SPEKTAKEL
DIE THEATERSEITEN
KOLUMNE Martin Wettges ist Chordirektor mit Dirigierverpflichtung am Meininger Theater, Musikdirektor der Oper Mauritius und Künstlerischer Leiter der Musikakademie der Studienstiftung des deutschen Volkes
„Ehrt eure deutschen Meister, dann bannt ihr gute Geister!“ In diesen Tagen, in denen rechte Populisten immer erfolgreicher mit deutschtümelnden Parolen auf Wählerstimmenfang gehen, machte sich bei mir ein ungutes Gefühl im Bauch bemerkbar, als ich dieses wahrscheinlich aufwendigste Finale des gesamten Musiktheaterrepertoires in den Proben erstmals dirigierte: „Die Meistersinger von Nürnberg“. Mit Chor und Extrachor des Meininger Theaters sowie Chorgästen und Meininger Kantorei stehen insgesamt über 100 Chorsängerinnen und -sänger auf unserer Bühne. Ein Lebenstraum für mich, als seit Kindertagen wagnerverrückter Musiker! Und doch war mir der einstimmige C-Dur-Jubel der „Meistersinger“ schon zu Schulzeiten immer auch etwas suspekt. Kann man diese Oper hören, ohne ihren Missbrauch durch politische Regimes verschiedener Couleur mitzudenken? In diesen trüben Meininger Wintertagen probe ich das aufwendige Werk seit November fast täglich und bin, je mehr ich mich hineinvertiefe, überzeugt: Ja, gerade jetzt brauchen wir die „Meistersinger“! Die von den Handwerkerzünften regierte freie Reichsstadt Nürnberg ist eine politische Utopie Wagners. Der Komponist kämpfte an vorderster Front der deutschen Revolution 1848 für ein demokratisches, geeintes, liberales Deutschland. Sein erster Textentwurf für die „Meistersinger“ entstand noch zuvor, im Jahr 1845, und kann durchaus als ein politisches Credo verstanden werden: im phantasie-mittelalterlichen Nürnberg regieren eben nicht autokratische Landesfürsten wie zu Wagners Lebzeiten, sondern einzig die schönen Künste. Demokratisch von den Zünften verfasste und von allen akzeptierte Gesetzestexte sind Grundlage für das Meister-Singen. Ein junger Adeliger, Junker Walther von Stolzing, der von außen in diese Welt eindringt, ist da als Repräsentant des überkommenen monarchischen Systems erst einmal hochgradig suspekt. Trotzdem überzeugt er die Bürgerschaft aufgrund seiner künstlerischen Genialität, die bewusst mit den Regeln bricht. Aber erst seine offen hervorgebrachte Ablehnung der Nürnberger Werte als frisch gekürter Sängerkönig („Will ohne Meister selig sein!“) fordert die Opposition der Nürnberger heraus. So ist Sachs‘ Gegenrede mit dem zu Beginn zitierten Text in diesem Kontext zu verstehen als ein Bekenntnis zu den Werten der Meistersinger: zur Freiheit der Kunst, zur Demokratie, zu einer pluralistischen, freien und geeinten Gesellschaft und damit auch gerade gegen Abschottung und Minderheitenfeindlichkeit. „Habt acht! Uns dräuen üble Streich!“ – diese Warnung von Sachs steht uns (leider) auch 2017 noch gut zu Gesicht. Ich freue mich gemeinsam mit Ihnen auf unsere „Meistersinger“-Premiere am 7. April! Ihr Martin Wettges
SCHAUSPIEL · MUSIKTHEATER · KONZERT · BALLETT · PUPPENTHEATER
Ausgabe März 2017
AUSBLICK
April-Festwoche mit Berliner Ensemble „Deutschstunde“ von Siegfried Lenz
Anatol Käbisch, Jörg Thieme
„Mit der ‚Deutschstunde’ habe ich versucht, das zu tun, worauf es mir einstweilen in allen Arbeiten ankam: eine nicht beliebige Geschichte zu erzählen, von der ich weiß, daß andere sie zwangsläufig anders verstehen werden.“ SIEGFRIED LENZ
Siegfried Lenz wurde 1926 im masurischen Ostpreußen geboren und zählt zu den bedeutendsten Erzählern der deutschsprachigen Nachkriegs- und Gegenwartsliteratur. Neben den Nobelpreisträgern Heinrich Böll und Günter Grass gehört Lenz zu jenen Autoren, die die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und die Aussöhnung insbesondere mit Polen und Israel als Lebensaufgabe verstanden. Für seine Werke wurde er vielfach ausgezeichnet und erhielt u.a. den Gerhart-HauptmannPreis, den Thomas-Mann-Preis, den Frie-
PREMIERE
denspreis des Deutschen Buchhandels und den Nonino-Preis. 1968 veröffentlichte Lenz inmitten der Studentenunruhen seinen bedeutendsten Roman: „Deutschstunde“. Das Buch avancierte zum Sinnbild der von den Jugendlichen kritisierten Verquickung von Pflicht und Schuld zur NS-Zeit, wurde in 20 Sprachen übersetzt und 2,2 Millionen Mal verkauft. „Die Freuden der Pflicht“: So lautet das Thema des Aufsatzes, den Siggi Jepsen, Insasse einer Hamburger Besserungsanstalt, schreiben soll. Doch Siggi gibt ein leeres Heft ab – zu heftig bestürmen ihn die Erinnerungen seiner Kindheit. In einer Einzelzelle bringt er schließlich alles zu Papier: Siggis Vater, Polizist im norddeutschen Rügbüll, bekommt 1941 den Befehl, dem „entarteten“ Maler Nansen ein offizielles Malverbot zu überbringen und die Durchsetzung zu überwachen. Trotz seiner alten Freundschaft zu
Nansen erfüllt der Polizeiposten Jepsen kompromisslos seine Pflicht, macht auch vor Beschlagnahme und Zerstörung der Gemälde nicht halt. Siggi, dem Nansen ein väterlicher Freund ist, beginnt dessen Bilder vor dem Pflichtbewusstsein seines Vaters zu retten. Und ebenso zwanghaft, wie der Polizist sogar nach Kriegsende noch das längst aufgehobene Verbot durchzusetzen versucht, kann auch Siggi nach 1945 nicht aufhören, Nansens Bilder zu „retten“ und wird als Kunsträuber verhaftet. Im Oktober 2014 verstarb Lenz im Alter von 88 Jahren. Zu seinem Gedenken brachte das Berliner Ensemble Lenz‘ Schlüsselwerk auf die Bühne: Am 06. Juni 2015 feierte die Adaption Uraufführung. Der Romancier und Dramatiker Christoph Hein („Der fremde Freund“, „Willenbrock“) übernahm die Bühnenbearbeitung – aus 576 Seiten entstand eine Stückfassung von 90 Minuten.
