chilli cultur.zeit

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KULTUR

JANOSCH WALDKIRCHER

LÄSST INSEKTEN LEUCHTEN

MUSIK

NEWCOMER VINCE

STARTET VOLL DURCH

LITERATUR

LESEN UNTERM STERNENHIMMEL

„Starke Female Acts“

ZMF SETZT AUF VIELFALT UND

BEKOMMT RIESENNACHBAR

KKonzerte, Kleinkunst, Kulinarik: Vom 16. Juli bis zum 3. August bietet das Zelt-MusikFestival Freiburg wieder jede Menge LiveMusik in Zelten am Mundenhof. Der Vorverkauf ist super gelaufen, berichtet Leiterin Hanna Teepe. Das Programm soll mit viel Female Power aufwarten. Durch die Großbaustelle nebenan ändert sich so manches.

Weltstars wie Anastacia, Angelique Kidjo und Gianna Nannini kommen. Deutsche Durchstarter wie Lea, Siegfried und Joy oder Element of Crime sind am Start. Im Newcomer-Actionprogramm rocken Locals à la Elektrosauna, We Are Alva oder Partiprivati.

Kunst für Groß und Klein heißt es auch in diesem Jahr. Das scheint anzukommen. „Von rund 70.000 Tickets werden bis zum Festivalstart 45.000 verkauft sein“, sagt Festival-Leiterin Hanna Teepe Anfang Juli. „Sehr gut“, sei das und liege rund 2000 Tickets über dem Vorjahr. Am Konzept des Lieblingsfestivals vieler Freiburger·innen hat das Team nicht viel geändert. Eine neue Zirkuszeltplane leuchtet extra rot. Und der Fokus beim Booking liegt auch auf Gendervielfalt. „Wir haben viele tolle, starke Female Acts im Zirkuszelt-Programm“, sagt Teepe. 75,80 Euro kostet beispielsweise die Karte für Anastacia. Der Eintritt aufs Gelände bleibt kostenlos. Wer sich die Karte nicht leisten kann, bekommt auch auf den lauschigen Wiesen vor dem Zelt einiges mit. Und mit dem Actionpro-

gramm gibt es kostenlose Konzerte auf Newcomerbühnen. Wobei dort dieses Jahr auch Hochkaräter wie Antifuchs oder Engin spielen. Vor dem Gelände ist dafür Umbruch: Das Stadtviertel Dietenbach entsteht und wirft kleine Schatten: Eine Straße ist neu. Die Parkplatzlage ebenso. „Natürlich merken wir, dass sich etwas tut“, berichtet Teepe. Die neue Zufahrtsstraße ermögliche eine etwas angenehmere Anfahrt. Beim Aufbau habe dafür einiges umgeplant werden müssen. Wenn alles klappe, komme das ZMF auf die gleiche Zahl Parkplätze wie bisher, berichtet Teepe. Diese seien allerdings etwas schlechter erreichbar. Wer kann, kommt am besten mit dem Shuttle Bus oder Rad. Das geht fix und hält fit. Ein Warmup fürs ausgelassene Tanzen.

Fotos: ©
Arne Müseler, Jamila K. Grote, Felix Leichum, Dung, Hi KMW Bridgewater, Andreas Jakwerth, Francesca Amann, Roland Schnell, Erwan Blaszka, Nicolas Keckl, Iris Hartmann, Peter Svenson, Davide Martello, Rufus Engelhard
von Till Neumann
GReeeN
Cari Cari
Irie Révoltés
Kelvin Jones
Ellice Dee Dee Bridgewater
Äl Jawala
Angélique Kidjo Rainer von Vielen Davide Martello
Twäng!
Bosse
Anastacia
The Hooters

Facettenreiche Verwandlungskünstler

SCHILLERNDE

INSEKTEN-MAKROFOTOGRAFIEN

IM MUSEUM NATUR UND MENSCH

Eine ungewöhnliche Ausstellung gibt es derzeit im Freiburger Museum Natur und Mensch: In drei Sälen, deren Wände mittels großblumiger Tapeten in Sommerwiesen verwandelt wurden, zeigen sich auf großen Tafeln Schmetterlinge, Bienen, Heuschrecken, Käfer und andere Insekten von ihrer schönsten Seite. Oder besser – von allen Seiten: Fotograf Janosch Waldkircher hat die schillernden, in der Natur für allerlei biologische Abläufe zuständigen Tierchen aus verschiedenen Blickwinkeln ins Bild gebannt.

Der Freiburger Nature Photographer kam „durch Zufall in den Besitz einer Käfersammlung“. Und fand die sechsbeinigen, geflügelten und mit Kopffühlern ausgestatteten Präparate so schön, dass er sie in verschiedenen Positionen fotografierte. Aus den sehr detaillierten Aufnahmen montierte er mit der ziemlich komplizierten Technik der Makrofotografie dann die Bilder, die im 3. Obergeschoss ausgestellt sind. „Mosaike aus vielen Einzelbildern, die zusammen ein großes Bild ergeben“, beschreibt er seine Werke, die wie barocke Stillleben anmuten. Wie die in leuchtenden Farben geheimnisvoll schillernden Krabbler und Flieger wirklich aussehen, offenbart sich Besucher·innen in einer Vitrine am Eingang zur Ausstellung. Dort sind alle als Fotomodelle dienenden Originalpräparate versammelt –in Originalgröße und weder durch Facettenaugen noch durch moderne

Fototechnik in Einzelteile zerlegt. Es empfiehlt sich, einen längeren Blick auf die nummerierten, oftmals ganz kleinen Tierchen zu werfen, bevor es in die eigentliche Ausstellung geht: Die mögliche Ernüchterung über die Diskrepanz zwischen Werk und Modell bleibt aus, stattdessen stellt sich Bewunderung ein für die ganz große Kunst, die hier präsentiert wird.

