SPEKTAKEL Juni/Juli 2019

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SPEKTAKEL

DIE THEATERSEITEN

SCHAUSPIEL · MUSIKTHEATER · KONZERT · BALLETT · PUPPENTHEATER

Ausgabe Juni/Juli 2019

Im Liebeskonflikt

KOLUMNE

Premiere von Mozarts DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL

Susanne TennerKetzer, Öffentlichkeitsarbeit Puppentheater und Leitung „Junge Musik“ © Sebastian Stolz, filmwild.de

THEATER FÜR KINDER! KINDER INS THEATER! Grundsätzlich gilt: Im Theater ist für Kinder alles möglich. Alle Themen, die im Verhältnis zur Welt stehen und gar nicht weit von den Themen der Erwachsenen entfernt sind, wie zum Beispiel Freundschaft, Liebe, Abenteuer, Abschied und viele andere, können behandelt werden, sind sie alters­entsprechend aufbereitet. Der Kulturwissenschaftler Prof. Dr. Wolfgang Schneider bemerkt im Zusammenhang mit Kulturpolitik für Kinder: „Es gilt, die Kunst zu pflegen, Kindern und Jugendlichen das Theater zu vermitteln. Deshalb macht es Sinn, Theater und Schule zu vernetzen. Denn Theater ist nicht Wandertag, Theater gehört ins Curriculum. Theater ist aber auch nicht die 7. Unterrichtsstunde. Theater ist Theater. Schule ist Schule. Es braucht Respekt. Für die Kunst. Und für die Bildung.“ Dem folgend sind wir als Staatstheater darum bemüht, einen vielfältigen Spielplan für junges Publikum am Puls der Zeit zu gestalten, weswegen sich Theaterbesuche nicht nur auf das jährliche Weihnachtsmärchen beschränken sollten. Anlässe wie der WELTTAG DES THEATERS FÜR KINDER UND JUGENDLICHE am 20. März, der INTERNATIONALE KINDERTAG am 1. Juni und der WELTKINDERTAG am 20. September finden besondere Beachtung. So wird am 1. Juni 2019 das Familienkonzert KÖNIG KAROTTE, ein Mitmach-Orchestermärchen mit der brillanten Musik von Offenbach, zu erleben sein. Die Grundschüler sind am 4. Juni zum 9. Meininger Kindertag unter dem Motto HELDEN DER KINDHEIT eingeladen, einer gemeinsamen Aktion des Meininger Staatstheaters, der Meininger Museen und der Bibliothek „Anna Seghers“. Das Puppenspiel IST GRETA IM HIMMEL? erlebt am 20. Juni seine Uraufführung. Aus der Sicht der Kinder wird hier ganz behutsam ein Thema behandelt, über das nur scheinbar schwer zu sprechen ist: der Tod. Ziel aller Inszenierungen ist es, kognitive und emotionale Fähigkeiten der Kinder direkt anzusprechen und zu fördern. In einem Netzwerk von Theater und Schule, unterstützt von Erfahrungen der Vereinigungen ASSITEJ, UNIMA und dem Netzwerk JUNGE OHREN, begeben sich alle gemeinsam auf eine spannende Reise: Von der Kindheit über die Jugend zum theaterbegeisterten Erwachsenen. Alles ist möglich! Und wer morgen nicht vor leeren Zuschauerreihen spielen will, der muss sich um das Publikum von morgen bemühen. Und das Publikum von morgen ist das einzigartige Publikum von heute.

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL: Elif Aytekin, Michael Jeske ©  Marie Liebig

„Zu schön für unsere Ohren, und gewaltig viele Noten, lieber Mozart“, war das Urteil von Joseph II. nach der Uraufführung der ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL 1782. Mozart entgegnete: „Gerade so viel, Eure Majestät, als nötig ist.“ Er komponierte „türkische Musik“, wie man sich diese im 18. Jahrhundert vorstellte; er fügte dem klassischen Orchester im Stile der Janitscharenmusik Becken, Große Trommel, Piccoloflöte und Triangel hinzu. Dabei vertonte

