Spektakel April 2016

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DIE THEATERSEITEN

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SC H AUSPI EL • M USI K T H E AT E R • KONZ E RT • P U P P EN T H E AT E R • BALLE T T

Ausgabe April 2016 MT 1

K OLU MN E

S C H AU S PI E L P R EMIER E

„Im Tee riecht man es nämlich so unangenehm!“

Zum Regisseur geboren Am 2. April 1826, also vor nunmehr 190 Jahren, wurde der spätere Herzog Georg II. in Meiningen geboren. Als Erbprinz in einem souveränen Staat war er dazu auserkoren, dereinst das Regiment im Lande zu führen. Sämtliche erzieherischen Maßnahmen, die man diesem hoch intelligenten und vielseitigen Knaben angedeihen ließ, waren im Grunde genommen darauf ausgerichtet, ihn für das hohe Amt zu qualifizieren. Unter diesem Aspekt betrachtet, mochte es seinen Eltern und Lehrern als so ungünstig nicht erscheinen, dass der Heranwachsende aus eigenem Antrieb eine für jugendliches Theaterspiel zugeschnittene Fassung von Shakespeares „Macbeth“ erarbeitete, die dazu gehörigen Dekorationen und Kostüme entwarf und nicht eher ruhte, bis diese angefertigt, er Lehrer und Freunde als Darsteller einstudiert und das Ganze zur Aufführung gebracht hatte: der Knabe bewies Führungsqualitäten, konnte also Regie führen. Als Georg nach dem Universitätsstudium in einem preußischen Garderegiment als Kompaniechef seinen Dienst leitete, lernte er, Befehlen zu gehorchen und Befehle zu erteilen – war er gleichsam als Unter-Regisseur tätig. 1866 trat Georg die Herrschaft in Sachsen-Meiningen an. Fortan galt es, Regie zu führen – im realen Leben. Ideen, Menschen und Material waren unter bestimmten Voraussetzungen zu einem greifbaren Ergebnis zu führen. Georg hatte seine Lektion gelernt und ist als ein kraftvoller Herrscher in die politische Geschichte eingegangen. Mit der Machtübernahme im Lande fiel Georg auch das herzogliche Hoftheater zu. Weil er seinen ganzen Ehrgeiz daran setzte, auf seiner Bühne die Stücke des geliebten Shakespeares auf mustergültige Weise aufgeführt zu sehen, die Spielleiter aber seine hohen Erwartungen nicht erfüllten, griff er persönlich ins Theatergeschehen ein: Er bestimmte das Repertoire, sorgte für die Ausstattung der Inszenierungen, probte schließlich täglich am späten Vormittag und noch einmal bis spät in die Nacht an den Szenen. Als er Mustereinstudierungen zustande gebracht hatte, schickte er seine Bühne auf Reisen in die Metropolen Europas. Georg II. hat es verstanden, sich im real-politischen Leben auch vom freien Spiel der Kunst inspirieren zu lassen. Und er war umgekehrt in der Lage, ins Bühnengeschehen jene Erfahrungen einzubringen, die er als Mächtiger hatte sammeln können. In die Theatergeschichte ist er als „Schöpfer des modernen Regiertheaters“ eingegangen, im Volksbewusstsein lebt er als „Theaterherzog“ weiter. Alfred Erck, Professor em. der TU Ilmenau, 1934 in Meiningen geboren. Als Kenner der Meininger Theatergeschichte verfasste er die „Geschichte des Meininger Theaters“ und zusammen mit Hannelore Schneider die Biographie „Georg II. von Sachsen-Meiningen. Ein Leben zwischen ererbter Macht und künstlerischer Freiheit“.

Kesselrings schwarze Komödie „Arsen und Spitzenhäubchen“ Michael Jeske, Hans-Joachim Rodewald Regie: LUTZ HOCHSTRAATE Bühne und Kostüme: KERSTIN JACOBSSEN Dramaturgie: GERDA BINDER 1902 in New York City als Sohn deutschstämmiger Eltern geboren, weigerte sich Joseph Kesselring in die beruflichen Fußstapfen des Vaters zu treten, seines Zeichens berühmter Chirurg, der die damals in den Vereinigten Staaten neue Methode der plastischen Chirurgie anwandte und eine kleine Privatklinik unterhielt. Joseph verschrieb sich, gegen den Willen seines Vaters, der Musik und dem Theater. Nach zahlreichen erfolglosen Bühnenstücken verfasste er 1939 „Arsen und Spitzenhäubchen“, das nach der Uraufführung 1941 am New Yorker Broadway völlig überraschend große Erfolge feierte. In ihm findet man unter anderem Hass und Verehrung für den Vater: Die Anwendung der plastischen Chirurgie hat hier einen anrüchigen, ja sogar dilettantischen Beigeschmack, steht in der schwarzen Komödie neben Lustmord und Beerdigungssucht und ist stark mystisch aufgeladen. Schon seit Jahren sind sie immer wieder in den Medien zu finden: Todesengel, die nach außen wie die Stütze der Gesellschaft wirken – Krankenpfleger, Hausfrauen, Großväter und Ärztinnen. Menschen, die ihr Leben dem Dienst an den Mitmenschen verschrie-