Ein Blick in das Booklet – samt Handyfoto – ist außerdem hilfreich beim Flanieren durch die Säle: Wer sich die Namen der darin aufgelisteten nummerierten Vitrinen-Exponate merkt, kann sie auf den ebenfalls mit Nummern versehenen Fotos wiedererkennen und benennen. Denn leider sind direkt bei den auf schwarze Holztafeln aufgezogenen und vielfach vergrößerten Fotografien weder Namen noch sonstige Erläuterungen zu finden.

Und auch die Angaben zu den schwungvoll auf den Fußboden projizierten Themenbereichen wie etwa „Verwandlungskünstler“, „Gefährlichkeit“, „Gefährdung“ oder „Wunderstoff Chitin“ muss man sich recht mühsam aus zusammengetackerten Blättern zusammensuchen. Das ist aber das einzige Manko der Ausstellung, die nicht nur auf die schillernde Schönheit, sondern auch auf die tierische Wichtigkeit der Insekten für das Überleben des gesamten Ökosystems und damit der Menschheit aufmerksam machen soll. Sehr sehenswert –man sollte viel Zeit mitbringen. Oder zweimal hingehen. Die Ausstellung läuft bis 11. Januar 2026.

INFO

www.museen.freiburg.de/mnm

Schillernd in Szene gesetzt: (v.o.n.u.) Oleanderschwärmer, Vierpunktige Sichelschrecke, Regenbogenfalter und Asiatischer Rüsselkäfer

von Erika Weisser

Wilma will mehr

Deutschland 2025

Regie: Maren-Kea Frese

Mit: Fritzi Haberland, Xenia Snagowski, Thomas Gerber, Meret Engelhardt, Valentin

Postlmayr u.a.

Verleih: Neue Visionen

Laufzeit: 112 Minuten

Start: 31. Juli 2025

Keine Lust auf Hinterherheulen

FRITZI HABERLANDT BRILLIERT IN DER ROLLE EINER

UNERSCHÜTTERLICHEN PRAGMATIKERIN

Wilma ist Mitte vierzig und lebt in einem Dorf, dessen Name nicht einmal eine Erwähnung wert ist. Zu öde ist es hier, zu menschenleer, zu strukturschwach. Und der Ort ist auch gleichsam typisch für die ganze brandenburgische Lausitz Ende der 1990er-Jahre: Riesige stillgelegte Tagebau-Kohlegruben prägen die wie tot wirkende Landschaft, dazwischen ragen längst verlassene Produktionshallen und andere ruinöse Industriebauten trostlos in den Himmel.

In einem dieser ehemaligen VEB-Kombinate hat Wilma einst gearbeitet, wurde zur Elektrikerin, zur Schlosserin und zur Maschinenführerin ausgebildet. Doch jetzt ist der Betrieb seit Jahren geschlossen. Anders als ihr arbeitsloser Ehemann Alex und ihre Freundinnen, mit denen sie im Blaumann Revierführungen für eher erhoffte denn anwesende Touristen anbietet, hatte sie noch Glück: Aufgrund ihrer zahlreichen Qualifikationen ist sie als Regaleinräumerin in einem Baumarkt beschäftigt. Doch der schließt auch irgendwann – mangels Kundschaft.

Die Entlassene wischt sich mit dem Unterarm ein paar Tränen aus den Augen und rennt zu ihrer besten Freundin Doris. Freilich kommt sie nicht wirklich bei ihr an: Durch das offene Küchen-

wieder kurz über die Augen und lässt sich nichts anmerken, als sie die beiden später unabhängig voneinander trifft. Sie teilt ihnen lediglich mit, dass sie nun auch keinen Job mehr hat.

Und sie haut ab. Ohne eine Nachricht zu hinterlassen fährt sie nach Wien, wo sich ihr früherer Lover Martin eine selbstständige Existenz aufgebaut hat. Der kann ihr zwar eine Wohnmöglichkeit in einem Gartenhaus bieten, aber keine Arbeit: Wie sich bald herausstellt, gehört „seine“ Firma seiner eifersüchtigen Ehefrau. Und er ist finanziell auf sie angewiesen. Die pragmatische Wilma lässt sich indessen nicht beirren. Obwohl sie kaum mit den Wienern, ihrer Sprache und deren Spitzfindigkeiten zurechtkommt, nervt die eigentlich wortkarge, in bürokratischen Dingen Erfahrene eine Mitarbeiterin des Jobcenters so lange, bis sie ihr eine Sprechstunde gewährt. Und ihr nach der Aufzählung all ihrer Zertifikate verrät, wo der „Handwerkerstrich“ für Schwarzarbeiter ist. Als einzige Frau stellt sie sich dort an – und landet prompt wieder in einem Baumarkt.

Und von dort in allen möglichen anderen Jobs. Doch sie gibt nicht auf, beißt sich durch und mietet sich in eine freakige, ziemlich trinkfeste WG ein. Und lernt bei einem ihrer Jobs irgendwann Anatol kennen, mit dem wohl mehr anzufangen ist als mit Alex. Mit dem sie – spröde wie immer – am Ende ebenso abrechnet wie mit Doris. Eine gleichermaßen wunder-

KARLI & MARIE

Deutschland 2025

Regie: Christian Lerch

Mit: Sigi Zimmerschied, Luise Kinseher u.a.

