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Reportage

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Termine Kontakte

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Dem Winter auf der Spur

Schneelandschaften aus Kindheitserinnerungen ndet man nur noch hoch im Norden. Ein Aus ug mit dem Flugzeug

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von Wolfgang Ott

Tromsö – eine kleine Stadt in Norwegen, knapp 400 km nördlich des Polarkreises. Der An ug auf den kleinen Flughafen könnte ebenso in der Arktis sein – Schnee und Eis, wohin das Auge auch blickt. Doch bereits in der Empfangshalle des Flughafens weicht der bizarre Eindruck einer Arktis-Expedition dem touristischen Treiben eines Tiroler Skiorts. Wir sind hier ganz o ensichtlich weder die Ersten noch die Einzigen. Manch einer hat es wohl längst geahnt – denn Skitouren in Norwegen stehen hoch im Kurs.

Verantwortlich für dieses besondere Schmankerl im DAV-Touren programm 2019 ist einmal mehr Mark Brand. In Kooperation mit der Augsburger Alpinschule wurde hier ein Modell getestet, welches sich als eine hervorragende Ergänzung des klassischen Angebots unserer Sektion herausstellen sollte. Doch davon später. Zunächst führt uns eine dreistündige Fahrt mit Spike-bereiften Mietautos über den Gisund bis an die äußerste Spitze der Insel Senja. Durch tief verschneite Landschaften und vorbei an einsamen Fischerdörfern, mit der ruppig-romantischen Anmutung verlassener Walfangstationen. Einige von ihnen wurden erst in den 80er-Jahren mit dem Bau aufwändiger Tunnel an das norwegische Straßennetz angeschlossen.

Am äußersten Ende eines langen Fjords nden wir in der kleinen Ortschaft Me ordvaer unser „Basecamp“, ein pragmatisch möbliertes Appartement direkt am Wasser. Bereits in der frühen Nachmittagsdämmerung senkt sich jene magische Stimmung über das Land, wie man sie vermutlich nur in der Nähe der Polkappen erleben kann. Ein frostiges Graublau, klare eisige Luft, und vereinzelt die ersten Sterne am Firmament. Die kalte Unendlichkeit des Universums scheint bis an den Grund des Fjords hinab zu reichen. Während die Fotografen unter uns versuchen, die sphärische Stimmung auf Chip zu speichern, beschäftigen sich die häuslicheren Mitreisenden derweil mit der Zubereitung von irdischen Freuden.

Bevor es im gemütlichen Teil des Abends an die teuren wie raren Weinvorräte gehen sollte, rufen die Guides zu einer nüchternen Besprechung der bevorstehenden Tage auf.

Magische Stimmung in der Nachmittagsdämmerung

Die Berge Norwegens sind zwar nicht annähernd so hoch wie die Alpen, große Schneemengen und die Abgeschiedenheit im Notfall sind aber ernst zu nehmende Herausforderungen.

Gestartet werden die Touren zumeist auf MeeresspiegelNiveau, womit Sammler von Höhenmetern selbst bei kleineren Eintausendern durchaus noch auf ihre Kosten kommen sollten. Im Gegensatz zu den reizvollen Fjord to Fjord-Überschreitungen bei Anreise per Schi werden wir jeweils zum Ausgangspunkt unserer Touren zurückkehren.

Die tief über dem Meer stehende Sonne des nächsten Morgens war dann der Auftakt zu einer ausnahmslos perfekten Tourenwoche. Dass dies in solchen Breiten – wir be nden uns immerhin auf der Höhe Nord-Alaskas – keine Selbstverständlichkeit ist, war aus den leicht frustrierten Erzählungen unserer Vorgänger unschwer herauszuhören. Deren Hinterlassenschaft an uns waren freundlicherweise unverspurte Hänge und bester Tiefschneepowder.

Bizzare Gipfelformationen, gerade einmal 1.000 Meter über dem Meeresspiegel

Store Hesten, Keipen oder Snau ellet – so wenig einprägsam die Namen der Gipfel auch sind, so unvergesslich die atemberaubenden Aufstiege und Ausblicke. Die Kombination von Schneebergen und Meer ist für uns Festlandalpinisten eben eine nicht alltägliche Sinneserfahrung.

