iz3w Magazin # 387

Page 8

Elie Fontaine Nsassoni, 45-jähriger Taxibesitzer und Sapeur seit 35 Jahren | Foto: Tariq Zaidi, Sapeurs: Ladies and Gentlemen of the Congo

»Männlichkeit ist ein gesellschaftlicher Skandal« Ein Gespräch mit Kim Posster Intimität und Männlichkeit stehen häufig in einem schwierigen Verhältnis zueinander. Das hat strukturelle Ursachen, die in der Konstruktion von Männlichkeit liegen, meint Kim Posster. Er war an mehreren Versuchen der organisierten (Selbst-) Reflex­ion von Männlichkeit beteiligt, die er mittlerweile als gescheitert bewertet und publiziert zu Profeminismus und Männlichkeitskritik.

22

iz3w: Trotz aller Veränderung gilt immer noch der Satz »Boys don’t cry«. Kannst du dir erklären wieso? Kim Posster: Es gibt ja durchaus Kontexte, in denen Männer weinen dürfen. Dabei muss es dann aber schon um vermeintlich dramatische, große Dinge gehen, die nicht direkt mit inneren Prozessen und schon gar nicht mit zwischenmenschlichen Beziehungen zu tun haben. Männer weinen, wenn Deutschland beim Männerfußball verliert. Aber doch nicht, weil ihr bester Freund ihnen eine Überraschung zu ihrem Geburtstag macht oder weil sie von einer vertrauten Person stark enttäuscht werden. Man darf keine Schwäche zeigen, weil das in den allermeisten Fällen Angreifbarkeit bedeutet. Zudem gibt es ein enormes Abhängigkeitstabu. Sich gegenüber anderen Menschen Emotionen hinzugeben würde diese Abhängigkeit unterstreichen. Gerade Trauer bedeutet auch ein Innehalten sowie Verletzlichkeit und Loslassen. Das sind Zustände, von denen

Männer gelernt haben, dass sie sie vermeiden müssen. In Momenten, in denen sie ihnen ‚drohen‘, versuchen sie besonders stark die Kontrolle zu behalten. Das führt dann tatsächlich auch dazu, dass man verlernt zu weinen – wie ich aus eigener Erfahrung sagen kann. Ich finde es aufschlussreich zu schauen, wann Männer dann doch verletzlich sein können: in der Männergemeinschaft, unter der Bedingung, dass Frauen und Homosexuelle ausgeschlossen sind. Männer können dort wieder Nähe zulassen, in dem gemeinsam gehaltenen Raum, dass man die eigene Verletzlichkeit betrauert, ohne dabei aber angreifbar zu werden – vor allem durch Frauen. Man(n) möchte also eine intime Beziehung führen, fühlt sich aber genau dadurch die ganze Zeit angegriffen. Wie soll das denn funktionieren? tt Erfahrungsgemäß mehr schlecht als recht. Gerade heterosexuelle Männer stecken in einem ständigen Autonomie-Abhängigkeitskonflikt. Er rührt daher, dass Männer Frauen ganz zentral brauchen, etwa um stark zu sein, aber auch um Emotionen ausdrücken zu können und um überhaupt in der Welt zurecht zu kommen. Gleichzeitig merken sie aber ständig, wie sie durch diese geschlechtliche Arbeitsteilung und ihre Zuneigung zu Frauen von diesen abhängig sind. Das wiederum soll verhindert werden. Man möchte Zuneigung und Bestätigung von Frauen und dabei gleichzeitig verhindern, dass sie zu einem wirklichen Gegenüber werden, das ein eigenes

iz3w • November / Dezember 2021 q 387


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.