SPEKTAKEL
DIE THEATERSEITEN
KOLUMNE
PREMIERE
Ulrich Töpfer ist Landesgeschäftsführer des Bundes Evangelischer Jugend in Mitteldeutschland, Vorsitzender des Eine-Welt-Verein Meiningen e. V. und Moderator des Bündnisses für Demokratie und Toleranz
„Die Mitte muss endlich ihr Schweigen brechen. Es darf nicht immer nur etwas an den Rändern passieren“, mahnte der Generalintendant des Theaters Altenburg-Gera Kay Kuntze, nachdem vier Schauspieler und Sänger ihre Verträge wegen verbalen rassistischen Anfeindungen nicht verlängert haben. Ein einmaliger Vorgang in der Theaterlandschaft. Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe und Sprache ihre gesicherte Existenz aufgeben, weil sie in einem Klima der Anfeindungen und Vorurteile nicht mehr leben können und wollen. Das Erschrecken darüber ist groß. „Die Mitte muss endlich ihr Schweigen brechen“ – und das muss nicht unbedingt laut sein. Auch wer redet, bleibt nicht stumm! Im Gespräch nehmen wir den anderen wahr. Er ist dann kein unbekannter Fremder mehr. Vertrauen wächst. Monatlich feiern wir in Meiningen Begegnungsfeste mit geflüchteten Menschen. Anfangs war ich sehr unsicher, wie ich mit ihnen umgehen soll. Sie waren mir fremd. Ich ihnen sicher auch. Aber sie begegneten mir mit einer Herzlichkeit, die alles Fremdsein beiseite schob. Dann erzählten sie von ihren Ländern. Wie sie waren vor dem Krieg und danach. Mir standen die Tränen in den Augen. Sie erzählten von ihrer Flucht und dem Leid, das sie erlebt hatten und wie froh sie sind, in Deutschland Menschen kennengelernt zu haben, die ihnen mit Respekt begegnen. Ich denke auch an die Aufführungen im Meininger Theater. An „Jasmin, der aus dem Orient kommt“, die die Fluchtgeschichten meiner syrischen Freunde beschreibt. Oder an die Aufführungen der Bürgerbühne, bei denen meine ausländischen Freunde mitwirken. Ganz stolz kamen sie von den Proben im Theater und erzählten davon. Das hat ihnen ihre Würde zurückgegeben. Es gehört nicht viel dazu. Ein freundliches Lächeln, die nette Geste, ein Gespräch. Es gibt eine Geste der Begrüßung bei meinen syrischen und afghanischen Freunden, die mich tief beeindruckt hat. Sie fassen sich dabei ans Herz, um zu zeigen, dass ihnen die Begegnung eine Herzensangelegenheit ist. Ich habe mir die Geste zu eigen gemacht. Am Umgang mit Menschen anderer Herkunft scheiden sich die Geister. Sie sind nicht nur eine Bereicherung für unsere Gesellschaft, unsere Kultur, sondern auch eine Herausforderung. Sie machen die Grundsatzfrage auf: In welcher Gesellschaft wollen wir leben? In einer welt-offenen, solidarischen? Oder in einer geschlossenen, wo Deutschland den Deutschen gehört? „Germany first“? Im „andorranischen Juden“ schreibt Max Frisch: „Du sollst dir kein Bildnis machen, heißt es, von Gott. Es dürfte auch in diesem Sinne gelten: Gott als das Lebendige in jedem Menschen, das, was nicht erfassbar ist. Es ist eine Versündigung, die wir, so wie sie an uns begangen wird, fast ohne Unterlass wieder begehen – Ausgenommen wenn wir lieben.“ Nächstenliebe verlangt Klarheit!