Verleih: SquareOne

Laufzeit: 95 Minuten

Start: 17. Juli 2025

Stachliges Duett

(ewei). Schon die erste Begegnung ist eine Wucht: Als die alkoholisierte Marie zu nächtlicher Stunde ihren Opel Admiral an eine Hauswand fährt, erwischt sie Karli, der sich dort an einem Geldautomaten zu schaffen macht. Entsetzt nimmt sie ihn mit nach Hause und behandelt sein lädiertes Bein mit Schnaps.

Beide sind nicht daran interessiert, die Polizei einzuschalten: Er hat eine große Menge Sprengstoff im Gepäck. Und sie hat einen Koffer mit Schwarzgeld bei sich – 30.000 Euro, die sie investieren will, um einen wichtigen Auftrag für ihre marode Firma zu ergattern.

Nichts ahnend von der kriminellen Energie des anderen brechen die beiden auf zur Bestechungsfahrt nach Tirol. Doch bald fliegt der Wagen in die Luft – mitsamt Maries Geldkoffer. Die beiden können sich gerade noch retten und vagabundieren zu Fuß weiter – durch einen schräg-amüsanten Film mit skurrilen Begegnungen und erstaunlichen Annäherungen.

OXANA – MEIN LEBEN FÜR DIE FREIHEIT

Frankreich 2024

Regie: Charlène Favier

Mit: Albina Korzh, Maryna Koshkina u.a.

Verleih: X Verleih

Laufzeit: 103 Minuten

Start: 24. Juli 2025

Werdegang einer Aktivistin

(ewei). 2008 befindet sich die Ukraine in einer Phase der politischen Instabilität. Prorussische und prowestliche Politiker liefern sich erbitterte Machtkämpfe. Es kommt zu Demonstrationen gegen die korrupte politische Kaste, an denen auch die 21-jährige Künstlerin Oksana Schatschko und ihre Freundinnen teilnehmen. Sie haben ihre nackten Oberkörper mit Parolen bemalt, tragen Blumenkränze und melden sich lautstark gegen das patriarchale System, Sexismus, Polizeigewalt und prorussische Politiker zu Wort. Immer wieder. So entsteht „Femen“, eine der einflussreichsten feministischen Bewegungen der jüngsten Geschichte.

Zehn Jahre später wird die inzwischen weltberühmte Aktivistin in der Nähe von Paris tot aufgefunden. Nun rekonstruiert Charlène Favier den möglicherweise letzten Tag ihres Lebens – mit einigen fiktionalen Elementen, die sich jedoch aus realen Ereignissen herleiten lassen. Ein gelungenes Biopic mit klugen Verbindungen zwischen verschiedenen Zeitebenen.

ALTWEIBERSOMMER

Österreich 2024

Regie: Pia Hierzegger

Mit: Pia Hierzegger, Josef Hader u.a.

Verleih: Alpenrepublik

Laufzeit: 93 Minuten

Start: 31. Juli 2025

Triste Tage auf dem Zeltplatz

(ewei). Wie jedes Jahr verbringen drei Freundinnen um die 50 einen gemeinsamen „Girlie“-Sommerurlaub auf einem Campingplatz. Es läuft heuer jedoch nicht ganz stressfrei zwischen Elli, Astrid und Isabella: Jede ist geplagt von persönlichen Nöten, die zusätzlich zum Dauerregen auf die Stimmung drücken.

Außerdem sind sie auf dem ohnehin wenig einladenden Zeltplatz den Launen des extrem grantigen Consierges Gernot ausgesetzt. Denn außer einem biertrinkenden deutschen Dauercamper, der rechte Verschwörungstheorien verbreitet, sind sie die einzigen Gäste. Ein Entrinnen aus der Urlaubs-Tristesse ist jedoch nicht möglich: Die Kasse ist zu knapp. Plötzlich kommt es – nicht zuletzt vom rassistischen Zeltnachbarn verursacht – zu einem unerwarteten Geldregen; überstürzt wechselt das Trio in ein exklusives Luxushotel in Venedig. Doch bald haben sie mit neuen Widrigkeiten zu kämpfen. Sie nehmen sie indessen mit feinsinnigem und trockenem Humor.

Fotos: © SquareOne
Fotos: © X Verleih
Fotos: © Alpenrepublik
„Hülle fallen gelassen“

FREIBURGER INDIE-ARTIST

VINCE STARTET DURCH

Mit gefühlvollen Songs erreicht der Freiburger Sänger Vince Millionen Hörer·innen. 2025 hat der 25-Jährige die erste eigene Clubtour gespielt. Support gab’s von seinen Freiburger Durchstarter-Kollegen Kasi & Antonius. In deren Windschatten nimmt auch Vince’ Karriere Fahrt auf. Eine entscheidende Rolle spielt dabei aber eine ganz andere Person.

