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Aus der Praxis

Aus der Praxis

Nach einem Winterhalbjahr 2021 im Zeichen von Pandemie, Lieferproblemen und starken Preisanstiegen bei Rohstoffen, Bauteilen und Energie hatten die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute eine deutliche Entspannung in diesem Frühjahr erwartet: In der gemeinschaftlichen Diagnose vom Oktober 2021 waren die Forscher noch von einem Wirtschaftswachstum von 4,8 Prozent für 2022 ausgegangen. In der aktuellen Frühjahrsdiagnose1 mussten die Experten ihre Vorhersage allerdings stark nach unten korrigieren. Das BIP soll 2022 nun im besten Fall noch um 2,7 Prozent wachsen. In diesem Fall würde das BIP dieses Jahr nur noch um 1,9 Prozent zulegen und 2023 sogar schrumpfen, die Inflationsrate läge dann 2022 bei 7,3 Prozent. Doch auch ohne Extrem- szenario ist die Entwicklung herausfordernd. So haben sich laut dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW)2 seit Anfang letzten Jahres die Großhandelspreise für Strom vervierfacht; bei Gas ist es das annähernd Fünffache.

DIE AKTUELLE WIRTSCHAFTSLAGE:

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VERSCHäRFTER KRISENMODUS MIT HOFFNUNGSSCHIMMER

Historische Herausforderungen Die Revision der Vorhersage war aufgrund des Kriegsausbruchs in der Ukraine und dessen wirtschaftlicher Folgen für Deutschland unvermeidlich. Weiter steigende Preise für Material sowie Waren und vor allem die explodierten Energiekosten sorgen für eine massive Inflationsrate. Die Wirtschaftsforschungsinstitute sehen diese für das laufende Jahr bei einem Wert von 6,1 Prozent – dem höchsten seit 40 Jahren. Da die Lage wegen des andauernden Konflikts unsicher und schwer vorhersagbar bleibt, wird in der Gemeinschaftsdiagnose auch ein alternatives Wirtschaftsszenario geschildert: eine weitere Eskalation und ein Stopp russischer Gaslieferungen. Derzeit keine Erholung durch privaten Konsum Die Preiserhöhungen bei der Energie und die Unsicherheit aufgrund des Krieges lassen auch das Konsumklima im April3 auf ein historisches Tief fallen. Laut GfK unterschreitet dieses sogar den bisherigen Tiefstand während des ersten Corona-Lockdowns im Jahr 2020. Die Einkommenserwartung sank im April 2022 um 9,2 Punkte auf minus 31,3 Punkte – der niedrigste Wert seit annähernd 20 Jahren. Auch die Anschaffungsneigung ist zum dritten Mal in Folge gefallen, auf minus 10,6 Punkte: Einen noch schlechteren Wert hatte es das letzte Mal im Zuge der Finanzkrise 2008 gegeben. Damit sinken auch die Chancen einer konjunkturellen Belebung durch den privaten Konsum.

Konflikt trifft Großteil der Unternehmen Wie stark gerade auch der Mittelstand vom Krieg in der Ukraine betroffen ist, lässt eine Blitzumfrage4 des DIHK erahnen. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hatte nach Ausbruch des bewaffneten Konflikts 3.700 Unternehmen aus allen Branchen und Regionen befragt. Demnach sehen sich 78 Prozent geschäftlich von Krieg und Sanktionen betroffen. Neun von zehn Befragten

Quellen: 1 https://www.iwh-halle.de/presse/pressemitteilungen/detail/gemeinschaftsdiagnose-fruehjahr-2022-von-der-pandemie-zur-energiekrise-wirtschaft-und-politik-im-d/ 2 https://www.bdew.de/presse/presseinformationen/ukraine-krieg-bleibt-eine-gro%C3%9Fe-herausforderung-fuer-die-energieversorgung-wichtig-bleibt-der-intensive-austausch-zwischen-politik-und-branche/ 3 https://www.gfk.com/de/presse/konsumklima-erreicht-historisches-tief 4 https://www.dihk.de/de/aktuelles-und-presse/krise-russland-ukraine-wirtschaftssanktionen/krieg-in-der-ukraine-und-sanktionen-vier-von-fuenf-betrieben-betroffen-67956

