KULTUR CITY-TOUR MIT
ZUKUNFTSBLICKE BEIM
FREIBURGER FILMFORUM

KULTUR CITY-TOUR MIT
ZUKUNFTSBLICKE BEIM
FREIBURGER FILMFORUM
FAST 40 JAHRE IM DIENST DER MUSEEN: EIN SPAZIERGANG MIT DEM
STADTHISTORIKER PETER KALCHTHALER
er mit Peter Kalchthaler durch Freiburgs Innenstadt geht, kommt nur langsam voran. Alle paar Meter spricht ihn jemand an, ihm unbekannte Passanten, Kollegen, Mitarbeiter der Institutionen, mit denen er in seiner Zeit als Leiter des Museums fĂŒr Stadtgeschichte und stellvertretender Direktor des Augustinermuseums zu tun hatte. Eine Ă€ltere Frau will wissen, ob seine nĂ€chste StadtfĂŒhrung in Amsterdam mit Besuch der Vermeer-Ausstellung denn schon ausgebucht sei. Der Malermeister aus den MuseumswerkstĂ€tten erkundigt sich, wie er mit seinem frisch angetretenen Ruhestand zurechtkomme. Und sichtlich gerĂŒhrt versichert ihm kurz darauf ein im kulturellen Sektor tĂ€tiger Mann von der Sparkasse, dass er ihn âjetzt schon vermisseâ.
Es ist zu spĂŒren, dass der Historiker sich ĂŒber derlei Begegnungen freut, dass er es genieĂt, ein integraler Teil dieser Stadt zu sein. Das war er schon immer: Kalchthaler ist gebĂŒrtiger Freiburger, er hat hier stu-
diert, seine Familie gegrĂŒndet â und er arbeitete 39 Jahre lang bei den StĂ€dtischen Museen. Obwohl er ursprĂŒnglich Lehrer werden wollte. Dass er es nicht wurde, hat er âkeinen Tag bereutâ, sagt er. Im Gegenteil: Als er wĂ€hrend seines Kunstgeschichte-Studiums im Augustinermuseum jobbte, habe ihn diese TĂ€tigkeit bald so fasziniert, dass Museumsarbeit fĂŒr ihn zur Berufung wurde. Das klingt ĂŒberzeugt â und ĂŒberzeugend.
Kein Wunder: Wir verweilen im Innenhof des Wentzingerhauses, das seit 1994 das Museum fĂŒr Stadtgeschichte beherbergt und seither Mittelpunkt seines kunsthistorischen Wirkens war. Einer der Orte also, die fĂŒr ihn âvon ganz wesentlicher Bedeutungâ sind. Wentzingers Jahreszeiten-Skulpturen stehen um ihn herum, beschattet von gerade grĂŒnenden BĂ€umen â eine stille Oase mit plĂ€tscherndem Brunnen und Vogelgezwitscher mitten in der Stadt.
Ein âregelrechtes Kleinodâ sei dieses 1761 erbaute Haus âZum schönen Eckâ,
findet Kalchthaler, und erinnert sich an die MĂŒhen der Sanierung des Baudenkmals, das âeines der wenigen im Originalzustand erhaltenen KĂŒnstlerhĂ€user des SpĂ€tbarock in Deutschlandâ sei.
Von heute aus gesehen, sinniert er, wĂ€hrend der wenigen Schritte hinĂŒber zum MĂŒnster, seien die damaligen Bauarbeiten so etwas âwie eine Vorwegnahme der Probleme gewesen, die wir heute im Augustinermuseum habenâ. Denn in historischen GemĂ€uern, die man sanieren mĂŒsse, wenn man sie erhalten wolle, âist immer mit Ăberraschungen zu rechnenâ.
Das sei ja auch beim MĂŒnster so, sagt er und betrachtet mit Wohlgefallen den in jahrelanger Arbeit gesicherten filigranen Turm. Schon seit Kindertagen spiele dieses Bauwerk in seinem Leben eine zentrale Rolle, ânicht nur als Katholikâ. FĂŒr ihn war deshalb die groĂe Ausstellung âBaustelle Gotikâ im Jahr 2014 nicht nur beruflich, sondern auch ganz persönlich ein besonderes Highlight.
âUngeheuer wichtigâ sei fĂŒr ihn auch die Ausstellung von 2016 ĂŒber
die NS-Zeit in Freiburg gewesen, erzĂ€hlt er auf dem Weg durch die Franziskanergasse, und bleibt kurz stehen am âwunderbaren Sparkassenbauâ mit der Meckelhalle, wo er auch etliche Ausstellungen organisierte. Er sei froh, dass es ihm zusammen mit Tilman von Stockhausen gelungen sei, âdie Stadtverwaltung davon zu ĂŒberzeugen, dass der geeignete Ort fĂŒr das NS-Dokuzentrum das ehemalige Verkehrsamt istâ, sagt er einigermaĂen stolz, als wir am Rathaus ankommen, wo sein Vater Alfred Kalchthaler jahrzehntelang als Stadtrat wirkte.
Dessen Engagement habe ihn âsehr geprĂ€gtâ, da habe er âmitgekriegt, wie demokratische Entscheidungsprozesse laufen und wie kompliziert sie manchmal sindâ. Doch wir gehen nicht die TurmstraĂe hinunter, zu diesem gerade im Umbau befindlichen Dokuzentrum am Rotteckring, das Kalchthaler als âMeilenstein in der Freiburger Museumslandschaftâ bezeichnet.
Der Weg fĂŒhrt zu einem anderen fĂŒr ihn wichtigen Ort: zur Uni, wo er sich die Grundlagen fĂŒr seinen beruflichen Werdegang als âMuseumsmenschâ und Geschichtsvermittler aneignete. Und wo â im riesigen Foyer des KG I â seine allererste Ausstellung ihren Platz hatte.