„Ich fühl mich pudelwohl im Chaos / ich verwandel diesen Schmerz in so viel Liebe eines Tages“, singt Vince im Song „Wacklige Beine“. Dass solche Zeilen quer durch die Republik ankommen, hat seine Tour 2025 gezeigt: Im April und Mai spielte er sieben Shows von Freiburg bis Hamburg, von Berlin bis München. Videos zeigen lautstark mitsingende Fans in kleineren, gut gefüllten Sälen. „Es war anstrengend, aber sehr, sehr schön“, berichtet Vincent Wright aka Vince in einem Freiburger Café. Auch wenn er zum ersten Mal als Hauptact getourt ist, fühlt es sich

für ihn nicht nach Premiere an: „Ich war ja schon viel mit Kasi und Antonius unterwegs, aber es ist krass zu sehen, wie viele Leute zu meiner Show kommen.“ 250 seien es in München gewesen. „Der für mich beste Auftritt, überwältigend und schwer in Worte zu fassen“, sagt Vince. Die Energy sei dort am geilsten gewesen. „Die konnten jeden Song Wort für Wort mitschreien.“

Denkwürdig dann auch der Auftritt im Waldsee Freiburg. Ein Heimspiel zum Abschluss. „Der Turnup war da der größte, weil die am meisten abgegangen sind“, berichtet der Sänger. Auch wenn er mit seiner eigenen Performance nicht 100 Prozent zufrieden gewesen sei.

tet hauptberuflich mit ukrainischen Kids. Das für die Musik aufzugeben, ist derzeit keine Option. Die Kunst nennt er „einfach ein geiles Hobby“. Doch ein Blick in seinen Freundeskreis zeigt, wie schnell es gehen kann. Seine Buddys Kasi und Antonius sind ebenfalls von Freiburg aus durch die Decke gegangen. Kasi zählt zu einem der Newcomer des deutschen IndiePop-Raps. Mit ihm hat Vince auch seinen erfolgreichsten Song gemacht: „Wie Papier“. Eine Nummer über Beziehungsstress, Rauchen und den Kampf mit sich selbst. Knapp drei

„Es war schwer zu sehen, aber ich bin unglaublich dankbar“

Millionen Aufrufe gibt’s dafür allein auf Spotify.

1200 Tickets sind für die Tour verkauft worden, berichtet der Mann mit den kurzen dunklen Haaren. Ein vielversprechender Auftakt auf Bundesebene: „Ich kann mich nicht beschweren.“ Schließlich macht er erst seit 2019 Musik, ist nach einer Jugend in Alpirsbach nach Freiburg gezogen. Hat hier in der Zwischenzeit sein Studium in Erziehungswissenschaften abgeschlossen und arbei-

Die drei sind eine eingeschworene Gruppe: Nach Vince’ Tour waren sie zum Songwriting in Marokko. Den Kopf freikriegen, sich sammeln, an Tracks arbeiten. Dass Kasi und Antonius neben ihm so groß wurden, hat für Vince zwei Seiten: „Es war ein bisschen schwer zu sehen, dass es bei denen plötzlich so läuft.“ Doch andererseits habe er dabei auch gewonnen: „Ich habe immer davon profitiert und

Hat gut lachen: Sänger Vince füllt Clubs quer durch die Republik

bin unglaublich dankbar.“ Er sei mitgezogen worden, ohne das wäre es auf der Karriereleiter nicht so leicht nach oben gegangen. Kurios dabei: Die Stimmen von Kasi und Vince sind sich verblüffend ähnlich.

Was Vince antreibt, sind oft negative Phasen: „Ich mache Musik, um mich auszudrücken. Ich verpacke, was ich fühle und was mich beschäftigt.“ Er sei kein krass depressiver Mensch, aber schon als er mit Musik angefangen habe, sei es ihm ziemlich schlecht gegangen. Musik ist für ihn ein Ventil, eine Art Therapie, um klarzukommen. Sein Ego auf eine gut gelaufene Tour aufbauen will er aber nicht: „Man sollte nie anfangen, sein Selbstbewusstsein daher zu beziehen, das ist schwierig.“

„Den großen Plan hatte ich nie...“

Was ihn umtreibt, beschreibt er im Song „Wacklige Beine“. „Ich bin nie wieder Feigling, aber das wird hier gekonnt überspielt / fuck ich steh auf wackligen Beinen in der Hoffnung, dass mich so niemand sieht.“ Die Zerbrechlichkeit findet sich auch in anderen Texten wieder. Für Vince ist sie hier aber besonders gut gelungen: „Ich habe hier mehr die Hülle fallen gelassen.“ Sehr persönlich sei das geworden. Vielleicht auch, weil er Einblicke in seine Kindheit gibt. „Zum Glück hat meine Mum mich so gemacht, wie ich bin / weil mein Papa, der war eh nie da.“

Vince ist ohne Vater aufgewachsen. „Es lief schon teilweise drunter und drüber.“ Doch seine Mutter sei immer die Starke gewesen. „Ich bin mittlerweile froh, dass ich alleinerziehend aufgewachsen bin.“ So habe er mehr von ihr mitbekommen und weniger vom Vater. Ihren Einsatz schätzt er über alle Maße: „Ohne sie wäre ich nicht hier, wo ich bin.“

Für die kommenden Monate will Vince weiter an Songs arbeiten, sich für die nächste Tour vorbereiten. Genauso wichtig ist ihm aber, am Boden zu bleiben. Die Vorfreude auf den Festival-Sommer ist groß, und vom Rest lässt er sich gerne überraschen: „Den großen Plan hatte ich nie –und bin immer gut damit gefahren.“

Seinen wachsenden Bekanntheitsgrad merkt er unter anderem auch in der alten Heimat Alpirsbach. Da sei seine Karriere zunehmend ein Thema. „Für manche bin ich da nicht mehr so der Vince von damals.“ Das sei ihm etwas unangenehm.

Sein Wunsch für die kommenden Monate ist auch daher ein bodenständiger: „Dass es so bleibt, wie es ist und wir sagen können: Das war ein richtig geiler Sommer.“ Till Neumann

„Bisschen viral gegangen“

RAPPER MAX BEIL SETZT AUF HEIMAT UND FITNESS

Mit Kurzvideos zu seinen Tracks macht der Freiburger Max Beil Welle im Netz. Sein bekanntester Song heißt wie seine Lieblingsstadt: Freiburg. Der unverkennbare Look – ein schwarzes Tanktop – soll seinen Lifestyle repräsentieren.