SCHAUSPIEL Regie: Philip Tiedemann Bühne: Johannes Schütz Kostüme: Margit Koppendorfer Musik: Peer Neumann Dramaturgie: Dietmar Böck Licht: Ulrich Eh Mit: Winfried Peter Goos, Anatol Käbisch, Peer Neumann, Joachim Nimtz, Uli Pleßmann, Stephan Schäfer, Martin Schneider, Martin Seifert, Felix Strobel, Jörg Thieme, Georgios Tsivanoglou TERMIN: (als Ersatz für das Burgtheater-Gastspiel) FR, 14.04., 19.00 Uhr, Großes Haus
„Entfesselt“ von Andris Plucis und Jorge Pérez Martínez Zweiteiliger Ballett-Abend mit Musik von Beethoven, Mozart und Elgar
„Ein Fest für die Sinne“ erwartet die Besucher beim zweiteiligen Ballettabend: In der ersten Hälfte choreografiert der Eisenacher Compagnie-Chef Andris Plucis Beethovens 7. Sinfonie, auch bekannt als „Apotheose des Tanzes“ (Richard Wagner). Den zweiten Teil gestaltet der junge, international erfolgreiche Choreograph Jorge Pérez Martínez zu Sätzen aus Mozarts 31. und 34. Sinfonie sowie Edward Elgars weltberühmtem Marsch „Pomp and Circumstance“. „Ich freue mich sehr, dass es mir gelungen ist für diesen zweiteiligen Ballettabend einen jungen, vielversprechenden Choreographen holen zu können. Jorge Pérez Martínez zeigt sich mit seiner sehr eigenen, hochinteressanten choreographischen Handschrift das erste Mal hier in Deutschland. Die musikalische Grundlage der Choreographie bilden Wolfgang Amadeus Mozart und Edward Elgar. Ich habe mich meinerseits für Ludwig van Beethoven entschieden. Trotz verschiedener choreographischen Herangehensweisen bleibt das Hauptziel beider Teile dieses Abends, dem musikalischen Genuss den visuellen beizusteuern. Es ist meine Überzeugung, dass es eine Korrespondenz von bewusstem Hören zu bewusstem Sehen gibt. Eine Art ,erregtes‘ Sehen, das mit dem Bewegungsablauf mitgeht und somit wie bei einer Tonfolge der jeweiligen
Auflösung folgt. In unserer bilderüberfluteten Zeit wird das Sehen immer mehr zu einem kurzfristigen Registrieren. Mit der ,virtuellen Realität‘ wird eine neue Dimension erreicht, aber ich glaube nicht, dass der klassische Kunstgenuss dadurch zu ersetzen ist. In unserer heutigen Welt ist der Radikalitätsbegriff einseitig besetzt
mit Szenen und Bildern von Gewalt und Not. Dieser dumpfen, unmenschlichen Radikalität gilt es die künstlerische entgegen zu stellen. Es ist diese Suche nach dem Wesentlichen, dem im Endeffekt eine viel größere Radikalität innewohnt. Ich gebe zu, dass ich meinen Kunstbegriff zum großen Teil von der Romantik ableite.
Der Reichtum dieser Epoche inspiriert mich zutiefst. Nun hoffe ich, liebes Publikum, dass Mozart und Beethoven unsere Phantasie so beflügelt haben, dass wir Sie mitreißen und begeistern können.“ ANDRIS PLUCIS
BALLETT Choreografie: Andris Plucis, Jorge Pérez Martínez Musikalische Leitung: Andreas Fellner Bühne: Christian Rinke Kostüme & Dramaturgie: Danielle Jost Mit: Ballett des Landestheaters Eisenach; Landeskapelle Eisenach PREMIEREN: FR, 10.03., 19.30 Uhr und SO, 12.03., 19.00 Uhr, Großes Haus WEITERE TERMINE: SO, 26.03., 19.00 Uhr, FR, 28.04., DO, 18.05. und SA, 27.05., jeweils 19.30 Uhr, Großes Haus
Victoria Garcia Martinez, Maciej Szymczak