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TITEL FANKULTUR
Neuer Teamleiter im Fanprojekt: Der Sozialpädagoge Dirk Grießbaum. Fußballfans“ und TV-Moderator Johannes B. Kerner entblödete sich nicht, mit besorgter Miene ein Bengalo in seiner Fernsehshow abzufackeln und eine Kinderpuppe in Brand zu setzen. Ein wohliger Schauer machte sich breit im bequemen Fernsehsessel – hier geht es noch härter zu als in Syrien. Daniel sagt, die Hetze damals habe bei einigen Ultras Trotzreaktionen hervorgerufen. Mittlerweile sind Ruhe und ein bisschen mehr Vernunft eingekehrt, auch dank der Initiativen von Fans wie „Ich fühl’ mich sicher“. Der SC Freiburg hat ebenfalls dazugelernt, das Fanprojekt ist nur durch eine Anschubfinanzierung des Clubs schon im März aufs Gleis gebracht worden. Grießbaum sagt: „Die Wahrnehmung beim Verein hat sich geändert. Es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Fankultur und die der Ultras mehr positive als negative oder gar bedrohliche Seiten hat.“ Sind die Ultras Fluch oder Segen? Der Verein ist auf sie angewiesen, denn Stimmung kommt anders als früher fast nur aus der Ultra-Kurve. SC-Sprecher Rudi Raschke stöhnt etwas. Sicher, die Unterstützung sei ein „nicht wegzudenkender Teil unserer Fanszene“. Auch wenn sie ihre Ideen zuweilen „einen Tick zu brutal“ durchsetzen. Aber auf Teile der NBU, die Aufkleber mit dem Tenor „Wir ficken euch alle“ in der Stadt anbringen, sei der Verein nicht besonders stolz.
Und die Gewalt? Manche Ultras prügeln sich, aber das ist die Ausnahme. Für die Jungs von Corrillo ist Gewalt das allerletzte Mittel. Dann etwa, wenn es gilt, die Nordtribüne gegen Neonazis aus dem Dreisamtal zu verteidigen, die bislang erfolglos versucht haben, Fuß zu fassen. Was alle Ultras bundesweit eint, ist ein schwieriges Verhältnis zur Polizei. „Für einige Ultras ist sie Feindbild Nummer Eins, sie definieren sich darüber. Auf der anderen Seite tritt die Polizei oft nicht deeskalierend genug auf, sondern zu martialisch – auch in Freiburg. Das wiederum provoziert“, sagt Christoph Ruf. Bei der Polizei heißt es: „In Freiburg sind im Vergleich zu den meisten Spielorten viel weniger Beamte eingesetzt. Nicht zuletzt der Standort und die mangelhaften baulichen Gegebenheiten für die Fantrennung machen jedoch einen Polizeieinsatz im aktuellen Ausmaß zur Sicherheit aller Besucher notwendig.“ In der Saisonbilanz tauchen zwar reichlich Alkoholleichen, Pöbeist ein leien, Beleidigungen und die eine oder andere Rauferei auf. Und es gebe auch „Auseinandersetzungen, die im Falle eines Aufeinandertreffens mit Gleichgesinnten in handfesten Körperverletzungen enden“. Doch die Anhänger der dritten Halbzeit seien in der absoluten Minderheit. Mit knapp 70 Straftaten und zwei Dutzend Gewahrsamnahmen sind die Freiburger in der Bundesliga in dieser Statistik weit abgeschlagen. Die Polizei hat drei szenekundige Beamte im Einsatz, es gibt vor Heimspielen regelmäßig „Kurvengespräche“, derzeit werden Kontakte zum neuen Fanprojekt aufgebaut. Eigentlich klingt das so friedlich wie ein Sommertag an der Dreisam – wäre da nicht die Pyrotechnik. Für die Polizei ist sie immer noch ein „brandaktuelles“ Thema, für die Ultras hingegen Bestandteil ihrer Fankultur. Die Fans haben mit ihrer Zündelei dem SC al-
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„Pyrotechnik Ausdruck der Freude“
Kommentar
Gegen Stumpfsinn, für eine kreative Fankultur
Fünfter Platz, Europapokal und meist recht gute Stimmung im Stadion. Chapeau SC, Chapeau Fans! Dennoch ist da noch Luft nach oben. Weil einiges auf den Rängen dämlich und nicht besonders originell ist. Weil das Gebrüll von „Hurensöhnen“ oder „asozialen Schwaben“ zum Fremdschämen einlädt. Und weil einige Fans sich grenzdebil bei den Spielen präsentieren oder schon zur Halbzeit nicht mehr geradeaus gucken können und dem Gegner, den eigenen, andersdenkenden Fans und dem Fußball zu wenig Respekt entgegenbringen. Immerhin: Die Nazis bekommen bei uns keinen Fuß auf die Nordtribüne. Gut so! Erfreulich ist auch, dass es eine stärker werdende Fraktion innerhalb der Ultraszene gibt, die mit Stumpfsinn nichts am Hut hat und die sich für Anliegen stark macht, die uns alle angehen: faire Ticketpreise, humane Anstoßzeiten, der Kampf gegen die zunehmende „Eventisierung“ unseres Sports. Das gibt Hoffnung für Leute wie mich, die seit über 20 Jahren ins Stadion gehen. Damit wir nicht immer sagen müssen: „Ja, früher, das war da noch alles besser, spontaner, origineller und nicht so idiotisch.“ Gerne lassen wir Ältere uns begeistern von (guter) Stimmung aus der Fankurve und peitschen gemeinsam den SC nach vorne – auch und erst recht in der kommenden Saison. Dominik Bloedner lein seit 2012 mehr als 30.000 Euro an Geldstrafen eingebracht. „Hier gibt es unterschiedliche Positionen in der Szene. Einige Ultras meinen, es ginge nicht ohne. Andere finden Leuchtkörper zwar gut, sind aber pragmatisch und verzichten wegen des Verbots darauf, weil sie ihrem Verein nicht schaden wollen“, sagt Ruf. „Das ist ein schwieriges Thema“, meint Marius. „Pyrotechnik steht nicht für Randale. Sie ist Ausdruck von Freude, sie ist schön.“ Daniel ist für einen verantwortungsbewussten Umgang, etwa das kontrollierte Abbrennen in einer Sicherheitszone. Beide schütteln nach wie vor den Kopf, wenn sie an das PokalHalbfinale in Stuttgart denken. Damals zündelten auf der Sitzplatztribüne einige Krawalltouristen, die sonst nie ins Stadion gehen: Gefahr für die anderen Fans, Strafe für den Verein. Mal wieder. Und wohl nicht das letzte Mal.
10 CHILLI JUNI 2013
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