Von nix kommt nix. So könnte die Devise von Max Beil lauten. „Ich poste seit eineinhalb Jahren jeden Tag was auf Instagram“, berichtet der 28-Jährige. Zuletzt hat er damit so manche Fans gewonnen. Zum Beispiel mit einem Selfie-Video vor dem Martinstor. „Münster, Bächle, Dreisam – das ist meine Heimat“, rappt er da. Aufgewachsen ist er im Stadtteil St. Georgen. Zunächst war er Sänger der Rockband Libe. Doch HipHop und eine Solokarriere reizten ihn mehr. Also startete er 2023 unter seinem bürgerlichen Namen einen neuen Anlauf.

Mit dem Song „Sie liebt mich“ für seine Frau nahm das Fahrt auf. „Das ist ein bisschen viral gegangen“, berichtet Beil. Lines wie „Sommer Sonne Freiburg“ oder „Wasserfilter bei uns eingebaut“ hätten für Aufmerksamkeit gesorgt. „Ich glaube, das war für die Leute ungewohnt und neu“, sagt Beil. Im Juni veröffentlichte er „Freiburg“, die Klicks nahmen zu. „Ich habe in 30 Tagen 1,7 Millionen Aufrufe auf Instagram bekommen.“ Der Song komme richtig gut an. Auch, weil sein Style zu Freiburg passe: „Ich bin ein gesundheitsorientierter Mensch, ernähre mich nahezu vegan, mache gerne Sport.“ „Öko-Vibe“ nennt Beil das. Er wolle vermitteln, dass es auch cool sein kann, ein Glas Wasser zu trinken. Sein schwarzes Tanktop stehe für diesen Lifestyle.

Inspiration findet er in Acts wie Ski Aggu und Soho Bani. Auch seine Frau sei dafür wichtig, „mein Jackpot“. Beil sieht sich als Teil der New-Wave-Bewegung. Rap kombiniert mit Techno. Früher habe er alles selbst produziert. Mittlerweile kaufe er auch Lizenzen auf Beatstars. Den neuesten Tune hat er mit Producer Julez veröffentlicht.

Beils Ziel: „Meine Vision ist, von Musik zu leben.“ Davon sei er noch weit entfernt. Doch „es tun sich Möglichkeiten am Horizont auf“. Wichtig sei das Livegeschäft. Mit einer Boombox ziehe er auch mal zum Seepark oder auf den Platz der Alten Synagoge, um zu spielen. Bookinganfragen für Geburtstage oder kleine Clubs kämen zunehmend rein. Freiburg will er auf die Karte bringen. Und sich selbst auch. Das Interesse dafür sei da. „Ich glaube, das gerade ist ein guter Start.“ Till Neumann

„Öko-Vibe“: Max Beil tritt fast immer im schwarzen Tanktop auf.

„Zur Ruhe kommen“

3 FRAGEN AN TERENCE HILL

Musikhören und Malen: Das gibt’s am 24. Juli im Eschholzpark. Veranstalter der Konzertreihe „Luko Events“ ist Terence Hill (34). Im Interview mit chilli-Redakteur Till Neumann erzählt der Freiburger von Entspannung, Synergien und technischen Herausforderungen.

Was ist die Idee zur Konzertreihe?

Ich wollte einen Ort schaffen, an dem Menschen ganz unkompliziert zusammenkommen können – egal ob Studierende, Familien mit Kind oder zufällig Vorbeilaufende. Ein entspannter Sommerabend, ohne Konsumzwang: einfach Musik, Picknickdecke und Lieblingsmenschen. Gleichzeitig möchte ich Musizierenden, die man seltener live hört, eine Bühne bieten.

Wie ist die Holzbühne im Eschholzpark?

Das Holzpodest ist ein großartiger Ort für kleine Konzerte: mitten im Grünen, gut sichtbar und erreichbar, aber dennoch angenehm abgeschirmt vom direkten Wohnumfeld. Technisch bringt es Herausforderungen mit sich: Der nächste Stromanschluss ist rund 15 Meter entfernt, das Wasser ist nicht trinkbar.

Am 24. Juli gibt’s ein Picknick-Konzert von „Loose“ mit Malaktion. Warum diese Kombi? Malen ist eine wunderbare Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen, Eindrücke zu verarbeiten und einen Ausgleich zum oft hektischen Alltag zu schaffen. Ab 17 Uhr kann man vorbeikommen, sich an Farben und Papier bedienen, Gedanken fließen lassen – und später entspannt ins Konzert übergehen. So entsteht eine Synergie zwischen kreativem Tun und musikalischem Erleben.

Für die Bösewichte

(tln). Mit Pauken und Trompeten: Die Freiburger Brass Band mit dem umständlichen Namen hat wieder einen rausgehauen. Es geht um nichts Geringeres als den Weltfrieden.

„Egomane“ heißt der Song der Maddis’son Brass Band (MBB). Eine Widmung an alle Bösewichte auf dem Globus. Rapper Mathias Herzog beschreibt, wie die so ticken: „Die eigene Meinung ist nicht zu hinterfragen / weiche niemals zurück – und koste es Kopf und Kragen.“ Man weiß ziemlich schnell, wer gemeint sein könnte.