Um die Runde zu schlieĂen, strebt Kalchthaler nun in Richtung Augustinermuseum â und hat bald an jeder Ecke eine Geschichte zu erzĂ€hlen. Er kennt die Namen der HĂ€user, die ihrer einstigen Besitzer und ihre Bestimmung; es ist wissensvermittelndes VergnĂŒgen, mit ihm durch die Stadt zu gehen, die wohl nur ganz wenige so gut kennen und kaum einer so erklĂ€ren kann wie er.
Beim âAugustinerâ angekommen, ist wieder diese Freude zu spĂŒren, die er an seiner Arbeit hatte und die er auch angesichts des Bauwerks empfindet, das âhistorische und moderne Elemente harmonisch verbindetâ. Wenn das Museum fĂŒr Stadtgeschichte in zwei Jahren hierher umziehe, sagt er, könne er sich âgut vorstellenâ, wieder eine Weile hier mitzuarbeiten â mit einem Rentner-Werkvertrag.
Die Internationalen Kulturbörse Freiburg (IKF) wird neu ausgerichtet und wird deswegen erst 2025 wieder an der Messe Freiburg laufen. Die veranstaltende Freiburg Wirtschaft Touristik und Messe GmbH & Co. KG (FWTM) will damit auf die sich wandelnde Kulturbranche und neue Anforderungen an die Fachveranstaltung reagieren und die IKF zukunftsfĂ€hig aufstellen. Die 1989 gegrĂŒndete IKF ist die gröĂte Fachmesse fĂŒr BĂŒhnenproduktionen, Musik und Events im deutschsprachigen Raum. Im vergangenen Jahr feierte sie ihre 35. Auflage. Die FWTM musste sie aber nach chilli-Informationen jedes Jahr mit einem fĂŒnfstelligen Defizit in der Bilanz buchen.
Der Intendant des Theater Freiburg Peter Carp wurde als neues Mitglied in die Deutsche Akademie der Darstellenden KĂŒnste (DADK) gewĂ€hlt. âIch freue mich sehr ĂŒber die Aufnahme in die Deutsche Akademie der Darstellenden KĂŒnste und auf die damit verbundenen neuen Aufgabenâ, so Carp. Die DADK wurde 1956 in Hamburg als gemeinnĂŒtziger Verein mit dem Ziel gegrĂŒndet, durch Diskussionen, Stellungnahmen und Veranstaltungen zu aktuellen Themen und Entwicklungen Zeichen und MaĂstĂ€be fĂŒr das kulturelle Leben zu setzen.
Das Freiburger Aktionstheater Panoptikum hat eine erste Kooperation mit dem Kulturzentrum ArtâRhena auf der Rheininsel zwischen Breisach und Neufbrisach beschlossen. Das Stuttgarter Kunstministerium fördert das partizipative, grenzĂŒberschreitende Tanz- und Theater-Projekt âEmpreintes/AbdrĂŒckeâ mit 30.000 Euro. bar
Peter Carp: Intendant des Theaters Foto: © Birgit Hupfeld Unterwegs in den Unruhestand: Peter Kalchthaler im Innenhof des Museums fĂŒr Stadtgeschichte, umgeben von Wentzingers Jahreszeiten-Skulpturen.Info
Festival of Transcultural Cinema, 12. â 21. Mai 2023, Kommunales Kino Freiburg freiburger-filmforum.de
In diesem Monat jagt im Kommunalen Kino ein Filmfestival das andere: Gerade ist das 30. Cinelatino zu Ende gegangen, da folgt auf dem FuĂ die 20. Ausgabe des hauseigenen Freiburger Filmforums, das inzwischen als âFestival of Transcultural Cinemaâ gehandelt wird. Am Freitag, 12. Mai gehtâs los â heuer wieder vor Ort im Alten Wiehrebahnhof und mit etwa 30 internationalen GĂ€sten. Den Auftakt macht Rafiki Fariala aus der Zentralafrikanischen Republik: Er prĂ€sentiert seine Dokumentation âNous, Ă©tudiants!â.
Indessen haben die Macher·innen um Kurator Mike Schlömer viel gelernt aus dem jĂŒngsten Filmforum 2021, das wegen pandemischer EinschrĂ€nkungen nur online stattfand: Bei einigen FilmgesprĂ€chen sind die Regisseure oder Autoren zugeschaltet, und bei einem Teil des Programms haben Zuschauer·innen die Möglichkeit, die Filme ĂŒber die Streamingplattform des Kinos zeitgleich mit den im Saal Anwesenden zu sichten.
Zudem entwickelte das fĂŒnfköpfige Kern-Team ein ganz neues Format, das es erlaubt, an verschiedenen analogen Orten synchron den gleichen Dokumentarfilm zu sehen. #Junctions nennen sie dieses Experiment, mit dem neue Rezeptionsformen erprobt werden sollen â âim âauĂereuropĂ€ischen Austauschâ, wie Schlömer betont. Dabei sind Besucher des Unseen-Kinos in der kenianischen Hauptstadt Nairobi sowie GĂ€ste des Conflictoriums im indischen Ahmedabad per Livestream mit dem KoKi-Publikum in Freiburg verbunden; alle sehen den gleichen Film und kommen hernach miteinander ins GesprĂ€ch. An fĂŒnf der insgesamt zehn Festivaltage gibt es VorfĂŒhrungen innerhalb dieses #Junction-Programms.
Mike Schlömer ist gespannt, wie das neue Format ankommt. Ansonsten ist er froh, dass das Filmforum âendlich wieder Bodenhaftungâ hat. Auch wenn der diesjĂ€hrige Themenschwerpunkt eher in den Sternen steht: Um die Zukunft geht es, also âum das, was uns noch erwartet, uns aber heute schon bestimmt, weil wir damit rechnen mĂŒssen, genau das zu erleben, was wir eigentlich verhindern wollenâ. Dabei mĂŒsste es eigentlich âZukĂŒnfteâ heiĂen, weil die RealitĂ€ten unterschiedlich seien â und damit auch das, was in den verschiedenen Weltgegenden auf die Menschen zukomme.
