chilli – das Freiburger Stadtmagazin

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Szene interview

» Wir sterben aus «

N

och zwei Wanderschäfer gibt es in und um Freiburg. Norbert Schwarz aus Kappel und Jürgen Seywald aus Ballrechten-Dottingen bei Staufen. Letzterer macht den Job seit 25 Jahren. Im chilli-Interview mit Till Neumann erzählt der 44-Jährige von 15-Stunden-­Tagen, hungrigen Wölfen und Staus in Littenweiler. chilli: Schäfer sind selten geworden ... Seywald: Ja, wir sterben aus. Vor 50 Jahren gab es in jeder Gemeinde noch einen Wanderschäfer auf der Winterweide. Heute sind es pro Landkreis noch zwei. Den Beruf will keiner mehr machen, ich verstehe das. Ich bin täglich 13 bis 15 Stunden beschäftigt – 365 Tage im Jahr. Viele Schäfer sind kurz vor der Rente. chilli: Verdient man damit noch was? Seywald: Wir machen das aus Idealismus. Die Wolle bringt nichts mehr. Was ich fürs Scheren investiere, kommt gerade wieder rein. 30 Prozent meiner Einnahmen kommen vom Fleischverkauf, 70 Prozent durch Landschaftspflege. Viel ist es nicht.

chilli: Wohin wandern Sie im Frühjahr? Seywald: Von April bis Mitte Oktober bin ich mit den Tieren unterwegs. Vor allem auf dem Truppenübungsplatz Heuberg in Stetten (Kreis Sigmaringen). Bis Weihnachten dann in Bremgarten. Früher sind wir die 160 Kilometer bis auf die Schwäbische Alb gewandert. Mittlerweile werden die Tiere mit dem Laster transportiert, das ist einfacher. chilli: Sie sind lange unterwegs ... Seywald: Genau. Ich übernachte in

Stetten in einem Wohnwagen. Man ist dort nicht ganz alleine. Auf dem Militärgelände sind sieben Schäfer. Ab und zu fahre ich zu meinem Hof und übernachte hier. Ich muss ja Winterfutter machen.

chilli: Wie kriegen Sie das alleine hin? Seywald: Ich habe 700 Mutterschafe,

mehr geht nicht. Meine Frau und meine Geschwister helfen manchmal mit. Personal ist schwer zu finden und unbezahlbar. Urlaub mache ich höchstens mal einen Tag, dann passt ein anderer Schäfer auf meine Tiere auf.

» Der wolf ist nicht blöd « chilli: Landschaftspflege? Was heißt das? Seywald: Wir bekommen Geld dafür, dass wir uns um Flächen kümmern. Ohne unsere Schafe würden sie zuwachsen. Die Hänge sind oft zu steil, um sie zu mähen. Wir sorgen mit der Herde dafür, dass Insekten und Bodenbrüter bestehen können. chilli: Sie sind Wanderschäfer. Die Tiere sind derzeit dennoch im Stall? Seywald: Ja, seit Weihnachten. Hier lammen sie ab und werden geschoren. Alleine schaffe ich es im Winter nur, wenn die Tiere drinnen sind. Der Kollege Schwarz aus Kappel ist dafür das ganze Jahr draußen. 20 CHILLI Februar 2017

Foto: © tln

Der Schäfer Jürgen Seywald ist einer der letzten seiner Art

chilli: Schäfernachwuchs ist rar, oder? Seywald: Vergangenes Jahr waren es

noch drei Lehrlinge in Baden-Württemberg. Es gibt junge Menschen, die es probieren. Sie glauben, Schafe­ hüten sei romantisch. Die machen das meist eine Woche, dann kommen sie nicht mehr. chilli: Gar keine Romantik? Seywald: Nein, wir sind alle am Exis-

tenzminimum. Klar, mache ich es trotzdem gerne. Die Viecher sind ja kein Gegenstand. Ich bin mit dem Beruf aufgewachsen – sonst macht man das nicht. Schon mit 14 habe ich die Herde allein durch Freiburg geführt.

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Dauereinsatz: Jürgen Seywald in seinem Stall mit einem acht Tage alten Lamm.

chilli: Wie ist es, als Schäfer durch die Stadt zu ziehen? Seywald: Durch Freiburg war’s immer spannend: für die Autofahrer ärgerlich, für die Kinder spektakulär. In Littenweiler war’s am schlimmsten. Da waren viele Busse unterwegs, man konnte kaum ausweichen. Und wenn’s in Günterstal nix zu futtern gab, hatte man ein echtes Problem. chilli: Wölfe könnten bald kommen ... Seywald: Der Wolf kommt irgend-

wann. Und der ist nicht blöd. Schafe sind einfach zu fangen. Wenn er kommt, brauchen wir höhere Zäune oder Herdenschutzhunde. Das wird dann nochmal mehr Arbeit.

chilli: Was bringen solche Hunde? Seywald: So ein Schutzhund ist ag-

gressiv, der bellt dauernd. Auch wenn Radfahrer oder Wanderer kommen. Das will keiner.

chilli: Was passiert mit Ihrer Herde, wenn Sie aufhören? Seywald: Den Job kann ich keinem zumuten. Vielleicht wird sie von einem größeren Betrieb geschluckt.


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