SPEKTAKEL SCHAUSPIEL · MUSIKTHEATER · KONZERT · BALLETT · PUPPENTHEATER
DIE THEATERSEITEN
Ausgabe Januar 2017
PREMIERE
KOLUMNE
Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ Christian Poewe inszeniert die fantastische Oper mit zwei Gast-Tenören
Intendant Ansgar Haag
„Theater mit Weltformat“ Mit diesem Titel ehrt das Heft „Thüringen“ aus der MERIAN-Reihe das Meininger Staatstheater. Dieses Lob der Leistungen unser KünstlerInnen und aller Abteilungen des Hauses freut mich sehr. Es gibt mir wieder den Anlass, mich bei allen Beschäftigten zu bedanken. Im Wort „Weltformat“ spiegelt sich unser Anspruch, weit über die Region hinaus Publikum anzusprechen und internationale Künstler an unser Haus zu holen. Ein Höhepunkt in diesem Sinne ist unsere Festwoche vom 7. bis 17. April 2017. Eröffnet wird sie mit meiner Inszenierung von Richard Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“. Die Meininger Theatertradition der IbsenPflege bildet mit gleich zwei Stücken einen Schwerpunkt: Die vielgefeierte Burgtheater-Inszenierung „John Gabriel Borkmann“ von Simon Stone und unsere „Nora“ in der Regie von Rudolf Frey zeigen eine zeitgemäße Dramaturgie im Umgang mit Henrik Ibsen. Den politischen Versuch einer kulturellen Öffnung in Richtung Russland dokumentieren die Konzerte von Teodor Currentzis und MusicAeterna als Gastspiele der Staatsoper Perm und die Premiere der Romandramatisierung von Wenedikt Jerofejews „Die Reise nach Petuschki“ unter dem Titel „Moskau – Petuschki“, inszeniert von Martina Gredler. Ein Gastspiel des Schweizer Eliteorchesters klangart rundet unser Konzertprogramm ab. Als Meiningen als erstes Theater überhaupt Wagners „Ring“ an vier aufeinanderfolgenden Tagen ohne Ruhetag aufführte, war das ein internationales Ereignis. Dafür Karten zu bekommen, war sehr schwierig. Noch heute reden die Meininger davon, dass es leichter war, von auswärts Karten zu bestellen, anstatt als Meininger an die Theaterkasse zu gehen. Die Größe des Werkes „Die Meistersinger von Nürnberg“ mit ca. 100 Chorsängern und einer Vielzahl von Solistengästen, macht es leider unmöglich, das Werk in die kommende Spielzeit zu übernehmen. Um Enttäuschungen zu vermeiden, rufe ich Sie schon jetzt dazu auf, sich Karten zu sichern. „Weltformat“ bedeutet auch, einen Spielplan zu gestalten, der sich mit der Welt beschäftigt. Im Jahr 2017 sind zwei wichtige politische Jubiläen zu feiern: Zum einen 200 Jahre Wartburgfest. Mit diesem Fest, das im Ursprung eine Protestkundgebung gegen reaktionäre Politik und Kleinstaaterei war, verbinden wir den Weg zur Gründung Deutschlands und später zur Schaffung einer aufgeklärten Demokratie. Hundert Jahre ist es her, dass die große Russische Revolution die kosmopolitische Lage der Welt in zwei Teile spaltete und die Politik des letzten Jahrhunderts prägte. Für unser Jahrhundert bleibt die Aufgabe, die Verdienste der kommunistischen Bewegung nicht an Hand eines globalisierten, vermeintlich liberalen Kapitalismus in Vergessenheit geraten zu lassen. So greift unser Spielplan im Jahr 2017 eine Reihe von Themen auf, die sich um eine „Formung der Welt“ kümmern. Ihr Ansgar Haag