Dabei könnten Filmbilder der Gegenwart als Schnittstelle zur Zukunft dienen: âHierzulande dystopisch anmutende Szenarien sind andernorts bereits RealitĂ€tâ, wie etwa in âEverything that breathesâ zu sehen sein wird. Dieses Thema sei derzeit so relevant, dass es neben dem Hauptprogramm und der bewĂ€hrten Studentâs Platform ein neues Format gibt: âFilming Futuresâ heiĂt es.
Es gibt vier Kurzfilmprogramme, die wagemutig in die Zukunft blicken. Einige dieser Dokus sind beim Outdoor-Programm âLiving Wallsâ zu sehen, wenn am spĂ€ten Abend des 16. Mai geeignete Freiburger HauswĂ€nde mit bewegten Bildern belebt werden.
Finnland 2022
Regie: Mikko Myllylahti
Mit: Jarkko Lahti, Hannu-Pekka
Björkman u.a.
Verleih: eksystent
Laufzeit: 99 Minuten
Start: 11. Mai 2023
Das Alte stĂŒrzt ein
(ewei). Im Norden Finnlands ist nicht viel los. Auch in der Kleinstadt, in der Pepe mit seiner Familie lebt: Der einzige Treffpunkt ist die Bar, wo sich GroĂ und Klein, Alt und Jung versammeln und trinken, Billard spielen oder tanzen. Manchmal schweigen sich alle auch an; in dieser Region wird nicht viel geredet.
Pepe ist HolzfĂ€ller; sein Leben ist einfach und sorgenfrei. Er hat seinen besten Freund, auf den er sich hundertprozentig verlassen kann, eine verstĂ€ndnisvolle Frau und einen anhĂ€nglichen Sohn â Thomas, der ihm auf Schritt und Tritt folgt und sein Hobby teilt: Eisangeln.
Doch eines Tages wird unerwartet das SĂ€gewerk geschlossen, in dem Pepe und mit ihm das halbe StĂ€dtchen arbeitet. Alle werden erst einmal arbeitslos. Zudem hĂ€ufen sich bei Pepe private SchicksalsschlĂ€ge. Doch wĂ€hrend das alte Leben um ihn herum in sich zusammenfĂ€llt, macht er einfach stoisch weiter. Egal, was passiert. Schwarzhumorig, ein bisschen schrĂ€g â und auf besondere Art magisch.
Schweiz/Frankreich 2022
Regie: Ursula Meier
Mit: Stéphanie Blanchoud, Valeria Bruni Tedeschi u.a.
Verleih: Piffl
Laufzeit: 103 Minuten
Start: 18. Mai 2023
Jenseits der Wut
(ewei). Margret neigt zu unkontrollierten WutausbrĂŒchen. Die 35-jĂ€hrige Musikerin hat deshalb sĂ€mtliche Liebes- und Freundesbeziehungen in den Sand gesetzt. Als einzige Bezugspersonen bleiben ihr die als Solo-Pianistin tĂ€tige Mutter Christina und die kleine Schwester Marion. Wobei insbesondere das VerhĂ€ltnis zur Mutter sehr belastet ist.
Als die beiden in einen heftigen Streit geraten, verletzt Margret Christina so schwer, dass diese einen Hörschaden erleidet. Die Polizei rĂŒckt an, Margret wird verhaftet und erhĂ€lt die Auflage, sich wĂ€hrend der nĂ€chsten drei Monate dem Haus der Mutter nicht zu nĂ€hern. Sie muss einen Abstand von mindestens 100 Metern einhalten â eine Grenze, die Marion mit einer Linie markiert, die sie mit blauer Farbe um das ganze Anwesen zieht.
TĂ€glich hĂ€lt sich die labile Margret an dieser Linie auf, sucht Vergebung â und die NĂ€he zu ihrer wenig empathischen Mutter, die ihr nie Liebe und Anerkennung zukommen lieĂ. Doch deren innere Barriere bleibt.
Schweiz 2023
Regie: Sabine Boss
Mit: Sarah Spale, Max Simonischek, Roeland Wiesnekker, Ursina Lardi
Verleih: Wild Bunch
Laufzeit: 88 Minuten
Start: 1. Juni 2023
(ewei). Anna und Thomas sind schon lange ein Paar. Schon seit 20 Jahren leben sie in derselben Wohnung im selben Mietshaus â mehr neben- als miteinander. Und die Tatsache, dass sie sich allmĂ€hlich voneinander entfernt haben, hat sie bisher nicht weiter gestört, war ihnen nicht einmal wirklich bewusst.
Das Ă€ndert sich, als im Stockwerk ĂŒber ihnen neue Nachbarn einziehen âein junges Paar, das ziemlich deutlich hörbar den sexuellen Gefallen aneinander noch nicht verloren hat. Die oft und lautstark ausgelebte Liebesfreude sorgt bei Thomas und Anna fĂŒr schlaflose NĂ€chte und unruhige Wochenenden âund trifft die beiden bis ins Mark: Ihnen wird bewusst, wie sehr sie in ihrer Ehe festgefahren sind â und dass sie auch einmal Zeiten kannten, da sie kaum voneinander lassen konnten.
Doch anstatt darĂŒber zu reden, giften sie sich nur noch an. Bis Anna die Nachbarn auf einen Drink einlĂ€dt âund diese ihr und ihrem Mann ein ĂŒberraschendes Angebot machen. Wortwitzige Komödie.