Als Glücksfall für alle Beteiligten sollte sich die Kooperation mit der Augsburger Alpinschule erweisen. Alex Scherl und sein Bergführer Eddi sind auf Senja wie zuhause und verfügen über beste Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse. Garant für eine optimale Tourenausbeute, obendrein eine angemessene Ent lastung der DAV-Organisation an Verantwortung und Haftung.

Die Aufteilung der Führungsarbeit auf zwei Guides kom- pensiert obendrein das Leistungsgefälle innerhalb der Gruppe. Somit können jeweils alle Teilnehmer*innen der achtköp gen Gruppe – mit unterschiedlichen Ankunftszeiten am Gipfel – stressfrei dieselben Touren erleben. Selbst als sich einer der Teilnehmer am leicht ausgesetzten Gratanstieg des Snau ellet überfordert fühlt, führt dies nicht zwangsweise zum Abbruch der Tour. Mark eskortiert den Kameraden zurück zum Talort Stein ord und verdoppelt mit diesem unfreiwilligen Interimsabstieg in rekordverdächtiger Wiederaufstiegszeit Mark ist auch nach der Rückkehr von seinem sein Tagespensum. unfreiwilligen Zwischenabstieg bester Laune.

Die Touren der kommenden Tage liegen kaum weiter als einen Fjord von unserer Unterkunft entfernt und sind dank der neu errichteten Tunnelquerungen bereits nach kurzer Anfahrtszeit erreichbar. Nach moderaten Anstiegen durch schüttere Strauchwälder erheben sich die Anstiege zu den kaum 1.000 Meter hohen Gipfeln über teils anspruchsvolle Flanken und enden mit spektakulären Ausblicken hinab in die tiefblauen Fjorde.

Einen Eindruck von der Launenhaftigkeit des nordischen Klimas vermittelt der Aufstieg auf den 938 m hohen Keipen. Nach leichtem Schneefall im unteren Teil der Tour erreichen wir bei orkanartigen Böen und über vereiste Flanken schließlich bei klarer Luft den Gipfel. Ein atemberaubender Ausblick über die aus dem Nordmeer ragenden Schneeberge – der Nordpol gefühlt zum Greifen nahe.

Von den großartigen Erlebnissen be ügelt, tritt die Gruppe bereits nach einer Woche die Rückreise Richtung Airport an. Nicht ohne schlechtes Gewissen, denn wie sehr der Naturgenuss per Flugzeug diese so sehr geliebten Landschaften ver-

Immerzu auf der Suche nach dem besten Pulver: Nordlicht-Spezialistin Claudia Straulino hoch über den Fjorden

Gipfelanstiege über teils anspruchsvolle Flanken

ändern wird, ist letztendlich allen bewusst. Vor dem Ab ug beschert uns dann noch eine Rundreise per Husky-Schlitten Eindrücke des sanft verschneiten norwegischen Hinterlandes. Nachhaltig und rundum CO2-neutral.

Am Ende – dank Mark, Alex und Eddi, nicht zuletzt aber auch aufgrund einer sehr launigen Truppe Gleichgesinnter – dürfen wir auf eine rundum gelungene Tourenwoche zurückblicken!

Allein die Ho nungen einer meteorologisch interessierten Fraktion auf die Entdeckung der norwegischen FrühjahrsPolarlichter haben sich nicht erfüllt. Die mitternächtliche Bildmeldung eines hinterlistigen Reisemitglieds per WhatsApp an die schlafende Community sorgte am nächsten Morgen zunächst für enttäuschte Überreaktionen. Die beeindruckenden Polarlicht-Aufnahmen konnten aber rechtzeitig vor weiterer Eskalation als billige, aus dem Internet geladene Fake News entlarvt werden. Infos

Senja ist die zweitgrößte Insel Norwegens mit Fischerdörfern sowie Bergen und Stränden zum Wandern und Schwimmen. Sie liegt etwa 350 km nördlich des Polarkreises, also je nach Jahreszeit bester Spot, um entweder die Mitternachtssonne oder die Polarlichter zu beobachten. Man erreicht die Insel über die Gisundbrücke von Finnsnes (Festland) nach Silsand. Senja ist zwar noch nicht so bekannt wie die südlich gelegenen Lofoten oder die Lyngen Alpen im Norden, aber längst kein Geheimtipp mehr. Die Gebirgslandschaft bietet, speziell zwischen März und April, beste Voraussetzungen für einzigartige Skitouren mit Abfahrten bis zum Meer hinunter.

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