Dichter Hoffmann steckt in einer Lebens- und Schaffenskrise: Er ist unglücklich verliebt in Stella, die Sängerin der Donna Anna aus „Don Giovanni“, auf die es auch sein Widersacher Lindorf abgesehen hat. Vor lauter Liebesleid kann er schon seit Wochen kein Wort mehr zu Papier bringen. Während im Theater nebenan Mozarts Oper gegeben wird, betrinkt sich Hoffmann in Lutters Weinstube. Die Anwesenden sind schon gespannt, eine neue Erzählung des Dichters zu hören. Seine Liebe zu Stella liefere sogar Stoff für drei Geschichten, denn Stella verkörpere drei Frauen in einer – und so erzählt er von seinen unglücklichen Liebschaften mit der Automate Olympia, mit der kranken Sängerin Antonia und mit der Kurtisane Giulietta. Die französischen Dichter Jules Barbier und Michel Carré verfassten 1851 das Schauspiel „Les Contes d’Hoffmann“, dessen Hauptfigur dem deutschen Dichter E.T.A. Hoffmann nachempfunden ist und das verschiedene Erzählungen Hoffmanns aufgreift. Jacques Offenbach, der vor allem für seine satirische Operetten bekannt ist, schrieb gegen Ende seines Lebens auf der Grundlage des Librettos von Jules Barbier die fantastische Oper „Les Contes d’Hoffmann“. Die Entstehungszeit, von den ersten Skizzen 1875 bis zur Uraufführung 1881, war von heftigen äußeren Hindernissen gezeichnet. Beim ersten vorgesehenen Uraufführungstheater verließ der Direktor seine Position, das nächste ging Bankrott. Für die verschiedenen Häuser und die damit einhergehenden unterschiedlichen Besetzungen mussten jeweils Änderungen am Werk vorgenommen werden. Zudem war Offenbach schwer krank, die Uraufführung 1881 erlebte er nicht mehr. Bis zu seinem Tod am 5. Oktober 1880 hatte er an der Oper komponiert; der Klavierauszug der ersten vier Akte war im Wesentlichen vollständig. Den Epilog hatte er in groben Zügen
vorgetreten. Der Tenor ist regelmäßiger Gast an Häusern wie Essen, Hannover, Dresden, Hamburg, Leipzig, Frankfurt und der Deutschen Oper Berlin. In Meiningen konnte man ihn zuletzt im „Ring an einem Abend“ hören. Mirko Roschkowski stammt aus Dortmund und studierte Gesang bei Lothar Trawny in Gelsenkirchen. Erste Engagements führten ihn nach Detmold und Bremerhaven, danach war er an den Opernhäusern in Düsseldorf/ Duisburg, Bonn und Köln engagiert. Sein Repertoire umfasst besonders die großen Mozartpartien wie Tamino, Belmonte, Don Ottavio, Belfiore und Idomeneo. Als Gast war er bereits an der Semperoper in Dresden, der Staatsoper Unter den Linden, der Komischen Oper Berlin, der Staatsoper Stuttgart, der Oper Leipzig, den Seefestspielen Mörbisch und der Wiener Volksoper zu erleben. Scott MacAllister
skizziert. So hinterließ Offenbach kein unvollendetes Werk, allerdings zahlreiche Varianten und Fassungen. Dieser Zustand führt bis zum heutigen Tag dazu, dass die einzelnen Teile der Oper immer wieder neu zusammen gestellt, umgestellt, gestrichen und andere oder gar Fremdkompositionen eingefügt wurden, sodass keine Produktion der anderen gleicht. Der Zuschauer weiß zu Beginn der Aufführung nie, wie der Abend ausgeht, obwohl „Hoffmanns Erzählungen“ zum Standardrepertoire gehört. Nach der erfolgreichen Realisierung und von den Meininger TheaterFreunden zur Inszenierung des Jahres gewählten Produktion „La Traviata“ (2014/15) sind Regisseur Christian Poewe und Kostümbildnerin Tanja Hofmann zum zweiten Mal in Meiningen zu Gast, wo sie – wieder mit Bühnenbildner Christian Rinke – Jacques Offenbachs fantastische Oper realisieren werden. Die musikalische Leitung