StĂŒcke zeitgenössischer Komponist·innen stehen nicht im Ruf, hip zu sein. Oft werden sie als kompliziert, verwirrend oder elitĂ€r beschrieben. Solchen Klischees sagt der Freiburger Verein Mehrklang den Kampf an. Mit innovativen Konzepten will das Netzwerk möglichst viele Menschen mit Neuer Musik erreichen. Dieses Jahr etwa mit einem veganen Konzert in der Mensa
Neue Musik: Sind damit die Singles von Apache207 und Udo Lindenberg oder das neue Album von Taylor Swift gemeint? Weit gefehlt, StĂŒcke aus Rock oder Pop fallen nicht in die Kategorie. Stattdessen geht es in der Regel um zeitgenössische Werke, die im Alltagsgebrauch der Kategorie âKlassikâ zugeordnet werden. In Freiburg gibt es dafĂŒr eine rege Szene. âGemessen an der GröĂe der Stadt passiert hier mehr als in MĂŒnchen, Tokio oder New Yorkâ, sagt Beate Rieker. Sie ist GeschĂ€ftsfĂŒhrerin von Mehrklang, dem Freiburger Netzwerk fĂŒr Neue Musik. Nicht nur die vielen Ensembles und Institutionen wie die Musikhochschule oder das Experimentalstudio des SWR
machten die Breisgaumetropole zur Musikstadt. âAuch das Publikum ist sehr neugierig und kommt regelmĂ€Ăig zu Veranstaltungenâ, berichtet Rieker.
Seit der GrĂŒndung vor 15 Jahren ist es das Ziel von Mehrklang, nicht nur das eingefleischte Publikum zu erreichen. Rieker beobachtet, dass sich viele Menschen nicht auf Konzerte der Neuen Musik trauen, vielleicht, weil sie von den ungewohnten KlĂ€ngen abgeschreckt seien. Hier setze Mehrklang als âManufaktur fĂŒr besondere und innovative Veranstaltungsformateâ an.
Bereits siebenmal hat der Verein den Klangparcours am Waldsee organisiert. Dort wird die Natur mit Klangstationen zum Konzersaal, Musiker·innen spielen etwa auf Tretbooten oder im Pavillon. Schon zur ersten Auflage kamen 2015 mehr als 1000 GÀste.
Eines der Highlights des Vereins war vergangenen Herbst das Glockenkonzert im Herzen Freiburgs. Satte 765 Jahre hat die HosannaGlocke des Freiburger MĂŒnsters auf dem Buckel. Komponist Bernhard Wulff nutzte den Klang der Glocke als Grundakkord fĂŒr ein Konzert mit 50 Musiker·innen. âDas war ein magischer Augenblickâ, erinnert sich Rieker. âDer ganze MĂŒnsterplatz war voller Menschen, es kamen Tausende Zuhörer·innen.â Die
KlÀnge, denen das Publikum damals andÀchtig lauschte, werden wohl nie wieder zu hören sein: Es gibt weder einen Mitschnitt noch werden Noten verkauft.
Im JubilĂ€umsjahr warten neue Highlights. Dazu zĂ€hlen ein Sonnenaufgangskonzert auf der Dreisamwiese an der KartĂ€userstraĂe (18. Juni), Gute-Nacht-Lieder am Siegesdenkmal auf dem Europaplatz (23. Juni) und Klangtouren durch die Keller der Brauerei Ganter (1. Juli).
Besonders spannend verspricht am 7. Oktober ein veganes Konzert in der Mensa RempartstraĂe zu werden. âEs soll ein humorvolles Experiment mit ĂŒberraschender Musik werdenâ, kĂŒndigt Rieker an. Unter Einbindung des Publikums soll erkundet werden, wie ein klassisches Konzert ohne tierische Produkte aussehen kann: Gibt es Alternativen zum Pferdehaar im Geigenbogen? Wie klingen Instrumente ohne Tierprodukte, zum Beispiel ein KĂŒrbis? Um nicht nur die Ohren anzusprechen, wird dazu eine vegane Suppe gereicht. Vegane Konzerte, Musiker·innen im Tretboot â das ist eigentlich doch recht hip.
Manufaktur fĂŒr Neue Musik: Bernhard Wulff, Beate Rieker und Akiko Okabe (v. l. n. r.) blicken als Vorstand von Mehrklang auf Highlights wie das Glockenkonzert auf dem MĂŒnsterplatz zurĂŒck.
Fast 800 Jahre alte Glocke als prominente GastmusikerinFotos: © Mehrklang
Wer in Freiburg tanzen geht, kommt an ihr kaum vorbei: DJ Ella Stracciatella ist auf vielen BĂŒhnen prĂ€sent. Ihr Elektrosound mit feministischem Einschlag bringt die Menge in Bewegung. Dabei ist die Frau durch Zufall zum Auflegen gekommen.
TagsĂŒber ackert sie an der Uni, nachts wĂŒhlt sie sich durch Platten oder bringt die PartygĂ€ste zum Bouncen. DJ Ella Stracciatella war zuletzt in Hamburg, Marburg, MĂŒnchen. Ihre Base ist aber Freiburg. Hier lebt die KĂŒnstlerin, die ihren bĂŒrgerlichen Namen und das Alter fĂŒr sich behĂ€lt. Im Sommer ist sie unter anderem beim ZMF und bei der AftershowParty des Sea You am Start. Ella ist KĂŒnstlerin und Aktivistin. Als Teil der Initiative âLocartistaâ kĂ€mpft sie fĂŒr mehr Vielfalt auf Freiburgs BĂŒhnen. Was sie auflegt, ist zugleich auch eine Ansage. Den Mix beschreibt sie als âfeinste BitchMukke & Indiedance Sound, glitzernden Disco-TrĂ€sh oder auch Acid & Tech Houseâ. Bitch? âDas war lange ein gesellschaftliches Schimpfwort, jetzt ist es fĂŒr mich feministisches Empower-
mentâ, erklĂ€rt Ella. Negatives Feedback auf das Wort kennt sie gut, doch da kann sie drĂŒberstehen.