ben haben. Gerade weil sie die allerletzten sind, denen man eine Bluttat zutrauten würde, bleiben ihre Verbrechen oft über Jahre unaufgeklärt; Dutzende oder sogar Hunderte Opfer sind die Folge. Und genau diese Todesengel sind nun in Brooklyn, im Hause Brewster zu finden: Zwei liebenswerte alte Damen, Abby und Martha, die ein friedvolles und hilfsbereites Leben führen – davon ist zumindest ihr Neffe Mortimer überzeugt. Als dieser im Haus seiner Kindheit einer Leiche fündig wird, beginnt die Schauergeschichte. Mortimer kann es nicht fassen. Nie im Leben hätte er diese Taten seinen lieben, herzensguten Tanten zugetraut, hätten sie es nicht selbst gestanden: Mit Holunderwein und etwas Arsen möchten sie helfen und einsame Seelen beizeiten „Gott näher bringen“. Die zwei hilfsbereiten Damen geben das Gift in den Wein, „weil man es da weniger merkt. Im Tee riecht man es nämlich unangenehm.“ Rührend kümmern sich Abby und Martha auch um ihren Neffen Teddy, der sich für niemanden Geringeren hält als für Theodore Roosevelt. Bereitwillig hebt der „Präsident der Vereinigten Staaten“ im Keller (Panama) Schleuse um Schleuse für den Kanal aus, um die zahlreichen „Gelbfieberopfer“ zu beerdigen. Da wird sich mit dem Kabinett besprochen, Staatsgeheimnisse müssen

gewahrt bleiben, und zwischendurch wird regelmäßig zum Angriff geblasen. Bei den Schwestern scheint Vieles im Argen zu sein und Mortimer, von seinen Tanten mit der größten Selbstverständlichkeit in die ganze Geschichte eingeweiht, ist mehr als verzweifelt und unternimmt alles, um die unangenehme Lage zur regeln. Es scheint, als sei er das einzige Familienmitglied bei klarem Verstand. Als zu allem Übel auch noch sein polizeilich gesuchter Bruder Jonathan auftaucht, seines Zeichens Serienmörder und begleitet von Doktor Einstein, einem Chirurgen mit fraglicher Arztlizenz, ist die Eskalation verbrecherischer Taten im Hause Brewster unausweichlich. Für Mortimer steht in jedem Fall fest: Seine beiden gemeingefährlichen Tanten müssen dringend aus dem Verkehr geschafft werden. Zwischendurch manövriert Mortimer Tanten, Bruder und alle weiteren erwünschten und unerwünschten Besucher des Hauses an der Polizei vorbei – jenen Helfern in der Not, die bei den Schwestern Brewster zu allem Übel aus- und einzugehen gewohnt sind. Fragt sich am Ende nur, wer von den vielen Verrückten es wert ist, ins Irrenhaus eingeliefert zu werden. Zu Recht gilt das Stück als großer Klassiker der Krimikomödie, in dem vor allem der Lustmord eine tragende Rolle spielt und das

Stück maßgeblich bestimmt. Dabei hatte Kesselring das Stück vornehmlich als moralisches Pamphlet gegen den Nationalsozialismus und gegen eine mögliche Beteiligung der Vereinigten Staaten am Zweiten Weltkrieg abgefasst. 1944 wurde es von Frank Capra verfilmt. Alles in allem eine Komödie, wie sie schwärzer nicht sein kann. Mit: ULRIKE WALTHER, CARLA WITTE; REINHARD BOCK, PHILLIP HENRY BREHL, VIVIAN FREY, MATTHIAS HEROLD, MICHAEL JESKE, PETER LIEBAUG, FRANK NÜRNBERGER, WOLFGANG PFISTER, HANS-JOACHIM RODEWALD, RENATUS SCHEIBE, SVEN ZINKAN

Matinee:

SO, 10.04., 11.15 Uhr, Foyer Eintritt frei

Premieren:

FR, 15.04., 19.30 Uhr und SO, 17.04., 19.00 Uhr, Großes Haus

Weitere Vorstellung:

FR, 22.04.; FR, 20.05.; FR, 17.06. und SA, 25.06., jeweils 19.30 Uhr, Großes Haus