Mirko Roschkowski
liegt in den Händen des neuen 1. Kapellmeisters Chin-Chao Lin. In der Titelpartie des Hoffmann sind Scott MacAllister, der bereits viele Male den Hoffmann in unterschiedlichsten Fassungen sang, alternierend mit Mirko Roschkowski, der die Partie auch in der aktuellen Neuproduktion an der Volksoper Wien singt, zu erleben. Scott MacAllister, geboren in Glenwood Springs, USA, ging nach seinem Studium und seinem ersten Engagement in San Francisco nach Europa, wo er Ensemblemitglied in Liège wurde. In Deutschland führten ihn Engagements vom Stadttheater Würzburg an das Nationaltheater Mannheim, wo er ab 1989 mehrere Jahre Ensemblemitglied war. Nach einem Engagement am Staatstheater Wiesbaden 1996-98 kehrte er wieder ins Mannheimer Ensemble zurück. Seit 2004 ist Scott MacAllister verstärkt mit den dramatischen Partien des Strauss- und Wagner-Fachs her-
OPER Musikalische Leitung: Chin-Chao Lin Regie: Christian Poewe Bühne: Christian Rinke Kostüme: Tanja Hofmann Chor: Martin Wettges Dramaturgie: Anna Katharina Setecki Mit: Elif Aytekin, Sonja Freitag, Carolina Krogius, Monika Reinhard, Camila Ribero-Souza, Christiane Schröter; Xu Chang, Mikko Järviluoto, Steffen Köllner, Marián Krejcˇík, Sangjun Lee, Thomas Lüllig, Scott MacAllister, Stan Meus, Mirko Roschkowski, Dimitar Sterev; Chor des Meininger Theaters; Meininger Hofkapelle MATINEE: SO, 15.01., 11.15 Uhr, Foyer Großes Haus PREMIEREN: FR, 20.01., 19.30 Uhr und SO, 22.01., 19.00 Uhr, Großes Haus
HINTERGRÜNDE
Wo sind die Stürmer und Dränger geblieben? Phillip Henry Brehl über die Meininger „Nora“ Ich bin Torvald Helmer aus dem Stück von Ibsen. Gleichzeitig bin ich Torvald Helmer aus dem Stück von Jelinek. Wie geht das? Der Schauspieler ist von Berufs wegen eine gespaltene Persönlichkeit. Das eine Ich spielt mit Figuren und wirft sich in Bühnensituationen, als ginge es um Leben und Tod. Das andere Ich arbeitet an Sprache, Ausdruck, Körper und versucht die privaten Probleme nicht auf die Bühne zu lassen. Beziehungsstress, Befindlichkeiten oder das tote Meerschweinchen bleiben zu Hause. Bei der Meininger „Nora“ kommt zu diesen zwei Ebene noch eine weitere hinzu: Das spielende Ich ist zusätzlich in zwei Figuren unterteilt. Bei Torvald Helmer ist die Aufgabe dieselbe Figur in unterschiedlichen zeitlichen Kontexten zu spielen. Vor und nach der Trennung von seinem „liebsten Singvögelchen“. Torvald Helmer in Ibsens „Nora“ ist einer von uns. Der brave Student. Der Aufsteiger. Strebsam und konventionell. Er hat in seiner unbekümmerten Art einen Widerwillen gegenüber allem Hässlichen. Er will die kleinen feinen Risse in seiner Beziehung nicht sehen. Solange die Form gewahrt und die Prinzipien beibehalten werden, kann nichts geschehen. In der Inszenierung orientieren wir uns zeitlich an den 1950er Jahren. Bei den Proben hat uns die alte Dr.-Oetker-Werbung stets begleitet: „Eine Frau hat nur zwei Lebensfragen: Was ziehe ich an und was koche ich?“. In der Ibsen-Welt sind Nora und Torvald verheiratet. Zwei junge Menschen, die sich mit Mitte zwanzig ihre Träume bereits erfüllt haben: Kinder, Haushälterin und finan-