PREMIERE

er nicht die recht einfache Geschichte von zwei jungen Europäern, die beim Versuch, ihre geraubten Geliebten aus dem Serail zu entführen, scheitern und nur aufgrund eines Gnadenakts des großmütigen Herrschers knapp dem Tod entkommen. Nein, seine kompositorische Aufmerksamkeit galt dem komplizierten Innenleben der Figuren, die in eine extreme Lebenssituation geworfen sind, und dem ihnen allen gemeinsamen Liebeskonflikt. Kein Wun-

der, dass ihm mit diesem Werk der Durchbruch als dramatischer Komponist gelang und es zu seinen Lebzeiten seine meistgespielte und erfolgreichste Oper war.  OPER TERMINE: MI, 29.05., SA, 15.06, jeweils 19.30 Uhr, Großes Haus

„Macht euch das bißchen Frieden schon übermütig?“ Lessings MINNA VON BARENHELM als Krisenbericht einer Nachkriegszeit

1760, der Siebenjährige Krieg ist im vollen Gange, tritt Gotthold Ephraim Lessing in den Dienst von General Friedrich Bogislaw von Tauentzien in Breslau ein. Dort führt er als sein Sekretär auch die Korrespondenz zwischen ihm und dem Preußenkönig Friedrich II. und hat also tiefe Einblicke in die preußische Kriegsmaschine. Auch ist er in der einzigartigen Lage, hinter den Kulissen auf die ökonomische Kriegsoperationen des Königs blicken zu können. „Nur bald Friede, oder ich halte es nicht länger aus!“, so Lessing, hatte er doch seinen Freund Ewald von Kleist verloren, der in der Schlacht von Kuhnersdorf auf entsetzliche Weise den Tod fand.

Ein Stück Satire Diese und viele andere Eindrücke finden in seinem Nachkriegsdrama MINNA VON BARNHELM oder DAS SOLDATENGLÜCK Eingang. In direktem Zusammenhang mit dem Kriegsgeschehen ist es eine Bühnenversion des größten wirtschaftlichen Zusammenbruchs, der dem Krieg folgte und kommt deshalb einem Krisenbericht gleich: Die Schilderung der Wirren der Nachkriegszeit mit all ihren katastrophalen finanziellen, gesellschaftlichen und vor allem zwischenmenschlichen Folgen. DAS SOLDATENGLÜCK als ein Stück Satire: Es ist die ungeheure, damals ganz ungewohnte Aktualität des Geschilderten, die spottend Schäden aufdeckte, deren Enthüllung von der Obrigkeit nicht erwünscht sein konnte. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass das Stück nach einem Streit mit der Zensurbehörde zunächst mit einem Aufführungsverbot behaftet war, stellte das, was darin verhandelt wurde, doch all die Missstände bloß, die sich während des Krieges aufgetan hatten. Gespickt mit Anspielungen auf die damals aktuelle gesellschaftliche und politische Situa-

tion, voller zeitkritischer Brisanz und damit Provokation, konnte vor allem das Publikum lachen. Ein Kabarettprogramm auf höchstem Niveau also: Vor knapp einem halben Jahr ist der Siebenjährige Krieg beendet worden. Nun ist das Fräulein Minna von Barnhelm auf der Suche nach ihrem Geliebten Major von Tellheim im Nachkriegsberlin fündig geworden. Als ausländischer Offizier angeworben, hatte dieser in der preußischen Armee gedient, wurde unehrenhaft verabschiedet und befindet sich in einer misslichen Lage. Zum einen bezeichnet sich der Kriegsinvalide als „Krüppel“, zum anderen hat er all sein Vermögen verloren und wird zudem bezichtigt, den Staat betrogen zu haben. Seiner Gesundheit, seines Geldes und seiner Ehre beraubt, kommt es für ihn nicht mehr in Frage, das Fräulein von Barnhelm zu ehelichen. Der Krieg ist also zu Ende und es stellt sich die Frage, ob der Frieden nun wirklich für alle das Glück bedeutet, das man so lange ersehnt hatte. Was macht ein Soldat, ist der Krieg zu Ende und er kennt nicht das Leben ohne Krieg, ist mit dem Frieden überfordert? Er, nämlich Tellheims Freund Paul Werner, sucht sich die nächste kriegerische Auseinandersetzung, um weiter leben zu können. Der Krieg ist also zu Ende und gerade in dieser Situation muss man auf der Hut sein. Friedrich II. entwickelte einen Polizeiapparat, der die Bevölkerung und vor allem Reisende aufs peinlichste beobachtete und registrierte. Für den Wirt, der sich während des Krieges finanziell bereichern konnte, sind die goldenen Tage vorbei. Nun ist er dazu angehalten, die Reisenden genau nach Herkunft und Grund ihrer Reise zu befragen. Dabei schießt er in seinem Verhalten Soldaten und Offizieren gegenüber oft übers Ziel hinaus. „Macht euch

