Extrablatt Corriere - 100 Jahre Cellere

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Etwa 83 Jahre alt war Ludwig Cellere, als er die „Memoiren meines Lebens“ zu schreiben begann. Sie blieben ein Fragment – und enden vor seiner Deutschlandreise, die er anfangs der Zwanzigerjahre angetreten hatte. Die spannende Lektüre bringt Erstaunliches zu Tage: Zuallererst einen Umgang mit der deutschen «Fremdsprache», der – nach seinen wenigen Schuljahren in riesigen Klassen – bewundernswert ist. Ausdrucksstark und weitgehend fehlerfrei schreibt Ludwig Cellere in grosser Selbstverständlichkeit über Wander- und Kinderarbeit, über Hunger, Durst und Heimweh, über Enttäuschung und Verlust. Mit grossem Erinnerungsvermögen, aber ohne jede Wehleidigkeit blickt er auf die ersten 33 Jahre seines Lebens zurück. Das ist anrührend, geht unter die Haut und macht seine Ausführungen zu einem Zeitdokument, das über die persönliche Geschichte hinausgeht.

Memoiren meines Lebens

Mein Name ist Umberto Lodovico Cellere, geb. am 8. Mai 1887 in

Sewen bei Masmünster im Ober-Elsass, östlich des Ballon d’Alsace. Ich bin Sohn des Giusto Filippo und der Marietta (Maria) Facchin. Meine Schwester wurde 1888 in Weizen geboren, das damals zum Grossherzogtum Baden gehörte.

Mein Vater arbeitete bei der Zürcher Firma Bossart (genannt «Wasser-

Bossart») am Bleicherweg 4. Damals waren die Wasserversorgungen im ganzen Schweizerlande häufig in Ausführung, so z.B arbeitete mein Vater innert sechs bis sieben Jahren in Seewen, Weizen, Dietlikon, Mühlheim-Wigoltingen und Wila-Turbenthal, wo ich den Kindergarten besuchte. Von hier verlegten sich meine Eltern nach Lothringen und Luxemburg, zuerst drei Jahre nach Düdlingen. Hier begann meine Schulzeit, danach ging es weiter nach Rombach in Lothringen. Wir blieben zwei Jahre hier, und auch in Rombach ging ich zur Schule. Wöchentlich hatten wir zwei Stunden Französisch. Anschliessend übersiedelten wir nach Redingen, wo Erzbergbau betrieben wurde. Hier ging ich noch ein bis zwei Jahre in die Schule und schloss damit meine Schulzeit ab.

In Redingen (Rédange) besorgte ich mir persönlich eine Arbeitsstelle

bei einer Baufirma aus Luxemburg. Beim Bau einer Wohnsiedlung in Oberkorn bei Differdingen arbeitete ich als Ausläufer beim Baubüro.

Schlackenbergs. Das war zirka 1898. Vater führte auch die Küche,

Da ich mir die Stelle selber besorgt hatte, wurde mir erlaubt, das letzte

verkaufte Bier und verdiente gut.

Schuljahr nicht zu absolvieren. Ich wollte eben nicht mehr in die

Schule.

der Provinz Belluno zurückzukehren, um dort jeweils die Winter zu

Nach Beendigung der Bauten in Oberkorn durfte ich ins Hauptbüro

verbringen. Sie hatten ein Jahr zuvor ein altes Haus mit 3000 m2 Land

der Firma nach Luxemburg, Ich blieb nur ein halbes Jahr, ich hatte

gekauft. So kam ich im Alter von 13 Jahren zum ersten Mal nach Italien.

Heimweh, verliess heimlich mein Dachzimmer und kehrte nach Hause

Nun fing ein neuer Lebensabschnitt an.

zurück. Ich wollte nicht allein in der fremden Stadt schlafen. Da meine

Eltern nun wieder den Arbeitsplatz wechselten und zum Bahnbau nach

Mein Vater arbeitete als Vorarbeiter an der Güterbahnhof-Erweiterung

Metz-Chateau Salins-Zabern (Saverne) zogen, ging auch ich mit. Hier

in Söflingen und für mich besorgte er eine Stelle in der Metallwaren-

arbeitete ich als Laufbursche ebenfalls mit beim grossen Abtrag des

Fabrik Geislingen an der Steig. Vater harrte in Söflingen nicht aus und

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Im September 1900 entschlossen sich meine Eltern, nach Feltre in

Vater und ich emigrierten allein, diesmal nach Söflingen bei Ulm.


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