Zwei bis drei Gigs spielt Ella im Monat. âAuflegen ist mehr Passion als Beruf, ein Nebenerwerbâ, erzĂ€hlt die KĂŒnstlerin. Wer ihr auf Social Media folgt, sieht schnell: Da steckt Arbeit drin. Wie sie das trotz einer vollen Stelle an der Uni schafft? âWenig Schlaf ist aktuell die Lösungâ, erzĂ€hlt Ella und lacht.
Die Frau, die sich nach ihrem Spitznamen und ihrem Lieblingseis benannt hat, ist seit sieben Jahren aktiv. 2016 moderierte sie eine Musiksendung fĂŒrs PH-Radio. Dann kam die Anfrage, ob sie in zwei Tagen fĂŒr einen DJ einspringen kann. âIch wusste nicht, wie es geht, aber habe mir das Auflegen in zwei Nachtschichten draufgeschafftâ, erinnert sich Ella. âIch hatte nichts zu verlieren â und es lief nicht schlechtâ, erzĂ€hlt sie. Sie war angefixt.
âIch habe irgendwie ein GespĂŒr fĂŒr Musik, fĂŒhle esâ, sagt Ella. Smoothe ĂbergĂ€nge zwischen den Songs seien wichtig, entscheidend findet sie als DJ aber die Trackauswahl. Durchgeplante Sets sind dabei selten: âIch bin Improvisator, wechsle auch mal spontan das Thema.â Lange legte sie so im RĂ€ng auf. Auch im Hans-Bunte oder beim CSD sorgt sie fĂŒr Stimmung. Ihre mehr als 7000 Tracks im Reper-
toire sind âalle hier drinâ, sagt sie und zeigt auf ihren Kopf. Am Ende ihrer Sets spielt sie als augenzwinkernde Selbstreferenz meist einen Remix von France Galls âElla elle lâaâ oder von Rihannas âUmbrellaâ.
Weibliche Vorbilder hat sie lange vermisst: âIch habe mich gefragt, wo die anderen Girls oder Finta-Personen sind.â Als Frau musste sie sich beweisen: Kritische Veranstalter fragten ab, was ein Cinch-Kabel ist, âund der mĂ€nnliche Kollege bekommt einen Cuba Libreâ. Beurteilt worden sei sie oft nach dem ĂuĂeren. Heute sei das mit einem gewissen Standing leichter.
Einer ihrer Kollegen und Freunde ist Alex âKĂ€ptnâ HĂ€ssler. Der DJ ist unter anderem Organisator des Ahoii Clubs. Er schĂ€tzt Ella als super zuverlĂ€ssig. âSie macht den Job top professionell und mit Leidenschaft.â Wie sie das alles nebenberuflich schaffe, gibt HĂ€ssler RĂ€tsel auf. âWahnsinnâ, schwĂ€rmt der DJ.
FĂŒr Ella ist die Musik lĂ€ngst keine Nebensache mehr. Der Wunsch ist, auch international aufzutreten. Und das âFusionâ-Festival am MĂŒritzsee wĂ€re ein Traum. Ihren KĂŒnstlernamen hat sie bereits im Perso stehen.
von Till Neumann Legt auf und kĂ€mpft fĂŒr mehr Vielfalt: DJ Ella Stracciatella aus FreiburgKonzerte, Jams und experimentelle Kunst: Der Unicorn Music Store in Freiburg hat zwei Veranstaltungsreihen gestartet: Robert Kirch (58) alias Rhino Rainbow erzĂ€hlt im Interview mit chilli-Redakteur Till Neumann, was sich hinter den âUnicorn Sessionsâ verbirgt â und wem das helfen soll.
Herr Kirch, was ist mit den Sessions geplant?
Jeden Dienstagabend steigen im Ruefetto Konzerte bei den Unicorn Sessions. Es gibt eine Opening Band, die so lange spielen kann, wie sie möchte. Danach ist eine Jam. Es gibt von allem ein bisschen: Jazz, Pop, Heavy Metal oder Singer-Songwriter. AuĂerdem gibt es jeden ersten Freitag im Raum der Kreativpioniere die crossmedialen âUnicorn Sessions â Experimentalâ.
Was verbirgt sich dahinter?
Das ist ein Ă€hnliches Format wie im Ruefetto, aber offener. Auch da gibtâs ein Opening-Konzert: Zum Start hatten wir eine improvisierte Musik- und Tanz-Performance mit Videos. Alle Kunstrichtungen sind willkommen, vielleicht wird auch mal live gemalt. Wer Interesse hat mitzumachen, kann uns anschreiben.
Der Plan ist, ein neues Kulturangebot zu schaffen?
Ja. Wir hatten an unserem ehemaligen Standort an der BelfortstraĂe eineinhalb Jahre lang Konzerte, Ausstellungen und Tanz-Performances, wollten dort auch ProberĂ€ume einrichten. Aber die Stadt hat das dichtgemacht. Jetzt wollen wir lokalen Bands und KĂŒnstlern in Freiburg eine Chance geben, sich zu zeigen. Leuten, die noch nicht so bekannt sind, es aber draufhaben.
(miwi). Chaos heiĂt die die neue EP von Tausendsassa. Dahinter verbirgt sich der Freiburger Rapper Ansgar Hufnagel. Acht Songs bieten den Hörer·innen eine Mischung aus positiven und nachdenklichen Songs. Es geht um Liebe, Selbsterkenntnis und die kleinen WiderstĂ€nde des Alltags. Dabei sticht der Song âPlus einsâ klar hervor. Die Kombination aus dem groovigen Rap und der Samtstimme von Lisa Akuah erzeugt eine fast mĂ€rchenhafte AtmosphĂ€re.