Heiter-flockig ist das instrumentiert mit Drums und jede Menge Blasinstrumenten. Ein Track zum Kopfnicken, Mitwippen oder genüsslich Grinsen. Raptechnisch könnte das etwas ausgefeilter werden. Aber das Entertainment gelingt dennoch auf eine lässige Art.

Dass die Band mitreißt, hat sie zuletzt auf dem Festival „Freiburg stimmt ein“ gezeigt. Da sorgte die Riesenkapelle auf dem Augustinerplatz für Stimmung. Live-Auftritte sind ein seltenes Gut, da die Mitglieder geografisch verstreut sind und wohl kaum eine zweite Band so viele Kinder zu betreuen hat, wie die Musiker·innen dieser Formation.

MBB macht’s den Fans leicht: Am Ende wird aufgelöst, wer im Song gemeint ist. Donald Trump, Elon Musk, Vladimir Putin und viele mehr.

Eindringlich wabernd

(tln). Das französische female Duo Loose – zur Hälfte aus Freiburg –setzt auf sphärische-treibende Klänge. Die Künstlerinnen bieten eine Melange aus geschickt verwebten Klängen von E-Gitarre und Vocals. Sie werden mit der Loopstation aufgenommen und in Schleifen wiedergegeben.

Ihre Single „Drifted“ zeigt das eindrucksvoll. Erst melancholisch, dann düster-wabernd kommt das durch die Boxen. Elektronische Sounds treffen auf Gitarre und Percussion. Die effektbeladenen Stimmen bilden Glanzpunkte in der Dunkelheit.

Anna und Victoire kombinieren Pop, Soul und Elektro zu einem ganz eigenen Stil. Bei „Drifted“ prallen Kontraste aufeinander. Mit vier Minuten Länge wird der Song zunehmend psychedelisch. Eindringlich, aber dezent. Rasant und doch mit Zeitlupenfeeling.

Das Duo spielt eigene Kompositionen. Verwandelt aber auch bekannte Melodien mit einer Prise elektronischer Improvisation in neue Formen. Auf ihrem Instagram-Account gibt’s zum Beispiel eine Kostprobe von „M’Bife“ der malischen Superstars Amadou und Mariam.

Wie das Ganze live klingt, gibt’s am 21. Juli ab 18.30 Uhr im ZMF-Actionprogramm zu hören. Und am 24. Juli treten sie ab 19 Uhr im Eschholzpark bei der Reihe Luko Events auf.

Fotos: © Tatjana

Ein Hauch von James Bond

(pid). Coming-of-Age-Film. Die mutige Protagonistin – oder der mutige Protagonist – ermächtigt sich, bricht aus, brennt durch. Liebe, Leinwand, die ganz großen Gefühle: Das ist der Vibe der neuen Single „What Love Should be“ von We Are Alva. Für die episch-dramatische Stimmung sorgt das Streicher-Arrangement von Songs in Cinema – eine Komponistin und ein Komponist aus Lahr, die Musik für Filme und Serien kreieren. Die neue Single ist eine gefühlvolle Ballade mit Message: „Don’t tell me what love should be about“, heißt es im Refrain. Laut Band soll sie hinterfragen, wie unsere Vorstellung von Liebe durch Geschlechterrollen, Medien und modernen Mythen geprägt ist. Mit Klavier und Gesang startet Jannike sanft, Gitarrist Jan liefert die verspielten Töne. Wenn dann die Streicher, Bass und Drums einsetzen, klingt es fast ein bisschen nach James Bond. Das Duo Jan und Jannike sind der Kern von We Are Alva – gemeinsam mit ihrer fünfköpfigen Band haben sie die Freiburger Musikszene aufgemischt: Nach nur fünf Auftritten in Vollbesetzung haben sie den Bandwettbewerb „Rampe“ gewonnen. Ihren groovigen, jazzigen Indie-Pop und ihren abwechslungsreichen Sound kann man bald live erleben: Am 19. Juli spielen We Are Alva als Duo bei der Haslacher Wundertüte.

DOMINIK BÜCHELE WITH HER HANDS

Singer-Songwriter

Hand aufs Herz

(pt). Dominik Büchele hat eine kleine Wandlung hinter sich. Vom Deutschland-sucht-den-SuperstarKandidaten mit radiotauglichen Pop/ Rock-Melodien zum nachdenklichen, aber eingängigen Indie-Folker. Heute schreibt und produziert er seine Musik selbst. Mit der Single „With Her Hands“ geht er diesen Weg weiter: Harmonisch, melancholisch und vor allem optimistisch.

Der Track erzählt von einer Liebe, die sich nicht in lauten Worten, sondern in kleinen, aber feinen Gesten und „Glances“ manifestiert. Inspiriert von Momenten in der Natur und warmer Nostalgie, zeichnet der reduzierte Song ein Bild von der stillen Schönheit zwischenmenschlicher Verbindung. Mit sparsamer Instrumentierung beschreibt das dreiminütige Stück die Wucht alltäglicher Berührungen. Es unterstreicht, wie tief Empathie und Zuneigung in scheinbar simplen Handlungen stecken.

Mit diesem Sound und Dachshund Music im Rücken plant der Freiburger nun den nächsten Karriereschritt: mehr Streams, mehr Likes, mehr Shares. Einfach wird das Unterfangen nicht. Folk ist umkämpft. Und es gibt viele Hände, die ein Stück vom Kuchen wollen. Wer sich selbst ein Bild machen möchte, kann dem Freiburger am 21. Juli auf dem ZMF lauschen. Der Eintritt beim Heimspiel ist frei.

