudem schubfest mit der Sperrholzschalung verbunden, die dadurch als Flansch eines Plattenbalkens wirkt. Der Tragwerksentwurf weicht also durch eine gewisse Biegesteifigkeit der Struktur von einem rein zugbeanspruchten Hängedach ab und kann auch eine Lastumkehr bewältigen.

DYNAMISCHES VERHALTEN Lage, Orientierung und Form des Gebäudes ließen Windanregungen mit Frequenzen unter 1 Hz erwarten. Um Schwingungsrisiken zu vermeiden, sollte die Eigenfrequenz der Dachstruktur daher über 1,5 Hz liegen. Nachdem die zweidimensionale Berechnung der Hängestruktur eine Eigenfrequenz von 0,9 bis 1,0 Hz ergab, stieg der Wert bei Betrachtung als dreidimensional geschwungenes Dach mit Randfixierung und Vorspannung aus Eigengewicht auf 1,35 Hz.

Zusätzlich dämpfend wirkt die verklebte, 150 mm dicke Wärmedämmschicht. Zur Überprüfung wurden Messungen vor Ort mit Metronom und Beschleunigungsmessern im Zuge einer „Jumping-Party“ mit Testpersonen durchgeführt. Auf dieser Basis konnte schließlich eine Eigenfrequenz von 1,7 Hz prognostiziert und nachgewiesen werden, sodass die Balance aus Steifigkeit und Dämpfung des Dachaufbaus dynamisches Aufschaukeln verhindert.

AUFBAU UND VERBINDUNGSELEMENTE Der Aufbau musste schnell erfolgen, um das Holz vor Regen zu schützen. Die Länge der Leimhölzer war durch die Transportmöglichkeiten auf 25 m beschränkt. Die kürzere Spannweite benötigte daher jeweils eine Montageverbindung, die längere sogar zwei. Da Holzverbindungen auf der Baustelle aufwendiger auszuführen sind als Bolzenverbindungen von Stahl zu Stahl, bestehen die Verbindungselemente der Längsstöße aus 22 mm dicken G Bewehrungsführung Stützenkopf Maßstab 1:50

H Querschnitt Leimhölzer

097

SURREY (CA)

I Leimholzanschluss

J Montagestoß Maßstab 1:20

Stahlplatten, die jeweils zwei Paare von Leimhölzern mit insgesamt sechs Bolzen verbinden (Abb. J). Um starke Biegungen der langen schlanken Leimhölzer während der Montage zu vermeiden, wurde bei der kurzen Spannweite eine Lasttraverse eingesetzt und die lange Spannweite mit zwei Kränen montiert. Die Montage benötigte lediglich 15 bis 20 Minuten pro Leimholzpaar. Das gesamte Dach inklusive Sperrholzlage war in zwölf Tagen errichtet. 1 Leimholzprofil 266/130 mm 2 Leimholzblock alle 5 m 140/52/180 mm 3 Sperrholz verleimt 12 + 16 mm 4 Stahlblech verzinkt verschraubt

800/220/6,4 mm Bolzen Ø 25 mm Stahlblech 200/22 mm Bolzen Ø 57 mm Stahlblech 350/280/30 mm 9 Stahlblech 225/200/16 mm 5 6 7 8


aa

4

1

a

3

2

a

9 7 8 6 4 3 Schnitt Grundriss Maßstab 1:500 Lageplan Maßstab 1:3000

102

1 2 3 4 5

Kirche Kapelle Foyer Sakristei Glockenturm (Bestand) 6 Pfarrhaus (2. Bauabschnitt)