SCHAUSPIEL · MUSIKTHEATER · KONZERT · BALLETT · PUPPENTHEATER
Ausgabe Februar 2017
„Cyrano de Bergerac“ Romantische Liebeskomödie
Yannick Fischer (Christian de Neuvillette), Ingo Brosch (Cyrano de Bergerac)
Er nannte sich Herkules, lebte in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, kämpfte in der Gascogner Garde, war praktizierender Atheist, Philosoph, Naturforscher und Verfasser des allerersten Science-Fiction-Romans „Die Reise zum Mond“: Hercule Savinien Cyrano de Bergerac. Fast wäre er in Vergessenheit geraten, hätte ihn der Dichter Edmond Rostand mit seinem 1897 uraufgeführten Schauspiel nicht zu einem französischen Nationalhelden gemacht. Cyrano ist ein hervorragender Fechter und ein sensibler Poet – allerdings hat er einen Makel: eine sehr große Nase. Noch größer ist sein Nasenkomplex, so dass jeder, der einen Witz über die Nase macht, um sein Leben fürchten muss. Außerdem glaubt Cyrano, dass er aufgrund seiner Nase niemals Glück bei einer Frau haben wird, noch nicht einmal bei einer „hässlichen“. Verliebt ist er in seine Cousine Roxane, die „schönste von allen“, aber natürlich traut er sich aus Angst
PREMIERE
vor einer Zurückweisung nicht, ihr seine Gefühle zu gestehen. Roxane interessiert sich für den hübschen Christian, der neu im Regiment ist. Auch Christian ist Roxane gegenüber nicht abgeneigt, doch ihrer Forderung nach gedichteten Liebesbeteuerungen kann er nicht gerecht werden. Cyrano bietet dem Freund seine Hilfe an und leiht ihm seinen Geist. Auf diesem Weg ist es Cyrano auf einmal möglich, seine Liebe an Roxane zu adressieren. Dabei verfehlen seine Worte ihre Wirkung nicht: Roxane glaubt, Christian mehr zu lieben als je zuvor – sie würde ihn sogar lieben, wenn er hässlich wäre. Mitten in einer Schlacht wird Christian bewusst, dass Roxane nicht ihn, sondern Cyrano liebt. Erst viel später erkennt sie, wessen Worte ihre Liebe entfacht haben. Lange war der Meininger Schauspieler Michael Jeske für die Titelrolle des Cyrano de Bergerac vorgesehen, doch wenige Tage vor dem Probenbeginn zog er sich eine Ver-
SCHAUSPIEL Regie: Lars Wernecke Bühne & Kostüme: Dirk Immich Dramaturgie: Anna Katharina Setecki Mit: Evelyn Fuchs, Anna Krestel, Ulrike Schlegel, Ulrike Walther, Carla Witte; Peter Bernhardt, Reinhard Bock, Björn Boresch, Ingo Brosch, Yannick Fischer, Matthias Herold, Peter Liebaug, Hans-Joachim Rodewald, Renatus Scheibe, Sven Zinkan MATINEE: SO, 05.02., 11.15 Uhr, Foyer Großes Haus – Eintritt frei PREMIEREN: FR, 17.02., 19.30 Uhr und SO, 19.02., 19.00 Uhr, Großes Haus
letzung zu, die es ihm unmöglich machte, die Rolle zu spielen. Glücklicherweise sprang Ingo Brosch, von 2011 bis 2015 Ensemblemitglied des Meininger Theaters, kurzfristig ein und die Proben konnten mit nur zweitägiger Verzögerung beginnen. Brosch stellt sich nicht nur der Herausforderung des in alexandrinischen Versen gedichteten, umfangreichen Textes, sondern auch den anspruchsvollen Fechtchoreografien unter Anleitung von Fechtmeister Wolfgang Ziesch. An seiner Seite sind Carla Witte als Roxane und Yannick Fischer als Christian de Neuvillette sowie fast das gesamte Schauspielerensemble zu erleben. Das bewährte Duo aus Oberspielleiter Lars Wernecke und Bühnenund Kostümbildner Dirk Immich bringt die französische Heldenkomödie auf die Bühne des Großen Hauses.
