chilli – das Freiburger Stadtmagazin

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MYTHOS »IDIOTENTEST«

WIE FIES SIND MEDIZINISCH-PSYCHOLOGISCHE-UNTERSUCHUNGEN?

S

Foto: © iStock.com/Motortion

ie gelten als teuer, nervenaufreibend und knallhart: MPUs. Wer seinen Führerschein wegen Cannabis oder Alkohol am Steuer verliert, kommt an den Medizinisch-Psychologischen Untersuchungen kaum vorbei. Doch sind die „Idiotentests“ wirklich so unfair, wie Gerüchte glauben machen? Das chilli hat mit Betroffenen und Expertinnen gesprochen. Zwei sind gegen die Wand gefahren. Die Gerüchteküche brodelt zum Thema MPU. Ein Beispiel: Beim „Idiotentest“ bittet die Gutachterin den Verkehrs­ sünder, zwei Kugeln aufeinanderzule­ gen. Wenn er sie auch nur berührt, ist er durchgefallen. Eine solche Aufgabe hat Alexander Maurer (Name geän­ dert) bei seiner MPU nicht bekommen. Dennoch sagt der 25-Jährige aus dem Freiburger Umland: „Es war absolut un­ angenehm.“ Er hat die MPU im Oktober in Freiburg gemacht – und in den Sand gesetzt. Das Komischste war das Gespräch mit der Gutachterin. „Sie hat mich in 60 Minuten nicht ein Mal angeschaut“, sagt Maurer. Dafür sei sie mit Tippen beschäftigt gewesen. „Ich konnte über­ haupt keine Verbindung herstellen“, sagt der Maschinenbau-Azubi. Grund der MPU war eine Polizeikon­ trolle. Die Beamten fanden Longpapes und fünf Gramm Cannabis in seinem 26 CHILLI MÄRZ 2021

Auto, eine Urinprobe fiel positiv aus. Also musste er mit aufs Revier. Das Ergebnis eines Bluttests lag unter der Grenze von 1,0 Nanogramm THC pro Milliliter. Dennoch bekam Maurer drei Monate später Post von der Führer­ scheinbehörde: Will er seinen Führer­ schein behalten, muss er innerhalb von zwei Monaten zur MPU antreten. Erst kam der Schock. Dann informierte er sich bei einer Verkehrspsychologin. Sie riet, den Test zu machen. Maurer hatte seit der Polizeikontrolle nicht mehr gekifft und dachte: „Das schaf­ fe ich.“ Zwei Stellen in Freiburg bieten

»DAS IST SICHER VERARSCHE« die MPU an: die TÜV SÜD Life Service GmbH und die ias Aktiengesellschaft. Maurer entschied sich auf Empfehlung von Freunden für die ias. Bei der Untersuchung musste er schrift­ lich Fragen zu seinem Vergehen beant­ worten. Ein Arzt checkte, ob er körperlich fit ist und eine Gutachterin befragte ihn zu Drogenkonsum und Lebensumstän­ den. Für drei Stunden zahlte er 790 Euro. Noch vor Ort hieß es, dass er eigentlich Dokumente vorlegen müsse, um zu be­ stehen: einen Abstinenznachweis, den

Nachweis einer MPU-Vorbereitung und ein psychologisches Gutachten. „Ich wusste davon nix“, sagt Maurer. Er lief unvorbereitet ins offene Messer. So geht es auch anderen: Laut Bundes­ anstalt für Straßenwesen gab es 2019 mehr als 86.000 MPUs in Deutschland. 38 Prozent fielen durch. Das Ärgerlichste für Maurer: In der Frist von zwei Monaten ist es kaum möglich, die Bedingungen zu erfüllen. „Ich bin sicher, dass das Verarsche ist“, sagt er. „Sie haben eine MPU angeord­ net, die man nicht bestehen kann.“ Kein Einzelfall, wie Experten bestätigen. Die einzige Option wäre, die Frist zu bre­ chen und später anzutreten. Einen Mo­ nat nach dem Test kam das Gutachten der ias. „Das war komisch formuliert, ich habe es nicht verstanden“, sagt Maurer. Eine Verkehrspsychologin be­ stätigte: Er ist durchgefallen. Seitdem weiß Maurer: Ohne Vorbereitungskurs hat er keine Chance. Expertin dafür ist Renate von Lucadou von der Suchtberatung Freiburg des agj Fachverbands. Seit 13 Jahren coacht sie Menschen für MPUs und sagt: „Un­ vorbereitet in die MPU zu gehen, ist ein großes Problem.“ Die Psychotherapeutin macht sich bei einer Erstberatung ein Bild und empfiehlt meist einen Kurs: Zehn Termine à 90 Minuten kosten 500 Euro. Ziel ist vor allem eine Bewusstwer­ dung: „Es geht um die eigene Geschichte


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