7 Pfarramt (2. Bauabschnitt) 8 Pfarrheim (2. Bauabschnitt) 9 Pfarrsaal (Bestand)

PFARRKIRCHE ST. JOSEF

1 5

2


Ein außergewöhnliches Holztragwerk prägt die Atmosphäre im Inneren der neuen Kirche St. Josef in Holzkirchen. Die Standsicherheit des 1962 entstandenen Vorgängerbaus war durch starke Baumängel gefährdet. Da eine Sanierung konstruktiv nicht möglich war, lobte der Bauherr einen Realisierungswettbewerb für die Überarbeitung des gesamten Pfarrzentrums und den Neubau der Pfarrkirche (400 Sitzplätze) mit Werktagskapelle (50 Sitzplätze) aus. Bereits die Auslobung enthielt den Wunsch nach einer Holzkonstruktion. Der siegreiche Entwurf bildet eine offen einladende Gebäudegruppe, die den bestehenden Kirchturm einbezieht. Kirche und Kapelle stehen sich in Form unterschiedlich großer, geneigter Kegelstümpfe mit elliptischem Grundriss und Oberlicht gegenüber. Ein flacher verbindender Vorraum schließt an die Sakristei und einen überdachten Weg zum nördlichen Teil des Pfarrzentrums an. Der Kirchenraum drückt mit zentral angeordnetem Altar ein zeitgemäßes Liturgieverständnis aus. Die kegelförmige, außen mit Holzschindeln bekleidete Gebäudehülle umgibt ihn als Dach und Wand zugleich. Das Oberlicht und ein flaches Seitenfenster differenzieren als ebene Schnittflächen die Geometrie der Grundform und beleben den über 20 m hohen Raum mit einer spannungsvollen vertikalen und horizontalen Lichtführung. Mit der Weihe der Kirche erhielt die Gemeinde einen Sakralraum mit besonderer Ausstrahlung. Seine Tragstruktur entstand in enger Zusammenarbeit von Architekt, Tragwerksplaner und Holzbaufirma. Andreas Gabriel

103

HOLZKIRCHEN (DE)


Text

Peter Mestek

A

B

C

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1

Ring

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4

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Fl. 40x 50

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Ring

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Ring

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245

Fl. 40x50

Fl. 10-40x50 Bl d=25 4

104

PFARRKIRCHE ST. JOSEF

157

157

157 710

157

40


ZWEI VERSCHIEDENE TRAGWERKE Obwohl Kirche und Kapelle beide die Form eines geneigten Kegelstumpfs besitzen, unterscheiden sich ihre Tragwerke deutlich. Die Hauptkonstruktion der Kapelle bilden in den Falllinien des Kegels verlaufende Brettschichtholzträger, die am First über einen biegesteifen Ring gehalten sind. Die Aussteifung des Systems erfolgt über eine außenseitige Beplankung aus Holzwerkstoffplatten. Im Bereich der großen Fensteröffnung, die erst in einem fortgeschrittenen Planungssta-

dium hinzukam, lagern die Träger nicht auf dem Fundamentring auf, sondern sind an einem blockverleimten parabelförmigen Bogenträger angeschlossen. Die horizontale Nachgiebigkeit des Bogens erforderte eine räumliche Betrachtung des Tragverhaltens für die Dimensionierung der Bauteile und deren Anschlüsse. In der Folge wurden in den Drittelspunkten der Träger Brettschichtholzringe, die transportbedingt biegesteif gestoßen sind, zur Stabilisierung des Haupttragwerks angeordnet (s. Schnitt aa).

HAUPTTRAGWERK DER KIRCHE Die Kirche selbst besitzt einen elliptischen Grundriss mit einem Durchmesser von ca. 34,5 m und weist eine Höhe von 21,6 m auf. Den oberen Abschluss der Konstruktion bildet ein geneigtes Oberlicht aus einem schlanken Stahlträgerrost. Die aufgelöste, sichtbare Schalenkonstruktion wird aus stabförmigen Brettschichtholzstreben erzeugt, die jeweils Dreiecke bilden und somit tragende und aussteifende Funktion übernehmen. Die Knotenpunkte der Dreiecke ergeben sich aus den Kreuzungspunkten der Falllinien des Kegels mit unterschiedlich geneigten Schnittebenen. Insgesamt entstanden somit ungefähr 350 Knotenpunkte, von denen in der Regel zwei die gleiche, gespiegelte Geo-

E

A Festlegung der Knotenpositionen

105

metrie aufweisen. Die in den Schnittebenen liegenden elliptischen Ringe sind einteilige, gebogene und mit biegesteifen Montagestößen versehene Brettschichtholzträger. Im räumlichen Berechnungsmodell wurden die diagonal verlaufenden Streben zunächst als gelenkig angeschlossene Fachwerkstäbe berücksichtigt. Da sie überwiegend druckbeansprucht sind, wurden sie anschließend zur Optimierung der Anschlüsse als reine Druckstäbe mit Stabausfall bei Zugbeanspruchungen modelliert. Die konstruktive Lagesicherung der Diagonalen erfolgt über regelmäßig angeordnete Stahlzugstäbe, die in den Falllinien von Ring zu Ring spannen (Abb. D).

