1995
O. M. UNGERS HAUS UNGERS III KÖLN, DEUTSCHLAND
Vom eigenen Haus eines Architekten erwartet man im Allgemeinen, dass es ein Manifest seiner Arbeit ist und voller Ideen steckt. Die drei Kölner Häuser von Oswald Mathias Ungers übertreffen diese Erwartungen allerdings noch. Gewiss sind sie Ausdruck einer sich ständig weiterentwickelnden, offenen Haltung gegenüber der Architektur, die aus einer reichen Palette von Traditionen schöpft. Und sie sind natürlich das Ergebnis der verschiedenen Phasen eines langen Berufslebens. Aber – und das ist weit weniger üblich – sie sind auch stark autobiografisch gefärbte Bauten, die Ungers nie aus der Hand gab und die sich daher mit ihrem Erbauer als privates „Work in Progress“ veränderten und weiterentwickelten. Ungers erstes Haus in Köln, zunächst als brutalistisch eingestuft, wurde 1959 fertiggestellt. 30 Jahre später erfuhr es eine umfassende Erweiterung, als er pa rallel dazu das Kubushaus baute. So entstand ein Komplex zweier miteinander verbundener Gebäude, der als Wohnhaus und Büro fungierte und darüber hinaus – vor allem im Kubushaus – viel Platz bot für eine umfassende Sammlung von
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rchitekturbüchern, Modellen, Kunst A werken und Skulpturen, die Ungers und seine Frau Lieselotte im Lauf der Jahre zusammengetragen hatten. Die beiden Gebäude werden gern mit Sir John Soanes Haus in London verglichen, das ebenfalls beides ist – architektonisches Manifest und Galerie. Nach mehrjähriger Lehrtätigkeit und zahlreiche Wettbewerbe später nahm Ungers Karriere Anfang der 1980er-Jahre wieder Fahrt auf, und er fühlte sich er neut veranlasst, seinen Wohnraum zu erweitern. Haus Ungers III, auch als Haus Kämpchensweg bekannt, ist eine weitere Verfeinerung der Unger’schen Denkweise – wenn nicht sogar ihre Apotheose. Ungers fühlte sich zu einer Architektur der geometrischen Klarheit, der Abstraktion und des Minimalismus hingezogen, die alles bis auf die notwendigsten und ausdrucksstärksten Elemente entfernte. „Das neue Haus ist kühl, rational, mono chrom und auf ein Minimum reduziert“, so schrieb er. „Es geht darum, das Überflüssige wegzulassen, um dem Kern, der Essenz, so nahe wie möglich zu kommen; jegliche Dekoration, alles Redundante auszusparen, um die reine Form hervortreten zu lassen.“1 Während Ungers jetzt das ursprüng liche Haus und den Kubus als Architekturbüro, Galerie, Bibliothek und Archiv nutzte, war das neue Haus hauptsächlich als Wohn- und Arbeitshaus konzipiert. Sein Zentrum bildet ein Studio von doppelter Raumhöhe, in dem auch ein Teil der Ungers’schen Sammlung von Erst ausgaben untergebracht ist. Der Bau befindet sich innerhalb eines geschlossenen Gartens, eines Hortus conclusus, der von 3 Meter hohen Buchsbaumhecken umgeben ist. Vor diesem grünen Hintergrund erscheint das Haus als ein höchst abstraktes Gebilde. Der reinweiße Kasten mit seinem nicht sichtbaren Flachdach wird von einer sym metrischen Abfolge gleichformatiger Fenster und Glastüren strukturiert. Auch alle Wege zum und ins Haus sind von einer gewissen Gleichförmigkeit, da
Ungers es ablehnte, einen bestimmten Eingangsbereich zu definieren. Der Grundriss organisiert sich um das zentrale Studio, das an zwei Seiten von „arteriellen“, doppelten Wänden begrenzt wird, in denen Treppen, Funktionsräume, Pantryküche und Stauraum untergebracht sind. Zu einer Seite des Studios im Erdgeschoss liegt der Wohnraum, zur anderen der Essbereich mit Küche. Auf der darüberliegenden Ebene entsprechen diesen Räumen zwei Studioschlafzimmer. Für Entspannung sorgt ein Schwimm becken im Kellergeschoss. „Innerhalb dieses begrenzten Raumes befinden sich Komponenten und Elemente von existentieller Bedeutung“, erklärt Ungers. „Ein Arsenal zweckmäßiger Hilfsmittel und Ideen, ein geistiges Refugium mit den wichtigsten Büchern, Zeichnungen, einem Zeichenbrett, Bett, Staffelei und Lesepult – und Erinnerungen. Ein auf minimalem Raum zusammengedrängter, persönlicher Mikrokosmos. Und zugleich: der Spiegel unserer Gewohnheiten und Neigungen.“2 Haus Ungers III ist ein Manifest für die zentrale Bedeutung von Präzision, Handwerk und Form. Und doch lässt das Gebäude, das eine ganze bibliophile Welt der Architekturgeschichte in sich birgt, Ungers nicht als dogmatischen Minimalisten erscheinen. Vielmehr ist das Haus in Köln die beindruckende Reaktion auf eine lange und gründlich durchdachte Architekturtradition und zugleich deren Erneuerung und Neuinterpretation. Zitiert in Mercedes Daguerre, 20 Houses by Twenty Architects, Electa 2002. Ebd.
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