SCHAUSPIELPREMIERE

2400 Jahre Einsamkeit, Hass und Rache Die Geschichte um die Königstochter Elektra und den Mord an ihrer Mutter Klytaimnestra ist einer der ältesten Theaterstoffe der Menschheit. Zwar wird die Person der Elektra in den großen Epen Homers nicht erwähnt, gleichwohl berichtet die Odyssee an vier Stellen von der Tötung des mykenischen Königs Agamemnon nach dessen Rückkehr aus dem Trojanischen Krieg durch seine Frau Klytaimnestra und ihren Liebhaber Aigisth. Auch die spätere Rache Orests an Aigisth ist Homer bereits bekannt. Seine Tat ist eine Blutrache – also ein legitimer Racheakt an einem Usurpator und Königsmörder. Ob Orest bei dieser Gelegenheit auch seine Mutter tötete, bleibt bei Homer ungeklärt. Von einer helfenden, unterstützenden oder gar zur Tat überredenden Schwester ist bei ihm auch keine Rede. Einige hundert Jahre später nehmen sich die großen griechischen Tragödienschreiber Aischylos, Euripides und Sophokles des Stoffes an und gestalten jeweils eigene Charaktere aus den überlieferten Figuren der Artridensage. Und erstmals wird Elektra erwähnt. Während sie bei Aischylos nur zusammen mit dem Chor agiert und spricht, gestalten Euripides und Sophokles schon die entschlossen hassende Figur, als die uns Elektra bekannt ist. Besonders Sophokles formt die Hauptfigur der Tragödie zur treibenden und bestimmenden Kraft, die

den Bruder Orest zur Rache drängt. Sie wird zur Inkarnation der Rache und ist schon fast bereit, ihre Mutter eigenhändig zu ermorden, was ihrem Selbstverständnis als Frau in der Antike eine unerhörte neue Dimension hinzufügen würde. Elektra ist nicht mehr nur das passive Opfer wie noch bei Aischylos, sie lebt von ihrer Mutter gedemütigt im Königspalast. 20 Jahre lang muss sie die selbstgerechte Lüsternheit des Herrscherpaares ertragen, muss miterleben, wie Klytaimnestra jeden Monat ein Fest zur Erinnerung an die Ermordung Agamemnons feiert. In einem weiten Spannungsbogen stellt Sophokles das lange Leiden an ihrer Mutter dar, die innere und äußere Einsamkeit, die sie empfindet, umgeben von Menschen, die sie hasst. Mehr als 2300 Jahre später bearbeitet Hugo von Hofmannsthal den Elektra-Stoff abermals. Die Figur der Klytaimnestra gewinnt bei ihm an Tiefe und Substanz. Die Gründe ihrer Handlung werden dargelegt, sie wird als verletzte und traumatisierte Frau gezeigt, die nicht aus ihrer Haut kann und im Rahmen ihrer Persönlichkeit nur so handeln kann, wie sie es tut. Auch Heiner Müller hat das Elektra-Thema am Ende des 20. Jahrhunderts noch einmal als Gleichnis auf die Verhältnisse, mit denen er konfrontiert war, neu gezeichnet und die archaische Kraft des Textes und des Stoffes neu freigelegt.

Barbara Neureiter wird in Ihrer Inszenierung der „Elektra“ einen weiten Bogen spannen: Texte aus 2400 Jahren werden zu einer großen Montage zusammengezogen und verdichtet. Zu Bearbeitungen der Elektra-Geschichte kommen noch Texte aus Jonathan Littells Kriegsroman „Die Wohlgesinnten“ hinzu, um die Geschichte des Elektra-Bruders Orest zu erzählen, bevor er – ebenfalls beschädigt und seelisch verletzt – in die eigentliche Handlung eintritt. Helge Ullmann hat für diese Inszenierung in den Kammerspielen eine Bühne im Cinemascope-Format geschaffen, die Platz schafft für einen der bedeutendsten Stoffe der Theatergeschichte.

Barbara Neureiter inszeniert „Elektra“ in den Kammerspielen

Kost-Probe:

MO, 04.04., 19.00 Uhr, Kammerspiele Eintritt frei

Premiere:

DO, 07.04., 20.00 Uhr, Kammerspiele

Weitere Vorstellungen:

SA, 16.04.; FR, 29.04.; FR, 06.05.; SA, 04.06., DO, 16.06., jeweils 20.00 Uhr, Kammerspiele Mit: MERET ENGELHARDT, EVELYN FUCHS, ANNA KRESTEL, ANJA LENSSEN; HAGEN BÄHR, BJÖRN BORESCH

Meret Engelhardt, Evelyn Fuchs


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