Die positiven Vibes ziehen sich selbst durch die kritischeren Songs. Das garantiert gute Laune. Wie schon auf dem Soloalbum âabersowasvonâ zeigt sich Tausendsassa als selbstbewusster, starker Musiker. Entspannte Beats und lyrische Texte sind die StĂ€rken der EP. Weitere Features mit Lisa Akuah wĂ€ren wĂŒnschenswert. Obwohl die Platte âChaosâ verspricht, ist der rote Faden da: beim Style und bei den Texten. Der Nachteil: Kontrastreiche und musikalisch mutige Tracks fehlen hier.
Tausendsassa ist auch Slammer, Poet, Moderator, Kabarettist und macht Improtheater. Das Multitalent hat sein Rap-Soloalbum âAbersowasvonâ im FrĂŒhjahr 2022 veröffentlicht. Der Sound erinnert an eine moderne und chillige Version des Deutschraps der 90er. Mit einer ordentlichen Portion Selbstironie.
(pl). Sie haben sich Zeit gelassen. Rund zehn Monate nach dem ersten Vorboten ist die EP âMess in Heavenâ des Freiburger Quintetts Raw Sienna jetzt komplett. Darauf sind sechs Songs mit verschiedenen Spielarten der Rockmusik zu hören.
Die Tracks haben Raw Sienna seit Juli peu Ă peu veröffentlicht. Als ein zentrales Thema ihrer meist interpretationsoffenen Texte bezeichnet SĂ€nger Fabian Sommerhalter mentale Gesundheit. Deutlich wird das vor allem auf dem emotionalen âKill the Noiseâ. Schon vor Release der Single erklĂ€rte die Band ĂŒber Social Media, dass die im Lockdown entstandene Nummer von Depressionen und mentaler Gesundheit handelt.
Musikalisch lĂ€sst sich die Band kaum einordnen. âFireskyâ kommt dĂŒster und hymnisch daher, dagegen geht âSoak up some Lightsâ direkt ins Ohr und in die Beine. âGameâ hat ein knallendes Riff und erinnert an klassischen und bluesinspirierten Rock der 1970er-Jahre, âCollapseâ wirft mit einem mehr als zweiminĂŒtigen Intro und dem breiten Soundgewand das Kopfkino an. Manchen dĂŒrfte der rote Faden der EP fehlen. Wer dagegen einfallsreiche Gitarrenmusik abseits des Schubladendenkens schĂ€tzt, dĂŒrfte sich mit âMess in Heavenâ kaum langweilen.
(tln). Der Freiburger Singer-Songwriter Sebastian Hesselmann ist gerade durch die Republik getourt. Mit seiner neu gegrĂŒndeten Band um Alisa Merker (Gitarre), Philipp Nosko (Drums) und Niclas Egerer (Bass) hatten die vier auch die Single âAm Ende jeder Tageâ im GepĂ€ck.
Das Video zum neuen Song ist unter anderem in Berlin entstanden, doch der Track nimmt mit zum Eiffelturm. Hesselmann singt zu einem nervös-treibenden Riff von eisigen Momenten, Schatten und TrĂŒmmern. Und schon verlassen sie Paris am Morgen in aller Eile. Denn die Lichter sind ein Schatten ihrer selbst.
Poetisch ist das, ein Track zum Zuhören und ReinfĂŒhlen. Aber im Chorus auch zum RumhĂŒpfen und Mitsingen. âUngleiche Gleichheit bleibtâ heiĂt es da. DĂŒster kommt das daher. Doch da schwingt auch Hoffnung mit, wenn das Ganze in der Mitte aufbricht. Gezupfte Saiten versprĂŒhen Hoffnung, bis Hesselmann mit Gast-SĂ€nger Danny McClelland von Redensart die Schatten bekĂ€mpft und aus den TrĂŒmmern etwas aufbaut.
Fast fĂŒnf Minuten sind lang fĂŒr einen Song. Aber âAm Ende jener Tageâ ist feinsinnig getextet und abwechslungsreich arrangiert. Das Feature gibt dem rockigen Ende extra Drive. Die Band setzt hier kreative WĂ€rme gegen kalte Zeiten. Chapeau.
(pl). Punk und Politik â die Verbindung hat zu vielen Krachern beigetragen: Die Ărzte haben mit âSchrei nach Liebeâ eine Hymne gegen Nazis geschaffen, Green Day die Ăra Bush mit âAmerican Idiotâ angeprangert. Auch die Freiburger von Das Aus der Jugend halten mit ihrer politischen Einstellung nicht hinterm Berg â und widmen Finanzminister Christian Lindner eine beiĂend ironische Single.
Das Aus der Jugend hat sich 2022 im Freiburger Haus der Jugend gegrĂŒndet. Mit ihrem DebĂŒt âPorsche fahrn mit Christianâ formuliert das Trio Kritik an Lindner. Textlich kommt das mal zynisch-humoristisch (âDein bester Freund er ist, wenn du bist ein Lobbyistâ), mal gekonnt plakativ (âPorsche fahrn mit Christian, ohne Tempolimit, ohne Verstandâ) daher. NatĂŒrlich webt das Trio Lindner-Zitate der Marke âProbleme sind nur dornige Chancenâ ein.
Mit Schlagzeug, Gitarre, Bass und Gesang â inklusive Mitgrölpart âpeitscht die Nummer im Refrain ordentlich nach vorne. Musikalisch bleibt zwar nicht viel hĂ€ngen, trotzdem macht das DebĂŒt Lust auf die nĂ€chste Single. Die kommt im Juli, ihr Titel ist schon bekannt und nicht weniger konfrontativ als der VorgĂ€nger: âStehblues im Wasserwerferregenâ. Ebenfalls im Juli spielt die Band auf dem ZMF.
Die Freiburger Geschmackspolizei ermittelt schon seit 20 Jahren gegen Geschmacksverbrechen â nicht nur, aber vor allem in der Musik. FĂŒr die cultur.zeit verhaftet Ralf Welteroth fragwĂŒrdige Werke von KĂŒnstlern, die das geschmackliche SicherheitsgefĂŒhl der Bevölkerung empfindlich beeintrĂ€chtigen.