F

B Detailschnitte Standardknoten Maßstab 1:20

C Vertikalschnitt Sonderknoten am Seitenfenster Maßstab 1:20

HOLZKIRCHEN (DE)

D Knoten mit Stahlzugstäben

E Standardeinbauteil Stahl

F Sondereinbauteil aus Furnierschichtholz Buche


A

B

1

2

C

3

A Am Fuß und Kopf der Holzstützen sind Stahlplatten zum Anschluss an den Stahlträger integriert.

B Die Deckenplatten aus Brettsperrholz sind an den Stirnseiten, wo sie auf dem Stahlträger aufliegen, ausgeklinkt.

C Die nichttragenden Außenwandelemente in Holzrahmenbauweisewerden im Werk vorgefertigt.

D Die Außenwandelemente werden zwischen die tragenden Holzstützen auf den Stahlträger gesetzt.

E Die Stahlträger sind auf Deckenhöhe in der Außenwand verborgen und minimieren die Verformungen.

F Innen dienen HEM 300 als Auflager für Stützen und Deckenplatten mit wirtschaftlichen Spannweiten.

158

WOHNHOCHHAUS

Horizontalschnitt Loggia Maßstab 1:20

4

1 Glattblech Aluminium 4 mm nasslackbeschichtet grau Fugenhinterlegung Aluminium; Hinterlüftung 82 mm dazwischen Unterkonstruktion Hutschiene


D

E

F

6

9

4

10

7 1

9 8

5

6

3

2 Sockelgeschoss: Stütze Stahlbeton 400/400 mm 3 Obergeschosse: Stütze Brettschichtholz Fichte 400/400 mm 4 Holzrahmenelement: Windsperre

159

Gipskarton 18 mm Holzständer 280/80 mm dazwischen Mineralfaser 280 mm Brettsperrholz Fichte 120 mm 5 Geländer Flachstahl

HEILBRONN (DE)

20/60 mm 6 Verbundfenster: ESG 8 mm in Aluminiumrahmen Sonnenschutzlamellen 20 mm Dreifachverglasung in Holzrahmen mit

Fensterfalzlüfter Uw d 1,0, g = 0,35 7 Fallrohr Dachentwässerung 8 Entwässerung und Noteinlauf Loggia DN 50 9 Entwässerungsrinne

10 Innenseite Loggia Aufdopplung Holzrahmenelement: Faserzement grau 8 mm; Lattung 40 mm Windsperre Gipskarton 18 mm Holzständer

140/80 mm dazw. Mineralwolle 140 mm


IMPRESSUM HERAUSGEBER Jakob Schoof

GESTALTUNG strobo B M, München (strobo.eu)

LEKTORAT Gabriele Oldenburg

REDAKTION Roland Pawlitschko, Charlotte Petereit

REPRODUKTION Repro Ludwig, AT– Zell am See

© 2021 DETAIL Business Information GmbH, München detail.de

Eine Vervielfältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Gren­ zen der gesetzlichen Be­ stimmungen des Urheber­ rechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätz­ lich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unter­ liegen den Strafbestim­ mungen des Urheberrechts.

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DRUCK UND BINDUNG Eberl & Kœsel GmbH & Co. KG, DE – Altusried-Krugzell PAPIER Luxoart samt 1,08-f. Vol. 115 g/m2 (Innenteil) Peydur Neuleinen 135 g/m2 (Einband) Bibliografische Information der Deutschen National­ bibliothek: Die Deutsche National­ bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deut­ schen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-95553-550-6 (Print) ISBN 978-3-95553-551-3 (E-Book)

Mit freundlicher Unterstützung von

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ANHANG


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