zielle Absicherung. Doch Unausgesprochenes schwebt wie eine schwarze Wolke über dem häuslichen Glück. Innerhalb von drei Weihnachtstagen kommen die versteckten Abgründe zum Vorschein. Keine Seltenheit an Weihnachten. Schließlich trennt sich Nora. In der Jelinek-Welt verarbeitet Helmer nun seine Beziehung mit der Haushälterin und stürzt sich in seine Karriere. Bühnenfiguren gelingt es manchmal die Zuschauer an einem Erkenntnisprozess teilhaben zu lassen, der auch Teil der Rollenfindung im Probenprozess war. Die Anagnorisis ist der Umschlag von Unwissenheit in Erkenntnis. Figur und Zuschauer können aufatmen, denn eine Lösung des dramatischen Konflikts rückt in absehbare Nähe. Das ersehnte Stückende und eine Erklärung, warum man sich diesem Abend ausgeliefert hat, scheinen nah. Ibsen gibt uns diesen Moment. Nora erkennt ihre Situation und hat ein neues Ziel vor Augen. Sie verlässt ihren Mann, um sich selbst zu finden, um frei zu sein. Sie befreit nicht nur sich, sondern auch das Publikum. Unwissenheit schlägt um in den Glauben an eine bessere Zukunft. An die Emanzipation. An die Selbstständigkeit. Der allgemeine Konsens ist wiederhergestellt. Wenn da nur die Jelinek nicht wäre. Sie macht diese Anagnorisis, den Erkenntnismoment, zunichte. Sie erzählt, „was mit Nora danach geschah“. Schon in der ersten Szene fährt sie Ibsen in die Parade. Zynisch gibt sie im Laufe des Stückes Hinweise, für welche Zukunft da eigentlich gekämpft wird.
Nora steht am Ende des Stückes wieder am Abgrund der Abhängigkeit. Sie verkauft sich für eine bessere Lebenssituation an den Investor und Großaktionär Weygang. Der personifizierte Raubtierkapitalist ist das Pendant zu dem jungen, aufstrebenden Direktor Helmer. Vom Regen in die Traufe. Aber was wäre ein Theaterbesuch ohne den Bösewicht auf der Bühne? Ibsens Figuren sind Menschen. Krogstad, Frau Linde und Doktor Rank suchen ihr Glück. Sie kämpfen
Phillip Henry Brehl
SCHAUSPIEL TERMINE: SO, 15.01., 15.00 Uhr und DO, 26.01., 19.30 Uhr, Großes Haus
ums Überleben und versuchen ihren Alltag zu meistern. Böse ist hier keiner. Sie bilden eine Gesellschaft ab, die sich im 19. Jahrhundert in einer nicht endendwollenden Spirale um Geld und Ansehen dreht. Die bürgerlichen Konventionen zerren an ihnen und machen sie zu Spielbällen äußerer Umstände und innerer Zwänge. Das eigentliche Böse ist die von Jelinek beschriebene Zukunftsaussicht. Es schmerzt, dass hier jede romantische Illusion von einem freien Individuum genommen wird und unangenehme Fragen aufgeworfen werden. Was haben wir in hundert Jahren Emanzipationsbewegung gelernt? Wo sind die Stürmer und Dränger geblieben? Wo sind die Querschläger und die Demonstranten? Wo ist der Glaube an die Veränderbarkeit der Welt? Manchmal blicke ich auf meine Generation, die Menschen zwischen 20 und 30, und wundere mich über uns. War es der 11. September in den Tagen meiner Pubertät? Vielleicht die großangekündigte Wirtschaftskrise, als man sich gerade für eine Ausbildung oder ein Studium entschließen musste? Was hat uns gehindert rauszugehen und unsere Meinung zu sagen? Der Westen marschierte in den Irak ein und wir bei Lan-Parties und Bowlingbahnen. War es die gut positionierte deutsche Mitte des Bürgertums, die uns ruhig gehalten hat? Golfen, Marmelade kochen, Pauschalreisen. Sind wir eine von Zukunftsangst geprägte Generation Biedermeier 2.0 geworden? Scheint so. Wir besinnen uns auf die alten Werte, aber neuerdings begleitet mich dabei ein fader Beigeschmack. Danke, Elfriede Jelinek!