Wonnemonat Mai â dass wir nicht lachen. Rain in May? Wennâs unbedingt sein muss, okay, Herr und Frau Mai-er, handelsĂŒblicher Mai-s oder der Mai-n â kann man alles irgendwie noch durchwinken, aber bei Vanessa Mai, da mĂŒssen wir dann doch einschreiten.
Schlagerstampf mit hohem FremdschĂ€mfaktor, eigentlich nichts Besonderes, gerade deswegen aber wohl besonders beunruhigend und besorgniserregend. Um diese Alliteration gebĂŒhrend fortzusetzen, setzen wir mit Backnang noch eins obendrauf. Dort nĂ€mlich ist die Dame einst als Vanessa MandekiÄ geboren und hat sich dann spĂ€ter ihren Geburtsmonat einfach als KĂŒnstlernamen zu eigen gemacht, klingt auf jeden Fall besser als Februar oder November, fĂŒhrt aber völlig in die Irre.
Frau Mai ist schwer beizukommen, obwohl die Beweislast hoch ist, von fragwĂŒrdigen BĂŒhnen-Outfits mal ganz abgesehen. TextauszĂŒge dĂŒrfen wir aus ermittlungstaktischen GrĂŒnden nicht preisgeben, aber komm, was sollâs:
Und wenn ich sterb', ich sterb' fĂŒr dich oh ich sterb' fĂŒr dich heut' Nacht, und wenn ich wein, ich wein um dich, oh ich wein' um dich heut Nacht, und wenn ich denk, ich denk an dich, oh ich denk' an dich heut Nacht, es tut so weh ganz ohne dich!
Totstellen wird wohl nicht helfen. In diesem Sinne, unsterblich grĂŒĂt fĂŒr die Geschmackspolizei
Am Abend des 10. Mai 1933 brannten auf den öffentlichen PlĂ€tzen vieler deutscher StĂ€dte Scheiterhaufen: In einer von oberster Propagandastelle konzertierten Aktion âwider den undeutschen Geistâ verbrannten Studenten und andere Angestachelte in theatralischen Inszenierungen BĂŒcher, Zeitungen und andere Schriften, die die neuen Machthaber als schĂ€dlich erachteten.
Zuvor hatten sie BĂŒchereien und Buchhandlungen gestĂŒrmt, um sie âvon Schmutz und Schund zu sĂ€ubernâ. Dabei hatten sie sĂ€mtliche Literatur beschlagnahmt, die dem Weltbild des gerade drei Monate vorher errichteten NS-Regimes nicht entsprach. Auch in Freiburg gab es solche Beschlagnahmungen â aber an diesem Abend wohl kein Feuer.
Dunkle Wolken ĂŒber Freiburg von Heiko Wegmann
Nationalsozialistische BĂŒcherverbrennungen, âSĂ€uberungenâ und Enteignungen
Verlag: Regionalkultur, 2023
200 Seiten, broschiert
Preis: 12,90 Euro
PrÀsentation & Lesung:
10. Mai, 19 Uhr, Stadtbibliothek
Stadtrundgang:
12. Mai & 14. Juni, 17 Uhr, Treffpunkt: Rathausplatz
Zumindest kein gröĂeres, wie der Freiburger Historiker Heiko Wegmann in seiner soeben erschienenen, grĂŒndlich recherchierten Forschungsarbeit âDunkle Wolken ĂŒber Freiburg â Nationalsozialistische BĂŒcherverbrennungen, âSĂ€uberungenâ und Enteignungenâ schreibt. Zwar sei am 8. Mai in den Lokalzeitungen eine Verbrennung angekĂŒndigt worden â auf dem Platz vor der damaligen UniversitĂ€tsbibliothek. Aufgerufen hatten die Ortsgruppen der Deutschen Studentenschaft und des Kampfbunds fĂŒr deutsche Kultur, die damit âden geistigen Kampf gegen die marxistisch-jĂŒdische Zersetzung des deutschen Volkes bis zur Vernichtungâ propagierten und die Bevölkerung aufforderten, ihren Beitrag zu dieser âdeutschen Sitteâ zu leisten.
Doch Berichte ĂŒber den Vollzug der geplanten Aktion fand Wegmann an keiner Stelle. Und die darauf beruhende Annahme, dass zumindest nichts erwĂ€hnenswert SpektakulĂ€res geschehen sei, habe âzu einer Legende gefĂŒhrtâ, die sich âbis heute hĂ€ltâ: nĂ€mlich, dass es im Unterschied zu anderen UniversitĂ€tsstĂ€dten in Freiburg zu keiner Zeit verbrannte BĂŒcher gegeben habe.
Die BegrĂŒndungen reichten vom Regenwetter ĂŒber die angebliche SchwĂ€che der NSDAP und ihrer AnhĂ€ngsel bis zu der âsteilen Theseâ, dass der seinerzeitige Uni-Rektor Martin Heidegger die Verbrennung verboten habe. Das hatte der Philosoph, der am 1. Mai 1933 Parteimitglied wurde, 1966 in einem Interview mit dem âSpiegelâ behauptet. Allerdings konnte er dafĂŒr keine Beweise vorlegen.