erkennen hierbei in höheren Energiekosten einen spürbaren Effekt im eigenen Betrieb. Zwei Drittel der Firmen planen oder reagieren laut der Umfrage mit Preisanpassungen, 32 Prozent mit Erhöhung der Lagerhaltung und 30 Prozent mit Streichen oder Verschieben von Investitionen. Ob gerade Letzteres allerdings auf mittel- und langfristige Sicht eine gangbare Strategie ist, bleibt fraglich.

Investitionsstau kann kritisch sein Die momentane Situation zeigt, wie riskant es ist, stark von einer einzelnen Ressource, Technologie oder Lieferregion abhängig zu sein – Deutschland bezog bisher über die Hälfte seines Erdgases aus Russland. Ein zu langes Aufschieben oder gar Streichen von Investitionen kann die Existenz von KMU bedrohen, denn zum Krieg kommen Transformationstreiber wie Klimakrise, Mobilitätswandel und Digitalisierung hinzu. Unternehmen müssen ihre Angebote, Prozesse und Lieferketten langfristig an die sich verändernden Märkte anpassen. Kurzfristig geht es um Liquiditätssicherung und Working-Capital für Beschaffung und Lagerausbau.

Was gibt Anlass zur Hoffnung? Der Aufschwung ist zwar deutlich verhaltener, als von Experten zunächst vorhergesehen. Dennoch befindet sich Deutschland aktuell noch nicht in einer Rezession. Die weggefallenen Beschränkungen im Zuge der CovidPandemie können trotz Ukraine-Krieg für einen gewissen konjunkturellen Auftrieb sorgen. Der milliardenschwere Schutzschild der Bundesregierung, der Hilfskredite, Zuschüsse und Bürgschaften für von der Energiekrise betroffene Unternehmen bereitstellt, dürfte für weitere Entspannung bei den KMU sorgen. Zudem werden viele Firmen Preissteigerungen in den nächsten Monaten erfolgreich an ihre Kunden weitergeben können – oder haben bereits damit begonnen. Entsprechend hat sich die Stimmung im Mittelstand nach dem ersten Kriegsschock etwas beruhigt: Das KfW-ifoMittelstandsbarometer5 für April 2022 zeigt eine moderate Erholung bei der Geschäftsbeurteilung und noch etwas stärker gestiegene Geschäftserwartungen. Für eine generelle konjunkturelle Entspannung bedarf es nach Ansicht der Studienverantwortlichen allerdings einer Eindämmung des Ukraine-Konflikts, einer Abfederung der Inflations- und Sanktionslasten, mehr Energieeffizienz und einer schnellen Diversifizierung der Energieversorgung.

Auch der Kiel Trade Indicator6 des IfW lässt etwas aufatmen. Demnach hat sich der internationale Handel stabilisiert. Im Vergleich zum Vormonat haben etwa deutsche Exporte im April um 3,2 Prozent und die Importe um 1,4 Prozent zugelegt. Auch die Stockungen im internationalen Containerhandel pegeln sich – auf hohem Niveau – ein. Erwartungsgemäß sind die Exporte nach Russland im März im Vergleich zum Vorjahresmonat massiv eingebrochen – laut Destatis7 um 57,5 Prozent auf 1,1 Milliarden Euro. Doch wo sich eine Tür schließt, geht eine andere auf: Die Ausfuhren in die Vereinigten Staaten legten im März 2022 um 21 Prozent auf 13,5 Milliarden Euro zu.

Quellen: 5 https://www.kfw.de/%C3%9Cber-die-KfW/Newsroom/Aktuelles/Pressemitteilungen-Details_707776.html 6 https://www.ifw-kiel.de/de/publikationen/medieninformationen/2022/kiel-trade-indicator-0422-welthandel-stabilisiert-sich/ 7 https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/04/PD22_173_51.html

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