... zum Partner oder Single

Die Freiburger Geschmackspolizei ermittelt schon seit 20 Jahren gegen Geschmacksverbrechen, vor allem in der Musik. Für die cultur.zeit verhaftet Kommissar Ralf Welteroth fragwürdige Werke von Künstlern, die das geschmackliche Sicherheitsgefühl der Bevölkerung empfindlich beeinträchtigen.

„Den Traumpartner finden … denn alleine war ich lang genug“, heißt das Corpus delicti, eine CD zur Selbsthypnose mit Musik von Werner Eberwein aus dem Jahre 1998. Ja, wir sind mit unseren Ermittlungen spät dran – chronische Unterbesetzung. An und für sich ist dagegen nichts einzuwenden, aber aus einem Traum wacht man in den allermeisten Fällen wieder auf, und diese Selbsthypnose hier ist doch sehr gewagt bis kriminell.

Bevor aus dem Traumpartner ein Alptraumpartner wird, sollte man eher zu einem anderen Tonträger greifen, der sich mit dem Single-Dasein beschäftigt und zu einem ganz pragmatischen Umgang damit einlädt. „Partnergeräusche für Singles“ wurde vor einigen Jahren schon von der Drogeriemarkt-Kette Rossmann (!) angeboten und offeriert in knapp 60 Minuten eine breite Palette an Geräuschen, welche die Anwesenheit eines Partners oder natürlich auch einer Partnerin simulieren. Man hört eine Toilettenspülung, Geschirrgeklapper, Schritte und auch das ein oder andere Körpergeräusch vom Gähnen über Räuspern bis hin zu, na ja, genau, auch das.

Sie haben die Wahl, wir haben Sie informiert und sind unserer Aufklärungspflicht nachgekommen. Durch eine Selbsthypnose, deren Wirksamkeit in diesem Fall arg bezweifelt werden muss, zu einem „Traumpartner“, den man am Ende nicht mehr loswird. Oder ein glückliches Dasein als Single mit einer Geräuschkulisse, die sich hören lassen kann, aber nicht muss.

Partnerschaftlich grüßt, Ihre Freiburger Geschmackspolizei

Lebensdramen unter Sternen

DIE GRETHER NACHTLESE GEHT IN DIE 19. RUNDE

Das ist schon eine Leistung: Bereits zum 19. Mal organisiert Thomas Hohner mit einer Handvoll Leuten die Grether Nachtlese. Dieses kleine, aber feine Lesefestival bringt an drei Donnerstagabenden vorwiegend regionale Autor·innen auf die Bühne im kleinen Innenhof der selbstverwalteten Wohnprojekte, die seit den 1980er-Jahren auf dem Gelände der ehemaligen Metallgießerei Grether & Cie. entstanden sind.

Die Nachtlesen, die von der Grether Kultur, der Buchhandlung Jos Fritz und inzwischen auch von der Rosa Hilfe organisiert werden, gehören zu den Highlights des Sommerferiensommers in Freiburg. Sie sind divers, machen neugierig und bringen an einem schönen, zentral gelegenen und beinahe familiären Ort ganz unterschiedliche Menschen zusammen. Auch mit Autoren, von denen man vielleicht noch nie gehört hat – und hernach dennoch ins Gespräch kommen kann, etwa im Hof des benachbarten Strandcafés. Heuer gibt es am 31. Juli sowie am 7. und 14. August dazu Gelegenheit.

Den Auftakt macht die Freiburger Übersetzerin und Lektorin Sarah Norman, die jetzt ihr eigenes literarisches Debüt vorlegt. „Zum Geburtstag eine

Leiche“ lautet der Titel ihres queeren, mit viel Freiburger Atmosphäre gewürzten Krimis, in dem drei vom Alltag ohnehin gebeutelte Freundinnen auch noch in einen Mordfall verstrickt werden: Ausgerechnet bei ihrer Geburtstagsfeier findet eine von ihnen im Weinkeller einen ihr flüchtig bekannten und gar nicht eingeladenen Mann. Und während sie an dem mysteriösen Fall rätseln, offenbaren sich nach und nach und sehr treffsicher viele kleine versteckte Lebensdramen.

Um Lebensdramen geht es auch am zweiten Abend, wenn Joachim Zelter seinen autofiktionalen und existenziellen Roman „Staffellauf“ zur Nachtlese mitbringt. Beginnend in Freiburg beschreibt er außer Lebenswegen auch Umwege, Abwege, Kehrtwendungen sowie Werdegänge und Notausgänge. Wie um sein Leben erzählt der in Freiburg gebürtige Autor von familiären (Un-)Bindungen, von Hö-

henflügen, Niederlagen, Seitensprüngen, Lebenssprüngen, Lebenslügen. Zu lesen, mit welcher Rasanz er erinnert, erfindet, zusammenreimt und neu ordnet, macht großen Spaß. Und das Zuhören sicher auch.

Den Lesereigen beschließt Martin R. Dean aus Basel mit seinem Roman „Tabak und Schokolade“. Darin geht er der Geschichte seiner Mutter nach – und damit seiner eigenen: In jungen Jahren verliebt sich die Tochter Aargauer Stumpenfabrikarbeiter in einen Studenten aus Trinidad und wandert mit ihm aus. Nach gescheiterter Beziehung kehrt sie mit ihrem kleinen Sohn zurück, macht eine „gute Partie“ und spricht nie mehr über ihren „Ausrutscher“. Erst nach ihrem Tod geht der Sohn auf Spurensuche und findet Vorfahren, die zu Kolonialzeiten aus Indien als Kontraktarbeiter für Trinidads Kakaoplantagen angeheuert wurden.