Wegmann hat nun herausgefunden, dass es sehr wohl Buchverbrennungen gab und dass die beteiligten Akteure, darunter die StĂ€dtische Kommission gegen Schmutz und Schund sowie die Hitlerjugend, bei der Verfolgung ihrer Ziele âeinen starken Willen und ungeheure HartnĂ€ckigkeit zeigtenâ und verfemte Schriften sogar mehrmals öffentlichkeitswirksam ins Feuer warfen. Nachweisen kann er mindestens zwei lange ĂŒbersehene BĂŒcher-Feuer: am 17. Juni auf dem nicht weit vom jĂŒdischen Friedhof entfernten, auf dem heutigen MessegelĂ€nde gelegenen damaligen Exerzierplatz â in Anwesenheit von OB Franz Kerber. Eine weitere Verbrennung gab es beim Sonnwendfeuer am 24. Juni im UniversitĂ€tsstadion an der Dreisam, wo Heidegger eine pathetische Rede auf die Flamme hielt, die âuns den Weg weise, von dem es kein ZurĂŒck mehr gibtâ.
von Erika Weisser Foto: © Ingo SchneiderIngo Herzke
Verlag: Schöffling & Co., 2. Aufl. 2023
288 Seiten, gebunden
Preis: 25 Euro
(ewei). Ende der 1950er-Jahre gehört Ruben Blum als Experte fĂŒr Steuergeschichte zum Lehrkörper der fiktiven Corbin-University im Staat New York. Er stammt aus einer schon lĂ€ngst vor der Flucht in die USA assimilierten jĂŒdischen Familie â und tut alles dafĂŒr, mit Ehefrau Edith und Tochter Judith als âganz normale amerikanische Kleinfamilieâ zu gelten.
Doch er kommt aus der Ambivalenz âzwischen dem amerikanischen Zustand des WĂ€hlenkönnens und dem jĂŒdischen Zustand des ErwĂ€hltseinsâ nicht heraus: Seine noch lebenden, ĂŒberlebenden Vorfahren pochen auf das eine, die ihn umgebende Gesellschaft und die Kollegen lassen das andere nicht zu.
Als sich der Historiker Ben-Zion Netanjahu auf einen freien Lehrstuhl bewirbt, muss er ihn betreuen â der einzige Jude auf dem Campus soll sich um âseinesgleichenâ kĂŒmmern. Zwar sieht Blum das ganz anders: Mit dem âobskuren Zionisten, der jĂŒdische Traumata in israelische Propaganda verwandeltâ, verbindet ihn nichts.
Doch er fĂŒgt sich. Und bereut es bald. Denn zum AntrittsgesprĂ€ch bringt Netanjahu âdie ganze Mischpocheâ mit: drei ungehobelte Söhne, die gleich einer biblischen Plage lĂ€rmend und marodierend ins Haus einfallen und eine Spur der VerwĂŒstung hinterlassen. Mittemang dabei: der damals zehnjĂ€hrige Benjamin.
von Ătienne Davodeau
Verlag: Carlsen, 2023
216 Seiten, Hardcover Preis: 27 Euro
(jp). Die Tropfsteinhöhle Pech Merle im SĂŒdwesten Frankreichs ist fĂŒr ihre Höhlenmalereien berĂŒhmt, die Sapiens vor Tausenden von Jahren angefertigt haben. Im Norden Frankreichs, im Ărtchen Bure, planen andere Sapiens, AtommĂŒll unter der Erde zu begraben, der mehr als 100.000 Jahre fĂŒr Mensch und Umwelt gefĂ€hrlich bleiben wird.
Ătienne Davodeau sieht einen Zusammenhang zwischen beiden Orten â und wandert kurzerhand von SĂŒd nach Nord. Er will der Frage nach-gehen, wie es um die Beziehung des Menschen zum Planeten und seiner Erde bestellt ist.
Vier Wochen â vom 11. Juni bis 11. Juli 2019 â ist der Autor und Illustrator unterwegs. In Form einer Comicreportage hat er die Tour quer durchs malerische Frankreich festgehalten. Einen Teil der Strecke geht er allein, teils wandert er in Begleitung: Experten aus der Agrarökonomie, der Energiewirtschaft und gar ein Sprachwissenschaftler unterstĂŒtzen ihn in der Beantwortung der Frage, wie das VerhĂ€ltnis des Menschen zu seinem Planeten und dem Boden, auf dem wir alle stehen, eigentlich aussieht.
GesprĂ€che mit Menschen vor Ort und UmweltschĂŒtzern sind ebenfalls festgehalten und lassen eine bilderreiche, multiperspektivische ErzĂ€hlung entstehen, in der die Themen Kultur, Umwelt und Wissenschaft miteinander verzahnt sind.
von Marc Hofmann Verlag: Kirschbuch, 2023
220 Seiten, Hardcover
Preis: 16.50 Euro
(ewei). Die Sommernachtsparty, die alles verĂ€nderte, liegt 30 Jahre zurĂŒck. Niels war damals 19, hatte gerade sein Abi in der Tasche â und das GefĂŒhl, dass ihm die Welt offenstĂŒnde. Doch dann lag sie innerhalb von Sekunden in Scherben.
Kurz darauf verlieĂ er das Dorf, in dem er aufgewachsen war. Er wollte nur noch weg â so weit wie möglich. Und nie wieder heimkommen. Diesen Vorsatz hat Niels, der sich spĂ€ter als Autor und Musiker in Berlin einen wenn auch nicht allzu berĂŒhmten Namen machte, in all den Jahren nie gebrochen. Selbst seinen Vater hat er nach dem ĂŒberstĂŒrzen Aufbruch nur noch einmal getroffen, auf neutralem Terrain. Jedoch vergeblich: zu einer klĂ€renden Aussprache ĂŒber die damaligen Ereignisse kam es nicht.
Doch nun ist der Vater gestorben; Niels kehrt zurĂŒck ins MarkgrĂ€flerland, kĂŒmmert sich um die Beerdigung â und trifft seine alten Freunde. Auch sie scheinen noch in jener Nacht festzustecken, in der sie sich zum letzten Mal sahen. Nach jahrelangem VerdrĂ€ngen lassen sie sich widerwillig auf GesprĂ€che ĂŒber die Party ein â und ĂŒber ihre eigenen Verstrickungen in deren tragische Wende, die der Freiburger Autor Marc Hofmann erst am Ende des Romans benennt.
Lesung: 12. Mai, 19.30 Uhr, Buchladen Rainhofscheune Kirchzarten
FREZI von Joshua Cohen Ăbersetzung: REZI