das bißchen Frieden schon übermütig?“ fragt des Majors Diener Just. Der Krieg ist also zu Ende und alles ist heruntergekommen. Wenn Tellheim manifestiert „Ich habe keinen Heller bares Geld mehr“, so spiegelt sich darin die Tatsache, dass bares Geld kaum mehr im Umlauf war, sich die Geldgeschäfte vorwiegend auf Wechsel – der einzigen Form des bargeldlosen Zahlungsverkehrs – beschränkten. Die Kriegsfinanzierung Friedrichs II. gründete sich zum einen auf immer höher geforderte Kontributionszahlungen der Kriegsverlierer, zum anderen auf der Prägung von Münzen in minderer Qualität. So konnte der Auftritt des Soldaten Paul Werner: „Lustig Kinder, lustig; ich bringe frisches Geld!“ zum großen Amüsement des Publikums beitragen, wusste doch jede*r, dass das „frisches Geld“ quasi wertlos war.

Erste moderne Frau Um seinen Krieg führen zu können, benötigte der Preußenkönig nicht nur Geld, sondern auch Disziplin und uneingeschränkten Gehorsam. Er war also bemüht, die Männer einer ganzen Kaste unter der Drohung des Ehrverlusts zu disziplinieren. Die Einbuße der Ehre ist also keineswegs ein persönliches Problem Tellheims. Nur im Bewusstsein, welchen hohen Stellenwert die Ehre bei Offizieren unweigerlich haben musste, ist die Katastrophe zu verstehen, wenn Tellheim fälschlicher Weise bezichtigt wird, Kontributionszahlungen selbst eingestrichen zu haben. Dieter Hildebrandt bemerkt, die Gestalt der Minna sei „die erste moderne Frau in der deutschen Literatur. (…) Eine Frau von Welt, nein mehr als das: Eine Frau von dieser Welt.“ Die Begabungen, mit denen Lessing seine Protagonistin ausstattet, betreffen sowohl ihren scharfen Verstand – kombiniert mit außerge-

wöhnlich rhetorischem Talent – als auch ihre liebenden Fähigkeiten. Minna ist versucht, ihren geliebten Tellheim zurückzugewinnen. Scharfsinnig erkennt sie genau des Majors moralische Eitelkeit, den Konflikt zwischen Ehre und Liebe, und beginnt ein Spiel, um ihn durch schlagkräftige Argumentation und geschicktes Taktieren vom Gegenteil seines Handelns zu überzeugen. Sie sieht ihre Aufgabe darin, ihren geliebten Tellheim selbst erkennen zu lassen, dass die Umstände nicht seiner drastischen Darstellung entsprechen und Invalidität und Mittellosigkeit keine ausreichenden Gründe darstellen, um eine Trennung zweier sich liebender Menschen zu rechtfertigen. Toleranz zeigt sich bei ihr als unverzichtbares Gegenstück zum Streit, in dem sie Partei ergreift für die Menschenliebe, die Empathie, das Mitleid. Und schlussendlich ist hier „die Bestimmung der Tragödie“ umschrieben, wie Lessing sie wünschte: „Sie soll unsere Fähigkeit, Mitleid zu fühlen, erweitern. Der mitleidigste Mensch ist der beste Mensch, zu allen gesellschaftlichen Tugenden, zu allen Arten der Großmut der aufgelegteste.“  SCHAUSPIEL Regie: Ansgar Haag Bühne: Christian Rinke Kostüme: Annette Mey Dramaturgie: Gerda Binder Mit: Peter Bernhardt, Björn Boresch, Yannick Fischer, Georg Grohmann, Nora Hickler, Fiona Macleod, Dagmar Poppy, Renatus Scheibe PREMIEREN: FR, 21.06., 19.30 Uhr und SO, 23.06., 19.00 Uhr, Großes Haus Weitere Vorstellungen: 26.06., 05.07., jeweils 19.30 Uhr, Großes Haus


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