WEITERE VORSTELLUNG: FR, 24.02., 19.30 Uhr, Großes Haus
Jung, rebellisch und ruhelos Goethes „Urfaust“ für Jugendliche
Johann Wolfgang Goethes „Faust“ ist die deutsche Schullektüre schlechthin. Aber es ist auch das Werk der deutschen Literatur, aus dem zahlreiche Redewendungen in den allgemeinen Sprachgebrauch übernommen wurden. Viele davon werden tagtäglich benutzt, ohne das Wissen darüber, dass es eigentlich Goethes Worte sind. Doch was ist das Besondere an diesem Klassiker, an dem Goethe während seines gesamten Lebens gearbeitet hat – was kann diese Geschichte, außerhalb der reinen Schul- und Abfrageverwertbarkeit uns noch heute über die Welt und die Menschen erzählen? Während Goethe über sechs Jahrzehnte und drei Epochen an der Faustdichtung gearbeitet hat, sind in seinem ersten Entwurf, dem „Urfaust“, die Konflikte im Stück stark zugespitzt und radikal auf den Punkt gebracht. Die vier zentralen Charaktere Faust, Mephistopheles, Gretchen und Marthe verhandeln Fausts Suche nach dem Sinn des Lebens und die Gretchentragödie unter sich. Die älteste erhaltene Fassung des Stückes beruht auf einer Mitschrift, die während einer Lesung des damals gerade mal 25 Jahre alten Goethe entstand. Die Dichtung wurde erst kurz vor seinem Tode, 60 Jahre später, fertiggestellt. Der „Urfaust“ ist vielmehr ein
Werbefoto: Vivian Frey, Phillip Henry Brehl
erweitertes Fragment, enthält aber schon wesentliche Teile der späteren „Faust I“-Dichtung. Da die Hauptfigur mit Goethe selbst gealtert ist, findet man im „Urfaust“ Faust nicht als einen alten Mann vor, sondern als einen jungen Intellektuellen, einen Forscher und Getriebenen, der mit sich und der Welt hadert. Verjüngung ist noch kein Thema, die Gier nach Leben schon. Es darf keine Langeweile aufkommen, es muss immer und immer weitergehen. Die Erkenntnis über den nie zu erreichenden Stillstand, die Erkenntnis nie dem System zu entkommen, treiben Faust bis hin zur Selbstaufgabe. Er wird schließlich zum bedingungslosen Egomanen, stets dreht er sich nur um sein Ich und die Bestätigung dieses Ichs durch immer neue Reize und immer uferloseren Konsum. Egal welcher Art dieser Konsum sein mag, schließlich kann man auch Menschen konsumieren. Faust muss das tun – um sich selbst noch irgendwie spüren zu können, stürzt er sich in einen Lebens- und Genußrausch, dessen Strudel sich schneller und schneller dreht. Die „Urfaust“-Produktion findet nicht im vergoldeten neoklassischen Ambiente des großen Meininger Theatersaales statt, sondern ist in den Kammerspielen. Durch die größere Nähe zu den Akteuren und die nicht
SCHAUSPIEL Regie: Gabriela Gillert Bühne & Kostüme: Helge Ullmann Mus. Leitung: Xell Dramaturgie: Dr. Patric Seibert Mit: Meret Engelhardt, Christine Zart; Phillip Henry Brehl, Vivian Frey, Patric Seibert; Statisterie des Meininger Theaters KOST-PROBE: MI, 22.02., 19.00 Uhr, Kammerspiele PREMIERE: DO, 02.03., 20.00 Uhr, Kammerspiele
mehr vorhandene Bühnenrampe kann die tragische Liebesbeziehung zwischen Gretchen und Faust unglaublich nahe und dicht erlebt werden. Auch die Musik des Komponisten und Theatermusikers Xell bedient sich der Hörgewohnheiten von Jugendlichen und ist in ihrer Klangwelt angesiedelt. Gabriela Gillert und der Bühnen- und Kostümbildner Helge Ullmann haben eine Bühnensituation geschaffen, die Faust ins Jetzt holt – und die Faszination und Verführungskünste Mephistos unmittelbar erlebbar macht. Diese Welt ist jung, rebellisch, ruhelos und gefährlich.