Wohnhäuser

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1939

FALLINGWATER 100

FRANK LLOYD WRIGHT FALLINGWATER  BEAR RUN, PENNSYLVANIA, USA

In einer immer stärker von Umweltbe­ wusstsein geprägten Zeit erscheint die geistige Größe und ästhetische Schön­ heit von Fallingwater mit der ihm inne­ wohnenden Sensibilität gegenüber ­Landschaft und Natur nur umso bedeut­ samer. Neben Le Corbusiers Villa Savoye (siehe S. 64 – 69) gehört Fallingwater zweifellos zu den einflussreichsten Häu­ sern des 20. Jahrhunderts – und den meist geliebten und gerühmten noch dazu. Während Le Corbusier durchaus umstritten ist, rufen Frank Lloyd Wright und ­Fallingwater nahezu einhellig uni­ verselles Lob hervor. „Wenn organische Architektur adäquat ausgeführt wird, kann sie keiner Land­ schaft je Gewalt antun, sondern wird sie immer gestalten“, sagte Wright, und er fährt fort: „Ein gutes Bauwerk macht eine Landschaft schöner, als sie es vor seiner Errichtung war.“ Mit Fallingwater erreichte Wrights romantische, achtsame Haltung gegenüber Standort und Land­ schaft und sein Konzept einer ganzheitli­ chen Architektur einen neuen Höhepunkt. Der Auftrag ging an Wright, als er schon weit über 60 und bereits ein füh­ render Architekt war. Fallingwater entwi­ ckelte sich zu einem Highlight in seiner dritten und letzten Schaffensperiode. Seine Aussagekraft verdankt das Gebäude nicht zuletzt der gelungenen Integration in das wildromantische ­Setting – indem es sich ­felsengleich über den Wasserlauf schiebt, dem es auch seinen Namen verdankt. Hier in den Appalachen besaß Edgar J. Kaufmann, ein weltoffener, ­weitgereister Kaufhaus­ besitzer aus ­Pittsburgh, ein Ferienhaus. Die Familie verbrachte viel Zeit an dem kleinen Bergbach Bear Run mit seinen Wasserfällen, der unten im Tal in den Youghiogheny River mündete. Kauf­ manns Sohn studierte bei Wright in Talie­ sin East Architektur und machte seinen Vater mit ­dessen Arbeit bekannt. „Er liebte das Gelände, auf dem das Haus erbaut wurde, und lauschte gern dem Rauschen des Wasserfalls“, sagte Wright. „Das war das Hauptmotiv des

Entwurfs. Ich glaube, man kann den ­Wasserfall hören, wenn man den Entwurf betrachtet. Zumindest ist er da, und Kaufmann lebt nun in enger Verbindung mit dem, was er so liebt.“ 1 Inmitten von Bäumen entwarf Wright ein dreistöckiges Bauwerk mit einer Reihe von Terrassen aus Gussbeton, die sich, samt einem Teil des Wohn­ raums, in Richtung Wasserlauf schieben und über ihn hinaus. Die Steine der ­vertikalen Elemente kommen aus loka­ lem Abbau, während das natürliche Gestein der Umgebung bisweilen bis ins Gebäude selbst vordringt und so die enge Verbundenheit zwischen Architektur und Natur noch verstärkt. Im Erdgeschoss befindet sich ein mit Steinplatten ausgelegter, großzügiger und offen angelegter Wohnraum mit ­Essbereich, von dem aus ein direkter Zugang zu den östlich und westlich ­gelegenen Terrassen besteht. Das darü­ berliegende Stockwerk hat Platz für drei Schlafräume und weitere Terrassen, im abschließenden Geschoss befindet sich ein Arbeitszimmer. Unweit des Hauses entstand eine separate Gästelodge nebst Garagen. Kaufmanns Bedenken hinsichtlich der Standortwahl und konstruktiven Tragfähigkeit des relativ neuen, uner­ probten Eisenbetons führte zu Unstim­ migkeiten zwischen Architekt und ­Bauherr. Erschwerend hinzu kam der Umstand, dass weitere Stahlträger die Konstruktion mit zusätzlichem Gewicht belasteten, statt sie zu stützen – was in der Folge erhebliche Reparaturarbeiten erforderlich machte (diese wurden 2002 von der Western Pennsylvania Conser­ vancy durchgeführt, der ­Kaufmanns Sohn das Anwesen 1963 als Schenkung überlassen hatte). Was den Grundge­ danken betrifft, stimmten sie jedoch ­völlig überein – das Haus sollte harmo­ nisch mit seinem Standort verschmelzen. Wright gelang es auch, noch weitere, von Kaufmann gewünschte Elemente in den Entwurf zu integrieren, wie beispiels­ weise das Tauchbecken am Fluss.

Der Erfolg dieser organischen Herange­ hensweise steht ebenso außer Frage wie der gelungene Versuch, durch Fenster­ bänder, Positionierung des Hauses und die vielen Terrassen eine lebendige Naturbühne zu schaffen, die den Wech­ sel der Jahreszeiten visuell und akustisch erlebbar machen. Auf subtile Weise war Fallingwater auch das Gegenmodell zum herkömmlichen Landhaus, das sich in Wrights Augen der Landschaft einfach zu selbstherrlich aufdrängte. Stattdessen schuf er ein Gebäude, das mit der Natur arbeitet und sie absolut respektiert. Für Befürworter einer nachhaltigen, achtsa­ men Architektur, die zugleich Qualitäten wie Schönheit, Charakter, Struktur, Hand­ werk, ­Raffinesse und Wagemut beinhal­ tet, ist Fallingwater eine bleibende Quelle der Inspiration. Zitiert in Patrick J. Meehan (Hrsg.), The Master Architect: Conversations with Frank Lloyd Wright, Wiley 1984.

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