Gäste: Bei der Nachtlese im kleinen Grether Innenhof (o.) präsentieren in diesem Sommer Joachim Zelter, Sarah Norman und Martin R. Dean (v.l.n.r.) ihre jüngsten Romane.
Fotos: © Grethergelände, Yvonne Berardi, Sarah Norman, Maia Wackernagel

DIE FRAU ALS MENSCH

von Ulli Lust

Verlag:

Reprodukt, 2025

256 Seiten, Hardcover

Preis: 29 Euro

Feministische Frühgeschichte

(ewei). Ulli Lusts „Die Frau als Mensch“ erschien im Frühjahr und wurde am 17. Juni vom Börsenverein des deutschen Buchhandels zum „Sachbuch des Jahres“ gekürt. Als erster Comic in der Geschichte des Preises.

Darin entwickelt die Professorin für Visuelle Kommunikation ihre eigene Theorie von der Frühgeschichte der Menschheit. Sie widerlegt das gängige Klischee von der Urgesellschaft, in der Männer den Ton angeben und nur die Stärksten überleben. Nach ihrer überzeugend in Bild und Wort gesetzten Interpretation handelte es sich vielmehr um Gemeinschaften, in der Gleichberechtigung und Fürsorge herrschten. Zwischen den Geschlechtern, aber auch zwischen Stärkeren und Schwächeren. Sie zitiert unzählige archäologische Funde von Frauenfiguren, die in steinzeitlichen 30.000 Jahren auf der gesamten Erde entstanden sind. Und in allen Kulturen ähnlich gestaltet waren: mit großen Brüsten, breiten Hüften und überbetonten Vulven. Sie bringt auch reich ausgestattete Gräberfunde ins Bild, die den Schluss zulassen, dass der gesellschaftliche Beitrag von Frauen sich nicht auf die Reproduktion beschränkte. Und körperlich beeinträchtigte Menschen oft geachtete Schaman·innen waren.

Spannend illustrierte und erkenntnisreiche Lektüre.

ABSCHIED

von Sebastian Haffner

Verlag:

Hanser, 2025

192 Seiten, Hardcover

Preis: 24 Euro

Keine Zeit für die Liebe

(ewei). Raimund ist Mitte 20 und verliebt. Sein Herz schlägt für die junge Teddy. Die beiden haben sich in Berlin kennengelernt. Allerdings lebt Teddy dort nicht mehr. Sie ist vor ein paar Monaten für ihr Studium nach Paris gezogen. Dort besucht er sie.

Raimund hat nur 14 Tage. Zwei Wochen Urlaub, die er mit Teddy verbringen will. Allerdings ist er nicht der einzige Mann, der Gefallen an ihr gefunden hat. Als er mit ihr durch Paris flaniert, muss er feststellen, dass sie von einer ganzen Reihe junger Männer umschwärmt wird. Zwar hofft er, dass er Teddy von einer gemeinsamen Zukunft überzeugen kann, doch bleibt ihm dafür zu wenig Zeit. Außerdem ist Teddy eigentlich auch gar nicht an einer Beziehung interessiert. Und als sie irgendwann mit ihm „böse ist“ und kein Wort mehr spricht, kehrt er zu Tode betrübt nach Berlin zurück.

Zu Sebastian Haffners Lebzeiten wurde der 1932 verfasste Roman nie veröffentlicht; er ist erst jetzt im Nachlass des 1999 verstorbenen Kolumnisten aufgetaucht. Und er ist eine Entdeckung: Er erzählt von einem Deutschland, das die Verantwortung für die bald verübten Menschheitsverbrechen noch nicht auf den Schultern trägt, sie heutige Leser jedoch bereits ahnen lässt. Ebenso wie auch Haffners eigenen Abschied ins Exil.

DUNKELHOLZ

von Natalja Althauser

Verlag:

Piper, 2025

208 Seiten, Hardcover

Preis: 22 Euro

Erscheint am 1. August

Leere Kladde auf dem Tisch

(ewei). Lydia braucht Zeit, Ruhe, Raum, Abstand. Und findet alles in einem längst verlassenen kleinen Haus am Rand eines bereits herbstlichen Waldes. Von Auszeit spricht sie nicht, sie hat keine Ahnung, wann sie in ihren Alltag und zu ihrem Mann Markus zurückkehren will. Und ob sie das überhaupt will. Sie will schreiben, will Klarheit in ihr Leben bringen, in ihre Beziehungen, ihr häufiges Scheitern. Vor allem will sie aufschreibend ergründen, wie es geschehen konnte, dass sie ihre Tochter Clara und deren innere Nöte so aus den Augen verlor, dass sie zuerst mager-, dann sportsüchtig wurde und sich schließlich rechts-radikalisierte, bewaffnete und im Knast landete.

Doch die Kladde, die sie als tägliche Mahnung mitten auf dem Stubentisch der Hütte platziert, bleibt wochenlang leer. Zu sehr lenkt Lydia sich mit Putzen, mit Pilze- und Holzsammeln, mit Anfeuern, mit der mühseligen Beschaffung von Lebensmitteln ab. Und mit langen Spaziergängen, bei denen sich die Gedanken, die sie eigentlich verdrängen will, dann doch einstellen. Allerdings ungeordnet, in unvermittelten, oft unzusammenhängend scheinenden Rückblenden. Allmählich arbeitet sie sich dann doch zum Kern ihrer Bindungsunfähigkeit vor. Überzeugendes Debüt der Freiburger Autorin.

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